Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.07.2005. Im Espresso erklärt Umberto Eco, wie Priester die Katholiken vom Fundamentalismus abhalten. Outlook India erklärt den Briten, warum es keine britischen Asiaten gibt. Ozon grübelt über Tony Blair. Im Spiegel ärgert sich Ian McEwan über die Selbstgefälligkeit der Gegner des Irakkriegs. Der Spectator zeichnet die kommunistische Karriere des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare nach. Im Nouvel Obs erklärt der Ethnologe Philippe Descola, was wir von den Jivaro lernen können. Das TLS stellt den Wittgenstein der Musikgeschichte vor. Das ES-Magazin feiert den Siebenbürger Schriftsteller Jehan Calvus. Im New York Times Magazine muss sich Michael Ignatieff von iranischen Studentinnen über die Universalität der Menschenrechte aufklären lassen.
Espresso (Italien), 21.07.2005

Outlook India (Indien), 25.07.2005

Der indische Premierminister Manmohan Singh hat sich mit einem Akt "selbstmörderischer politischer Unkorrektheit" ins Fettnäpfchen gesetzt: Als ihm am 8. Juli die Ehrendoktorwürde der Oxford University verliehen wurde, lobte er in seiner Dankesrede ausgiebig die Segnungen der britischen Kolonialherrschaft und löste damit einen mittleren Historikerstreit aus. Sheela Reddy stellt die Argumente gegenüber.
Gazeta Wyborcza (Polen), 16.07.2005

Economist (UK), 18.07.2005

Weiterhin berichtet der Economist über die Reaktionen im Ausland. Nachdem zwei der drei im Irak involvierten "Bs" - Bush, Blair und Berlusconi - von Terrorattentaten heimgesucht wurden, glaube sich nun auch Rom im Visier der Terroristen, und rüste auf. Auch in den USA reagiert man laut Economist mit erhöhter Anspannung auf die Attentate. Denn einerseits habe es seit dem 11. September keine nennenswerten Attentate auf dem amerikanischen Boden gegeben, doch andererseits könnte es sich dabei lediglich um die Ruhe vor einem Sturm katastrophalen Ausmaßes handeln.
Außerdem zu lesen: Zunächst ein verspielter Nachruf auf den englischen Dichter und Theaterautor Christopher Fry. Dann sieht der Economist sich genötigt, eine Art Nachruf auf einen Nachruf zu schreiben. In seiner Würdigung des südafrikanischen Arztes Hamilton Naki (siehe die Magazinrundschau vom 14. Juni) ist er einer beschönigenden (und in seinen Augen geschmacklosen) Legende der Post-Apartheid aufgesessen. In weitaus bessere Laune hat den Economist Lucy Kellaways Business-Satire "Martin Lukes: Who Moved My BlackBerry?" versetzt.
Und schließlich: Besorgt schaut der Economist nach Amerika, wo das Prinzip der Meritokratie sich insofern zu verselbstständigen beginnt, als es zunehmend zur dynastischen Machterhaltung der Eliten beiträgt. Wie sich die USA vom Melting Pot zur Zentrifuge wandeln, erläutert im Einzelnen das Dossier.
London Review of Books (UK), 21.07.2005

Weitere Artikel: Enttäuscht stellt Tim Parks fest, dass Daniel Picks Versuch, Garibaldis zwanghafte Faszination für Rom psychohistorisch zu begründen ("Rome or Death: The Obsessions of General Garibaldi"), zum historiografischen Gemeinplatz gerät: Wie schon unter seinen Zeitgenossen werde Garibaldi von Pick einerseits als nationaler Held gefeiert und andererseits politisch nicht ernstgenommen. Sicher hat James Meek schon in früheren Werken das Seltsame zelebriert, schreibt Michael Wood. Doch die nüchterne Art von Seltsamkeit, die bei der Lektüre von "The People's Act of Love" - die Geschichte einer revolutionären tschechischen Kastraten-Gemeinschaft in Sibirien - zutage tritt, hat Wood völlig unvorbereitet getroffen. John Sturrock warnt die britische Regierung davor, die Londoner Bombenattentate als Vorwand zu einer noch strikteren Einwanderungspolitik zu benutzen. Und Peter Campbell stellt ein Potpourri von Londoner Ausstellungen zusammen, die zeigen, wie Architekten denken.
New Yorker (USA), 25.07.2005

