Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.08.2001.

TAZ, 13.08.2001

Reinhard Kahl führt ein langes biografisches Gespräch mit Alexander Kluge. Dabei spricht er auch übers Fernsehen, denn Kluge hält ja im Privatfernsehen ein paar Kulturinseln besetzt: "Als ich gemerkt hatte, dass der Autorenfilm in den deutschen Kinos kaum eine Chance hat, habe ich mich, ähnlich wie Edgar Reitz mit seinem Projekt 'Heimat', dem Fernsehen zugewandt. Ich wollte die Arbeitsweise von uns Autoren wie einen Kammerton A in diesem anderen Medium erhalten. Und ich behaupte nach dreizehn Jahren, das ist als Spur möglich. Ich komme mir im privaten Fernsehen dennoch manchmal wie im Zoo vor, aber als ein authentisches Tier." Und nebenbei verdient er mit der Vermietung von Sendezeit prächtig Geld.

Brigitte Werneburg kommentiert das Ende von Lea Rosh' umstrittener Plakatkampagne für ihr Holocaust-Mahnmal: "Jetzt also 'Zukunft braucht Erinnerung'. Statt der Provokation aus der Disziplin der Produktwerbung nun der Schmus der Politikwerbung."

Ferner bespricht Katrin Bettina Müller Michael Laubs Tanzspektakel "Total Masala Slammer" in Berlin.

Und schließlich Tom.

SZ, 13.08.2001

Hat Sebastian Haffner seine "Geschichte eines Deutschen", die letztes Jahr posthum herausgegeben wurde, tatsächlich 1939 abgeschlossen oder später noch überarbeitet? Alex Rühle greift die Vorwürfe auf, die der Historiker Jürgen Paul im Deutschlandradio gegen das Buch erhob, findet sie aber nicht stichhaltig: "Was seine philologischen Argumente angeht, so scheint Paul recht blauäugig vorgegangen zu sein: Den Begriff 'business as usual' etwa, den Haffner mehrfach verwendet, bezeichnet er als 'Amerikanismus', der 1939 im britischen Englisch noch 'sehr untypisch' gewesen sei. Als Quelle für diesen Befund gibt Paul einige ältere englische Freunde an. Die waren anscheinend nicht alt genug, um Winston Churchill 1914 zuzuhören, als er in einer Rede in der Guild Hall sagte: 'The maxim of the British people is business as usual.'"

Als eine Art Spitzenwerk betrachtet Andreas Zielcke die Mauer in einem kleinen Essay zum 40. Jahrestag ihres Baus: "Keine noch so spröde politische Rhetorik Ostberlins konnte kaschieren, dass die Mauer einen Wall gegen die Verführung und das Begehren bildete. Der Westen wurde umhüllt, um die schöne kapitalistische Braut den begehrlichen Blicken der zur sozialistischen Tugend Verpflichteten zu entziehen. Und natürlich konnte nichts die ostdeutschen Sehnsüchte stärker anfachen als der gemauerte Schleier, und nichts wiederum stand der Erfüllung dieser Sehnsüchte grausamer im Wege als eben diese betonharte Umhüllung."

Weitere Artikel: Ilja Trojanow kommt auf einen Essay zu sprechen, den Salman Rushdie in der New York Times gegen indische Staudammprojekte verfasst hat. Ralph Hammerthaler berichtet, dass Kent Nagano vom Deutschen Symphonieorchester in Berlin droht, den Dirigentenstab fallen zu lassen, weil man ihm ohne Absprache eine neue Intendantin vor die Nase setzte. Andrian Kreye berichtet, dass Michael J. Fox, der an Parkinson leidet und der gelähmte Schauspieler Christopher Reeve George W. Bush vorwerfen, zu restrikitve Positionen in der Stammzelldebatte zu vertreten. Harald Staun setzt die Serie zur Aktualität von Adornos "Minima Moralia" fort. Und Gerhard Matzig schreibt zur Eröffnung des neuen "Schalke"-Stadions.

Besprochen werden das Konzert von Popstar Robbie Williams in Köln, ein Festkonzert unter Christian Thielemann in Bayreuth, Michael Laubs Tanzstück "Total Masala Slammer / Heartbreak No 5" in Berlin, eine Ausstellung über den Heiligen Georg im Diözesanmuseum Freising, die Konzerte des Young-Euro-Classic-Festivals in Berlin und politische Bücher (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 13.08.2001

Marc Zitzmann erzählt die Geschichte Straßburgs als einer Stadt zwischen zwei Kulturen und zitiert ein Lied: "Ein Frankenherz und deutsche Sprach / Sind dem Alsaten keine Schmach / Wie's auch der Fremde deute."

Die neue Festivalleiterin von Locarno bekommt gute Noten von Andreas Mauerer: "Es liegt in der menschlichen Natur - die Kritiker sind für einmal mitgemeint -, misstrauisch auf ein Unisono von Lobeshymnen zu reagieren, erst recht, wenn es auf Vorschusslorbeeren folgt. Manchmal aber liegt die Mehrheit schlicht richtig. So auch in Bezug auf Irene Bignardi. Nachdem zu Anfang nicht nur Neider gemutmaßt haben, ob wohl Claqueure dafür sorgen, dass der Applaus für die Direktorin immer ausgesprochen warm ausfällt, steht mittlerweile fest: Mit ihrem Charme und ihrem Charisma hat sie Publikum und Kritik für sich eingenommen. Und: Ihr Programm tat das Übrige."

