Magazinrundschau
Finger weg von meinen Würstchen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.04.2008. In der Weltwoche plädiert Tom Ford für volles, natürliches Schamhaar. Vanity Fair gibt Bill Keller die Schuld an der schwindenden Timeshaftigkeit der Times. Im Espresso bedauert Umberto Eco die schwindende Bedeutung der Zeitungen insgesamt. Die Times streitet um das English Breakfast. In L'Express will der Werbefachmann Maurice Levy die Werbung von Grund auf revidieren. Die LRB erlebt das Glück französischer Malerei, Nepszabadsag das Glück Leipziger Malerei, das TLS das Glück deutscher Romantik, der Economist das Glück japanischer Konzeptkunst, Al Ahram das Glück russischer Fotokunst. Und der New Yorker lernt Englisch mit Li Yang.
Weltwoche (Schweiz), 17.04.2008
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Seit zehn Jahren wird nach einem Viagra für die Frau geforscht, hat aber bisher nichts gebracht, berichtet Kai Michel. "Tatsächlich sind die Dinge im Wandel. 'Früher kamen die Frauen wegen Orgasmusproblemen zu uns', erzählt Claus Buddeberg. Heute ist das kaum der Fall. 'Viele Frauen sind mittlerweile sexuell emanzipiert', sagt er, 'sie kennen die eigene Reaktionsfähigkeit. Und sie lassen sich weniger unter Druck setzen, einen Orgasmus erleben zu müssen.' Stattdessen klagen heute mehr als fünfzig Prozent seiner Patientinnen über mangelnde Lust auf Sex. ... Nach Buddeberg produzieren aber vor allem drei Faktoren Unlust: die Allgegenwart sexueller Reize in der Öffentlichkeit: Wenn überall perfekte Nackedeis prangen, ist Desinteresse eine Reaktion auf die manipulative Vermarktung erotischer Fantasien. Zweitens sind die individuellen Erfahrungen mit Sexualität prägend. Drittens spielt die Partnerschaft eine entscheidende Rolle: 'Dort sehen wir sehr oft eine Wüste', sagt Buddeberg."
Weiteres: David Rockefeller erinnert sich im Interview an Friedrich August von Hayek und Joseph A. Schumpeter. Julian Schütt rühmt J.M. Coetzees "Tagebuch eines schlimmen Jahres" als faszinierenden Versuch, politische Gegenwart mit literarischen Mitteln zu bannen.
The Times (UK), 21.04.2008
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"Finger weg von meinen Würstchen, Coren", knurrt Ross Anderson etwas weiter unten zurück. "Der Restaurantkritiker der Times kann meisterhaft mit Worten umgehen, aber wenn das etymologische Feuerwerk abgebrannt ist, was bleibt? Eine Predigt, das ist alles, eine Predigt der schlimmsten Sorte, wie sie die Kontrollfreaks des Kindermädchenstaats halten, die dieses Land in ein freudloses puritanisches Höllenloch verwandeln, regiert von Fahrradfahrern, die ihr eigenes Tofu stricken, wo ein Glas Wein als Alkoholeinheit gilt und für das Anzünden einer Kippe die sofortige Todesstrafe wegen Babymord droht." Andersons Frühstücksempfehlung: An Werktagen zwei doppelte Espressi und eine Selbstgedrehte, am Wochenende dann "The Full English" - mit Zutaten vom Biobauern.
Vanity Fair (USA), 18.04.2008
"Alle glücklichen Zeitungsfamilien ähneln einander; und wie es scheint, die unglücklichen auch: Am Ende verlieren sie alle ihre Zeitung", prophezeit Michael Wolff düster in seinem Text über New York Times, um deren Eigenständigkeit die Sulzberger-Familie recht verzweifelt und nicht immer glücklich kämpft. "Aber es geht nicht nur ums Geschäft. Eine Wiederbelebung der Zeitung selbst - ihres Einflusses, ihrer Statur und ihrer Autorität - würde sie sicherlich weniger angreifbar machen. Die Familie muss von der schwindenden Timeshaftigkeit der Times entmutigt sein. Bill Keller, der als zweitplatzierter Chefredakteur den Job bekommen hatte, steckte nie das gleiche Herzblut in die Zeitung wie Sulzbergers erste Wahl, der zum Rücktritt gezwungene Howell Raines. Kellers Zeitung ist eine weiche, zögerliche, oft seltsame, selten notwendige New York Times. Auf der anderen Seite scheint Keller Protektion zu genießen, allein schon, weil die Alternative, die Sulzberger wählen könnte, noch Besorgnis erregender sein könnten. In jedem Fall scheint eine Wiederbelebung - entweder durch steigenden Aktienkurse oder in Folge eines neuen journalistischen Selbstbewusstseins und Flairs - in der nächsten Zeit eher unwahrscheinlich."
