Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
30.06.2003. Im New Yorker erklärt Julian Barnes die unverschämte Kunst von Michel Houellebecq. Die Literaturnaja Gazeta erklärt, warum Ausländer die russische Seele nie verstehen werden, wenn sie Dostojewski lesen. Atlantic Monthly porträtiert Alberto R. Gonzales, den Mann, der George W. Bush 150 Todesurteile hat unterschreiben lassen. L'Espresso präsentiert zwei unbekannte Erzählungen von Virginia Woolf. TLS bewundert Sidney Blumenthals Buch über die Clinton-Kriege. Der Economist erklärt, warum seine Texte so kurz sind. Im Nouvel Obs ruft Alain Touraine die finale Krise der Zivilgesellschaft aus.
New Yorker (USA), 07.07.2003
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Zu lesen ist die Erzählung "The Walk with Elizanne von John Updike, Hendrik Herzberg fragt sich anlässlich des neuen kanadischen Eherechts für Schwule, warum die USA nicht ein kleines bisschen mehr wie Kanada sein könnten, und (der Brite) Ian Frazier berichtet von Erfahrungen, die belegen, dass "alle Filmbilder von Amerika genau stimmen".
In seiner Rezension von Michel Houellebeqs Roman "Plattform" zeichnet Julian Barnes ein wunderbares Porträt des Autors und erklärt, was "unverschämte Kunst" auszeichnet: "... sie muss einen mit der Kraft ihrer Rhetorik und der Starre ihrer Verzweiflung überzeugen. Sie darf keine Zeit lassen für Reaktionen wie 'Moment mal, das kann nicht stimmen'."
Besprochen wird weiter eine "faszinierende" Studie über "Boogaloo" (mehr hier), die "Quintessenz amerikanischer Popmusik". Der Autor Arthur Kempton ventiliere darin "die Lebensläufe und Karrieren von Rhythm-and-Blues-Stars", darunter von Motown-Records-Gründer Berry Gordy (mehr hier und hier), "von fünziger bis zu den siebziger Jahren der erfolgreichste schwarze Plattenproduzent der Welt", erklärt Rezensent Hilton Als. Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter ein differenziertes Porträt der Militärakademie West Point (mehr hier) für das der - zunächst "militärkritische" - Rolling-Stone-Journalist David Lipsky mehrere Jahre recherchiert hat ("Von allen jungen Leuten, die ich getroffen habe, waren die West-Point-Kadetten - obgleich sie wirklich große Jammerer sind - am glücklichsten").
Nancy Franklin porträtiert den Schauspieler Tony Shalhoub, von dessen TV-Serie "Monk" jetzt die zweite Staffel läuft. Um Londoner Theaterpremieren geht es bei John Lahr ("His Girl Friday", "Elmina's Kitchen"), und David Denby sah im Kino "The Hulk" von Ang Lee und die Folgeproduktion: "Charlie's Angels: Full Throttle".
Nur in der Printausgabe: ein Text über den städtebaulichen Umgang mit dem Lincoln-Center, Überlegungen zur Frage, ob man mit dem Druck von Geldscheinen noch immer Popstars erzeugen kann, das Porträt einer vermutlich depressiven 19-Jährigen und Lyrik von Richard Wilbur und James Tate.
Literaturnaja Gazeta (Russland), 25.06.2003
Unter der Überschrift "'Idioten' unserer Zeit" kritisiert Anna Jakowlewa die umstrittene russische Verfilmung des Romans "Der Idiot" von Dostojewski, die in Russland als "Kulturereignis dieses Sommers" gefeiert wird. Die zehnteilige Fernsehserie von Wladimir Bortko wird dem Grundkonzept Dostojewskis nicht gerecht, da die Leinwandinterpretation der Charaktere deren psychologisches Profil überbetont und so die tiefe Symbolhaftigkeit der Figuren verloren geht: "Wer nicht versteht, dass seine Helden keine Menschen, sondern Ideen sind, der hat Dostojewski nicht verstanden. (?) Die Deutung von Dostojewskis Helden als psychologische Typen läuft auf die Darstellung menschlicher Konflikte anstelle des Widerstreits von Ideen und Wahrheiten hinaus. Aus diesem Grund kommen Ausländer, die die russische Mentalität anhand von Dostojewskis Romanen begreifen wollen und sie in der Tradition des westeuropäischen sozial-psychologischen Romans deuten, häufig zu dem Schluss, dass das typisch russische Leben ein Skandal ist und alle Russen aufgeblasene Außenseiter, Hysteriker, psychisch Kranke, Alkoholiker oder gar Prostituierte sind. Und das nennen sie dann 'das Geheimnis der russischen Seele'." (Mehr zum Film - aber nur auf Russisch - hier und hier).