Weitere Artikel: James Wood stellt den Schriftsteller Cormac McCarthy vor, dessen literarische Qualitäten sehr unterschiedlich beurteilt würden; ein Umstand, den sein neuer Roman "No Country for Old Men" (Knopf) noch verstärken werde: das Buch sei ein "bedeutungsloser, einfach runtergeschriebener" Thriller. Joan Acocella bespricht den Roman "Beyond Black" der britischen Schriftstellerin Hilary Mantel. Und die Kurzbesprechungen widmen sich zwei Büchern über J. Robert Oppenheimer: einer "beachtlichen" Biografie und einer Studie, die sich mit den Befragungsprotokollen des Physikers durch das FBI befasst. Anthony Lane sah im Kino "Charlie and the Chocolate Factory" von Tim Burton nach einem Buch von Roald Dahl und "Wedding Crashers" von David Dobkin. Ausnahmsweise einmal online ist auch die Erzählung: "Awaiting Orders" von Tobias Wolff.
Nur in der Printausgabe: ein Artikel über die theologischen Schriften des neuen Papstes, eine Reportage über die Sicherheitskommandozentrale New Yorks, eine Bericht über Lychees, die aus irgendeinem Grund nur "trotzdem" gesund sein sollen, und Lyrik von Billy Collins und William Logan.
Elet es Irodalom (Ungarn), 15.07.2005

Der Literaturwissenschaftler Laszlo Bedecs feiert den neuen Roman, "Bumgartesz", von Jehan Calvus, ein aus dem multiethnischen Siebenbürgen stammender, in Wien lebender Autor. Auf den Spuren von Jorge Luis Borges schrieb Calvus "einen Roman in essayistischer Form über die Suche nach der idealen Sprache". Der Rezensent verlor sich sichtlich gern im Labyrinth der Assoziationen "von den Ateliers der mittelalterlichen Malerei zu den Bahnhöfen der Zukunft", denn "in diesem umfangreichen und dichten Textgefüge wird in einer ironischen Art und Weise kein Satz zu Ende geschrieben, kein Gedanke zu Ende gedacht, keine Frage endgültig gestellt. ... Die Bilder des Romans beschwören die bunte, überfüllte, fast surreale Welt der Filme von Peter Greenaway herauf, die ganzseitigen Grafiken, Kalligrafien, und Marionettenfotos fordern den sinnierenden, essayistischen, gleichzeitig spielerischen und ironischen Text heraus."
Ozon (Polen), 14.07.2005

In Polen macht eine neue Art von Kulturtouristik Furore - berichtet Cezary Polak. Statt wie früher auf den Spuren Sienkiewicz' durch das Land zu reisen, fährt der moderne Kulturfan in die Plattenbauvierteln von Wejherowo, wo Dorota Maslowskas vielgepriesenes Debüt "Schneeweiß und Russenrot" spielt.
Spiegel (Deutschland), 18.07.2005

Nur im Print: Islamischer Terror basiert auf dem Koran, behauptet Leon de Winter in einem Essay.
Spectator (UK), 16.07.2005

Die jämmerliche Wohnungssituation der Briten, ausgelöst durch die restriktive Baupolitik der Regierung, verdammt James O'Shaughnessy mit biblisch anmutendem Furor. "Unser sowjetmäßiges Planungssystem hat dafür gesorgt, dass auch der Standard des Architekturdesigns gelitten hat. Tag für Tag sind wir mit den verfaulten Früchten des sozialen Wohnungsbaus aus der Nachkriegszeit konfrontiert, aber ein System, das den Nachschub begrenzt, lässt auch Design und Innovation verkümmern. Die unbefriedigte Nachfrage hat einen derart hohen Stand erreicht, dass alles verkauft wird, was gebaut wird. Die rein körperliche Notwendigkeit, ein Dach über dem Kopf zu haben, verdrängt die Gestaltungsfrage auf einen abgeschlagenen zweiten Platz. Einige der Neubauten im Thames Gateway Entwicklungsgebiet - angekündigt als großes Projekt des Wohnungsbaus - sind wenig mehr als Fertig-Hasenställe mit Legoland-Elementen. Keine Häuser für Helden, sondern Hütten für Verlierer."
Was die Attentäter von London getrieben hat, weiß Boris Johnson nicht. Aber einen Fehler hat auch der Westen gemacht, findet er: Der Versuch, den Irakkrieg als Krieg gegen den Terror auszugeben. "Für den paranoiden muslimischen Verstand legt der propagandahafte Begriff 'Krieg gegen den Terror' - sofern er auf den Irak gemünzt ist - nahe, dass dieser Krieg in Wirklichkeit um etwas anderes ging: um Öl, um Erniedrigung und Beherrschung der islamischen Welt. Und weil sie keinen Unterschied machen zwischen Religion und Politik, scheint der Schwindel vom 'Krieg gegen den Terror' einen unerklärten Krieg gegen den Islam zu implizieren. Das war ein Eindruck, den weder Bush noch Blair je wirklich korrigiert haben. Wenn das Projekt der Neocons Demokratie für den Mittleren Osten, Starbucks und Führerscheine für Frauen bedeutet, dann bin ich ein begeisterter Neocon. Nur sprecht nicht von Krieg."
Nouvel Observateur (Frankreich), 14.07.2005

