Magazinrundschau - Archiv

The Guardian

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Magazinrundschau vom 09.04.2019 - Guardian

Matt Hanson hat jahrelang für Barack Obamas Wahlkämpfe telefonisch Spenden gesammelt. Ein wenig ziellos, aber doch einnehmend erzählt Hanson vom frustrierenden Geschäft des politischen Telemarketing, bei dem Idealismus und Prekariat eine schräge Kombination ergeben: "Ausgebrannte und Gescheiterte sitzen Schulter an Schulter mit den Verkorksten und Abgehängten. Freaks und Geeks wechseln Kleingeld am Automaten. Studenten aus der Ivy League diskutieren über die Feinheiten des Hochschulsports mit Schulabbrechern. Trockene Alkoholiker, aufstrebende Rapper, Schriftsteller, Schauspieler und andere Schwindler kommen hierher, um die ganzen Tag zu reden. Und während die Verfahren für die Auswahl der anvisierten Namen und Nummern immer ausgeklügelter wurden, änderte sich das Manuskript selbst nicht besonders. Sobald die Schicht beginnt, sind alle im Verkaufsmodus. Nie aufhören, ohne einen Deal abzuschließen. Säuselnd Mist erzählen, den Spendern, dem Management, den Kollegen. Fast alle rauchen - man muss sich nur die emotionalen Bedürfnisse von oral fixierten Leuten vorstellen, die gerade mehrere Stunden lang angeschrien wurden - Zigarettenpausen sind eine Kombination aus Genörgel, Reality-TV und Gruppentherapie. Mehr als nur ein paar haben im Gefängnis gesessen, einige von ihnen sind bemerkenswert gute Führungskräfte. Bei dieser Art von Job weiß man nie, ob er einen verrückt macht, oder man verrückt sein muss, um ihn überhaupt anzufangen. Aber über eines darf sich niemand hinwegtäuschen: Die Mehrheit der Anrufer leben von wenig mehr als der Freundlichkeit von Fremden."

Weiteres: Lois Beckett freut sich, dass nun auch eine letzte Bastion der Segregation geschliffen wird: Liebesschmonzetten wurden auf dem amerikanischen Buchmarkt bisher strikt nach Hautfarben getrennt, nun lautet auch dort Diversität die Maxime. Sophie Elmhirst annonciert, dass auch im Influencer-Gewerbe eine neue Stufe gezündet wird. Da die Leute ein bisschen abgegessen sind von den Millionen Mode-Blogs und Makeup-Tutorials, setze die Branche wieder auf Klasse statt Masse: "Phase eins war hyperaktive Expansion - Follower-Zahlen hochpumpen, den Instagram-Algorithmus beherrschen, Deals einfahren. In Phase zwei geht es, wie Insider sagen, um Authentizität."

Magazinrundschau vom 26.03.2019 - Guardian

In einem sehr schönen Text gibt Andrew Dickson Einblick in das stets geheimnisumwitterte Gewerbe der Kunstverfrachtung. Er erzählt von Kustoden, Archivaren und Künstlern, die als Transporteure arbeiten, um ihre Rechnungen zu bezahlen, von dem erhabenen Moment, einen Caravaggio auszupacken, und von den profaneren Verhandlungen um Leihgebühren, Versicherungen, Transport und Logistik: "Ein Archivar erzählt von den Zwängen, die mit der Organisation großer Leihgaben einhergehen. 'Es gibt tonnenweise quid pro quo, viel riskantes Spiel', sagte er. Leihgaben werden zu Verhandlungsmasse: 'Natürlich geben wir Ihnen unseren Gauguin gern, aber haben Sie eigentlich unseren Brief wegen des Tizians erhalten...? Verhandlungen können sich über Jahre hinziehen. Obwohl die Sprache sehr freundlich klingt ('Leihgaben', 'mit freundlicher Genehmigung'), können sich die Rivalitäten bitter gestalten und erinnern an den Verkauf von Spitzenfußballern unter Erstligaclubs. Ein großes internationales Museum wie das Moma in New York, mit seinem Einfluss, seiner Ausstattung und seiner Sammlung, kann enormen Druck ausüben, aber auch eine kleine Galerie mit einem Meisterwerk kann über seiner Gewichtsklasse boxen, wenn es geschickt kämpft. Selbst wenn Leihgaben prinzipiell verabredet sind, steht das richtige Feilschen erst noch bevor. Wie wird die Kunst verschickt, und wann? Wer zahlt die Versicherung und die Frachtgebühr (üblicherweise der Leihnehmer). Müssen Vitrinen gebaut werden? Was für Sicherheitssysteme werden eingerichtet - stoßsicheres Glas, Alarmanlagen, Wächter? Wie steht es mit Temperatur und Feuchtigkeit? Oft, erklärt der Archivar, werden die Schlachten auch intern geschlagen, zwischen Kuratoren und Konservatoren. 'Sobald ein Tafelbild aus dem Florenz des 14. Jahrhunderts zu zerbrechlich ist, um zu reisen, dann will es garantiert ein Kurator irgendwo auf der Welt haben.' Er lachte. 'In dem Moment, wo man es etwas ausstellt, ist es in Gefahr. Andererseits, wenn man auf mich hörte, würden wir überhaupt nichts ausstellen.'"

