Redaktionsblog - Im Ententeich

Ein Wald aus Verboten

Von Thierry Chervel
29.01.2015. Die neue Qualität nach den Pariser Massakern liegt darin, dass Redakteure und Intellektuelle die Selbstzensur nunmehr aktiv und ungeniert verfechten. Zur Kritik an den Zeichnungen von Charlie Hebdo, Teil drei
Der erste Schock ist verflogen, die edle Wallung der Solidarität mit den Franzosen erstirbt, die Liveticker sind abgestellt. Hinter den Schwaden der Erregung zeichnen sich neue Strukturen ab: Der öffentliche Raum schrumpft. Neue Barrieren richten sich auf. Zum Teil waren diese Strukturen schon da, und wir hatten es nur noch nicht gemerkt.

Natürlich kursierten in den Tagen nach dem Massaker überall die Zeichnungen von Charlie Hebdo. Selbst in der SZ, dem schüchternsten Institut in diesen Dingen in Deutschland, waren meiner Erinnerung nach in den Tagen des Massakers ein oder zwei Mohammed-Karikaturen verstreut. Glücklicherweise leben wir im Internetzeitalter, so dass die Zeichnungen für jedermann, der sucht, zu finden sind. Die andere Frage aber wird sein, ob sie von Medien im Rahmen der Berichterstattung noch eine Chance haben, gezeigt zu werden. Und ob solche Karikaturen noch neu entstehen werden.

Nach den Massakern stellte sich nun doch heraus, dass sehr viele Zeitungen und Fernsehsender eine "Linie" haben. In Deutschland stellte sich zwar Mathias Döpfner als Erzkardinal der Meinungsfreiheit hin, aber die Blätter seines Hauses haben zurückgerudert. Die Bild hat offenbar die "Linie", keine religiösen Gefühle zu verletzen. Neu ist, dass auch die Welt, die bei den dänischen Mohammed-Karikaturen noch keine Probleme kannte, diesmal meines Wissens ganz auf Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo verzichtete.

Die Zeit illustrierte schon letztes Jahr eine Besprechung von Charbs Mohammed-Comic mit einem Bild aus dem Comic, in der man die Mohammed-Figur schwärzte. Charlie Hebdo habe das Recht, Mohammed zu karikieren, konzedierte Gero von Randow immerhin. "Aber eine Rohheit bleibt es gleichwohl. Das ist übrigens der Grund, warum wir die Karikaturen Mohammeds auf dieser Seite geschwärzt haben. Es ist nicht anständig, Menschen zu beleidigen." Dieser Linie blieb die Zeit im wesentlichen auch jetzt treu. Zeit online-Chef Jochen Wegner fand für den Verzicht auf die Karikaturen angenehm freiheitlich klingende Worte. Literaturkritikerin Iris Radisch widersetzte sich und zeigte dann doch drei Karikaturen.

Aber das ist alles nichts im Vergleich zu einer Intervention der al-Azhar-Universität des westlichen Journalismus. Wenn die New York Times eine Fatwa erlässt, laut der es nicht opportun ist, Mohammed-Karikaturen und andere drastische Cartoons von Charlie Hebdo zu veröffentlichen, hat das einen Einfluss auf sämtliche Medien der westlichen Welt. Dies Kronjuwel der Meinungsfreiheit brachte nicht einmal den weinenden Mohammed der Ausgabe nach dem Massaker, und sei es um seines unbestreitbaren News-Charakter willen. Selbst der Guardian hatte diesen Mohammed gedruckt.

Times-Chefredakteur Dean Baquet erklärte laut New York Times, dass diese Entscheidung einem "seit langem gepflegten Standard" der Zeitung entspreche, als stünde irgendwo in den Redaktionsstatuten, dass man keine religionskritischen Zeichnungen bringt. Eine klar formulierte "Linie" scheint aber gar nicht zu existieren, wie die Huffpo (hier) und Gawker (hier) recherchiert haben. Die Times brachte zuvor sehr wohl drastische Zeichnungen mit religiösem Kontext. Baquets Vorgänger, Bill Keller, bestreitet im übrigen gegenüber der Huffington Post, dass es jemals eine solche klar formulierte Vorgabe gegeben hätte. Er selbst, so Keller, hätte den weinenden Mohammed gebracht. Die dänischen Karikaturen hatte er aber seinerzeit auch nicht gedruckt.

Im Spiegel sagt Dean Baquet ganz ungeniert: "So sehr ich es liebe, Solidarität zu zeigen: Das ist erst meine zweite oder dritte Aufgabe als Chefredakteur. Meine erste Aufgabe ist es, den Lesern zu dienen - und ein großer Teil unserer Leser sind Menschen, die sich durch Satire über den Propheten Mohammed beleidigt fühlen. Dieser Leser, um den ich mich kümmere, ist kein IS-Anhänger, sondern lebt in Brooklyn, hat Familie und ist strenggläubig." Dann wird die New York Times demnächst sicher auch unterlassen das Frauenbild des Islams oder die Regeln der Scharia in Frage zu stellen!

Baquet, aber auch moralische Autoritäten wie Theo Sommer (hier), verbreiten gern den Irrtum, die Zeitungen sollten die Karikaturen aus "Solidarität" mit den ermordeten Kollegen abdrucken. Aber das ist nicht das Problem. Nach den Pariser Massakern wurden die Zeichnungen wie gesagt weithin gezeigt. Im jetzt folgenden Alltag aber werden solche Karikaturen immer seltener werden, immer gefährlicher wirken. Und solche Barrieren werden immer dann errichtet, wenn Zeichner ermordet oder Redaktionen gestürmt wurden. Baquet gibt den Tätern damit recht. Die New York Times hat mit dem Verzicht den Raum ihrer Berichterstattung schon verkleinert. Sie könnte etwa im New York Times Magazine kein Porträt über Kurt Westergaard oder einen Artikel über die französische Tradition der Karikatur bringen. Wie sollte sie ihn denn garnieren?

Baquet wird auch seine falsche Behauptung über den "seit langem geltenden Standard" einlösen müssen. Wenn schon kein Mohammed, dann auch kein Jesus. Von nun werden religiöse Symbole gemieden. Religiöse Minderheiten und andere Identitätspolitiker wenden sich bitte an den Ombudsmann der New York Times. Und jedes Mal wird "dem seit langem geltenden Standard" ein neuer Totempfahl errichtet. Die Times hat sich aus freien Stücken in einen Wald aus Verboten begeben.

Die neue Qualität nach den Pariser Massakern ist eigentlich nicht, dass die Zeichnungen nicht gedruckt würden. Bei den dänischen Karikaturen vor acht Jahren war die Schüchternheit eher noch größer. Neu ist, dass Redakteure und Intellektuelle offensiv, ja geradezu programmatisch nach Argumenten für die Selbstzensur suchen. Überall ist plötzlich von "Redaktionslinien" die Rede. Der "Respekt vor Religion" ist jetzt ein Prinzip, das dem der Meinungsfreiheit zumindest ebenbürtig ist. Muslimische Lobbyorganisationen wie die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) können zufrieden auf ihre Werk blicken. Der von ihnen verlangte "verantwortungsvolle Umgang mit der Meinungsfreiheit", das heißt ihre Einschränkung zur Schonung unklarer Sensibiltäten undeutlich definierter Bevölkerungsgruppen, ist aktiv verinnerlicht und wird von Chefredakteuren und Meisterdenkern mit wichtigen Mienen als die allerneueste Devise verkauft.

Thierry Chervel

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Zu Teil 2, zu Teil 1 und zu Ulf Erdmann Zieglers Kommentar