In der Rubrik "Zeitgeschichte" fragt sich Swetlana Pogorelskaja in dem Artikel "Der deutsche Brain Drain", wie es möglich sein kann, dass aus einem nicht eben wenig zukunftsträchtigen Land wie Deutschland allein in einem Jahr (2002) 622 000 "meist jüngere und vor allem hoch qualifizierte Arbeitskräfte auswandern."
Zu guter letzt wird die Ausstellung "300 Jahre Sankt Petersburg: Fotografien von Menschen und Palästen" aus der Petersburger Ermitage ans Herz gelegt, die noch bis zum 27. Juli 2003 im Somerset House in London zu sehen ist.
In der Rubrik "Zeitgeschichte" fragt sich Swetlana Pogorelskaja in dem Artikel "Der deutsche Brain Drain", wie es möglich sein kann, dass aus einem nicht eben wenig zukunftsträchtigen Land wie Deutschland allein in einem Jahr (2002) 622 000 "meist jüngere und vor allem hoch qualifizierte Arbeitskräfte auswandern."
Zu guter letzt wird die Ausstellung "300 Jahre Sankt Petersburg: Fotografien von Menschen und Palästen" aus der Petersburger Ermitage ans Herz gelegt, die noch bis zum 27. Juli 2003 im Somerset House in London zu sehen ist.
The Atlantic (USA), 01.07.2003
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Weitere Artikel: David Brooks fragt, ob Tony Blair das ist, was Bill Clinton immer werden wollte: der Welt größter Baby Boomer. Mitglieder des politikwissenschaftlichen Rand-Instituts zeigen zehn Konflikte auf, die für die internationale Sicherheit ein großes Problem darstellen und trotzdem kaum Beachtung finden, etwa der israelische Grenzzaun, die Kluft zwischen Hindus und Moslems in Indien, Aids und Kindersoldaten in Afrika, und und und. Für Christopher Hitchens zeigt Sidney Blumenthals "The Clinton Wars", mit welch seltsamer Mischung aus Zynismus und Naivität all die Berater, Redenschreiber und Spin Doctors in Washington agieren. Außerdem zu lesen die Kurzgeschichte "Love Me" von Garrison Keillor sowie Gedichte von Robert Bly, Patricia Clark und John Skoyles.
Leider nicht im Netz zu lesen ist die Titelgeschichte, in der Robert D. Kaplan erklärt, wie das amerikanische Imperium am geschicktesten die Welt beherrschen kann. Zehn Regeln stellt er dafür auf, die auch in einem Online-Interview nachzulesen sind: "1. Produce More Joppolos. 2. Stay on the Move. 3. Emulate Second-Century Rome. 4. Use the Military to Promote Democracy. 5. Be Light and Lethal. 6. Bring Back the Old Rules. 7. Remember the Philippines. 8. The Mission is Everything. 9. Fight on Every Front. 10. Speak Victorian, Think Pagan."
Außerdem nur im Print: David Quammen beschreibt die Abschlachtung der Braunbären in Rumänien unter Nicolae Ceausescu. Adam Bellow singt ein Loblied auf den "guten" Nepotismus. Und Seth Gitell untersucht, wie die Demokraten zur Reform der staatlichen Finanzierung von Wahlkampagnen stehen.
Nouvel Observateur (Frankreich), 26.06.2003
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Weitere Artikel: Zwei französische Lyriker - Andre Velter und Philippe Beck - haben sich den Essay des französischen Außenministers Dominique de Villepin (hier) über die Poesie vorgenommen und beurteilen ihn durchaus unterschiedlich. In der Abteilung Arts-Spectacles geht es in mehreren Texten um das 55. Festival in Aix. So erläutern Macha Makeieff und Jerome Deschamps, die für die Inszenierung von Mozarts "Entführung aus dem Serail" verpflichtet wurden, in einem Interview ihre "traditionelle Auffassung" der Oper ("Mozart ist Mozart, und das ist auch gut so"). In einem weiteren Gespräch berichtet Anja Silja, der "zweifellos unbeugsamste Sopran der lyrischen Welt", über "Größe und Dekadenz" des modernen Gesangs. Und in einem Porträt wird der "Benjamin" der Festspiele Francois Serhan vorgestellt, der in Aix seine erste Oper präsentiert.
