Magazinrundschau - Archiv

The Nation

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Magazinrundschau vom 05.09.2017 - The Nation


Robert Rauschenberg, Ausstellungsansicht. Bild: Moma

In der aktuellen Ausgabe von The Nation schaut Barry Schwabsky in der Robert-Rauschenberg-Retrospektive im Museum of Modern Art in New York vorbei und erklärt Rauschenberg zum Kubisten: "Die Wahrheit ist, in seiner Malerei und den Drucken ist es Rauschenberg nie wirklich gelungen, der kubistischen Ordnung zu entkommen. So unterschiedlich sein Material auch sein konnte, er arrangierte es stets in einer sorgfältig ausbalancierten Weise, geleitet durch ein zugrundeliegendes Raster. Vergessen wir lieber die Vorstellung des Kritikers Leo Steinberg, Rauschenberg hätte eine neue Art 'Flachbett-Bildebene' erfunden, die die natürliche visuelle Erfahrung und den Orientierungssinn des Betrachters ignoriert. Es ist erkennbar und vielsagend, dass Rauschenberg in sämtlichen seiner Werke, von den 1950ern bis zu den in der Schau zu sehenden letzten Bildern von 2005, sein Material nahezu niemals verkehrt herum, seitwärts oder diagonal verwendet. Stets respektiert er die gegebene Ausrichtung des gefundenen Bildmaterials. Einzige Ausnahme: Straßenschilder. Mit anderen Worten: Wenn Rauschenberg die Richtung gewiesen wird, zieht er es vor, sich zu widersetzen. In allen anderen Fällen folgt er glücklich der vorgegebenen Ordnung."

Außerdem: Jesse McCarthy liest Mathias Énards "Kompass", Steph Burt hört das neue Album von Lorde.

Magazinrundschau vom 02.05.2017 - The Nation

Donald Trump ist nicht als Alien in der amerikanische Geschichte gelandet, sagt der linke Historiker Eric Foner im Gespräch mit Richard Kreitner, im Gegenteil: "Er ist die logische Fortentwicklung der Art und Weise, wie sich die Republikanische Partei seit Barry Goldwater aufführte. Genau so hat die Republikanische Partei seit fünfzig Jahren Stimmen gekriegt - Trump reißt dem nur die Maske ab. Er spricht den Rassismus, der bis dahin kaum versteckt war, offen aus. Eine akkurate Geschichte würde zeigen, dass er immer da war. Wir sollten nicht nur darüber reden, wie bizarr Trump ist."

Magazinrundschau vom 21.03.2017 - The Nation

Alice Kaplan stellt das gerade aufregendste Verlegerpaar Algeriens vor: Sofiane Hadjadj und Selma Hellal. Die beiden haben während des algerischen Bürgerkrieges in den neunziger Jahren in Paris studiert und zusammen Derridas Vorlesungen über Asyl und Gastfreundschaft gehört. Jetzt führen sie in Algier die Editions Barzakh, deren Bücher regelmäßig die algerische Kulturszenerie in Aufruhr versetzen, zuletzt mit Samir Toumis Roman "L'Effacement", der den Neoptismus der maßlos verherrlichten Freiheitskämpfergeneration recht blasphemisch anging. Bazarkh ist das mentale Äquivalent zu einem Isthmus, ein Limbo, aber auch ein Reich außerhalb von Raum und Zeit, erklärt Kaplan: "Hellal und Hadjadj hätten bei Algeriens Wiederaufbau helfen können, indem sie die Talente einsetzten, die sie bereits entwickelt hatten - sie als Journalistin, er als Architekt -, doch das Paar hatte eine andere Vorstellung. Sie waren überzeugt, dass Algerien sich nicht von der Dekade des Horrors erholen könnte ohne ein elementares Recht, das jeder Europäer und Amerikaner für selbstverständlich hält: das Recht auf Fantasie und Geschichten. Also wollten sie der algerischen Literatur Aufnahme gewähren, einer Kultur in Not helfen."