Portfolio, Atlantic Monthly und der Rolling Stone haben Britney Spears in den letzten Wochen ihre Titelgeschichten gewidmet, was Matt Pressman auf der bange Frage bringt, ob sie vielleicht die wichtigste kulturelle Figur Amerikas sein könnte. (Wer sonst, möchte man zurückfragen.)
Portfolio, Atlantic Monthly und der Rolling Stone haben Britney Spears in den letzten Wochen ihre Titelgeschichten gewidmet, was Matt Pressman auf der bange Frage bringt, ob sie vielleicht die wichtigste kulturelle Figur Amerikas sein könnte. (Wer sonst, möchte man zurückfragen.)
Nepszabadsag (Ungarn), 19.04.2008
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Espresso (Italien), 18.04.2008
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Outlook India (Indien), 28.04.2008
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In einer gelegentlich unter die Gürtellinie zielenden Rezension beklagt Khushwant Singh die "verbale Diarrhoe" in Salman Rushdies neuem Roman "The Enchantress of Florence".
Times Literary Supplement (UK), 21.04.2008
Zweihundert Jahre hat es gedauert, bis nicht nur der "sentimentalisierte" Blaue-Blume-Novalis, sondern der Philosoph Novalis in der englischsprachigen Welt angekommen ist. Für Jeremy Adler, der eine Reihe von jetzt erschienene Übersetzungen vorstellt, eine kleine Offenbarung: "Der neue Novalis bestätigt nachdrücklich Thomas Carlyles Einschätzung des Autors als 'der deutsche Pascal'. Beide Männer hatten praktische Begabungen, waren zugleich aber auch Fanatiker einer Reinheit, die sie dazu trieb, das Unendliche als einzigen Maßstab zu akzeptieren und so das Denken ihrer Zeit neu zu definieren; darüber hinaus ähneln sie sich in ihrer Denkbewegung von der Mathematik zur Theologie und das mit einer Intensität, die vielleicht dazu führen musste, dass ihre frühreifen Anfänge nur in einem ebenfalls verfrühten Tod ihre Erfüllung finden konnten; während die Suche nach einer höheren, absoluten Wahrheit in fragmentarischen Äußerungen endeten. Wenn jedoch Pascals 'Pensees' das quälende Gewissen der Neoklassik waren, sind Novalis' Fragmente eher das faszinierende Bewusstsein der Moderne."
Und noch ein deutscher Klassiker wird gefeiert: Timothy Hyman bewundert die "brillante Intelligenz" von Lucas Cranach, dessen Werk erstmals in England in einer großen Ausstellung in der Royal Academy of Arts gezeigt wird. Nur im Print geht es außerdem um die Weimarer Republik und Stefan George.
Und noch ein deutscher Klassiker wird gefeiert: Timothy Hyman bewundert die "brillante Intelligenz" von Lucas Cranach, dessen Werk erstmals in England in einer großen Ausstellung in der Royal Academy of Arts gezeigt wird. Nur im Print geht es außerdem um die Weimarer Republik und Stefan George.
Boston Globe (USA), 20.04.2008
Francie Latour stellt in einem ausführlichen Essay eine aufsehenerregende und unter amerikanischen Historikern bereits heftig diskutierte These eines jungen Forschers vor. Der Mann heißt Nathan Nunn (Harvard-Website), und er behauptet in einem Aufsatz im Quarterly Journal of Economics (hier als pdf), statistisch belegen zu können, dass heute jene afrikanischen Länder am ärmsten sind, die vor Jahrhunderten am stärksten unter dem Sklavenhandel gelitten hätten. Am schlimmsten habe dabei der transatlantische Sklavenhandel gewütet. "Schon heute zeigt die Forschung dass der Raub von Afrikanern durch Afrikaner bis heute tiefe ethnische Spaltungen, weit reichende Korruption und einen Kollaps staatlicher Systeme auslöst. Aber wenn tatsächlich die durch Nunn identifizierten Länder mit dem größten Sklavenexport eine Art tödlicher Dosis dieses Gifts verabreicht bekamen - und seine Studien weisen darauf hin -, dann eröffnet sich hier vielleicht auch ein Weg für eine neue Entwicklungspolitik..., die vor allem darin besteht, wirtschaftliche und politische Institutionen langfristig wieder aufzubauen."
Express (Frankreich), 02.04.2008
In einem Gespräch erklärt Maurice Levy, eine der einflussreichsten Führungspersönlichkeiten in der Werbebranche, weshalb Kriterien und Funktionsweisen der Werbung von Grund auf revidiert werden müsse. Richtiges Gespür alleine genüge nicht mehr, der Konsument sei nicht mehr passiv und habe die Macht übernommen, deshalb gehe es um eine neue Ethik. "Die Marktwirtschaft kann zum Exzess führen, daher ist es notwendig, dass die Unternehmenswelt in der Lage ist, sich zu korrigieren und Kriterien Rechnung zu tragen, die nichts mit Ökonomie zu tun haben. Deshalb war ich sowohl Bürgerrechts- als auch ethischen Fragen gegenüber immer aufmerksam. Heute sind diese Fragen beherrschend geworden. (...) Es genügt nicht, zu verkünden, Produkte zu einem korrekten Preis zu verkaufen: Man muss sich vergewissern, dass sie auch unter besten Bedingungen hergestellt werden. Das heißt, weder den Beschäftigten noch die Umwelt zu zerstören. Ein Industrieller, der eine rein gewinnorientierte Haltung einnimmt, indem er sich nicht um nichts kümmert als seinen Profit, wird mit Sicherheit scheitern."
