Im Kino

Verfolgende Unschuld

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
19.04.2007. Mark Wahlberg entfacht in "Shooter" einen Guerillakrieg im amerikanischen Herzland. In "Slumming" werden der reiche Schnösel August Diehl und der dichtender Penner Paulus Manker in und um Wien zu besseren Menschen.
Präzisionswaffen und Gartenzwerge: Antoine Fuquas "Shooter" und Michael Glawoggers "Slumming"

"Shooter" ist kein Ego-Shooter-Film, aber einen Helden, der viel ballert, und zwar auf mehr oder weniger alles, was sich bewegt, und auch noch trifft, und zwar zentimetergenau aus weitester Entfernung, einen solchen Ego-Shooter-förmigen Helden, den gibt es durchaus. Sein Name ist Bob Lee Swagger ("to swagger": schwadronieren, einherstolzieren), gespielt wird er von Mark Wahlberg, der zuletzt im Oscar-nominierten "Departed" die Kritik heftig damit beeindruckte, dass er rekordverdächtig oft "fuck" sagte. In "Shooter" spricht er nicht viel, denn er ist eher so etwas wie eine Präzisionswaffe in menschlicher Gestalt.

Mitten in Afrika beginnt der Film und legt sich so eine politische Vorgeschichte zu. Die Kamera fliegt, wie von allen Zwängen von Technik und Schwerkraft gelöst, durch eine zunächst menschenleere Landschaft mit Bergen und Fluss. Sie scheint körperlos, sie ist selbst, vor dem ersten Gewehrschuss des Schützen noch, eine Kugel auf dem Weg zu ihrem Ziel. Sie nimmt uns, als Ego-Shooter des Films, an die Hand, sie lässt uns fliegend blicken und blickend fliegen und landet nach einiger Zeit und einem Beinahe-Aufprall auf einen steilen Felsen, beim Gewehr und beim Körper und im tarnfarben verschmierten Gesicht des Titel-Helden Bob Lee Swagger. Es beginnt die Aktion: Es ist Krieg, Swagger ballert und trifft.

Dann ist der Krieg vorbei, Swagger zurück im Zivilleben, fühlt sich im Stich gelassen, sitzt mit seinem Hund verbittert in den Bergen. Eine Delegation sucht ihn auf, als Experten fürs Scharf- und Weitschießen. Ein Attentat auf den Präsidenten ist geplant, von Swagger als Experten möchte man wissen, wo und wie die Täter es anstellen könnten. Swagger mag den Präsidenten zwar nicht, folgt aber, wenn die Nation ihn ruft. Am Ende steht er freilich als Betrogener da, wird von aller Welt als Attentäter gejagt, der er natürlich nicht ist.

Das erst, die Verfolgung des Unschuldigen durch Regierungsinstitutionen, ist die durch Krieg und Betrug doppelt gerahmte Ausgangssituation, die "Shooter" gesucht hat. Was der Film nämlich eigentlich will, ist der Guerillakrieg auf amerikanischem Boden. Swagger, von allen Hunden gehetzt macht die amerikanische Zivilisation zum inneren Afrika. Die Action verschiebt sich Stück für Stück nach Westen bzw. Süden, ins Herzland also der USA, das freilich zusehends dünner besiedelt ist und Swagger so die Möglichkeit zu großflächigen Bombardierungen bietet. Er wird, mit so attraktiver wie letztlich marginaler weiblicher Unterstützung, vom Gejagten zum Jäger, zum Dr. Kimble als verfolgende Unschuld mit stetig wachsendem Waffenarsenal; er taucht auf aus dem Nichts und verschwindet wieder, entzieht sich mit den Mitteln des Einzelkämpfers den hochauflösenden Beobachtungstechnologien und der personellen Übermacht seiner von höchsten Regierungsstellen gedeckten, ja angeleiteten Gegner. Und er schlägt zurück, mit Napalm und ohne Gnade.


"Shooter" - die Verfilmung eines bereits 1993 veröffentlichten Thrillers des Washington-Post-Filmkritikers (!) Stephen Hunter -
ist ein seltsamer, als Genrefilm eher misslungener Wechselbalg. Interessant ist er vor allem in seinen unguten Vermischungen. Man fragt sich, was im Verhältnis von Politik und Action, von Videospiel-Ästhetik und Verschwörungstheorie Mittel ist, was Zweck. Rechte Einzelkämpfer- und Vigilante-Ideologie bekommt als Widerlager linke Kritik an korrupten Politikern. Narrativ läuft beides hinaus auf gleich zwei abseits aller gesellschaftlichen Realitäten gelegene Showdowns. Einer auf Gletschern, einer im Landhaus. Die Metzeleien sind von Anfang bis Ende immer auch nur ein weiteres Level im "Shooter"-Spiel, vor explodierenden Hintergründen, unterfüttert mit nach mehreren Seiten austeilendem Politdiskurs. Wahrscheinlich ist es gerade dieses Durcheinander, das den Film zum typischen Beispiel des nach dem Abtreten der alten Stars Schwarzenegger und Stallone in die Krise geratenen Actiongenres macht. Anders als sein Held schießt "Shooter" nicht präzise, sondern eher mit Schrot Richtung Zielgruppe. Genützt hat es nichts. An der Kasse wurde er in den USA von einem Haufen brüllender Spartaner überrannt.

