Im Kino

Frauen vor Produktionsanlagen

Die Filmkolumne. Von Thekla Dannenberg, Lukas Foerster
14.04.2021. Mubi zeigt das bahnbrechende Kino der ungarischen Filmemacherin Márta Mészáros, die in den sechziger und siebziger Jahren den unabhängigen modernen Frauen ein Denkmal setzte. Larry Rippenkroeger lässt seinen Helden auf Jet-Skis durch "Hot Water" brettern .
Kati Kovács in "Das Mädchen" von 1968

Die ungarische Regisseurin Márta Mészáros begann 1968 ihre filmische Arbeit mit einer Kampfansage. Nicht laut, nicht hart, nicht kalt, sondern voller Anmut und kühner Schönheit. Gleich in der ersten Szene ihres ersten Spielfilms "Das Mädchen" sehen wir eine Reihe junger Frauen beim Bogenschießen, die Kampfkunst der Entschlossenheit. Die Kamera gleitet aufmerksam und geduldig an den Gesichtern entlang. Moderne Frauen Ende der sechziger Jahre, einige tragen ihr Haar toupiert, andere hochgesteckt oder ganz kurz. Die jungen Frauen werden von dem Waisenhaus, in dem sie aufgewachsen sind, ins Leben entlassen. Aufrecht stehend spannt eine nach der anderen den Bogen, nimmt ruhig ihr Ziel ins Auge und lässt den Pfeil seinen Weg finden. Klappt es nicht beim ersten Mal, beruhigt sie die Instrukteurin: Immer mit der Ruhe. Versuch es einfach noch einmal.

Die Szene enthält alles, was das Werk dieser großen Filmemacherin kennzeichnen wird: ein zarter, sensibler Blick auf Menschen, sinnliche Kompositionen, eine intensive Filmsprache und den festen Willen, sich im Kampf um weibliche Autonomie von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.

Der Arthouse-Streamingdienst Mubi widmet Márta Mészáros eine kleine Reihe, und wer sich nicht die Retrospektive im Berliner Arsenal vor vier Jahren hat ansehen können, sollte die Chance ergreifen, die Filme dieser Ausnahmeregisseurin zu entdecken, die so lange im Schatten ihres zeitweiligen Ehemannes, des Regisseurs Miklós Jancsó, stand - um nicht zu sagen: die im Westen von der breiteren Öffentlichkeit noch weniger wahrgenommen wurde als Jancsó, den Daniele Dell'Agli vor einigen Jahren im Perlentaucher würdigte.

Mészáros war die erste Frau überhaupt, die in Ungarn Filme drehte. Schon als junges Mädchen hatte sie beide Seiten der kommunistischen Kulturbourgeoisie kennengelernt, die glänzende und die stumpfe. Sie wurde 1931 als Tochter eines Bildhauers und einer Deutschlehrerin geboren. Ihre kommunistischen Eltern gingen mit ihr 1936 ins Exil nach Moskau, wo der Vater prompt Stalins Säuberungen zum Opfer fiel, die Mutter starb wenig später. Márta wurde von einer ungarischen Kulturfunktionärin adoptiert, wuchs in Budapest auf und ging nach Moskau, um dort an der Filmhochschule zu studieren. Vor ihrem ersten Spielfilm drehte sie eine Reihe von Dokumentarfilmen, die ihren Blick schärften für einen kritischen Realismus. 1975 gewann sie auf der Berlinale den Goldenen Bären für ihr Drama "Adoption" (das Mubi leider nicht zeigt). Demnächst werden Mészaros' große Erfolge online gestellt, das Schwangerschaftsdama "Neun Monate" und die Hommage auf eine Frauenfreundschaft "The Two of Them".

