Magazinrundschau - Archiv

The Nation

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Magazinrundschau vom 20.08.2019 - The Nation

Jonathan Levi und Marta Orrantia beobachten, wie Kolumbiens neuer Präsident Ivan Duque daran arbeitet, den Friedensprozess mit der FARC auszuhebeln. Duque und seine konservativen Unterstützer stören sich vor allem an den Zugeständnissen gegenüber der einstigen Guerilla. Jetzt sollen Kriegsverbrechen der Militärs nicht länger geahndet werden und vor allem den einstigen Rebellen das Land genommen, das sie seit 2016 in Schutzzonen bewirtschaften durften: "Mit der Auflösung der Schutzzonen verlieren die Ex-Kombattanten auch die Abschirmung, die ihnen bisher die Armee gewährte - vor Zivilisten, die Vergeltung suchen, oder vor anderen Guerillagruppen, die noch immer mit dem kolumbianischen Staat im Krieg leben, wie die die ELN und die EPL, die nur zu erpicht darauf sind, frühere FARC-Kämpfer auszulöschen oder für die eigenen Reihen zu rekrutieren. Zudem sind viele Anführer der rechten Paramilitärs, die sich der Vernichtung der FARC verschrieben haben, aus dem Gefängnis entlassen worden. Die Vereinten Nationen schätzten 2008, dass diese paramilitärischen Einheiten für achtzig Prozent aller Morde in Kolumbien verantwortlich sind, seit die Drogenhändler in den siebziger Jahren begonnen hatten, Milizen zu bilden, um die linke Guerilla zu bekämpfen - gegenüber zwölf Prozent, die der Farc und anderen linken Aufständischen zuzuschreiben sind, und acht Prozent, die auf das Konto der Militärs gehen. Die Angst hat viele jüngere Ex-Kombattanten aus den Schutzzonen zurück zu ihren Familien getrieben, zumindest jene, die noch eine haben, die anderen flüchteten sich in die Anonymität Bogotás. Andere, die das Vertrauen in das Versprechen von Amnestie und Wiedereingliederung verloren haben, griffen wieder zu den Waffen. Nicht länger durch den Friedensprozess geschützt, werden diese Dissidenten nun als normale Kriminelle betrachtet und dürften von den Sicherheitskräften mit maximalen Vorurteilen gejagt werden."

Magazinrundschau vom 17.06.2019 - The Nation

Kaum ein Begriff ist derart schwer zu fassen wie der "Liberalismus", schreibt der Historiker David A. Bell und greift zu Adam Gopniks "A Thousand Small Sanities", das ihm unter all dem "lexikalischen und politischen Morast" eine Definition bieten soll. Leider belasse es Gopnik ebenfalls bei einer äußerst vagen Definition: Liberalismus versteht er als "Temperament", als den Versuch, mit gewaltfreien Mitteln "egalitäre soziale Reformen und eine immer größere (wenn nicht absolute) Toleranz gegenüber menschlichen Unterschieden zu erreichen". Diese schwammige Analyse aber veranschauliche laut Bell gut das Grundproblem des amerikanischen Liberalismus: "Die meisten Varianten des amerikanischen Liberalismus haben heute ihre Spezifikation, Klarheit und historische Grundlage verloren. Während Progressive und Sozialisten gern die Banner des New Deal und der Great Society aufgreifen, sind selbsternannte Liberale im Allgemeinen vorsichtiger und aufmerksamer gegenüber Bill Clintons Erklärung der Niederlage gegenüber dem Reaganismus: 'Die Ära der großen Regierung ist vorbei'. Wenn es um Sozialprogramme geht, ist ihr Modell nicht die Art von umfassender öffentlicher Hilfe, die von Franklin Roosevelt oder Lyndon Johnson vorgeschlagen wurde, mit der damit notwendigerweise einhergehenden Regierungserweiterung, sondern Obamacare: vorsichtige, schrittweise Verbesserung. Liberale stehen im Allgemeinen der Linken in Bürgerrechtsfragen, einschließlich der Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten nahe, aber in Fragen der Verteilung und Regulierung kommen sie den Republikanern häufig näher. Sie sorgen sich lautstark um die spaltenden Auswirkungen der Identitätspolitik und warnen vor den Exzessen auf dem verlassenen Campus. In dieser Bandbreite von Positionen ist es schwierig, eine tief greifende soziale Analyse zu liefern, geschweige denn eine kohärente politische Antwort."