***

Ein Mann erwacht und weiß nicht wo. Eingeschlafen ist er, reichlich betrunken, vor dem Hauptbahnhof Wien. Jetzt liegt er auf einer Bank, auch vor einem Bahnhof, aber der von Wien ist es nicht. Verstört stolpert er herum, brüllt "Was ist hier los?", erbettelt sich das Geld für eine Busfahrt und gerät bald darauf noch mehr in die Irre. Wir als Zuschauer wissen, wie der Mann - es ist der stadtstreichende Dichter Kallmann (Paulus Manker) - auf die Bank vor dem Bahnhof in der tschechischen Kleinstadt gelangte. Sebastian (August Diehl) und Alex (Michael Ostrowski), zwei zynische junge Männer, mit zu viel Geld und zu viel Zeit haben ihn am Abend in ihr Auto gepackt, über die Grenze verbracht und auf der kalten Bank abgelegt. Es ist ihre Idee von einem gelungenen Scherz.

Die Begegnung der beiden mit dem trinkenden Dichter führt die Fäden von "Slumming" zusammen, die davor und danach eher separat erzählt werden. Spürbar wird hier die Handschrift der im österreichischen Gegenwartskino geradezu allgegenwärtigen Drehbuch-Koautorin Barbara Albert, die in ihrem eigenen Film "Böse Zellen" (2003) solche Zufallsbegegnungen zum Dreh- und Angelpunkt einer episodenreichen Erzählanlage gemacht hat. Bei Michael Glawogger, der bisher vor allem als episch ausholender und geografisch weit herumkommender Dokumentarfilmer, zuletzt mit "Workingman's Death" (2005), von sich reden machte, wird diese Begegnung für alle Beteiligten zum Wendepunkt. Der Dichter, der zuvor Passanten auf der Mariahilfer Straße und in der U-Bahn belästigt hat ("Die Fahrscheine bitte - in Oarsch eini bitte"), bricht im verschneiten osteuropäischen Niemandsland ins Eis und taucht in beinahe surrealer Gesellschaft von Gartenzwergen wieder auf. Er schwört dem Alkohol ab und begegnet gleich zweimal einem Reh.

Die beiden jungen Männer, zuvor mit dem Slumming in Wiener Unterwelt-Etablissements und ansonsten damit beschäftigt, Frauen, die sie übers Internet kennenlernen, im richtigen Leben dann mit dem Handy unterm Rock zu fotografieren, geraten im Streit um den schlechten Scherz mit Kallmann aneinander. Eine Lehrerin (Pia Hierzegger), mit der er sich nach wenig versprechendem Beginn anfreundet, rückt Sebastian den Kopf zurecht; der macht sich, mit einer anderen Frau, auf nach Indonesien, wo er womöglich seine Läuterung zum besseren Menschen erfährt. Dieses Ende ist dann vielleicht doch ein bisschen viel des Guten, wie überhaupt sein nach und nach sichtbarer werdender Erlösungsdrang dem - im letztjährigen Berlinale-Wettbewerb ohne große Kritikerresonanz gezeigten - Film nach furiosem Start die Puste ein wenig ausgehen lässt. Manche Szene bleibt trotzdem unvergesslich, vom sanft-zürnenden Singsang des großartigen Paulus Manker bis zu den Gartenzwergen im Wintersee.


Shooter. USA 2007 - Regie: Antoine Fuqua - Darsteller: Mark Wahlberg, Michael Peña, Danny Glover, Kate Mara, Elias Koteas, Rhona Mitra, Rade Sherbedgia, Ned Beatty, Dean McKenzie, Jonathan Walker, Lane Garrison, Elias Koteas - Länge: 120 min. - Start: 19.4.2007

Slumming. Österreich / Schweiz 2006 - Regie: Michael Glawogger - Darsteller: Paulus Manker, August Diehl, Michael Ostrowski, Pia Hierzegger, Maria Bill, Martina Zinner, Brigitte Kren, Loretta Pflaum, Martina Poel, Andreas Kiendl - FSK: ab 12 - Länge: 96 min. - Start: 19.4.2007