Bücher: 100 Jahre Tour de France - die Liste der Publikationen ist erwartungsgemäß lang; der Nouvel Obs versucht, eine kleine Orientierungsschneise durch den Dschungel zu schlagen. Als "elektrisierend und zärtlich" wird der neue Roman "Frictions" (Gallimard) von Philippe Dijan (mehr hier) beurteilt.
Economist (UK), 27.06.2003
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In weiteren Artikeln kann man erfahren, dass das erhoffte "politische Europa" kein Zuckerschlecken wird, warum Afrika keinesfalls als neues Nest des islamistischen Terrors gelten kann, warum sich paradoxerweise alle Beteiligten im Prozess um Rassenquoten an einer amerikanischen Universität als Sieger fühlen, dass Bernard Williams, einer der größten Kritiker der Moralphilosophie gestorben ist, und dass Dan Briodys Buch über die einflussreiche Carlyle-Finanzgruppe ("The Iron Triangle: Inside the secret world of the Carlyle Group") leider wie ein Roman von John Grisham geschrieben ist.
Und schließlich, pünktlich zu seinem 160. Geburtstag, liefert der Economist eine Bestandsaufnahme der Beziehung zwischen Kapitalismus und Demokratie. Herausgeber Bill Emmott eröffnet den Reigen und verspricht polemische Essays für den Liberalismus, aber auch gegen den Missbrauch von Kapitalismus und Demokratie - vor allem in den USA.
Nur im Print zu lesen ist, wer mit den türkischen "Ehrentoten" gemeint ist.
Espresso (Italien), 03.07.2003
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Roger Waters, Richard Wright, Nick Mason, David Gilmour. Die Jungs von Pink Floyd reden mit Carol Clerk über alles, einer nach dem anderen. Waters natürlich am längsten, er verrät dafür auch, wie alles begann. "Wir trafen uns in der Wohnung von Nick Mason. Und plötzlich meinte ich: 'Eh Jungs, ich hab da eine Idee.'"
Schön: Maria Simonetti sammelt neue Bezeichnungen für Jugendliche. 560 hat sie schon beisammen. Von A wie "abbozzarsi" bis Z wie "zuppone". Giancarlo Dotto berichtet von einer fürchterlichen Krankheit, die die Italiener heimsucht. Die Sucht nach Sex. Jetzt gibt es, schreibt er erleichtert, Hoffnung auf Heilung. Barbara Schiavulli zeigt in ihrer Reportage aus Kabul, wie katastrophal die Lage immer noch ist und wie vergessen von der Welt sich die Bewohner fühlen. Cesare Balbo hat beobachtet, wie Hollywood über Hongkong von den Spezialeffekten zu echten Kämpfen zurückkehrt, von Tarantino bis zu Tom Cruise.
Times Literary Supplement (UK), 30.06.2003
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Weitere Artikel: Vincent Deary hat von Paul Martins Buch über den Schlaf, "Counting Sheeps", nicht nur gelernt, dass die meisten Menschen müde sind, weil sie zu wenig schlafen, sondern dass daher auch einige ärgere Probleme rühren wie jugendliche Delinquenz, die Explosion der Challenger oder die Katastrophe von Tschernobyl.
Bharat Tandon ist ein wenig enttäuscht von der neuen Generation amerikanischer Erzähler, seit er die Anthologie "The Burned Children of America" gelesen hat, zu der von David Foster Wallace bis Jeffrey Eugenides alle Autoren von Rang und Namen beigetragen haben. In diesen Geschichten sei alles sehr melancholisch, sehr traurig und sehr gut geschrieben, aber nichts so überraschend oder schockierend wie bei Updike oder Roth. Tanya Harrod empfiehlt drei Ausstellungen, mit denen der hundertste Geburtstag der Bildhauerin Barbara Hepworth (mehr hier) begangen wird.
Prospect (UK), 01.07.2003
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Weitere Artikel: John Lloyd, der Herausgeber des FT Magazine, hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, von den Medien verleumdet zu werden, und fordert eine um Aufrichtigkeit bemühte Berichterstattung statt unseriöser Rechthaberei. Peter Pringle erklärt am Beispiel genmanipulierten Saatgutes, wie wichtig es ist, dass die öffentliche Gesundheit auch öffentlich zur Diskussion gestellt wird. In seinem Berliner Brief berichtet Tom Levine unter anderem vom gestressten Gras vor dem Reichstag. Und Bhikhu Parekh hat beobachtet, dass es nicht so sehr die westlichen Gesellschaften sind, die mit der muslimischen Gemeinschaft Schwierigkeiten haben, sondern dass es die Muslime sind, denen es schwerfällt, sich in einer multikulturellen Gesellschaft zurechtzufinden.