Magazinrundschau vom 21.05.2019 - The Nation

In einer zweiteiligen Reportage über Abtreibung in Ecuador beschreibt Zoë Carpenter (hier und hier) die oft grauenvollen Zustände in dem Land, das eins der drakonischsten Abtreibungsgesetze der Welt hat. "Einige Frauen, die wegen Abtreibung oder Mordes nach Fehlgeburten verfolgt wurden, wussten nicht einmal, dass sie schwanger waren. In einem Fall wurde eine Frau im Alter von 18 Jahren vergewaltigt. Es war ihre erste sexuelle Erfahrung, und sie sagte es niemandem. Einige Monate später, während sie Hausarbeiten machte, begann sie zu bluten, und am nächsten Morgen brachte sie einen tot geborenen Fötus zur Welt. Sanitäter, die von ihrer Familie gerufen wurden, fanden die Leiche im Badezimmer. Sie wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt - weil sie sich nicht um eine Schwangerschaft gekümmert hatte, von der sie nichts wusste. In diesem und anderen Fällen verließen sich die Staatsanwälte auf eine diskreditierte forensische Methode, um eine Mordanklage zu unterstützen: den hydrostatischen oder Lung-float-Test (Docimasia pulmonum hydrostatica), ein Verfahren aus dem 17. Jahrhundert, bei dem Lungengewebe des Fötus in Wasser gelegt wurde. Schweben gilt als Beweis dafür, dass das Baby lebend geboren wurde und nach der Geburt gestorben sein muss - oder getötet wurde. Aber eine Reihe von Faktoren können dazu führen, dass die Lunge schwimmt, und der Test kann nicht zwischen einer Tötung und einem Tod aufgrund anderer Ursachen unterscheiden. Bereits in den 1660er Jahren, so der Historiker G.K. Behlmer, 'kamen die Europäer zu dem Schluss, dass es unmöglich sei, eine Lebendgeburt aus der schwebenden Lunge abzuleiten'. Ein neueres forensisches Lehrbuch nennt solche Tests 'schwarze Magie', die 'ein falsches Gefühl der wissenschaftlichen Gültigkeit simulieren und sogar zu einem möglichen Justizirrtum führen können'. Dennoch wird der Test immer noch zur Verfolgung von Kindesmord in Ländern mit strengen Antiabtreibungsgesetzen verwendet, darunter El Salvador und Mexiko. Es wurde auch in den Vereinigten Staaten verwendet, um eine Indianerin namens Purvi Patel wegen Vernachlässigung und Fetizid im Jahr 2015 zu verurteilen."

Magazinrundschau vom 30.04.2019 - The Nation

Der Politologe Jan-Werner Müller, selbst Autor eines viel gehandelten Buchs über Rechtspopulismus, mokiert sich über die "democracy-defense industry", womit er all jene Bücher von Politologen und Historikern meint, die dem Sinn nach schreiben: "Die Demokratie liegt im Sterben, aber Sie können sie retten… indem sie mein Buch kaufen." Zwei Büchern erweist er dennoch die Ehre einer Besprechung, "How Democracies Dies" von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt (das auch schon auf Deutsch erschienen und vielfach besprochen ist) und "How Democracy Ends" von David Runciman. Beiden attestiert er gewisse Verdienste. Aber Ziblatt und Levitsky wirft er Elitismus vor, während er Runciman, der die Gefahr in Facebook und China sieht, eher zustimmt. Wie tiefschürfend Müller eigene demokratietheoretische Erwägungen sind, mag man mit folgenden Sätzen ermessen: "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Demokratie nur funktioniert, wenn man nett ist oder es einen Konsens über die Einhaltung von Normen gibt - als ob es in Ordnung wäre, einen Apartheidstaat zu führen, solange höfliche Herren aus den Südstaaten es tun. Entscheidend ist nicht, wie man Konflikte verhindert, sondern wie man sie versteht."

Magazinrundschau vom 09.10.2018 - The Nation

Mit großem Interesse hat der britische Historiker Richard J. Evans Konrad H. Jarauschs Buch "Broken Lives: How Ordinary Germans Experienced the 20th Century" gelesen. Jarausch hat dafür 72 Autobiografien (mit Schwerpunkt auf 17 davon) von deutschen Männern und Frauen ausgewertet, die in der Weimarer Republik geboren waren. "Das neue bei Jarausch ist, dass er den Krieg und damit das Dritte Reich als geschlechtsspezifische Erfahrung darstellt. Für den NS-Staat bestand die Rolle einer Frau darin, den Haushalt zu führen und Kinder (vorzugsweise viele von ihnen) großzuziehen. Für die jüngeren Frauen in Jarauschs Stichprobe bot der Bund Deutscher Mädchen ein gewisses Maß an Ermächtigung, da sie ihre eigenen Rollen im Leben außerhalb der engen Umarmung der Familie erhielten. Frauen, betont Jarausch, waren nicht nur Opfer: Sie arbeiteten von Anfang an mit dem Regime zusammen, teilten die Ideale des Nationalsozialismus oder beteiligten sich freiwillig an Projekten wie der 'Kolonisierung' des Ostens, bei der polnische Bauern kurzerhand vertrieben wurden, um Platz für deutsche Siedler zu schaffen - eine 'edle Mission', wie eine Frau sie beschrieb."

