Im Kino

Es gibt hier keine Fesseln mehr

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Jochen Werner
17.07.2013. Durch und durch modern: An Adam Sandler hätte neben dem Mainstream-Publikum bestimmt auch Gilles Deleuze seine Freude. Fantastikmeister Guillermo del Toro verliert sich unterdessen in naiver Science Fiction zwischen schwerem Geschütz und Monsterspeck.

Manchmal findet man einen Hauch jenes revolutionären Atems, den man im Kino allzu oft vergeblich sucht, gerade an jenen Orten, wo ihn die wenigsten vermuten. Oder erkennen. Zum Beispiel: mitten im Mainstream. Wobei sich die Frage stellt, wie sehr Adam Sandler eigentlich noch Mainstream ist, scheint doch der begnadete Komiker zuletzt mit den von Kritik wie Publikum missachteten Grotesken "Jack and Jill" und "That's My Boy" (unsere Kritik) entscheidende Klauseln im Kontrakt mit seinem Stammpublikum schlichtweg aufgekündigt zu haben. Fast schien es, als sei Sandler selbst etwas gelangweilt von jener zwar grundsympathischen, aber eben auch etwas arg großbürgerlichen Harmlosigkeit, die sich in Filmen wie Adam Shankmans "Bedtime Stories" oder Dennis Dugans "Just Go With It" in sein einstmals so anarchisches Œuvre eingeschlichen hatte.

Der frühe Sandler nämlich, der aus "Happy Gilmore" oder "The Waterboy", war nicht zuletzt auch immer ein Bürgerschreck - ein sozial inkompatibles Individuum, das sich mit unkontrollierten Aggressionsausbrüchen plagt und diesen psychischen Defekt immer wieder, auf komödiantisch zugespitzte und oft überraschende Weise, zur Stärke umformuliert. Nicht unbedingt aus sich selbst heraus ein Sympathieträger, aber eine produktive Kraft in ihrem unaufhaltsamen und nur sehr bedingt steuerbaren Drang, scheinbar in Stein gemeißelte soziale Strukturen aufzusprengen - die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Zum wirklich bedeutenden Kinokomiker, der sich vielleicht am schlüssigsten in eine Traditionslinie einordnen ließe, die von Buster Keaton ausgehend über Jerry Lewis führt und bei Sandler vorläufig endet, avancierte letzterer dann freilich vor allem durch die stetige Weiterentwicklung jener Kunstfigur, die er in nahezu jedem einzelnen seiner Kinofilme verkörpert und an deren zunehmender Komplexität er, Nuance um Nuance, unermüdlich weiterarbeitet. Man muss hier begreifen, dass die eigentliche Kunst Sandlers weniger im Einzelfilm zu erfassen ist als dass sie sich in ganz großen Bögen ereignet, die dieser seit nunmehr zwei Dekaden durch sein Werk hindurch spannt.


Eine Sandler-Figur steht niemals so ganz für sich, immer kommuniziert sie auch mit allen anderen Sandler-Figuren - und im Gegensatz zu anderen Kinokomikern, die in gelegentlichen dramatischen Rollen "auch mal was Ernstes machen", sind noch die finstersten Figuren Sandlers, der tief traumatisierte Barry Egan in P. T. Andersons Meisterwerk "Punch-Drunk Love" (eine schöne Kritik von Uwe Nettelbeck), der 9/11-Witwer Charlie Fineman in Mike Binders "Reign Over Me" oder der egomanische Komiker George Simmons in Judd Apatows "Funny People", nicht Abweichungen, sondern Bestandteile derselben magischen Autobiografie, in der mal die lichten und mal die dunklen Facetten der gleichen Persona in den Fokus geraten.

Dennis Dugans "Kindsköpfe 2" ist zu den lichtdurchfluteten, unbeschwerten Filmen Adam Sandlers zu zählen, und das ist sehr, sehr gut so. Schon der Vorgänger, ebenfalls von Sandlers Stammregisseur Dugan inszeniert und von der Kritik wie so viele Filme des Komikers weitestgehend mit etwas verächtlichem Gestus abgetan, war ein fast schwerelos federleichter, Film, der dem graubrottrockenen US-Alltag, in dem Sandlers Alter Ego noch in James L. Brooks' manisch-depressivem "Spanglish" unerlöst zu versinken drohte, einen verspielten Sommerfrischegestus entgegensetzte. Ferien für immer.

