Magazinrundschau - Archiv

Reportajes

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Magazinrundschau vom 14.06.2005 - Reportajes

Alvaro Vargas Llosa analysiert den Machtkampf in Bolivien: "Das Land ist zum Schauplatz einer bedeutenden ideologisch-politischen Auseinandersetzung innerhalb der westlichen Hemisphäre geworden. Bis jetzt richtete sich die Aufmerksamkeit vorrangig auf den innerstaatlichen Konflikt zwischen dem Ostteil des Landes - mit mehrheitlich indigener und sehr armer Bevölkerung - und dem 'weißeren', wirtschaftlich stärker entwickelten Südwesten und dessen separatistischen Bestrebungen. Aber dahinter steckt eine sehr viel weiter reichende Auseinandersetzung zwischen den USA nahestehenden Mächten und Feinden Washingtons - der Achse Havanna-Caracas - , die Bolivien zum Experimentierfeld für den Kampf zwischen Globalisierung und Populismus macht: Washington und Hugo Chavez stoßen in La Paz aufeinander."

Auf ganz andere Paradoxien der Globalisierung stößt Vater Mario Vargas Llosa in London, "einer Stadt, die mir wie keine andere dieser Welt dem so schwer greifbaren Begriff der 'Zivilisation' nahezukommen scheint." Wie Vargas Llosa berichtet, häufen sich hier mittlerweile erschreckende Erkenntnisse über grausame exorzistische Praktiken, denen regelmäßig Kinder afrikanischer Herkunft zum Opfer fallen - gewalttätige Rituale, deren Urspung jedoch keineswegs in den "barbarischen" Heimatländern der Täter, sprich: zumeist Eltern dieser Kinder zu suchen sei, sondern in synkretistischen Vorstellungen fundamentalistisch-evangelikaler Sekten, die sich ihre Anhänger unter den Migranten suchen.

Magazinrundschau vom 03.05.2005 - Reportajes

"Wer hätte gedacht, dass die Religion zu Beginn des dritten Jahrtausends die Hauptrolle im politischen Leben der USA übernehmen würde?", fragt sich Mario Vargas Llosa in der aktuellen Ausgabe von Reportajes. "Ich schreibe diesen Artikel in San Francisco und gestern, bei einer Fahrt durch die Vororte der Stadt, hingen an so gut wie allen Schulen, an denen wir vorbeikamen, Einladungen zu religiösen Begegnungen. Jedes Wochenende nehmen 120 Millionen US-Amerikaner an religiösen Veranstaltungen teil - eigentlich verbringen nur in einigen fundamentalistisch-islamischen Staaten so viele Menschen so viel Zeit mit religiösen Praktiken wie in der Heimat Walt Whitmans." Mario Vargas Llosa erklärt es sich vor allem als Reaktion der von der Liberalität der sechziger und siebziger Jahre überforderten Landbevölkerung, ohne ernsthaft um die demokratische Zukunft einer Gesellschaft besorgt zu sein, "in der die Ausübung der Freiheit durch jeden Einzelnen so verbreitet ist".

Ein wenig anders sieht es Francis Fukuyama, den Mario Vargas Llosas Sohn Alvaro für dieselbe Ausgabe von Reportajes interviewt hat: "Man spricht viel über die explosionsartige Ausbreitung des religiösen Empfindens in den USA, ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich etwas so Neues ist. Ich glaube, Europa ist der einzige Ort auf der Welt, der vollkommen säkular geworden ist. Trotz des großen Interesses am Papst, das meiner Ansicht nach weniger religiös begründet ist als vielmehr im Zusammenhang mit seiner politischen Rolle beim Ende des Kommunismus steht, ist in Europa die Säkularisation unbestreitbar viel weiter vorgeschritten. Daraus dürften sich auch zukünftig Spannungen zwischen den USA und Europa ergeben. Die Europäer sind jedenfalls dem 'Ende der Geschichte' schon wesentlich näher, weil sie tatsächlich versuchen, Politik nicht mehr bloß als Kampf um die Macht zu betrachten."