Magazinrundschau vom 24.07.2018 - The Nation

Finanzkrise, Wall Street, Banken, Ausland - alles kein Thema mehr in amerikanischen Medien, die nur noch um einen kreisen: Donald Trump. Und dann gehen sie auch noch so unsachlich mit ihm um, ärgert sich Michael Massing, der die Berichterstattung der Medien - von der New York Times bis zur New York Review of Books - auseinander nimmt. Sie beschimpfen ihn, stempeln ihn zum Faschisten oder Autokraten (als könnten sie unter einem echten Faschisten oder Autokraten schreiben, was sie schreiben) oder gerieren sich als Widerstandskämpfer: "Der  Vorposten der nationalen Medien sind die Fernsehnachrichten. In der Vergangenheit zeichnete sich Fox News durch seine nackte Parteilichkeit und die Reinheit seiner Ideologie aus; jetzt liefern MSNBC und CNN die Spiegelversionen, indem sie ihre Sendungen an die Anforderungen ihres trumpfeindlichen Publikums anpassen. Die giftigen Interviewpartner, lästigen Breaking-News-Blitze, die Nonstop-Werbung (20 oder mehr Minuten pro Stunde bei CNN), chargierenden Korrespondenten, der Mangel an Berichterstattung und der konstante Trommelschlag von Trump, Trump, Trump, Trump macht das Fernsehen zu einer demoralisierenden und seelenraubenden Erfahrung."

Magazinrundschau vom 12.06.2018 - The Nation

Schon ab den 1940er Jahren wurden im Süden der USA über Multikulturalismus diskutiert, lernt der Historiker Robert Greene von Anders Walkers Geschichte "The Burning House: Jim Crow and the Making of Modern America". Dabei machte es einen großen Unterschied, ob schwarze Schriftsteller Schriftsteller wie Zora Neale Hurston und James Baldwin aus einem emanzipatorischen Ethos heraus argumentierten oder liberale Weiße wie William Faulkner und Robert Penn Warren: "Das galt besonders für Warren, der in der kulturellen Kraft des Südens den Beweis sah, dass die Region ihr Jim-Crow-System nur reformieren müssten, um es zu überwinden, und nicht komplett revolutionieren. Andere Schriftsteller wie Faulkner vertraten ähnlich die Auffassung, dass der Süden dem Rest des Landes überlegen war, eben wegen seines Systems zweier Kulturen, das aus Jim Crow resultierte. Walker ist nicht besonders zimperlich, wenn es um diese weißen Intellektuellen geht. Ihre Argumente für eine zweifache Kultur diente letztlich den weißen Südstaatlern, nicht den schwarzen, und Walkers Geschichte dreht sich um genau die Unhaltbarkeit dieser Position. Weiße liberale Südstaatler mussten sich entscheiden zwischen Bürger- und Menschenrechten auf der einen Seite und einem weißen Herrenmenschen-System auf der anderen, dazwischen gab es nichts. Indem Autoren wie Warren versuchten, den bikulturellen Charakter des Südens in einem Kontext zu bewahren, in dem schwarze Amerikanier nicht gleichberechtigt waren, halfen sie am Ende nur, diesen ungleichen Status im Süden zu verstärken."