Magazinrundschau vom 19.03.2019 - Guardian

Englisch ist in vielen afrikanischen Ländern zur ersten Sprache geworden, es hat Konflikte unter Ethnien befriedet und Akademikern, Unternehmen und Literaten auf dem globalen Markt einen enormen Vorteil verschafft. In Nigeria ist die Sprache der Igbo - anders als die der Yoruba und der Haussa - inzwischen fast verschwunden. Adaobi Tricia Nwaubani erzählt, wie ihre Muttersprache auch in einem wahnsinnigen Wettstreit um Prestige unter die Räder geriet: "Ein ewiges Problem unter den Igbo im Südwesten Nigerias ist der Kampf zwischen Gehirn und Geldbörse. In ganz Nigeria erkennt man die Igbo an ihrem Unternehmergeist und Geschäftssinn. Von vorkolonialen Zeiten bis heute waren die erfolgreichen Händler des Landes Igbo. Viele begannen als Lehrling und arbeiteten sich hoch, ohne zur Schule zu gehen. Die Igbo sind auch bekannt für Protz und Extravaganz - wer Geld hat, kann es nicht verschweigen ... Der schwelende Konflikt zwischen denen mit Diplomen und denen mit Dollar brach in den neunziger Jahren an die Oberfläche, als die nigerianische Wirtschaft einstürzte. Auf einmal heirateten selbst gebildete Frauen bereitwillig einen Mann, der die Verantwortung für das Wohl ihrer Eltern und ihrer Geschwister übernahm. Ob er Englisch sprechen konnte, lesen oder schreiben war nebensächlich geworden. Zur gleichen Zeit kamen eine große Zahl von ungebildeten, aber verwegenen Igbo zu Geld und in Verruf, indem sie Westler um Millionen betrugen, die als 419er bekannten Gaunereien. Auf einmal trafen gebildete Männer, Professoren und Ingenieure bei Gemeindetreffen auf offene Verachtung: 'Danke für Ihre Worte, aber wie viel Geld werden Sie beitragen?', wurden sie gefragt. 'Wir sind nicht hier, um Englisch zu essen.' 419er konterten, wenn man sich über ihr inkorrekes Englisch oder ihre falsche Aussprache lustig machten: 'Ihr kennt die Marken, wir besitzen die Autos.'"

Weiteres: David Treuer erkundet, ob die indianischen Communities in den USA von der Marihuana-Freigabe besser profitieren können als von ihren Spielcasinos: "Die Gewinne stiegen von 100 Millionen Dollar im Jahr 1980 auf 26 Milliarden 2009 - mehr als Las Vegas und Atlantic City zusammen. Trotz des Geldsegens haben die Casinos wenig für die meisten Indianer geändert. Das ist schließlich Amerika. Wie alle Wege zum Reichtum privilegieren auch die Casinos die Wenigen und lassen die Mehrheit außen vor. In Tulalip zeigen sich allerdings Anzeichen eines dritten Weges." In einem weiteren Vorabdruck erklärt Frans de Waal, was wir von Tieren lernen können.

