Im Kino

Sprach-Verausgabung

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
27.08.2008. Mit höchster Genauigkeit zeichnet Abdellatif Kechiches Film "Couscous mit Fisch" den Binnenraum einer Familie arabischer Einwanderer in Südfrankreich. Der Dokumentarfilm "Die Todesreiter von Darfur" versteht sich als Instrument der Aufklärung über einen Völkermord - und findet die Mittel, von seiner Überzeugung zu künden.
In die Enge getrieben sind die Figuren in Abdellatif Kechiches drittem Film "Couscous mit Fisch". Der geografische Ort dieser Enge: das Hafenstädtchen Sete in Frankreichs Süden. Der psychogeografische Ort: die Familie. Die Familie, die der sechzigjährige Slimane (Habib Boufares) verlassen hat. Die neue Familie, die er gefunden hat im Hotel; mit dessen Besitzerin lebt er zusammen, zu deren Tochter hat er ein enges Verhältnis. Slimane, den wir kennenlernen als einen, der seinen Job verliert, ist ein großer Schweiger. Er verzieht selten die Miene. Man wirft ihm allerlei an den Kopf, er reagiert kaum. Er ist sehr typisch darin für die Geschlechterverhältnisse in den arabischen Familien, wie Kechiche sie hier zeichnet. Die Frauen reden und machen und halten die Dinge in Gang. Die Männer schweigen und glotzen und sind der Sand im Getriebe.


Kaum glauben möchte man, dass einer wie Slimane einen Traum hat, aber es gibt diesen Traum: vom Restaurantschiff im Hafen. Vielleicht ist es im Grunde nicht Slimanes Traum: Eher findet er sich hineingesetzt in den Traum, den seine Stieftochter Rym (Hafsia Herzi) träumt. Sie träumt mit sehr offenen Augen, sie trägt das Herz auf der Zunge, sie peitscht die Dinge, die Slimane schleifen lässt, energisch voran. Man sieht die beiden auf Ämtern, wo man sie mit der paternalistischen Herablassung behandelt, die ihnen als arabischstämmigen Franzosen ohne rechten Businessplan und vor allem ohne Geld offenbar von Amts wegen zukommt. Man sieht und hört Rym, die redet und redet, mit dem Druck, der Wucht, der Überzeugungskraft, mit der Kechiche seine Laiendarstellerinnen schon im großartigen Vorgängerfilm "L'Esquive" zum Reden brachte.

Heraus aus den festgefahrenen Situationen einer komplizierten Familienkonstellation soll der Traum vom Restaurantschiff als Familienvereinigungstraum führen. Slimanes geschiedene Ehefrau bereitet den "Couscous mit Fisch" für die Eröffnungsgala, die Ämter und Mitbürger dem Projekt gewogen stimmen soll. Auf diese Gala läuft der Film, der gegen Ende hin eine erstaunlich gut funktionierende Suspense-Dramaturgie entwickelt, zu. Etwas geht jedoch schief, und wo die Protagonisten im Hafen der französischen Stadt das Weite einer offenen Zukunft suchten, drohen sie erneut in die Enge getrieben zu werden.


Auf den ersten Blick erzählt Kechiche im sozialrealistischen Modus. Es geht um genaue Zeichnung eines Einwanderermilieus, das Anschlüsse an diverse Schichten der französischen Gesellschaft sucht und gelegentlich findet. Kechiche richtet seinen Blick weniger auf die familiale Außenpolitik, sondern er gibt in erster Linie dem Binnenraum des Sozialen ein Gesicht. Das ist buchstäblich zu nehmen: Er richtet seine Handkamera mit famoser Insistenz auf die sprechenden Frauen und die schweigenden Männer. Er rückt ihnen auf den Leib und die Höhepunkte des Films sind jene Szenen - etwa ein großes Familienessen -, in denen sich dieser Binnenraum zu intensiven Sprach-Konzerten und rasch montierten Kamerablickwechseln verdichtet.

In diesen Augenblicken überlässt sich Kechiche ganz und gar dem Momentanen, der Individualität seiner Darstellerinnen, die er in Gesten, Bewegungen, Wörtern, Sprach- und Gesichts-Ausdrücken geradezu total erfassen zu wollen scheint. Wie schon in "L'Esquive" konterkariert er dieses Sich-Vergessen des Plots mit sehr deutlichen, fast schon groben Zügen einer Akt-Dramaturgie. Nie aber zwingt er das Momenthafte, das Individuelle dazu, funktional zu werden. Und noch im Funktionalen eröffnet er Spielräume, in denen die Körper, die Wörter sich verausgaben können, ohne dass es auf das Voranschreiten und das Ausgehen seiner Geschichte zu verrechnen wäre. Es ist dieses zwanglos etablierte Spannungsverhältnis, das Kechiche zu einem ganz einzigartigen Kinoerzähler macht.