Magazinrundschau vom 05.04.2005 - Reportajes

Böse Worte von Mario Vargas Llosa im Anschluss an einen Besuch der Gedenkausstellung zum 100. Geburtstag Jean Paul Sartres in der französischen Nationalbibliothek: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schau bei heutigen Jugendlichen irgendein Interesse an einer Wiederentdeckung Sartres bewirken oder diesem auch nur den geringsten Respekt oder Bewunderung einbringen sollte. Denn allen unverkennbar hagiographischen Absichten zum Trotz offenbart die Ausstellung, wie blind, unbeholfen und fehlgeleitet Sartres Äußerungen zu so gut wie jedem Thema waren. Vielleicht verbirgt sich hinter seinem Wüten gegen die Demokraten, seinem verbohrten Anarcho-Kommunsimus und glühenden Maoismus bloß die Verzweiflung des Bourgeois, der alle möglichen Posen einnimmt, damit sich bloß niemand daran erinnert, wie gleichgültig und auf die eigene Sicherheit bedacht er sich den Nazis gegenüber verhielt - als Engagement noch keine rhetorische Leerformel war, sondern eine Frage von Leben und Tod, ließ er andere die Kartoffeln aus dem Feuer holen."

Sebastian Edwards, Wirtschaftswissenschaftler und zeitweiliger Chefökonom der Weltbank für Lateinamerika, kritisiert das Schweigen einer "kleinen" Nation wie Chile angesichts der Ernennung von Paul Wolfowitz - "kaum einer verköpert so sehr die Arroganz der gegenwärtigen US-Administration" - zum Präsidenten der Weltbank: "Bekanntermaßen wird die wirtschaftliche Entwicklung Chiles weltweit als beispielhaft angesehen. Gerade als kleines, aber umso erfolgreicheres Land, das zudem aufgrund seiner Abgelegenheit für niemanden eine Bedrohung darstellt, verfügen wir über hervorragende Möglichkeiten, eine ernsthafte und tiefgreifende Diskussion um die Zukunft der Weltbank in Gang zu setzen. Unser Ziel kann es nicht sein, eine Weltmacht zu werden; dafür können wir eine führende Rolle im Wettstreit der Ideen übernehmen. Auch so wäre die Ernennung von Paul Wolfowitz kaum zu verhindern gewesen, aber durch das Anstoßen einer engagierten und anspruchsvollen Diskussion hätten wir der Weltgemeinschaft wie auch den ärmsten Ländern einen wichtigen Dienst erweisen können."

Alvaro Vargas Llosa, der Sohn Marios, kommentiert den Fall Terry Schiavo: "Im Grunde geht es um die Frage, wie weit sich der Staat im Namen von eng mit christlichen Vorstellungen verknüpften Werten in den Gewissenskonflikt einer Privatperson oder Familie einmischen darf. Auch wenn hier um eine Variante aktiver Sterbehilfe gestritten wurde, ging es eigentlich um den sehr viel älteren Streit um die Abtreibung: Ein Großteil der im Fall Schiavo eingesetzten Argumente, Termini und Symbole sind von den Diskussionen um die Abtreibungsfrage bestens bekannt. Was der amerikanische Präsident durch den Fall Schiavo bei der christlichen Basis an Zustimmung hinzugewinnen konnte, hat er im Gegenzug unter dem Rest der Bevölkerung wieder verloren. Nachdem Bush Terrys Tod allerdings letztlich nicht verhindern konnte, bleibt abzuwarten, ob sich der Fall Schiavo am Ende nicht nur für diese selbst, sondern auch für den Wertefeldzug der Konservativen als tödlich erweist."

Magazinrundschau vom 30.11.2004 - Reportajes

Unter der unbekümmert rassistischen Überschrift "Gelbfieber in Lateinamerika" berichtet Alvaro Vargas Llosa, der Sohn von Mario, in einem spannenden Artikel missvergnügt über die zeitgleich stattgefundenen Südamerika-Reisen des amerikanischen und des chinesischen Präsidenten: "Nur zum Vergleich: George W. Bush nutzt das Opec-Treffen in Chile zu einem winzigen Zwischenstop im kolombianischen Cartagena, bevor er die Region eiligst wieder verlässt - als sähe er die ganze Zeit besorgt auf die Uhr. Hu Jintao dagegen startet im Anschluss an das Treffen zu einer zwölftägigen Zaubervorstellung durch Brasilien, Argentinien, Chile und Cuba. Bush nutzt seinen gehetzten Kurzbesuch, um über Terrorismus zu sprechen. Hu Jintao spricht von Handel und Investitionen, 10 Milliarden Dollar in Brasilien, 20 Milliarden in Argentinien, 2 Milliarden in Chile, und erwähnt wie nebenbei, dass sein Land im Lauf der nächsten Jahre bis zu 100 Milliarden Dollar über Lateinamerika ausschütten könnte."