In der Fortsetzung gehen Dugan und Sandler - an der Spitze einer bis in kleinste Rollen hinein famosen Besetzung, denn "Kindsköpfe 2" ist auch und vor allem ein Ensemblefilm - nicht nur einen, sondern gleich viele Schritte auf einmal weiter. Es gibt hier keine Fesseln mehr: keine vorgetäuschte Absicht, irgendetwas erzählen zu wollen oder müssen, kein Zwang zu einer Struktur, die mehr sein wollte als ein bloßes Fließen von einem Ereignis zum nächsten, das sich nicht notwendig aus dem ersteren ergeben muss, kein Drang, irgendetwas zu entwickeln oder irgendwie anders zu sein als einfach nur: da.


"Kindsköpfe 2", das ist durch und durch modernes Kino, das ganz in seiner unbedingten, in stetigem Fließen begriffenen und doch völlig in sich ruhenden Gegenwärtigkeit aufgeht. Sandlers Kunstfigur vollendet damit einen Zirkelschluss, in den sein zwei Jahrzehnte umfassendes Werk so schlüssig wie zwingend mündet: Den ewigen Kindmann, den wir durch eine verspätete (und durchaus schmerzvolle) Adoleszenz begleitet haben und den wir mit dem Erwachsensein ringen sahen, findet nun erneut zu einem so kindhaften wie befreienden Loslassen. "Kindsköpfe 2" ist nicht nur der beste Adam-Sandler-Film seit Jahren, er ist auch ein Befreiungsschlag, auf dem sich ein von Humanismus und Hedonismus gleichermaßen geprägtes Spätwerk aufbauen ließe. Er markiert einen Punkt, von dem aus betrachtet die Zukunft der amerikanischen Komödie golden schimmert.

In einer besseren, sprich: von weniger Vorurteilen und Distinktionsbedürfnissen geprägten Kinowelt wäre "Kindsköpfe 2" einer jener Filme, auf den sich die Cinephilie mit den Massen, die die Multiplexe wohl wie schon beim sensationell erfolgreichen ersten Teil begeistert füllen werden, einigen könnte. Ein freies Stück Kino, ganz seinen eigenen Gesetzen folgend und ein gutes Stück jenseits jener narrativen Konventionen irrlichternd, die noch die anarchischste Hollywoodkomödie im Innersten entscheidend strukturieren. Freier, origineller, transgressiver war in diesem Kinojahr höchstens noch Harmony Korines "Spring Breakers" (unsere Kritik), und direkt dahinter reiht sich "Kindsköpfe 2" als einer der allerbesten amerikanischen Filme 2013 ein. Gilles Deleuze, so könnte man mutmaßen, hätte sich königlich amüsiert.

Jochen Werner

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Große Roboter und speckig-schwartige Urvieh-Titanen. Triftt das eine aufs andere, gehen ganze Metropolen zu Bruch. In der Arena zwischen bonbon-neonfarbener Glitzer-Hydraulik und moosig-graugrüner Ungetümswampe reichen Trivialfilm-Geschichte und High-Concept-Filmproduktion, mexikanischer Auteurismus und europäisch-literarische Fantastik einander unter viel Getöse die Hände - ein exotistisches Kitschfilm-Hongkong bietet die Hintergrundkulisse. Was einst in nachmittäglichen Jugendvorstellungen der Eckkinos den naiven Charme des Selbstgebastelten verströmte, kehrt technologisch hochfrisiert über den Umweg Mexiko und USA zurück.

Ein millionenschwerer Jungens-Sandkastenfilm, den der mexikanische Fantastik-Auteur Guillermo del Toro - gleichermaßen arthouse- ("Pans Labyrinth") wie multiplex-erprobt ("Blade 2", "Hellboy") - da vorlegt: Noch in diesem Jahr, so lautet die Ausgangssituation, erheben sich aus einem tief im Pazifik gelegenen Spalt zwischen den Dimensionen, die wolkenkratzerhohen Kaiju - "Kaiju Eiga" nennt man in Japan die Monsterfilme um Godzilla und Co. -, um der Menschheit ihren Platz auf diesem Planeten durch systematische Zermürbung streitig zu machen. Diese reagiert mit den auch im O-Ton so genannten "Jägern", ebenso hohen Robotgiganten, die den Monsterspeck-Massen die Wucht rohen Stahls entgegen zu setzen. Möglich macht dies eine temporären neuronalen Verschmelzung der beiden, im Inneren in einer Hydro-Tretmühle eingefassten Piloten mit der Maschine zu einem einzigen großen Psycho-Mecha-Organismus: Der Geist in dieser Maschine ist ein menschlicher im Duett.