Magazinrundschau vom 04.06.2018 - The Nation

Im aktuellen Heft des Magazins berichtet Olivier Piot, welches Schicksal Afrikas Whistleblower erwartet, die die Korruption in ihrem Land aufdecken. Ohne Rechtsschutz sind sie brutalem Druck ihrer Arbeitgeber und der Öffentlichkeit ausgesetzt: "Ein großes Hindernis ist das Fehlen rechtlicher Rahmenbedingungen, sogar in Südafrika, wo es robuste Institutionen gibt … In Niger zahlte Falamata Aouami einen hohen Preis dafür, dass sie ihren früheren Arbeitgeber, die Landwirtschaftsbank von Niger verriet. 2013 kam die damals 28-Jährige von der Business-Schule und wurde oberste Rechnungsprüferin. Die Landwirtschaftsbank, von der Regierung 2010 eingesetzt, um die ländliche Wirtschaft zu unterstützen, hatte eben eine provisorische Verwaltung bekommen, nachdem das Kapital von 18 auf 6 Millionen Dollar gefallen war. Aouami leitete eine interne Untersuchung, die zweifelhafte Darlehen, Diskrepanzen bei den liquiden Mitteln und fehlerhafte Kontrollmechanismen feststellte. Die Angestellten wehrten sich gegen die Untersuchung und hielten Informationen zurück. Aouami erhielt Drohbriefe. Schließlich forderten ihre Vorgesetzten sie auf, die Ermittlungen einzustellen, doch sie machte weiter im Glauben, die Bank vor dem Ruin zu retten. 2015 wurde sie gefeuert. Die Bank beschuldigte sie der Fehlinformation. Aouami zog vor Gericht. Dort hatte sie mit den Schikanen des Rechtssystems, verschwindenden Dokumenten, Verzögerungen etc. zu kämpfen. Kein Anwalt wollte sie vertreten."

Magazinrundschau vom 03.04.2018 - The Nation

Das Problem mit eigenen Gesetzen für Minderheiten ist, dass sie oft helfen, Probleme innerhalb der Minderheiten unter den Teppich gekehrt werden. Das erleben indianische Frauen in den USA, die überdurchschnittlich oft von sexueller Belästigung betroffen sind. Wenn der Täter ein Angehöriger des eigenen Stammes ist, fühlen sich viele in einer Zwickmühle, berichten Rebecca Clarren und Jason Begay: So sind die Gesetze für indigene Frauen was den Schutz vor sexueller Belästigung angeht, viel vager, als die Gesetze für nicht-indigene Frauen in den USA - einfach weil die indianischen Stämme zum Teil eigene Gesetze haben. Und viele Frauen fürchten, besonders wenn sie in den indianischen Lokalverwaltungen arbeiten, ihren Job zu verlieren: "Für viele Stammesmitglieder birgt eine Beschwerde oder das Öffentlichmachen in den Medien ein großes persönliches Risiko. Deleana OtherBull, Geschäftsführerin der 'Coalition to Stop Violence Against Native Women', sagt, sie höre fast täglich von sexueller Belästigung indigener Frauen, doch die große Mehrheit habe Angst, die Sache bekannt zu machen - vor allem wenn ein Stammesführer involviert ist. 'Für viele Frauen kann eine Beschwerde nicht nur dazu führen, dass sie ihren Job verlieren, sondern auch ihre Unterkunft und die College-Zulassung für ihre Kinder, oder ihr Partner kann gefeuert werden. Wir haben es erlebt, dass Frauen, die sich beschwert haben, aufgefordert wurden, ihre Community zu verlassen und wegzuziehen', sagt OtherBull."

Magazinrundschau vom 20.02.2018 - The Nation

Mit seinem Marketplace, auf dem Privat- und kommerzielle Händler Waren anbieten können, inszeniert sich Amazon gerne als wohltätiger Retter des Einzelhandels, der lediglich eine Infrastruktur für die vom Internet gebeutelten Händler anbietet. In Wahrheit dient der Marketplace jedoch der klammheimlichen Trockenlegung der Konkurrenz, schreibt Stacy Mitchell: Schon jetzt recherchiere ein Großteil der Kundschaft nicht mehr im freien Netz nach Angeboten, sondern steuere ohne Zwischenschritt direkt die Website von Amazon an. Von zwei Dollars, die im Netz ausgegeben werden, lande einer mittlerweile im Geldbeutel von Amazon. "Studien legen nahe, dass die Beziehungen zwischen Amazon und kleinen Händlern, die dort ihre Waren anbieten, oft raubtierartig sind. Forscher der Harvard Business School haben herausgefunden, dass Amazon die Transaktionen neu eingestellter Produkte von Drittanbietern genau analysiert und deren populärste Produkte gegebenfalls auf eigene Faust verkauft. Und wenn Amazon die von den Verkäufern gewonnen Informationen nicht dirket gegen diese nutzt, dann behält es zumindest einen immer größer werdenden Anteil des Umsatzes ein. ... 2016 brachte Amazon Birkenstock in eine Zwickmühle: Man drohte, eine Flut gefälschter Birkenstock-Produkte, viele davon von Händlern aus Übersee, in der Angebotspalette zuzulassen, wenn die Firma sich nicht dazu bereit erklären sollte, jene Nischenprodukte, die sie allein für spezialisierte Händler vorgesehen hat, auch auf Amazon anzubieten. Birkenstock widerstand diesem Druck, doch andere Firmen, darunter Nike, haben sich ähnlichen Anforderungen offenbar gefügt."