Szene aus Marta Meszaros' Film "Das Mädchen" von 1968


Jetzt schon zu sehen sind frühe Werke der Filmemacherin in Schwarzweiß. Mészaros' Debüt "Das Mädchen" erzählt die Geschichte der jungen, im Heim aufgewachsenen Fabrikarbeiterin Erzsi, die sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter macht. Die Mutter ist eine einfache Bäuerin, sie lebt auf dem Land in einem kleinen Dorf und hatte in einem schwachen Moment den Kontaktversuchen der Tochter nachgegeben. Jetzt bereut sie es, doch Erzsi lässt sich nicht so einfach negieren: "Ich lebe. Diese Tatsache ist unveränderlich." Die Tochter sucht Anerkennung, die Mutter ist gelähmt vor Angst - vor ihrem Mann, ihrem Sohn, den Leuten im Dorf. Feinfühlig setzt die Regisseurin den Konflikt zwischen den beiden Frauen in Szene, aber sie belässt es nicht dabei. Mészáros' Filme erzählen keine individuelle Dramen, sie erkunden soziale Situationen: den Kontrast zwischen Stadt und Land, Moderne und Tradition, modernem Frauenbild und traditioneller Rolle. Kati Kovacs spielt die junge Frau mit Lebendigkeit und Tiefe zugleich, ihre raue Schönheit macht jede Großaufnahme zu einem Ereignis.

In "Schöne Mädchen weinet nicht" von 1970 ist alles Aufbruch, Ausbruch, Freiheitsdrang. Der Film ist eine Art Beat-Musical, von mitreißendem Schwung und fantastischer Stimmung. Er folgt einer Gruppe von jungen Leuten, die tagsüber in der Fabrik arbeiten und nach Feierabend das Leben genießen wollen. Sie radeln ausgelassen durch die Stadt oder aufs Land, gehen auf Konzerte und tanzen. Es ist 1970, die Musik "fetzig" und überhaupt alles "dufte". Den jungen Männern gehört die Zukunft. Sie nehmen sich, was sie wollen: Sie besetzen ein leerstehendes Haus und küssen die Mädchen, die ihnen gefallen. Angedeutet wird die Geschichte von Juli und Istvan, die sich zwar gerade verlobt haben, aber noch viel zu jung sind, um sich festzulegen. Der draufgängerische Istvan läuft jedem Rock hinterher, der seine Wege kreuzt, Juli verliebt sich in einen sensiblen Cellisten.


(Ein Auftritt der ungarischen Band Syrius in "Schöne Mädchen weinet nicht")

Beatmusik in Ungarn war zu jener Zeit ein Mix aus übersetzten amerikanischen Songs, ungarischen Volksliedern und den vertonten Gedichten des Lyrikers Attila József. So schrammeln den ganzen Film über gutgelaunte Langhaarige auf ihren Gitarren und singen fröhlich "Ich habe kein Land, keinen Gott, keinen Vater" oder "Wir leben und wir sterben, also wünscht uns schöne Träume." Aber sie tönen auch großmäulig: "Nur die Küche überlassen wir den Mädchen." Wie also können Frauen Teil dieses Aufbruchs sein? Wo finden sie ihren Platz?

Konsequent richtete Mészáro in ihrem Kino den Blick auf weibliche Lebenswelten, ohne den sozialen Kontext aus dem Auge zu verlieren. Sie liebte Szenen in der Fabrik, Frauen in Arbeitsmontur und vor Produktionsanlagen. All ihre Protagonistinnen sind berufstätige Frauen, natürlich, die Hausfrau war ein Rollenmodell bürgerlicher Vorstellungswelten im Westen. Auch in einem anderem Punkt offenbart Mészáros ihre Verankerung im sozialistischen Feminismus: Die Autonomie, um die ihre Protagonistinnen kämpfen, erscheint bei Mészáros nie das letzte Ziel zu sein. Es geht auch darum, dass Frauen und Männer gemeinsam etwas aufbauen.

Szene aus "Gewitterwolken" von 1969


Dabei ersparte sie auch Frauen nicht unbequeme Fragen: "Gewitterwolken" erzählt die Geschichte einer verpassten Emanzipation. Der Film beginnt mit einer Szene von umwerfender Modernität: Eine Frau mittleren Alters schreitet - in schwarzem Etuikleid und mit dunkler Sonnenbrille - über ein Rollfeld, um an einer gerade gelandeten Maschine die Urne ihres verstorbenen Mannes entgegen zu nehmen. Die Bauten, die Kleidung, alles ist sehr elegant, sehr stylish. Die Frau ist aber nicht Jackie Kennedy, sondern Edit, die Witwe eines ungarischen Ökonomen; der Flughafen ist nicht internationaler Stil, sondern sozialistische Moderne von Budapest.