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Brian Steidle, der ein Marine war, also ein tougher US-Soldat, der tut, was man ihm sagt, quittierte seinen Dienst und wurde zum Zeugen von Geschehnissen, die ihn zu einem anderen machten. Die Geschehnisse: Der Genozid (Colin Powell), die Kriegsverbrechen (UN) im west-sudanesischen Darfur. Steidle war als einer von drei US-Beobachtern im Auftrag der Afrikanischen Union vor Ort. Er hat gesehen, wie die von der sudanesischen Regierung (sie, sonst kaum einer, bestreitet das) unterstützte bzw. beauftragte arabische Reitermiliz der Dschandschawid ganze Dörfer in Darfur niederbrannte, ihre Bewohner vergewaltigte, abschlachtete, anzündete, liegenließ. Steidle hat es beobachtet und Fotos gemacht. Mehr konnte er nicht tun, ihm waren als Beobachter die Hände gebunden. Er hätte, sagt er im Film, der nun nach seinem Buch gedreht wurde, eine Waffe gebraucht, um vom Zeugen zum Eingreifenden zu werden.

So ging er in die USA zurück und wurde vom Zeugen zum Aktivisten. Seine Fotos erschienen in der New York Times. Er sprach mit Condoleezza Rice. Er trat auf im Holocaust Memorial Museum in Washington und an mehr als hundert anderen Orten, um zu künden von dem, was er sah. Sehr viel genützt hat es nicht. Öl wird gefördert im Sudan, Öl, das China erhält. China zahlt und liefert, wie Russland auch, Waffen. Die Pipeline ist heilig, der Pipeline durfte Steidle sich als Beobachter nicht nähern.

Die Chronologie der Ereignisse: Der Konflikt begann im Februar 2003. Steidle kam im September 2004 ins Land. Im August 2006 wurde eine UN-Resolution verabschiedet, die den Einsatz eines 20.000 Personen starken Peacekeeping-Kontingents vorsah. China, Russland und Qatar legten Widerspruch ein. Die sudanesische Regierung verweigerte jegliche Kooperation. Das Schlachten ging weiter. Eine UN-Kommission gelangte nicht zur Ansicht, es handle sich um Völkermord.

Die UN-Resolution hat zu keinem Ergebnis geführt, die Regierung lässt keine UN-Truppen ins Land. Der Internationale Strafgerichtshof hat im Juli diesen Jahres unter anderem den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord und Völkermord angeklagt. Es wird jedoch weiter gemordet. 400.000 Tote, das ist die Zahl, die am häufigsten genannt wird; sie nennt auch der Film.


"Die Todesreiter von Darfur" ist kein Kunstwerk, sondern ein Instrument. Der Film hat eine Agenda: aufzuklären über die Ereignisse von Darfur. Er zeigt und zeigt. Er bezeugt und bezeugt. Wir sehen Tote über Tote: verbrannt, verstümmelt, liegengelassen. Dazu hören wir Musik. Der Film ist schnell geschnitten. Man kann ihm vorwerfen, dass er tut, was er kann, um den, der ihn sieht, zu überzeugen von den Dingen, von denen die Macher des Films überzeugt sind. Aber der Film macht kein Geheimnis daraus. Er personalisiert, indem er die Geschichte von Brian Steidle erzählt, den er sich zum Augenzeugen erwählt und auch zum Erzähler. Wir sehen Steidle mehrfach mit der Fotokamera an der Hüfte, als (nicht völlig) stumpfer Waffe. Aber der Film ist nicht einfach eine Heldengeschichte. Eher nutzt er die Personalisierung als Identifikationsangebot an den Zuschauer. Didaktisch geschickt vermittelt er Informationen, Hintergründe. "Die Todesreiter von Darfur" ist, mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen, ein durchaus taugliches Instrument.

Couscous mit Fisch. Frankreich 2007 - Originaltitel: La Graine et le Mulet - Regie: Abdellatif Kechiche - Darsteller: Habib Boufares, Hafsia Herzi, Faridah Benkhetache, Abdelhamid Aktouche, Bouraouïa Marzouk, Alice Houri, Cyril Favre. Länge: 151 min.

Die Todesreiter von Darfur. USA 2007 - Originaltitel: The Devil Came on Horseback - Regie: Ricky Stern, Annie Sundberg - Darsteller: (Mitwirkende) Brian Steidle, Nicholas Kristof, John Prendergast, Samantha Power, Luis Ocampo, Elie Wiesel. Länge: 88 min.