Magazinrundschau vom 07.03.2017 - The Nation

Kyle Pope, Chefredakteur der hochrespektablen Columbia Journalism Review, kreist um die Frage, wie man Journalismus wieder profitabel gestalten könnte. Trump ist da schon mal eine große Hilfe. Und auch von den rechten Medien kann man lernen, meint Pope in einer nicht ganz ungefährlichen Wendung: "Wenn das Ende der anzeigenfinanzierten digitalen Medien bedeutet, dass Traffic an Bedeutung verliert und engagierte Leser, die zahlen, an Bedeutung gewinnen, dann ergibt die Polarisierung der Medien in politische Lager ökonomischen Sinn. Magazine wie The Nation und The New Republic spielen das Affinitäts-Spiel schon seit Jahren und haben mit ihren leidenschaftlichsten Lesern eine Unterstützerbasis aufgebaut. So strebt der neue Ansatz danach, diese Affinität in ein Bona-fide-Geschäftsmodell umzuwandeln, bei dem die Parteigängerschaft der Leser in Zahlungsbereitschaft mündet."

Magazinrundschau vom 03.01.2017 - The Nation

Nikil Saval hält die Zeit für gekommen, wieder den Soziologen Karl Polanyi zu lesen, der zusammen mit John von Neumann, Béla Bartók, Karl Mannheim und György Lukács zu den großen Ungarn des frühen 20. Jahrhunderts gehörte. Politisch mag der Sozialist nicht immer richtig gelegen haben, räumt Saval ein, doch seine Wirtschaftsgeschichte sei unübertroffen: "Zwischen 1941 und 1943 geschrieben zeichnet 'Die große Transformation' den Aufstieg der Marktwirtschaft von ihren Anfängen in der frühen Moderne bis zur Einführung der Fabrik in der Konsumgesellschaft nach. Polanyi illustriert, wie die Marktwirtschaft den Planeten auf allen Ebenen veränderte oder gar verheerte, aber auch wie neu sie eigentlich ist. 'Im Gegensatz zu dem im 19. Jahrhundert intonierten Chorus akademischer Gesänge', schreibt er, 'spielten Vorteil und Profit durch Austausch zuvor keine wichtige Rolle in der Geschichte der Menschheit. Auch wenn die Institution des Marktes seit der späten Steinzeit üblich war, spielte sie im wirtschaftlichen Leben nur eine beiläufige Rolle'. Polanyi brachte zutage, dass die Marktwirtschaft eine Erfindung des modernen Lebens war und ermöglichte so Überlegungen, wie eine Gesellschaft anders als um diese Prinzipien herum organisiert werden kann."

Magazinrundschau vom 08.11.2016 - The Nation

Ein Buch über Musik- und digitale Kultur im 21. Jahrhundert? Gegenwärtiger gehts kaum. Das findet auch Atossa Araxia Abrahamian, die "Uproot: Travels in 21st-Century Music and Digital Culture" von Jace Clayton alias DJ/rupture wärmstens empfiehlt: "'MIAs frühe Arbeiten haben viele von uns intuitiv angesprochen', erklärt Clayton, 'weil ihr Sound die ganz und gar zeitgenössische Beschaffenheit von Identität als bewegliche und verlustbehaftete Daten ausdrückte.' Sie ließ ihre Zuhörer in einem musikalischen Niemandsland zurück, das sie fragen ließ: 'Wo sind wir?' Claytons neues Buch versucht diese Frage zu beantworten. Wie sein Mixtape, das ihn in den frühen 2000er Jahren berühmt machte, so scheint sein Buch viele Genres auf einmal zu umfassen: Es ist Reisebeschreibung und kulturelle Ethnografie, Popphilosophie und Erinnerung, Führer durch die zeitgenössische Musik und Fanzine. Clayton versucht nicht nur, uns mit einer anregenden Theorie unserer gegenwärtigen globalen Musikszene zu versorgen, er will auch herausfinden, wie die Globalisierung unsere Art zu sprechen, denken, reisen und musizieren verändert hat."