Nur im Print zu lesen: Adair Turner stellt sich gegen John Grays pessimistischen Anti-Humanismus.
Spiegel (Deutschland), 30.06.2003
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Nur im Print: Der Titel ist rundgestrickt um den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, der als nächster Ratspräsident Europa präsentieren wird. "Die EU-Kollegen bangen". Im Feuilleton spricht Siegfried Lenz über das Verlieren als Grunderfahrung des Lebens und seinen neuen Roman "Fundbüro".
Outlook India (Indien), 07.07.2003
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Manjira Majumdar weiß von schlechtem Ersatz für kleine Geldbeutel: Wie wäre es mit "Harry Potter in Kolkata", einem Rip-Off des ersten Bandes, in dem Harry auf berühmte Figuren aus der bengalischen Literatur trifft? Oder mit einer unauthorisierten Übersetzung desselben Buches? Der Vorteil: es kostet nur so viel wie ein Groschenroman. Das Problem: Joanne Rowling sieht das nicht so gerne.
Weitere Artikel: Sheela Reddy berichtet von der Enttäuschung von 100.000 im indischen Exil lebenden Tibetern, nachdem Premierminister Vajpayee während seines China-Besuches in einer offiziellen Verlautbarung Tibet zu einem Teil der Volksrepublik erklärte. Saba Naqvi Bhaumik vermutet, dass Tibet ein Pfand war, das im Bemühen um eine historische Annäherung zwischen den zwei größten Nationen der Welt hinterlegt wurde, und erörtert die Bedeutung der Reise des Premiers: "Ein großer Erfolg? Ein kleiner Ausverkauf von Tibet? (...) Semantik hin oder her - Vajayees Besuch war wichtig."
Weiterhin umstritten: die Frage, ob Indien der amerikanischen Einladung nachkommen und Truppen in den Irak entsenden sollte. Aber ja, meint Satish Nambiar und sieht einen möglichen Gewinn an Einfluss. Nein, nein und nochmals nein, findet Prem Shankar Jha und weist auf die Gefahren hin. Schließlich hat Faizan Ahmad George Orwells Geburtshaus besucht und eine chaotische Farm der Tiere vorgefunden.
New York Times (USA), 29.06.2003
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Das Entscheidende an Hillary Clintons "Living History" (Auszug im Original, mehr auf Deutsch hier) ist nicht die Zeitgeschichte, die aufgeschrieben wurde, sondern diejenige, die ausgelassen wurde. "Diese Augenwischerei sagt uns etwas über die Geschichte aus, wie Hillary sie haben will", stellt Maureen Dowd in ihrer kühl-distanzierten Kritik fest. Dies ist nicht Geschichte im Verständnis von Churchill, sondern von Carville - Wahlkampfliteratur für die 2008 HILLARY! Präsidentschaftskampagne." Und auf die Erklärung Hillarys, bei Bill geblieben zu sein, weil er nicht nur ihr Ehemann, sondern ja auch ihr Präsident gewesen sei, bemerkt die Rezensentin süffisant: "Da fragt man sich schon, ob Hillary ihrem Bill vergeben hätte, wäre er nur ihr Bundes-Wirtschaftsvertreter gewesen."
Weitere Rezensionen: Amanda Foreman hält David Gilmours Biografie (erstes Kapitel) von Lord Curzon (kurzer Lebenslauf) für eine gelungene Verteidigung des als Totengräber des Kolonialismus geschmähten Vizekönigs von Indien. Zur ausgiebigen Schilderung der Ungerechtigkeiten gegen den schillernden Politiker hätte sie sich allerdings auch ein paar Gegenargumente gewünscht. James McManus empfiehlt den Roman "The Company You Keep" von Neil Gordon: In 42 langen E-Mails treffen Woodstock und islamischer Fundamentalismus aufeinander, spannend und "völlig glaubwürdig". Als erstklassige Unternehmensgeschichte würdigt Richard Lingeman "Wheels for the World" (erstes Kapitel) von Douglas Brinkley: Henry Ford, seine bahnbrechende Idee und sein Erfolg stehen am Beginn und im Zentrum dieser Chronik der ersten 100 Jahre der Ford Motor Company. (Den Kunstsinn der Autobauer zeigen die Fresken Diego Riveras).