Magazinrundschau vom 12.03.2019 - Guardian

Peter Beinart widerspricht vehement der Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus. Zum einen hängt er selbst an der Idee, dass sich Israel als Nation republikanisch verfassen sollte und nicht ethnisch oder religiös. Zum anderen hält er das Argument schlichtweg für falsch, dass beide Animositäten deckungsgleich seien. Beinart kennt zum Beispiel etliche Antisemiten, die zugleich eingeschworene Zionisten sind, wie Pat Robertson oder Glenn Beck. "2016 untersuchte die Anti Defamation League antisemitische Tendenzen, indem sie Amerikaner fragte, ob sie Aussagen zustimmten wie 'Juden habe zu viel Macht' oder 'Juden interessieren sich nur für ihre eigenen Belange'. Die Studie ergab, dass Antisemitismus unter Älteren und Ungebildeten am stärksten ist und hielt fest: 'Die gut ausgebildeten Amerikaner sind erstaunlich frei von Vorurteilen, während die weniger Gebildeten eher antisemitische Ansichten hegten. Das Alter ist ebenfalls ein Hinweis auf antisemitische Tendenzen. Jüngere Amerikaner unter 39 sind bemerkenswert frei von Vorurteilen.' 2018 ergab dagegen eine Studie des Pew Research Centers, die amerikanische Einstellungen gegenüber Israel untersuchte, genau das umgekehrte Bild: Amerikaner über 65 zeigten am meisten Sympathien für Israel. Dagegen ließen Amerikaner unter 30, die laut ADL am wenigsten antisemitisch waren, die geringste Sympathie für Israel erkennen. Amerikaner mit High-School-Abschluss oder weniger waren am stärksten pro-Israel. Amerikaner mit höheren Abschlüssen waren es am wenigsten. Statistiken sind nie wasserdicht. Aber sie bestätigen, was Progressive und Konservativen gleichermaßen wissen: Junge Linke sind besonders universalistisch. Sie lehnen jeder Form von exklusivem Nationalismus ab. Dieser Universalismus macht sie extrem misstrauisch gegenüber dem Zionismus wie auch dem weißen christlichen Nationalismus, der in den USA manchmal in Antisemitismus überblendet."

Magazinrundschau vom 05.03.2019 - Guardian

Dave Eggers hat sich in El Paso parallel die Auftritte Donald Trumps und seines demokratischen Herausforderer Beto O'Rourke angesehen, und Eggers hat ganz schlechte Neuigkeiten: Trump schlägt O'Rourke um Längen: "Die Rede war wie all seine Reden hypnotisierend. Es gibt nichts, was er nicht sagen würde, wenn er also frei redet, kann man einfach nicht aufhören, ihm zuzuhören. Er preist sich selbst dafür, dass er nicht nur Gefangene aus Nordkorea befreit hat, sondern sogar sterbliche Überreste zurückgebracht hat: 'Überreste kommen zurück. Überreste!' Er sagt gar nicht, wessen. Er hackt auf Abtreibungen in den letzten drei Monaten herum, und behauptet vor dem Publikum, dass die Demokraten auch für das Töten von Babys nach der Geburt sind. Die Menge buhte lauter als über alles andere an diesem Abend. Er rühmt den Sicherheitsapparat, besonders die Einwanderungsbehörde, und dann sagt er, dass Hightech im Kampf gegen illegale Einwanderung gut sei, aber 'nichts besser als ein Deutscher Schäferhund'. Und so lachhaft diese Einzelheiten aus dem Kontext gerissen erscheinen - als ich die Rede vor dieser wirklich ganz normalen und gemischten Gruppe von Menschen sah, wurde mir klar, dass Trump ohne Schwierigkeiten wiedergewählt werden könnte. Jüngste Umfragen haben ergeben, dass ganze 58 Prozent geschworen haben, nur nicht für Trump zu stimmen, aber selbst bei all den Verrücktheiten seiner Rede, und dem unendlichen Chaos seiner ersten beiden Jahre im Weißen Haus, brachte er Belege dafür, dass er tatsächlich Dinge erreicht hat, die für seine Anhänger wichtig sind. Er erklärte, dass die Arbeitslosigkeit unter Hispanics auf einem historischen Tief sei, und das stimmt. Er erklärte, dass Arbeitslosigkeit unter schwarzen Arbeiter auf einem Allzeit-Tief sei, und das stimmt. Wir sehen in Trump nur den rassistischen Clown und eine Bedrohung für alle demokratischen Prinzipien, aber seine Anhänger sehen in ihm den Mann, der Dinge geregelt bekommt, der offen spricht und der einen wirtschaftlichen Aufschwung steuert, der die Welt neidisch macht."