Vivian Gornick liest Elena Ferrantes "Frantumaglia", einen Band mit Briefen, Essays und Interviews aus den letzten 25 Jahren, und stellt fest, dass die Autorin immer wieder rundheraus über ihre Person gelogen oder zumindest in die Irre geführt hat: "Ich finde das interessant, weil sie in diesen Interviews ziemlich direkt sagt, dass sie keine Bedenken hat, den Interviewer zu belügen, wenn dies ihrer Anonymität dient - und genau das hat sie auch getan, mit den besten Wünschen ihrer Leser, zu denen ich mich selbst zähle. Nachdem ich jetzt weiß, dass was sie in ihren Interviews über sich sagt oder impliziert, nicht buchstäblich wahr ist, kann ich ehrlich sagen: Das ist völlig unwichtig." Im Guardian, der einen Auszug aus "Frantumaglia" bringt, findet man entsprechende Passagen, in denen Ferrante Lügen in Interviews mit Journalisten unvermeidlich findet.

Besprochen werden außerdem Zadie Smiths neuer Roman "Swing Time" (kein wirklich gutes Buch, findet Adam Kirsch in einer ausführlichen Kritik, aber doch eins, das genaue Auskunft gibt über den Stand einer Generation, die noch vor kurzer Zeit von den vielversprechenden Möglichkeiten des Multikulturalismus träumte), Élisabeth Roudinescos Biografie "Freud: In His Time and Ours", Ian McEwans Roman "Nussschale" und eine Biografie Toussaint Louvertures, einer der Gründungsväter Haitis.

Magazinrundschau vom 18.10.2016 - The Nation

In einem Interview mit der taz von heute hofft der amerikanische Autor Joshua Cohen höchstens halb spöttisch auf eine Erosion des Zwei-Parteiensystems in den USA: "Aus den Republikanern wird sich vermutlich eine neue rechte Partei entwickeln, aber es wird auch eine neue linke Partei entstehen, die die Agenda der Anhänger von Bernie Sanders repräsentiert. Aus der Selbstzerstörung der Parteien ziehe ich großen Optimismus." Im Interview mit The Nation sieht das Milo Yiannopoulos, britischer Trump-Anhänger und Sympathisant der rechtsextremen alternativen Rechten (alt-right) in Amerika ganz ähnlich. Er verabscheut die Linke mit ihrer autoritären "politischen Korrektheit" ebenso wie die Neocons mit ihrer Sympathie für "big business" und Kriege im Ausland. "Ich bin eine Maschine des Chaos. Ich will, dass beide Parteien zerstört werden. Ich glaube Hillary wird die Präsidentschaft als unpopulärster Präsident der amerikanischen Geschichte gewinnen. Sie wird nur eine Amtsperiode überstehen und dann wird jemand wie Sanders aufsteigen und mit der Demokratischen Partei tun, was Trump mit den Republikanern getan hat. Wir leben in einer Zeit des Anti-Establishments, der Anti-Globalisierung, der Anti-Political-Correctness - das ist eine Bewegung, die nicht an politische Ideologien gebunden ist. Das ist eine Graswurzelsache, die überall in der westlichen Welt sprießt. Das ist die neue Ausrichtung von Politik, nicht republikanisch oder demokratisch oder liberal oder konservativ." Am liebsten, so Yiannopoulos weiter, hätte er Sanders gegen Trump im Wahlkampf gesehen. "Das ist die Welt, die ich möchte. Ich möchte eine echte Wahl. Ich möchte den echten Sozialismus gegen einen in der Wolle gefärbten heißblütigen Kapitalismus, einen echten Kampf der Ideologien. Ich glaube, die meisten Menschen wollen das. Sie wollen etwas Reales sehen. Trump oder Sanders, da steht etwas auf dem Spiel."

Magazinrundschau vom 11.10.2016 - The Nation

Zoë Carpenter zeichnet ein sehr schönes Porträt der Dichterin und Science-Fiction-Autorin Ursula Le Guin und unterhält sich dafür mit ihr über das Schreiben, den Feminismus, Krieg und das Alter (Le Guin wird am 21. Oktober 87): "Immer eine Autorin 'vom Rand', schreibt Le Guin heute von der Grenze des Lebens. 'Es ist sehr schwer, über das Altsein zu schreiben. Wir haben nicht das Vokabular dafür. So fühlten sich viele Frauen, als sie begriffen, dass ihnen das Vokabular dafür fehlte, über das Frausein zu schreiben', sagt sie. Wir waren in ihrem Wohnzimmer mit seinen bequemen Stühlen und dem Fenster durch das man über einen alten Redwood-Baum hinweg den Mount St. Helens sah. Pard, ihre grünäugige Katze, streckte sich auf einem roten Teppich. Le Guin fühlt sich verpflichtet 'zu versuchen von der Grenze zu berichten', aber es ist sehr schwierig und mysteriös. 'Man erreicht definitiv einen Grenzort. Und Grenzorte sind seltsame Orte.'"

