Im Kino
Realismus zweiter Ordnung
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
11.05.2007. Paul Verhoevens Film "Black Book" zeigt uns die Mata Hari des niederländischen Widerstands. Das ist manchmal krude, manchmal geschmacklos, aber es geht völlig in Ordnung. Der gar nicht verschämte Rückgriff auf Thrillerklischees, erweist sich der Obszönität der Ereignisse als eigentümlich angemessen.


Gerade des Krude der Erzählung und Präsentation, der gar nicht verschämte Rückgriff auf Spannungsmomente und Thrillerklischees, erweisen sich als der Obszönität der Ereignisse eigentümlich angemessen. Zumal das Drehbuch dann auch vor der gewagten Umkehrung aus Historiendarstellungen gewohnter Verhältnisse nicht zurückscheut. So finden sich Gut und Böse auf Seiten der Täter wie der Opfer. Das nicht über die Maßen optimistische Menschenbild, das Paul Verhoeven mit seinem Drehbuchkoautor Gerhard Soetemann teilt, verhindert falsche Rücksichten und lässt in "Black Book" immer wieder alles möglich erscheinen. Auf diese Weise trotzt der Film der Kolportage einen Realismus zweiter Ordnung ab. Verhoeven nimmt die eingesetzten Versatzstücke ernst, aber eben als Spielmaterial. Er setzt den Klischees keinen Widerstand entgegen, und gelangt gerade im semi-seriösen Umgang mit ihren Attraktionswerten zu anschaulichen gemachten Einsichten, die keine Schulbuchweisheit lehrt.
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Josh Gordons und Will Specks "Die Eisprinzen" trägt, in den Figuren ihrer Hauptdarsteller Will Ferrell und Jon Heder, eine doppelte Hypothek. Deren Namen sind mit einigen der besten amerikanischen Komödien der letzten Jahre verbunden, Komödien, die, auf den Spuren nicht zuletzt der Farrelly-Brüder ("Alle lieben Mary") das Gegenteil von sophistication zu sehr eigenwilligen Kunstformen des Komischen ausdifferenziert haben. Will Ferrell ist beim TV-Klassiker "Saturday Night Live" zu Ruhm gekommen, machte in Woody Allens "Melinda und Melinda" Station und hat zuletzt "Ricky Bobby - König der Rennfahrer" gedreht, einen NASCAR-Film, der sich einen Sport daraus macht, eher den umwegigsten, nie den direkten Weg zur Pointe zu suchen. Abseitiger und eigensinniger noch war Jared Hess' längst zu Kultehren gelangtes Debüt "Napoleon Dynamite", in dem Jon Heder mit absurder Dauerwelle und rotziger Ausdruckslosigkeit den Highschool-Nerd im dysfunktionalen Familienverband spielte.
Leider trägt "Die Eisprinzen" an der durch diesen Stammbaum geschürten Erwartung ziemlich schwer. Sehr viel mehr als die gelegentlich schon auch ziemlich komische Mainstream-Version der Vorgänger hat er nicht zu bieten. Eng lehnt er sich zunächst an die Geschichte von "Talladega Nights" an, denn hier wie da beginnt alles mit einer Kindheits-Vorgeschichte, in der ein fordernder, fördernder Vater eine nicht geringe Motivationsrolle spielt für die spätere Karriere. Wo aber bei "Ricky Bobby" der Vater nur auftaucht, um gleich wieder zu verschwinden, wird in "Die Eisprinzen" ein fehlender Vater ersetzt, und zwar durch den von perversen Zügen nicht freien wunderkindadoptierenden Multimillionär Darren MacElroy (William Fichtner), der das Talent des jungen Jimmy (John Heder) sogleich erkennt und ihn unter seine familiären und pekuniären Fittiche nimmt. Jimmys Talent ist das zu Pirouette und Rittberger, zu Axel und Tanz auf dem Eis, also zur aus Perspektive von Sportfreunden doch eher dubiosen Sportart Eiskunstlauf. Dass der Film den vom Milieu und den darüber kursierenden Klischees nahe gelegten Scherzen - zur schwulen Anmutung der Sache, zu Nutzen und Nachteil scharfkantiger Kufen, zum übertriebenen Ehrgeiz von Trainern - nachdrücklich ausweicht, wird man ihm nicht nachsagen können. Andererseits muss auf den Einbezug Nordkoreas ins Eiskunstlaufscherzrepertoire auch erst mal kommen.