Persona non grata: Präsidentengattin Laura Bush, ausgebildete Bibliothekarin und passionierte Leserin, durfte bei demselben Chile-Besuch nur gegen den erbitterten Widerstand der Mehrheit des Vorstandes der Neruda-Stiftung das Haus des Dichters "La Chascona" besuchen, informiert Andres Gomez Bravo: "Sie mag ja sehr gebildet sein, aber sie ist die Ehefrau von Bush, dem Präsidenten des imperialistischsten Landes der Welt, und Neruda steht für das genaue Gegenteil: ein kommunistischer Dichter, Symbol des Fortschritts", wie eines der Vorstandsmitglieder meinte, der wie seine sämtlichen Kollegen nach zähen Verhandlungen schließlich am Tag des Besuches 'wegen dringender anderweitiger Verpflichtungen abwesend' blieb."

Mario Vargas Llosa steuert eine Neulektüre zweier spanischer Romane bei, die besser als jede historische oder soziologische Untersuchung Zeugnis von dem tiefgreifenden Wandel der spanischen Gesellschaft im Lauf der vergangenen fünfzig Jahre ablegen sollen: Carmen Laforets Klassiker "Nada" (1944) und Almudena Grandes' Skandal-Erstling "Las Edades de Lulu" (1989).

Ein langes Interview mit Marco Antonio Pinochet, einem der fünf Kinder des chilenischen Diktators, anlässlich der spektakulären Untersuchungen zu kürzlich entdeckten Geheimkonten seines Vaters bei einer US-Bank. Leider drückt sich Sohn Marco Antonio so diplomatisch aus, dass sich seinen Äußerungen kaum mehr als sein Ärger und seine Enttäuschung über die väterlichen Machenschaften entnehmen lassen. Klar wird nur, dass diese dem Ansehen des Diktatoren-Vaters in seiner Heimat stärker schaden dürften als seine Menschenrechtsverletzungen, weil letztere "ja doch, auch wenn ich sie keinesfalls verharmlosen will, etwas mit den Entscheidungen und der Verantwortlichkeit eines Regierenden, dem historischen Kontext und der Staatsräson, auch mit militärischer Logik zu tun haben. Diese Geldgeschichte dagegen ist eine rein persönliche Angelegenheit meines Vaters und deshalb viel schwerwiegender."

Magazinrundschau vom 13.09.2004 - Reportajes

Während alle Welt den zweiten Teil seiner Memoiren erwartet, überrascht Gabriel Garcia Marquez mit dem ersten literarischen Text seit zehn Jahren, meldet das chilenische Magazin Reportajes (einfache Registrierung): Für den 15. Oktober hat soeben die Verlagsgruppe RandomHouse-Mondadori die Veröffentlichung von "Memorias de mis putas tristes" angekündigt, einem gut hundert Seiten langen Roman über einen Greis, der sich zur Feier seines 90. Geburtstages eine Liebesnacht mit einer Jungfrau gönnen will - spanischsprachige Startauflage: eine Million. Gabriel Garcia Marquez zufolge ist der Roman auch ein Remake von bzw. eine Hommage an "den einzigen Roman, nach dessen Lektüre ich Neid empfand": Yasunari Kawabatas Klassiker aus dem Jahr 1962 "Die schlafenden Schönen".

Kaum weniger gut aufgestellt präsentiert sich Steven Spielberg: Auch in Chile läuft in diesen Tagen sein neues Opus "The Terminal" an. Im begleitenden Interview findet Spielberg unter anderem die folgenden klärenden Worte: "Hollywood ist angeblich das reinste Haifischbecken, aber das stimmt nicht. In Hollywood gibt es viele Leute, für die es einfach nichts Schöneres gibt als Geschichten zu erzählen, Filme zu machen, Geld zu verdienen, neue Talente zu entdecken und kompetitiv und kreativ zugleich zu sein. Zum größten Teil ist Hollywood eine kreative und progressive Gemeinschaft großartiger freier Individuen."