In ihrer geradezu herrschaftlichen Wohnung in Budapest empfängt Edit die gehobenen Kreise aus Politik und Wirtschaft, in denen ihr Mann verkehrte, zu einem letzten Umtrunk. Doch Trauer will bei der mondänen Witwe, das Whiskyglas in der einen, die Zigarette in der anderen Hand, nicht aufkommen. Dagegen bringt sie eine andere, verstörende Erkenntnis aus dem Gleichgewicht: Ihr eigenes Leben hat sie an der Seite ihres Mannes schon vor langer Zeit verloren. Wann hat sie aufgehört, ihn zu lieben? Warum ist sie nicht gegangen? Hat sie den eitlen und selbstsüchtigen Mann hingenommen, weil er ihr ein glamouröses Leben bot? An seiner Seite, in seinem Schatten, zu seinen Bedingungen? "Gewitterwolken" erzählt von einer gescheiterten Emanzipation, endet aber alles andere als hoffnungslos. Denn wer weiß, wenn es nicht beim ersten Anlauf klappt, dann vielleicht beim zweiten. Oder bei der Tochter.

Thekla Dannenberg

Unabhängige Frauen: Das bahnbrechende Kino der Márta Mészáros: "Das Mädchen". Mit Kati Kovács, Zsuzsa Pálos, Teri Horváth und anderen, Ungarn 1968, 95 Minuten | Mit Mari Tötöcsik, Kati Kovacs und Lajos Balazsovits. Ungarn 1969, 83 Minuten | "Schöne Mädchen, weinet nicht". Mit Jaroslava Schallerová Márk Zala, Balázs Tardy und anderen | "The Two of Them". Mit Marina Vlady und Lili Monori, Ungarn 1977, 100 Minuten. Auf Mubi.com.

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Dinosaurier sind cool, Jet Skis sind cool. Demzufolge ist ein Typ, der sich ein Dinosaurier-Plastikkostüm anzieht und darin auf einem Jet Ski Loopings schlagend über einen Swimming Pool brettert, Coolness im Quadrat. Cooler geht es praktisch nicht.

Wer bei diesem Gedankengang an der einen oder anderen Stelle aussteigt, kann gerne aufhören weiterzulesen oder sollte sich zumindest eher nicht den Film "Hot Water" von Larry Rippenkroeger anschauen, der die erwähnte Saurier-Jet-Ski-Szene dankenswerterweise gleich ganz an den Anfang stellt. Damit die Fronten geklärt sind.

Das Dinokostüm gibt bald den Geist auf, aber die Jet Skis bleiben. Rippenkroeger kennt sie gut. In den 1980ern war er professioneller Jet-Ski-Racer und mehrfacher World-Cup-Gewinner, seit Mitte der 1990er ist er ein vielbeschäftigter Stuntman in Hollywood (erster imdb-credit, passenderweise: "Waterworld"). Sein Regiedebüt fasst nun beide Passionen zusammen, in Gestalt einer grundsympathischen Low-Budget-Komödie, der es gerade noch so gelingt, nach einem professionell produzierten Film auszuschauen.

Die ziemlich dominanten Jet-Ski-Szenen schauen sogar ausgesprochen professionell aus. Ästhetisch orientieren sie sich einerseits am dynamischen Fun-Sport-Hochglanzstyle unzähliger Surf-, Skater- und Snowboardervideos. Wie diese sind die Jet-Ski-Bilder von einer formalen Spannung geprägt: Einerseits geht es darum, Können als Können vorzuführen, in kontinuierlich gefilmten Totalen, die das Renngeschehen als ein "objektives", von der Kamera beglaubigtes Spektakel ins Bild setzen; andererseits soll auch ein affektiver, "subjektiver" Überschuss ins Bild gesetzt werden, der sich insbesondere im großzügigen Einsatz hyperimmersiver GoPro-Einstellungen niederschlägt.

In den komödiantischen "Füllszenen" zwischen den Jet-Ski-Rennen werden klassische (und im Großen und Ganzen doch eher überschätzte) filmische Tugenden hingegen auf ein gerade noch solides Minimum heruntergefahren. Soll heißen, der Umstand, dass der Film uns im Verlauf seiner Handlung, einem Jet-Ski-Profi-Turnier folgend, angeblich durch die gesamte USA führt, "Hot Water" aber tatsächlich offensichtlich an höchstens einer Handvoll Schauplätze aufgenommen wurden, springt nicht unbedingt auf den allerersten Blick ins Auge; genau wie es der Postproduktion mit einigen Mühen gelingt, die Spiegelungen des Kameraequipments in den Sonnenbrillen der Hauptfiguren digital aus dem Bild zu tilgen; und auch das Drehbuch unternimmt einige pro-forma-Versuche, das Personal, der einschlägigen Ratgeberliteratur entsprechend, mit dem einen oder anderen psychologischen Attribut beziehungsweise einer sogenannten Motivation auszustatten.



