Redaktionsblog - Im Ententeich

Die Grenzen enger ziehen

Von Thierry Chervel
28.01.2015. In der SZ fragt Andreas Zielcke: "Was soll Satire? Was darf sie?" Und zwar weniger und weniger. Zur Kritik an den Zeichnungen von Charlie Hebdo, zweiter Teil.
Neben ästhetischen Bedenken riefen Werke, deren Autoren von Islamisten ermordet wurden, oft auch moralische Zweifel der Feuilletonisten hervor. Wenn wir schon dabei sind und die Leichen gerade bestattet werden, müssen Feuilletonisten stets vor allem eines fragen: "Was soll Satire? Was darf sie?" Haben die Ermordeten richtig gehandelt? Sozusagen: "Die Grenzen der Satire - Im Lichte der jüngsten Meinungsäußerungen betrachtet." Edel sind die Seelen der Feuilletonisten. Es werden Karikaturisten, Polizisten und Juden umgebracht, aber sie solidarisieren sich erstmal mit den Muslimen und stellen die Frage, ob man ihnen diese Zeichnungen wirklich hätte zumuten sollen. Auch sollen die Muslime nicht gezwungen werden, sich zu der Sache zu verhalten. Die Deutschen sollen ihre Nazizeit aufarbeiten, die Amerikaner die Sklaverei, die Franzosen ihre Kolonialvergangenheit. Aber den Islam zur Selbstreflexion aufzufordern – das wäre Islamophobie.

Andreas Zielcke hat in der SZ am Freitag geschrieben, was man einen "klugen Text" nennt, virtuos verschwurbelt, sich nach allen Seiten absichernd, mit schwer zu ermittelndem Standpunkt. Aber zwei Punkte macht er deutlich. In Frankreich ist eine Parodie auf ein Cover von Charlie Hebdo erschienen. Das Original "verhöhnte" den Koran, wie Zielcke sagt, denn die Heilige Schrift erweist sich als ungeeignet, Gewehrkugeln aufzuhalten. Die Parodie eines 16-jährigen Schülers zeigt einen Mann, dem nun mit Charlie Hebdo das gleiche widerfährt. Nun wird bei der Karikatur von Charlie Hebdo das Recht auf freie Meinungsäußerung eingefordert, während die Parodie wegen angeblicher Verteidigung eines Terroranschlags verfolgt wurde.

Zielcke findet das zurecht ungerecht, und ich bin sicher, dass Charb, dessen Tod in der Parodie verspottet wird, gewiss nicht gegen den Schüler geklagt hätte. Aber hier liegt auch der Unterschied zwischen den beiden Zeichnungen: Charlie Hebdo karikiert den Typus des Islamisten, der Schüler amüsiert sich über den Tod einer konkreten Person.

Zielcke weist daraufhin, dass Satire keineswegs "alles" darf, wie es der treudoofe Spruch fordert, sondern klare juristische Grenzen in der Integrität von Personen oder Bevölkerungsgruppen hat. Auch in Frankreich mit seiner Tradition radikaler Religionskritik gelten solche Grenzen. Charlie Hebdo ging sehr nah heran an diese Grenzen – aber war juristisch genauso belangbar wie alle, wenn sie überschritten wurden.

Es geht also darum, was innerhalb dieser Grenzen geschieht und ob diese Grenzen enger gezogen werden sollen.

Die eigentliche Spitze von Zielckes Artikel liegt darin, dass er ausgerechnet Anshuman A. Mondal zum akademischen Sittenrichter für die Grenzen von Satire erklärt, dessen gerade publiziertes Buch "Islam and Controversy" vielen in diesem Moment wie gerufen kommt. Mondal, Anglist an der Londoner Brunel-Universität, versucht explizit den von Autoren wie Salman Rushdie und Kenan Malik verfochtenen universalistischen Begriff der Meinungsfreiheit, dem bisher auch westliche Medien anhingen, einzukassieren und durch eine Praxis religiösen Respekts zu ersetzen. Auf seiner Institutswebsite wirft er den "Satanischen Versen" vor, sie hätten sich "aus Leichtfertigkeit moralisch schuldig gemacht". Ähnlich seine Ansicht zu Theo van Gogh: "Nichts rechtfertigt der Ermordung Theo van Goghs, aber man kann auch niemand von der Verantwortung für seine Worte und Taten freisprechen, wenn er sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausübt."

Mondals Buch antwortet auf Kenan Maliks Studie "From Fatwa to Djihad", die aus einer dezidiert linken und säkularen Position schildert, wie sich westliche Intellektuelle sich zusehends konservativen religiösen Diskursen fügten, angeblich im Namen des "Respekts". Leute wie Malik, schreibt dagegen Mondal in der Zeitschrift The Conversation, "untergraben die moralische Unterscheidungskraft, auf der Freiheit beruht, indem sie blind auf dem Prinzip der Meinungsfreiheit beharren, statt die ethische Verantwortung zu akzeptieren, der sie unterliegt."

Diesen Begriff der Meinungsfreiheit appliziert Zielcke nun also auf Charlie Hebdo und kommt zu keinem guten Ergebnis für die Zeitschrift. Sofern ihre Karikaturen den Islam attackierten, attackierten sie zwar eine Figur der Macht und seien somit legitim. Aber Charlie Hebdo verkenne den Kontext dieser Zeichnungen: Innerhalb Frankreichs seien die Muslime eine Minderheit, also alles andere als mächtig, die Karikaturen sind somit illegitim. Nebenbei vollziert Zielcke damit die Volte, die in der Intention der Erfinder des Begriffs Islamophobie lag: Er erklärt die Kritik an einer Religion (Zielcke spricht von "Verhöhnung") zum rassistischen Akt.

Damit wären wir also wieder in bekannten Gewässern angelangt. Denn seit der Rushdie-Affäre arbeiten westliche Intellektuelle daran, die Schuld der Opfer auszubuchstabieren, um daraus Argumente für Selbstzensur zu gewinnen. Im dritten Teil des Artikel wäre zu fragen, worin nach Charlie Hebdo die neue Qualität liegt.

Thierry Chervel