Außerdem: Ian Buruma erfährt sowohl aus John le Carres autobiografischem Erzählungsband "The Pigeon Tunnel: Stories From My Life" als auch aus Adam Sismans Carre-Biografie einiges über die britische Klassengesellschaft und das schwierige Verhältnis le Carres zu seinem Vater, einem hochgestimmten Betrüger, der vom Gefängnis ins Kasino und wieder zurückging und von all seinen Opfern geliebt wurde. Von seinen Söhnen allerdings weniger.

Magazinrundschau vom 06.09.2016 - The Nation

Das Internet ist längst zur "zweiten Natur" und für Künstler zur unendlichen Quelle von Bildern und Techniken geworden, wie könnte also "Post-Internet-Art" aussehen, fragt Barry Schwabsky. Auf der Berlin Biennale findet er keine Antworten, dafür aber bei Thomas Struth im Martin Gropius Bau, der Schwabskys Verständnis von "Natur und Politik" in Frage stellt. Gezeigt werden weder Reflektionen über den Krieg im Nahen Osten, die Krise der Europäischen Union oder den wachsenden Erfolg von populistischen Parteien, noch Bäume, Tiere, Landschaften: "Zwar zeigen einige Bilder in 'Natur und Politik' Landschaften, aufgenommen wurde sie aber in Anaheim, Kalifornien, sie sind Disneyland-Abbilder von Plätzen, die vielleicht irgendwo existieren könnten. Überraschender und auffälliger sind Bilder von Labors und technischen Instituten, wo grundlegende Elemente der Natur untersucht und manipuliert werden. Dies sind die Orte, wo Natur politisch wird und wo das Kapital hinfließt, jedoch ohne, dass es von uns bemerkt wird."

Absolut lesenswert findet der in Stanford lehrende Historiker Richard White ein Buch von Benjamin Madley über den Genozid an den Indianern im Kalifornien der Jahre 1846-1873. Madley interessiert sich vor allem für die institutionelle Basis dieses Völkermords, so White: "Madley behauptet - und das ist der Kern seines Buchs - dass Kaliforniens Regierungsvertreter tatsächlich 'die Hauptarchitekten der Vernichtung' waren und dass sie von der Bundesregierung dazu ermächtigt und finanziell unterstützt wurden. Zusammen schufen Landes- und Bundesbeamte, was Madley als 'Tötungsmaschinerie' beschreibt, bestehend aus amerikanischen Soldaten, kalifornischer Miliz und Freiwilligen sowie aus Sklavenhändlern und Söldnern (sogenannten 'Indianerjägern'), die für Geld dabei waren. Laut Madley 'brauchte es einen nachhaltigen politischen Willen - sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene - um die Gesetze, die Strategien und die gut finanzierte Tötungsmaschinerie zu schaffen, die sicher stellten, dass [dieser Genozid] über Jahrzehnte begangen werden konnte."

Magazinrundschau vom 05.07.2016 - The Nation

Jana Prikryls Essay über Bernd und Hilla Becher liest sich auch deshalb so faszinierend, weil man gewissermaßen zusehen kann, wie sehr sich ihr Werk den Interpretationen widersetzt. Hat es mit der deutschen Vergangenheit zu tun? Ist es konzeptuell? Kalt? Prikryl prüft die Hypothesen und verwirft sie und macht doch ein paar Beobachtungen, die sicher zutreffen: "Von der Melancholie ihres Werks zu sprechen, ist zu einem kritischen Klischee geworden, aber das Gefühl der Verlusts, das man empfindet, wenn man ihre Fotografien betrachtet, ist nicht so sehr eine Trauer um jedes dieser zerstörten Objekte als um den Vorkriegsoptimismus selbst, jenen alten Glauben in monumentale Strutkturen, Programme, politische Lösungen."