In Chile spitzt sich derweil der kompetitiv-kreative Wettlauf der beiden aussichtsreichsten Kandidatinnen um das 2005 neu zu vergebende Präsident(innen)amt zu. (Perlentaucher beziehungsweise Reportajes berichteten: hier und hier) Regierungskoalitionsinterne Hauptkonkurrentin der großartig freien Michelle Bachelet - derzeit sozialistische Verteidigungsministerin und laut Selbsteinschätzung "supergeerdet im Alltag" - ist die vielleicht nicht ganz so entspannt freie derzeitige christdemokratische Kanzlerin Soledad Alvear. Reportajes bietet einen aus 50 Punkten bestehenden Rundum-Check der beiden Rivalinnen im Haifischbecken.

Magazinrundschau vom 23.08.2004 - Reportajes

"Wenn ich Venezolaner wäre, hätte ich auch für Hugo Chavez gestimmt", erklärt kein geringerer als Eric Hobsbawm, den insbesondere beeindruckt hat, dass Chavez die sprudelnden Einnahmen aus dem Ölgeschäft für einen Abbau der sozialen Ungleichheit einsetzen will: "Andere Produzentenländer tun das nicht". Das Interview mit Hobsbawm wurde ursprünglich von der brasilianischen Folha de Sao Paulo geführt, ist aber jetzt im Magazin der chilenischen Tageszeitung La Tercera zugänglich (kostenlose Registrierung erforderlich). Der Ausgang der Volksabstimmung, die Chavez im Amt bestätigte, ist für den englischen Historiker ein weiterer Beleg für das mitunter dramatische Scheitern US-amerikanischer Freihandelspolitik.

Wer mit Hobsbawm ganz und gar nicht einverstanden sein dürfte, ist Alvaro Vargas Llosa. In dieser Ausgabe schreibt der mitunter geradezu reaktionäre Sohn von Mario Vargas Llosa aber über Brasiliens Lula, dem er anlässlich eines Staatsbesuchs in Chile eine durchaus erfolgreiche Bündnispolitik attestiert. Vater Mario indes erinnert in seiner regelmäßigen Kolumne an einen chilenisch-britischen Literaturdozenten, David Gallagher, der erst in Oxford lehrte und brillante Essays schrieb, um dann ins Bankengeschäft umzusatteln, wo er noch heute erfolgreich ist. Zu guter Letzt auch noch ein Interview mit Argentiniens Vielschreiber Rodrigo Fresan, dessen hochgelobter Roman "Kensington Gardens" nun endlich bei Fischer erscheint, womit die Magazinrundschau von weiteren Ankündigungen entbunden sei.

Magazinrundschau vom 12.07.2004 - Reportajes

Die Konkurrenz von La Tercera (Zugang nach kostenloser Registrierung ) lässt sich ebenso wenig lumpen und hat anlässlich der Feierlichkeiten ein zumindest kurzes Interview mit dem amerikanischen Literaturpapst Harold Bloom geführt: "Ich habe keine Probleme damit, Neruda als einen der zwei oder drei größten spanischsprachigen Dichter des 20. Jahrhunderts zu betrachten", gibt der zu Protokoll. Damit aber genug der Lobhudelei, denn das Sonntagsmagazin Reportajes rezensiert glücklicherweise auch einen Band, in dem der chilenische Schriftsteller Leonardo Sanhueza Schmähschriften gegen den Dichterfürsten zusammengetragen hat. Und siehe da: die, die ihn nicht leidern konnten, waren auch nicht von schlechten Eltern. Etwa sein Landsmann Vicente Huidobro, Mitbegründer der modernen lateinamerikanischen Dichtung, aber auch der Spanier Juan Ramon Jimenez, der Mexikaner Octavio Paz oder der Kubaner Guillermo Cabrera Infante. Nachzulesen ist beispielsweise Huidobros bissige Gegenfrage, als er einmal auf Neruda angesprochen wurde "Müssen wir uns wirklich auf diese Ebene herablassen und uns über derart mittelmäßige Dinge unterhalten?". Auch mit Cesar Vallejo hat sich der Kommunist Neruda angeblich gestritten: dem Peruaner - seiner Ansicht nach ein "Trotzkist" - gönnte er in Paris noch nicht einmal einen kleinen Job, der ihm vielleicht das Leben gerettet hätte.