Magazinrundschau vom 05.02.2019 - Guardian

Die neuen superhohen, superdünnen Wolkenkratzer für Superreiche verändern gerade schlagartig New Yorks Skyline. Oliver Wainwrigt vergleicht den Schub mit anderen Phasen der Architekturgeschichte, in denen technologischer Fortschritt und immenser Wohlstand zu neuen Gebäudetypen führten - als etwa die Römer begannen, mit Beton zu bauen, das viktorianische England mit Stahl und die Amerikaner Aufzüge einsetzten: "Diese Wolkenkratzer sind jedoch nicht nur die Folge einer neuen Konstruktionstechnologie und eines globalen Übermaßes an superreichen Käufern, sie sind auch die Folge einer Zonierungspolitik, die Developern erlaubt, ungenutzten Luftraum zu erwerben, seinem eigenen Grundstück zuzuschlagen und ein riesiges Gebilde darauf zu setzen, ohne dass irgendein öffentliches Verfahren dazu stattfindet. Das Gesicht New Yorks ändert sich in einer seit Jahrzehnten ungesehenen Geschwindigkeit und die Geschäfte, die das vorantreiben, finden hinter verschlossenen Türen statt. Die Ergebnisse reichen von sublim bis subtil, oder sogar beides zusammen. 432 Park Avenue ist ein surreales Kantrohr aus weißem Beton, das zweimal so hoch wie alles um sich herum emporzuschießen scheint, mit seinem endlosen rechtwinklingen Raster aus Fenstern, das Welten aus soliden Marmorbadewannen und klimatisierten Weinkellern umschließt. Es ist der eleganteste der neuen Türme und erinnert an die minimalistischen Skulturen Sol LeWitts, auch wenn Architekt Raphael Viñoly behauptet, er sei von einem Mülleimer inspiriert worden. Er kann eindeutig Müll in Gold verwandeln, das Penthouse wurde für 95 Millionen Dollar verkauft. Es ist das höchste Wohnhaus der Welt, wird es aber nicht lange bleiben. Neben ihm wächst bereits der wuchtige Rumpf des Central Park Tower, ein großer gläsener Hüne, und wird ihm in Kürze die Krone der schwindelerregendsten Residenz auf dem Planeten abnehmen."