"Pacific Rim" ist der zuweilen etwas krampfhafte Versuch, die Naivität früherer Science-Fiction ins Multiplex-Zeitalter zu retten, das die fantastischen Stoffe heute mit realistischer Textur und, wenigstens behauptet, auch als zeitdiagnostische Events auf die Leinwand bringt. "Pacific Rim" stellt dieser Befundlust der jüngeren Großfilm-Unternehmungen die schiere Lust an Awesomeness entgegen: Ein Film im ständigen "Now, wouldn't it be cool if..."-Modus, der sich - und das ist dann immerhin doch schon interessant - auf die Lustversprechungen insbesondere inhaltlich etwas weniger ambitionierter Comics, anders als viele zeitgenössische Comicverfilmungen, unbedingt einlässt. Kontinuität und Logik gehen dabei zwar dahin: Warum sollte man nun die ganze Weltwirtschaft ausgerechnet auf die Produktion nahkampfoptimierter anthropomorpher High-Tech-Riesen zuspitzen, wenn sich doch sicher deutlich effizientere Formen der Feindabwehr anbieten sollten? Wer solche Fragen stellt kommt allerdings um: In What-If-County sind sie noch nicht einmal von minderem Interesse.


Im Grunde entzieht sich dies aber auch jeder Kritik. Der Filmkritiker als Sportjuror: Kampf #1 kriegt 6.7, Kampf #2 vielleicht schon 7.3 Punkte - und so weiter. "Pacific Rim" ist Schubkino, das man nur in Relation zur eigenen Begeisterung im Moment bewerten kann: Mal fällt diese größer, mal deutlich geringer aus. Die Figuren und deren Dramen, die drumherum gruppiert sind, haben dann auch eher Schießbudencharakter - mit Ausnahme vielleicht von Mako Mori (Rinko Kikuchi), die insbesondere wegen eines kindlichen Traumas in den Trümmern Tokios als Jäger-Pilotin auf Monsterhatz gehen will: In dem kurzen, stillen Moment, in dem die Leinwand ganz und gar den Tränen dieses kleinen Kindes gehört, bricht sich eine Ahnung durch den Film, welcher ansonsten immer am Menschen orientierte Regisseur hier verantwortlich zeichnet.

Zwar redlich, aber auch ein wenig hilflos bemüht sich Del Toro noch einige seiner Trademarks und Motive unter den Teig zu heben. Zwischen Gung-Ho-Militaria, Hydraulik-Fetisch und einer zumindest in den Reverenzen sich kenntlich machenden Japanophilie verstreut er ein paar nerdige Mad Scientists, die die Monster, gegen die sie auf ihrem Feld antreten, im Grunde über alles lieben, die Geschichte eines Vaterfiguren-Verlusts und einige ästhetische Freude an obsoleter Gebrauchstechnik mit vielen Röhren, Schläuchen und Ölschmier. Ron Perlman, der sich in der Rolle der Titelfigur aus Del Toros beiden Hellboy-Filmen wieder ins Herz des Publikums gespielt hatte, darf auch kurz aasig durchs Bild huschen. Auch die bizarren Archive der Anatomie - wichtigster Stichwortgeber für alle am Körper orientierten Gothic Movies - werden hier aufgerufen, auch wenn sich hinter dem stumpfen Glas nun eingelegte Monsterorgane befinden.

Am Ende steht ein wahrer Streuselkuchen von einem Film. Es gibt die dicken, schönen Flocken genauso wie die dünnen - und darunter aber viel mürben Teig. Glück und Enttäuschung liegen dicht beisammen. Nur Regisseur Del Toro, der hier nach zwei abgebrochenen Projekten seinen ersten Film seit fünf Jahren vorlegt, nur Del Toro droht unter Robot-Hydraulik und Monsterschwarte verschüttet zu werden.

Thomas Groh

Kindsköpfe 2 - USA 2013 - Originaltitel: Grown-Ups 2 - Regie: Dennie Dugan - Darsteller: Adam Sandler, Kevin James, Chris Rock, Salma Hayek, David Spade, Maya Rudolph, u.a. - Laufzeit: 101 Minuten.

Pacific Rim - USA 2013 - Regie: Guillermo del Toro - Darsteller: Charlie Hunnam, Idris Elba, Rinko Kikuchi, Charlie Day, Rob Kazinsky, Max Martini, Ron Perlman, Clifton Collins jr., u.a. - Laufzeit: 131 Minuten.