Außerdem hat Reportajes Alfredo Bryce Echenique interviewt, der munter über Nicaraguas Ernesto Cardenal lästert. Der Autor des in Deutschland leider wenig beachteten "Eine Welt für Julius" und vieler anderer großartiger Bücher hat mal wieder geheiratet und schreibt derzeit an dem zweiten Band seiner Memoiren, der 2005 erscheinen soll. Zu guter Letzt gibt es noch Vargas Llosa im Doppelpack: Vater Mario freut sich darüber, dass aus der EU-Verfassung der Bezug auf das christliche Erbe verschwunden ist, was seiner Ansicht nach den Beitritt der Türkei erleichtern wird, während sich Sohn Alvaro Gedanken darüber macht, warum John Kerry in den USA John Edwards mit ins Boot geholt hat.

Magazinrundschau vom 26.04.2004 - Reportajes

Oliver Stone hat nachgelegt, oder vielmehr nachlegen müssen: Die US-Fernsehgesellschaft HBO, in deren Auftrag er im vergangenen Jahr sein umstrittenes erstes Fidel Castro-Langstrecken-Filminterview "Comandante" geführt hatte (Perlentaucher berichtete), hat Stone ein zweites Mal nach Kuba geschickt, auf dass ein etwas weniger hagiographisches Porträt des "Maximo Lider" entstehe. Das Resultat, unter dem Titel "Looking for Fidel" vor wenigen Tagen im US-Fernsehen vorgestellt, stößt erwartungsgemäß auf gemischte Reaktionen (hier die Fernseh-Rezension der New York Times, hier der Kommentar des durchaus um Ausgleich bemühten (exil)kubanischen Internet-Magazins Encuentro - zu Encuentro siehe auch hier). Die chilenische Reportajes bringt ein Interview mit Stone, das die Journalistin Ann Louise Bardach geführt hat: Zeigt sich Castro in "Looking for Fidel" "hundertprozentig auf den Tod vorbereitet" und "absolut sicher, dass mein Einfluss, wenn ich morgen sterbe, zunehmen könnte", zeigt sich Stone seinerseits erneut entschlossen, solchem Selbstbewusstsein wenig entgegenzusetzen: "Das ist paternalistisch, nicht totalitaristisch. Ein typischer Latino-Charakterzug."

Weniger Freude am "typisch lateinamerikanischen" Paternalismo hat dagegen Isabel Allende: "Die chilenische Literaturszene ist ungeheuer machistisch und verschlossen", klagt die die meiste Zeit in den USA lebende Autorin im Interview mit Marcelo Soto. In einem weiteren Artikel wird gegen den argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner der Vorwurf erhoben, sich mit seinen Drohungen, die Gaslieferungen an Chile zu unterbrechen, in eine größere Gefahr für die Region verwandelt zu haben als die "paternalistisch-machistischen" Präsidenten Venezuelas und Boliviens Chavez und Mesa.

Magazinrundschau vom 05.04.2004 - Reportajes

Stunde der Präsidentinnen, die dritte: Das "fenomeno Bachelet" (Perlentaucher berichtete) lässt den Chilenen offensichtlich keine Ruhe mehr: Die neueste Ausgabe von Reportajes, der Wochenendbeilage der chilenischen Tageszeitung La Tercera (Zugang nach kostenloser Registrierung), bietet einen regelrechten Rundum-Check der immer höher gehandelten sozialistischen Kandidatin Michelle Bachelet, die einst in Potsdam und Berlin Medizin studierte. Angela Merkel aufgepasst: So offen kann man über die Schwierigkeiten plaudern, als geschiedene Frau und Mutter dreier Kinder auf dem Weg an die Spitze der Macht einen neuen Partner zu finden - Bachelet sieht ihre Chancen nach einem Wahlerfolg eher sinken, behält sich das Recht zu flirten jedoch auch als Präsidentin ausdrücklich vor.

Wenig Schwierigkeiten bei der Partnersuche scheint zeitlebens Pablo Neruda gehabt zu haben. Im Vorgriff auf ein Mitte Mai pünktlich zum hundertsten Geburtstag Nerudas erscheinendes Buch über "Los amores de Pablo Neruda" nennt Cristobal Pena schon einmal die wichtigsten Namen eines offensichtlich sehr umfangreichen "anecdotario sentimental". Als 67-jähriger Botschafter Chiles in Paris soll Neruda das Thema seinem Freund, dem Schriftsteller Jorge Edwards gegenüber mit diesen Worten resümiert haben: "Je älter ich werde, desto heißer werde ich."