Magazinrundschau vom 11.12.2018 - Guardian

Im Guardian schildern Louisa Lim und Julia Bergin, in welchem Umfang China internationale Medienunternehmen ankauft, ausländische Journalisten anwirbt, ausbildet, bezahlt oder auf "Studienreisen" schickt, um seine weltweite Propagandakampagne zu verfolgen. Auch durch finanzierte Werbeprospekte und Einlagen (etwa in der Washington Post oder der New York Times), gesponserte Berichterstattung oder das Einspeisen von Inhalten des staatlichen Radiosenders CRI in andere Rundfunkanstalten quer über den Globus, von Australien bis in die Türkei, soll "Chinas Geschichte gut erzählt" werden. Als "Testfeld" für die internationale Expansion der chinesischen Unternehmen fungiert dabei Afrika, wo mit CCTV Africa und 6,6 Milliarden Dollar ein Ableger des chinesischen Staatsfernsehens aufgebaut wurde, der lokalen Journalisten redaktionelle Unabhängigkeit und die Chance versprach, afrikanische Geschichte aus "ihrer Perspektive" zu erzählen, so Lim und Bergin: "Vivien Marsh, Wissenschaftlerin an der University of Westminster, die die Berichterstattung von CCTV Africa untersucht hat, ist solchen Behauptungen gegenüber skeptisch. Bei der Analyse der Berichterstattung von CCTV über den Ebola-Ausbruch von 2014 in Westafrika stellte Marsh fest, dass 17 Prozent der Ebola-Geschichten China erwähnten, dabei im Allgemeinen dessen Rolle bei der Bereitstellung von Ärzten und medizinischer Hilfe betonten. 'Sie haben versucht, gute Arbeit zu machen, sagt Marsh, aber sie haben ihre journalistische Glaubwürdigkeit in meinen Augen verloren, als sie China als gütigen Elternteil darstellten.' Weit davon entfernt, die Geschichte Afrikas zu erzählen, schien es das vorrangige Ziel zu sein, chinesische Macht, Großzügigkeit und zentrale Bedeutung für globale Angelegenheiten zu betonen. (Neben dem englischsprachigen Kanal verfügt CGTN nun auch über spanische, französische, arabische und russische Kanäle.) In den letzten sechs Jahren hat CGTN seine Reichweite in Afrika stetig ausgebaut. Es wird in den Fernsehern auf den Fluren der Macht der Afrikanischen Union, in Addis Abeba gezeigt und dank StarTimes, einem chinesischen Medienunternehmen mit starker Bindung an den Staat, kostenlos in tausenden ländlichen Dörfern in verschiedenen afrikanischen Ländern ausgestrahlt - darunter Ruanda und Ghana. Die günstigsten Pakete von StarTimes bündeln chinesische und afrikanische Kanäle, während der Zugang zur BBC oder zu al-Jazeera mehr kostet und somit die Möglichkeiten der meisten Zuschauer übersteigt."

Magazinrundschau vom 27.11.2018 - Guardian

Als Fahrerin für Lyft in Los Angeles wurde Sarah Mason von den Passagier-Ratings ziemlich auf Trab gehalten. Erst setzte sie auf Tempo, nettes Auftreten und Schokoriegel, um im Ranking der Lyft-App aufzusteigen, dann wollte sie den Power Driver Bonus, schließlich bekam sie von Lyft immer härtere "Challenges" vorgeschlagen: Gefährliche Fahrten, spät nachts, mit betrunkenen Passagieren. Da erkannte Mason, dass diese Spiele, Wettbewerbe oder Turniere dazu dienen, die Fahrer bei der Stange zu halten: "Verhaltensforscher und Videospiel-Designer wissen genau, dass Aufgaben schneller und mit mehr Enthusiasmus erledigt werden, wenn man sie als einen Schritt auf dem Weg zu einem größeren feststehenden Ziel entwirft. Das Lyft-o-Meter läuft die ganze Zeit und zeigt einem immer, wie man gerade im Ranking steht, wie viele Fahrten man geschafft hat und wie weit man noch gehen muss, um sein Ziel zu erreichen. Die Gestaltung der Arbeit als Wettlauf soll die Fahrer einerseits dazu bewegen, dort und dann zur Stelle zu sein, wo die Nachfrage am größten ist, andererseits überhaupt am Ball zu bleiben. Laut Zahlen von Uber hören fünfzig Prozent aller Fahrer innerhalb von zwei Monaten auf, die App zu benutzen, und ein Bericht des  Institute of Transportation an der University of California in Davis legt nahe, dass nur vier Prozent aller Fahrer länger als ein Jahr dabeibleiben. Das ist das größte Problem der Branche, denn ihre Ökonomie ist miserabel. Es lässt sich nicht genau feststellen, wie viel die Fahrer verdienen, aber Untersuchungen vom Economic Policy Institute und vom MIT kommen darin überein, dass ein Fahrer im Durchschnitt zwischen 9,21 Dollar und 10,87 Dollar die Stunde verdient. In den meisten größeren Städten der USA verdienen die Fahrer also weniger als den Mindestlohn. Laut einem internen Uber-Papier, das der NY Times zugespielt wurde, sieht Uber in McDonalds den größten Konkurrenten beim Wettbewerb um neue Fahrer."

James McAuley rekonstruiert en detail den Mord an der Jüdin Sarah Halimi in Paris, der in der französischen Debatte über den Antisemitismus einen Wendepunkt markierte und aus dem McAuley einen Beweis gegen den französischen Republikanismus zu stricken versucht.