Jarid Harper (Trevor Donovan) zum Beispiel ist ein alternder, praktisch schon verrenteter Jet-Ski-Haudegen, der es jetzt noch einmal wissen will und die eigentliche Hauptfigur des Films, Billy Burnett (Glenn McCuen), als Trainer unter seine Fittiche nimmt. Billy schaut aus wie eine jüngere, kleinere Version von Jarid und bekommt vom Drehbuch wiederum den Auftrag, sich von seinem dominierenden Vater zu emanzipieren, aber auch dessen Liebe zurückzugewinnen. Die Videocaster-Kamera, die er am Anfang zeitgeistmäßig durch die Gegend trägt, vergisst der Film freilich schon nach ein paar Szenen wieder. Wie überhaupt alle Konflikte und Differenzierungen schnell in den Hintergrund treten in einem Film, der letztlich keine weitergehenden Interessen hat, als gut gelaunten jungen Leuten beim Jet-Ski-Fahren und gemeinsam Abhängen zuzuschauen.

Die Jungs in "Hot Water" sind großspurig und haben eine Waschbrettbauch, weshalb sie bei jeder Gelegenheit ihre Shirts ausziehen. Nur Billys Manager Dog, der ein paar Pfund zuviel auf den Rippen hat, lässt seines lieber an. Die Mädels sind ehrgeizig und durchwegs gut in Schuss, ziehen ihre Oberteile allerdings ebenfalls nicht aus. Wenn doch einmal eine "exotische Tänzerin" auftaucht und sich anschickt, die Hüllen fallen zu lassen, geraten die Jungs aus dem Häuschen, der Film aber bleibt lieber bei Dog, der sich daneben benommen hat und deshalb aus dem Stripclub geworfen wird.

Dog ist wie wir. Seine Perspektive auf die Welt ist die unsere. Daraus folgt, dass wir uns mit der vom Film gleichzeitig unbedingt affirmierten Welt der durchtrainierten Wassersportkörperkultur doch immer nur halb identifizieren können; und insbesondere, dass Sex in "Hot Water" für uns, wie für Dog, nur in der Gestalt von Zoten zu haben ist. Camel Towing heißt das (haha, auch auf Deutsch wird daraus ein Wortspiel) Abschleppunternehmen, mit dem Dog, bevor er sich mit Billy und Jarid zusammentut, sein Glück versucht. Später verwandelt sich im Lauf der rasanten Jet-Ski-Action ein zunächst unverdächtiger Firmenname in den Schriftzug "Big Fat Cock", während Billy im Eifer des Gefechts die Badehose verliert und unten ohne der Zielfahne entgegen brettert.

Das Hin und Her zwischen "Mtv Sports"-tauglicher Jet-Ski-Action und Low-Brow-Comedy-Tiefschlägen verleiht dem Film seinen eigentümlichen, nicht unbeträchtlichen Reiz. Es geht dabei, könnte man vielleicht sagen, um zwei grundverschiedene, aber komplementäre Formen von Infantilität, die sich wechselseitig stabilisieren. Der Ausgang in Richtung respektabler Bürgerlichkeit oder auch nur erwachsener Sexualität ist eher nicht mehr vorgesehen. Tatsächlich ist "Hot Water" immer dann am besten, wenn er sich ganz an seine niedersten (beziehungsweise, mit Freud, entwicklungspsychologisch frühesten, weil noch prägenitalen) Instinkte hält, insbesondere in einer dramaturgisch durchaus geschickt zerdehnten Szene, in der Dogs Blähungen und ein mit einer widerwärtigen braunen Flüssigkeit gefülltes Kondom aufeinandertreffen. Da ist der Film wieder ganz bei sich und seiner strikt additiven Logik: Ekel plus Ekel ergibt Superekel ergo eine große Sauerei ergo einen Heidenspaß.

Lukas Foerster

Hot Water - USA 2021 - Regie: Larry Rippenkroeger - Darsteller: Glenn McCuen, Trevor Donovan, Max Adler, Vanessa Angel, Nikki Leigh, Michael Papajohn - Laufzeit: 100 Minuten. "Hot Water" bei vimeo on demand.