In einem Artikel beschreibt Aude Lancelin das intellektuelle und literarische Netzwerk, mit dem sich der französische Premierminister Dominque de Villepin umgibt. Es reicht von Bernard-Henri Levy über die Schriftsteller Maurice Druon, Francois Nourissier, Jean-Christophe Rufin, Daniel Rondeau und den ehemaligen Chefredakteur von Le Monde Edwy Plenel. Etwas despektierlich schreibt Lancelin, das Image des dichtenden Präsidenten hinterlasse bei ihm den "unauslöschlichen Eindruck von einem Kitschästheten, der jederzeit imstande ist, vor Gewerkschaftern seinen Lautreamont zu schwingen".
Und wer will, kann auch in diesem Jahr dieses absolut demoralisierende Sommer-Quiz zur französischen Sprache machen. Immerhin: Die Auflösung befinden sich im gleichen Heft.
Times Literary Supplement (UK), 15.07.2005

Benjamin Markovits quittiert die Geschichte des wegen eines unsauberen Berichts gefeuerten New-York-Times-Reporters Michael Finkel, der später herausfand, dass sich ein gesuchter Mörder unter seinem Namen in Mexiko versteckte, mit dem Witz: "Wenn ein Mann erst einmal anfängt zu morden, dann dauert es nicht lange, bis er auch Raub nicht so schlimm findet. Und vom Raub ist es nicht weit zum Trinken und dem Brechen des Sabbaths. Und dann fehlt nicht mehr viel zur Unhöflichkeit und Unpünktlichkeit."
Weitere Artikel: Eine tolle Geschichte erzählt Lorna Gibb mit ihrer Biografie der Lady Hester Stanhope, berichtet Annette Kobak: Die sehr geistreiche, etwas wahnsinnige Dame, ritt 1806 in den Libanon, wo sie sich in einem verlassenen Bergkloster niederließ und dort bis zu ihrem Tod 1839 als "Königin der Wüste" über ihr kleines Reich herrschte. Jonathan Keates meditiert über veraltete Reiseführer und die Ungeduld des Weltenlaufs. Außerdem präsentiert das TLS englische Übertragungen des jüngst entdeckten Sappho-Gedichts.
HVG (Ungarn), 13.07.2005

New York Times (USA), 17.07.2005

John Hodgman stellt eine Science-fiction-Serie vor, die das konservative Genre mit weltlichen Bezügen auf den Kopf stellt. In der Neuauflage der Siebziger-Serie Kampfstern Galactica sind die Bösen wunderschön und gläubig, und die Guten betrügen, wo es nur geht. "Die meisten der teuflischen Cylonen sehen aus wie Menschen und haben Gott gefunden. Skrupellos prinzipientreu und tiefreligiös, werden die Cylonen von Fans sowohl mit Al Qaida als auch der evangelischen Rechten verglichen. Und die Menschen, denen sie unermüdlich nachstellen, sind fehlbar und komplex. Ihre Shirts sind nicht hauteng oder farblich codiert; Weltraumreisende tragen Krawatte."
Weiteres: Im Aufmacher rät Matt Bai den Demokraten, ihre Themen wie die Republikaner als Geschichten zu verpacken. Und Christopher Caldwell sinniert im Zusammenhang mit Datensammlern wie Amazon darüber, ob die Freiheit letztlich gegen die Bequemlichkeit verliert.

In der New York Times Book Review: Paul Gray vermisst in John Irvings neuem Roman "Until I Find You" (erstes Kapitel) die Konflikte und damit auch das Leben: "Nichts fordert Jack Burns heraus oder verwundert ihn, keine schicksalsträchtigen Entscheidungen prüfen seine Seele oder scheuern sie auf." Vom platten ersten Satz noch abgeschreckt, hat David Carr in John Dickers "The United States of Wal Mart" dann doch ein "nuanciertes" Porträt des Konsumgiganten vorgefunden, der mit seinem Umsatz von 288 Milliarden Dollar mehr Geld bewegt als viele Staaten. William F. Buckley Jr. hat seine 1976 begonnene Reihe rund um den Superspion Blackford Oakes nun abgeschlossen, und Charlie Rubin preist "Last Call for Blackford Oates" (erstes Kapitel) als würdiges Finale und einen der besten Bände der Serie. Fantastisch findet Lou Cannon, wie Laurence Leamer in seiner Biografie "Fantastic" Arnold Schwarzeneggers siegreiche Kampagne um den Gouverneursposten in Kalifornien beschreibt, die ausführliche Schilderung der Bodybuilderzeit gefällt ihm weniger gut (erstes Kapitel).