Weitere Artikel: Jürgen Ritte schreibt zum Tod des französisch-schweizer-polnisch-russischen Schriftstellers (und Bruders von Balthus) Pierre Klossowski, der im Alter von 96 Jahren in Paris gestorben ist. Besprochen werden die Ausstellung "Un art populaire" in der Pariser Fondation Cartier und die Videoinstallation "Detonation Deutschland" von Julian Rosefeldt und Piero Steinle im Architekturzentrum Wien (es geht um die deutsche Tradition des Wegsprengens von Geschichte: "1867 hat der französische Gärtner Joseph Monier den Eisenbeton entwickelt, während im gleichen Jahr Alfred Nobel das Dynamit erfand. Die heitere Wechselwirkung beider Stoffe dauert bis heute an. Und Deutschland ist, nach Rosefeldt und Steinle, Meister einer perpetuierten Kunst: Man sprengt seine Geschichte, um an einer neuen zu bauen", schreibt Paul Jandl.)

FR, 13.08.2001

Der Satiriker Mathias Wedel meint, dass die Mauer gar nicht gefallen sei und feiert Gregor Gysi als Mann der Wiedereinigung: "Gysis Regierungsprogramm ist nichts anderes, als die Aufhebung der verschämt unverschämten Herrschaft des Westens über den Osten. Es ist ein Ein-Punkt-Programm zur Herstellung der Deutschen Einheit, zumindest für Hohenschönhausen und Zehlendorf. Ob die Wähler diese Einheit oder lieber ihre Mauer behalten wollen, ist ungewiss - sie haben die Wahl." Und wer nicht ausreisen will, den kann Gysi ja als Anwalt vertreten.

Weitere Artikel: Karin Ceballos Betancur gratuliert Fidel Castro zum 75. Geburtstag. Und Udo Feist bespricht das Konzert von Robbie Williams in Köln. Außerdem werden politische Bücher besprochen (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 13.08.2001

Die Bioethik steht im Vordergrund des heutigen FAZ-Feuilletons. Christian Schwägerl erläutert die "wahre Überraschung" in Bushs jüngster Rede zur Bioethik, nämlich dass in der Welt schon sechzig so genannte "Linien" von Stammzellen existieren, an denen geforscht wird. "'Wir waren von der Zahl sechzig selbst überrascht', sagte eine Sprecherin der Gesundheitsbehörde am Freitag. Das Ergebnis legt den Schluss nahe, dass Forscher und Firmen weltweit mit Embryonen experimentiert haben, ohne dass die Öffentlichkeit ausreichend darüber informiert war."

Achim Bahnen wirft der DFG Dreistigkeit vor, weil sie nach Bushs Rede behauptet, sie habe auch nur mit bereits existierenden Embryos und keineswegs mit gezüchteten Linien experimentieren wollen. Bahnen kann Dokumente beibringen, in denen die DFG die Züchtung von Zelllinien als "wünschenswert" bezeichnet.

Jordan Mejias porträtiert den Bioethiker Leon Kass, der von Bush zum Chef der amerikanischen Ethikkommission berufen wurde. Er gehört zur "streng konservativen Richtung der Bioethik".

Ein weiterer Artikel des Techno-Feuilletons befasst sich mit Fortschritten von Robotern beim Fußballspiel. Horst Rademacher hat den "Robocup" in Seattle verfolgt: "In der Liga der mittelgroßen Roboter gewann die Mannschaft von der Universität Freiburg den WM-Pokal, einen Fußball aus Kristall. Der 'CS Freiburg' setzte sich gegen die Konkurrenz aus Japan durch und holte sich wie bereits im vergangenen Jahr in Melbourne den ersten Platz." Wir widmen dem RoboCup heute einen kleinen Link des Tages.

Auch die traditionelle Kulturberichterstattung kommt in der FAZ selbstverständlich nicht zu kurz: Michael Allmaier resümiert das Filmfestival von Locarno. Eleonore Büning das "Zeitfluss"-Festival in Salzburg. Jürg Altwegg berichtet, dass der Chansonnier Pierre Peret in eine Kommission berufen wurde, die das Gestrüpp der französischen Behördensprache lichten soll ? eine imposante Aufgabe. Peter Richter erinnert in einem kleinen Artikel zum Jahrestag des Mauerfalls daran, dass der Architekt Rem Kohlhaas die Mauer einst als architektonisches Meisterwerk feierte. Ulrich Olshausen schreibt zum Tod von Werner Pirchner. Dietmar Dath freut sich, dass das Techno-Magazin Frontpage unter dem Titel JL Frontpage neu erstehen wird. Werner Jacob meldet, dass das Architekturbüro Sauerbruch + Hutton einen "Kunstleuchtturm" in Sidney bauen wird.

Besprochen werden das Tanzstück "Total Masala Stammer" in Berlin, eine Ausstellung über Wien-Klischees im Wiener Museum auf Abruf, eine Ausstellung über "Tier-Mensch-Wesen und die neuzeitlichen Wissenschaften" im Museum der Völker in Werl, Haydns Oper "Il mondo della luna" bei den Innsbrucker Festwochen und Wirtschafts-, Sach- und politische Bücher (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).