London Review of Books (UK), 24.04.2008
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Weitere Artikel: Perry Anderson gibt eine weiß Gott ausführliche Einführung in Geschichte und EU-Gegenwart Zyperns. Thomas Jones schreibt - noch vor der Wahl - über die politische Lage in Italien.
Besprochen werden eine Alexander-Rodchenko-Ausstellung in der Londoner Hayward Gallery und Adam Mars-Jones Roman "Pilcrow".
Und Slavoj Zizek schreibt einen längeren Brief, weil er die Berichterstattung über Tibet unterkomplex findet: "In den letzten Jahren hat China seine Tibet-Strategie geändert: Religion in einer entpolitisierten Form wird jetzt toleriert, oft sogar unterstützt. China stützt sich nun mehr auf ethnische und ökonomische Kolonialisierung als auf militärischen Zwang und verwandelt Lhasa in eine chinesische Version des Wilden Westens, in der Karaoke-Bars sich neben buddhistischen Themenparks für westliche Touristen befinden."
Gazeta Wyborcza (Polen), 19.04.2008
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Zu den spannendsten Projekten des Polnischen Kulturjahres in Israel gehörte ein Chopin-Konzert in Bethlehem. "Vor sechs Jahren belagerten israelische Truppen hier in der Geburtskirche versteckte Palästinenser, seit zwei Jahren ist die Stadt durch die Sicherheitsmauer abgeriegelt - wer wird da Chopins Mazurkas hören wollen?" schreibt Roman Pawlowski. Doch als nach dem Ausklingen eines traditionellen Weihnachtsliedes aus dem 16. Jahrhundert plötzlich der Muezzin zum Abendgebet ruft, "bleibt die Zeit stehen, die Kulturen kreuzen sich, und in die Musik vertieft merken wir nicht, wie eine ganze Stunde vergeht".
Außerdem: Der Historiker Andrzej Garlicki erinnert an das Internierungslager in Bereza Kartuska aus den Jahren 1934-1939, das er selbst als "polnisches Konzentrationslager" bezeichnet. Dort wurden vor allem politische Gegner des Pilsudski-Regimes bei "Verdacht auf Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit" ohne Prozess festgehalten und durch schwere Haftbedingungen eingeschüchtert.
Guardian (UK), 19.04.2008
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Außerdem im Guardian: George Steiner erklärt im Interview mit Christopher Tayler, warum er sich mit dem Anti-Intellektualismus der Briten versöhnt hat.
Elet es Irodalom (Ungarn), 18.04.2008
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Economist (UK), 17.04.2008
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Weiteres: Besprochen werden unter anderem Tony Judts Kritiken- und Essay-Sammlung "Neueinschätzungen" und drei neue Bücher über Basra, Irakkrieg, Großbritannien. In der Titelgeschichte geht es um den "stillen Tsunami" der zunehmenden weltweiten Lebensmittelknappheit.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 17.04.2008
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Weitere Artikel: Gamal Nkrumah stellt die von Indien und Rabindranath Tagore faszinierte ägyptische Malerin Anna Boghiguian vor (hier einige Bilder). Caroline Boin and Alec van Gelder erklären, warum steigende Lebensmittelpreise für die armen Länder durchaus positive Auswirkungen haben können. Sehr harte Urteile gegen führende Vertreter der islamistischen Muslimbrüderschaft vermeldet Sophia Ibrahim. Serene Assir hat ein Kairoer Konzert des gefeierten Komponisten, Sängers und Oud-Spielers Marcel Khalifa besucht (hier ein Video bei Youtube). Nehad Selaiha war begeistert von Nora Amins Stück "Happiness Here".
Point (Frankreich), 17.04.2008
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New Yorker (USA), 28.04.2008
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Weiteres: Patrick Radden Keefe schildert die Hintergründe eines Falls von unbefugtem Abhören der der Unterstützung von Al Qaida verdächtigen islamischen Wohltätigkeitsorganisation Al Haramain Islamic Foundation durch die amerikanische Regierung. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Bullfighting" von Roddy Doyle und Lyrik von Dora Malech und Franz Wright.
Daniel Mendelsohn stellt zwei neue Publikationen über den griechischen Geschichtsschreiber Herodot vor. Paul Schjeldahl führt durch eine Retrospektive von Olafur Eliasson im MoMA. Und Anthony Lane sah im Kino die Komödie "Baby Mama" von Michael McCullers, den Krimi "Roman de Gare" von Claude Lelouch und den Thriller "88 Minutes" von Jon Avnet.