Zur selben Zeit bereitet der US-amerikanische Neruda-Spezialist Mark Eisner einen Dokumentarfilm vor, in dem Isabel Allende auf englisch und spanisch durch das Leben des Dichters führt und dabei auch von so unschönen Dingen wie des Dichters stalinistischen Eskapaden oder der Vernachlässigung seiner einzigen Tochter erzählt. (Hier kann man für die Fertigstellung des Films spenden.)

Von einer Gruppe kaum weniger vernachlässigter Menschen berichtet Mario Vargas Llosa: Im Darien, einem unzugänglichen Urwaldgebiet im Süden Panamas, leben seit Jahren zahlreiche Flüchtlinge des unendlichen kolumbianischen Bürgerkrieges - so manche(r) von ihnen scheint allerdings im Exil sehr rasch neue Partner gefunden zu haben. Ob sich Vargas Llosa ihrer bewegenden Geschichten eines Tages in Romanform erinnern wird?

Magazinrundschau vom 29.03.2004 - Reportajes

Stunde der Präsident(inn)en, die zweite: Vor fast auf den Tag genau zwei Monaten berichtete der Perlentaucher vom, wie man so sagt, "kometenhaften" Aufstieg der chilenischen Verteidigungsministerin Michelle Bachelet (s. a. hier) zur "Top-Anwärterin" auf das Präsidentenamt. Dieser Trend scheint sich fortzusetzen, was jedoch nicht nur zu Irritationen beim Konkurrenten von der chilenischen Rechten, Joaquin Lavin, führt, sondern mindestens so sehr bei der regierungskoalitionsinternen Hauptrivalin, der derzeitigen chilenischen Kanzlerin Soledad Alvear: Alvear soll nun nach dem Willen ihrer Berater versuchen "mas natural" und "menos estructurada" aufzutreten, um das "fenomeno Bachelet" auszubremsen, berichtet die neueste Ausgabe von Reportajes, der Wochenendbeilage der chilenischen Tageszeitung La Tercera (Zugang nach kostenloser Registrierung).

Vielleicht hätte Jose Maria Aznar seinerseits versuchen sollen, "mit mehr Natürlichkeit und weniger strukturiert" aufzutreten, um das Debakel der von ihm geführten Regierung zu verhindern. Im Interview mit Juan Pedro Valentin zeigt er sich in dieser Hinsicht wenig lernfähig: "Tragen Sie die Schuld an der Wahlniederlage? - Ich habe mich nicht zur Wahl gestellt, aber ich gehöre zum Partido Popular, deshalb sind wir alle verantwortlich. Man bedarf eines gewissen Abstandes, um zu analysieren, warum es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Auf jeden Fall bin ich dankbar dafür, dass neun Millionen sechshunderttausend Spanier uns ihre Stimme anvertraut haben."

Ebenfalls in Reportajes zeichnet Alvaro "neoliberalisimo" Vargas Llosa, der Sohn Mario Vargas Llosas, der unmittelbar vor der spanischen Wahl sich eine Niederlage Aznars weder vorstellen konnte noch wollte (s. dazu hier), ein überaus negatives Bild des derzeitigen argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner. Im Gegensatz zu den vielen lobenden Kommentaren, die Kirchners Politik weltweit erfährt, stört sich der studierte Historiker Vargas Llosa insbesondere an Kirchners Attacken auf den früheren argentinischen Präsidenten Carlos Menem: "Jemand sollte dem argentinischen Regierungschef klar machen, dass die Aufgabe politischer Führer darin besteht, ihre Länder voranzubringen, während die Historiker (und, falls nötig, die Gerichte) sich damit beschäftigen, über die Vergangenheit zu urteilen."

Allerdings hat sich eben dieser Carlos Menem nach Chile geflüchtet, wo inzwischen ein Streit darüber ausgebrochen ist, ob er nach Argentinien ausgeliefert oder aber ihm politisches Asyl gewährt werden solle. Der (noch) Präsident Chiles Ricardo Lagos versucht in dieser Situation die Quadratur des Kreises, berichtet Vanessa Azocar: "Weder den Bestrebungen der Regierung von Nestor Kirchner nachgeben und Menem nach Argentinien zurückschicken, noch Kirchner offen herausfordern, indem man einem Asylersuchen des argentinischen Expräsidenten nachkommt." Was aber dann? Präsident werden ist schwer, Präsident sein noch mehr, am schwersten ist allerdings ganz offensichtlich, Präsident gewesen zu sein.