"Die Eisprinzen" erzählt, wie der Wille zum Erfolg aus einer Konkurrenz-, ja Feindesbeziehung ein Traumpaar entstehen lässt. Erst einmal wird dafür aus dem blonden Wunderkind Jimmy in der digitalen Überblendung ein grauenhaft frisierter Virtuose im lächerlichen Pfauenkostüm. Es erweist sich freilich schnell, dass die Parodie des typischen Hybrids aus Möchtegernkunst und Sprungsport so einfach nicht ist: Das sieht in der Wirklichkeit doch immer schon ähnlich dämlich aus. Interessanter ist die Gegenfigur, Jimmy (nun: MacElroys) Konkurrent mit dem hübsch bescheuerten Namen Chazz Michael Michaels. Will Ferrell gibt den moppeligen Rebellen auf Kufen, der sich in seiner vom Publikum frenetisch gefeierten Kür als Rowdy und Sexprotz und Cowboy ausweist.
Die beiden in gegenseitigem Hass verbundenen Wettkämpfer müssen sich die Weltmeisterschafts-Goldmedaille teilen - und werden nach einer Prügelei auf dem Siegespodest disqualifiziert für den Rest ihres Lebens. Der katatstrophale Ausgang des Wettkampfs trägt, ohne dass einer es ahnt, bereits den Keim künftigen Triumphs in sich: Die beiden gehen durchs Tal der Tränen, des Alkohols, des Kindertheaters und des Schlittschuhverkaufs. Dann aber schlüpft durch eine Lücke im Regelwerk die eigentliche Pointe des Films: Die Disqualifikation gilt nicht für den Antritt in der Paarlauf-Disziplin. Und von einer Beschränkung auf geschlechtsverschiedene Paare ist auch nicht die Rede. So tun sich die Konkurrenten zum Eislaufpaar zusammen, gewinnen einander gern und trotzen dem Widerstand des einander in inzestuöser Liebe ergebenen Geschwisterpaares Van Waldenberg (Will Arnett und Amy Poehler).
Der Film springt, ohne je wirklich zu langweilen, von Pointe zu Pointe. Das Problem ist in gewisser Weise aber gerade diese Bewegungsform des Sprungs. Und zwar deshalb, weil die avancierteren amerikanischen Komödien der letzten Jahre Mittel und Wege gefunden haben, Pointen zu Tode zu reiten, ins Leere laufen zu lassen oder auch - das ist die Spezialität von "Napoleon Dynamite" - derart wenig Aufhebens um sie zu machen, dass man sie erst bemerkt, wenn sie vorbei sind. "Die Eisprinzen" funktioniert da eher klassisch. Der Film ist über weite Strecken durchaus ein Vergnügen, aber aufs große Ganze der neueren amerikanischen Komödienkunst gesehen, ein Rückschritt.
Black Book. Niederlande / Deutschland / Großbritannien 2006 - Originaltitel: Zwartboek - Regie: Paul Verhoeven - Darsteller: Carice van Houten, Sebastian Koch, Thom Hoffman, Halina Reijn, Waldemar Kobus, Derek de Lint, Christian Berkel - FSK: ab 16 - Länge: 142 min.
Die Eisprinzen. USA 2007 - Originaltitel: Blades of Glory - Regie: Josh Gordon, Will Speck - Darsteller: Will Ferrell, Jon Heder, Will Arnett, Amy Poehler, William Fichtner, Jenna Fischer, Romany Malco, Nick Swardson, Rob Corddry - FSK: ab 6 - Länge: 93 min.