Magazinrundschau vom 13.11.2018 - Guardian

Purdue Pharma konnte mit seinem Schmerzmittel OxyContin Millionen von Amerikaner opioidabhängig machen, weil der Konzern sich vorher den Weg hat ebnen lassen. Chris McGeal rekapituliert, wie Ideologen und Pharmalobbyisten in den neunziger Jahren mit zweifelhaften Erkenntnissen Stimmung ("Schmerzfreiheit ist ein Menschenrecht!", Opioide machen nur "pseudo-süchtig") und dann die Behörden zu ihren Erfüllungsgehilfen machten: Die Joint Commission for Accreditation of Healthcare Organizations, deren Gütesiegel Krankenhäusern Zugang zu Bundesgeldern gewährt, gab 2001 vor, mit einer bunten Smiley-Skala von eins bis zehn jeden Patienten über seinen Schmerzlevel zu befragen. Bei fünf - ein neutraler, gelber Smiley mit dem Attribut "sehr quälend" - musste ein Patient sofort in eine Schmerzberatung überwiesen werden. Den Rest erledigten Konformismus, Systemzwang und die Patienten, die nach einer einfachen Lösung verlangten: "Krankenversicherer steigerten den Druck auf Ärzte, dem Weg des geringsten Widerstands zu folgen. Sie kürzten die Beratungszeit und Gelder für kostspieligere Formen der Schmerzbehandlung zugunsten des direkten Ansatzes: Drogen. Die Joint Commission wollte zudem sicherstellen, dass ihr Edikt zur Schmerztherapie befolgt wurde. Es brauchte einen entschlossenen Arzt, um jetzt noch dem Druck zu widerstehen, einfach ein Rezept auszustellen. Ärzte konnten entweder eine halbe Stunde darauf verwenden, eine Patienten zu mehr Verantwortung für seine Gesundheit zu drängen - gesünder essen, weniger Alkohol, mehr Sport, Stress abbauen -, aber sie würden nur erleben, wie ihre unzufriedenen Patienten hinterher in der Bewertung ihrem Ärger Luft machten und ihre Vorgesetzten ihnen einen Standpauke hielten. Oder sie konnten ihren Patienten schnell die Pille geben, die sie haben wollten, und eine volle Punktzahl erlangen."

Magazinrundschau vom 23.10.2018 - Guardian

Meritokratie verspricht, dass jeder das verdient, was ihm zukommt: Intelligenz + Talent = Verdienst. In einer Hommage auf den britischen Sozialreformer Michael Young erklärt Kwame Anthony Appiah allerdings, dass meritokratische Systeme Ungleichheiten sogar erhöhen, schon weil sie die Gewinner von Scham und Vorwurf freisprechen. Und weil Eltern nunmal ihren Kindern einen klitzekleinen Startvorteil verschaffen möchten oder wenigstens einen unglücklichen Nachteil ausgleichen: "In den USA erhöhte sich das Einkommen der obersten fünf Prozent zwischen 1979 und 2013 um vier Billionen Dollar - um eine Billion mehr als für den ganzen Rest. Als der erleichterte Zugang zu Hochschulen in den USA und Britannien eingeführt wurde, hielt man dies für einen großen Gleichmacher. Aber einige Generationen später sehen wir, dass die höhere Bildung die Menschen noch stärker klassifiziert. Ökonomischen Studien zufolge nehmen viele amerikanische Elite-Universitäten - darunter Brown, Dartmouth, Penn, Princeton und Yale - mehr Studenten von den obersten ein Prozent als von den unteren sechzig Prozent. An einer dieser Unis anzufangen, würde jedoch enorm dabei helfen, eine Position zu ergattern, die Wohlstand, Macht und Privilegien verheißt. 'Die amerikanische Meritokratie', sagt der Yale-Jurist Daniel Markovits, 'ist genau zu dem geworden, was sie eigentlich bekämpfen wollte: ein Mechanismus für die dynastische Weitergabe von Wohlstand und Privilegien." Das Problem liegt aber nicht daran, dass das System nicht meritokratisch genug ist, lernt Appiah von Young, auch nicht in der Art, wie Vergünstigungen verteilt werden, sondern in den Vergünstigungen selbst: "Ein Klassensystem, das sich meritokratisch filtert, bleibt ein Klassensystem."