Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
25.01.2005. In der New York Review of Books erklärt Tony Judt, warum die globale Konfrontation mit dem Islam für Europa eine Katastrophe ist. Tygodnik Powszechny schildert den Streit in Polen über den Umgang mit Stasi-Akten. Die spanische La Vanguardia mokiert sich über die Doppelagenten hinter der französischen "exception culturelle". Der Economist zweifelt an der demokratischen Gesinnung des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki. Al Ahram stellt kurvige arabische Comic-Helden vor. Prospect kritisiert das geplante Religionsgesetz in Großbritannien.Das New York Times Magazine beobachtet, wie in Bangladesch eine islamische Revolution herbeigeprügelt werden soll.

New York Review of Books (USA), 10.02.2005

Nicholas D. Kristof kennt das beste Buch, das jemals über Nordkorea geschrieben wurde: Bradley Martins "Under the Loving Care of the Fatherly Leader: North Korea and the Kim Dynasty". Fünfundzwanzig Jahre hat Martin daran gearbeitet, mit zahllosen Überläufern gesprochen und all seine Erkenntnisse mit einer Klarheit niedergeschrieben, die keinerlei Zweifel lässt: "Nordkorea ist das repressivste und brutalste Land der Welt, hier werden ganze Familien hingerichtet, wenn sich ein Mitglied betrinkt oder den Lieben Führer beleidigt. Es ist auch bei weitem das totalitärste Land, wo jedes Heim mit einem Lautsprecher ausgestattet ist, der von morgens bis spät abends Propaganda sendet."

Nicht der Wohlfahrtsstaat und nicht die mangelnden moralischen Werte entfremden Europa von den USA, glaubt der Historiker Tony Judt, Europas Dilemma liege ganz woanders: "In den Niederlanden, in Paris und Antwerpen und anderen Städten sind die Spannungen zwischen Einheimischen und einer schnell wachsenden muslimischen Minderheit (eine Million in den Niederlanden, mehr als fünf Millionen in Frankreich, wahrscheinlich 13 Millionen in der gesamten EU) sind Graffiti und No-go-Zonen umgeschlagen in Brandanschläge, Übergriffe, Morde... Für die USA ist der Nahe Osten fernes Land, ein passender Ort, in den Amerika seine Probleme exportieren kann, um sie nicht zu Hause zu haben. Für Europa ist der Nahe Osten benachbartes Ausland und ein wichtiger Handelspartner. Von Tanger bis Tabriz grenzt Europa an den Nahen Osten. Eine wachsende Zahl von Europäern kommt von dort. Wenn die EU ihre Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beginnt, wird es seine eigene Einfügung in diesen Nahen Osten vorwegnehmen. Die amerikanische Strategie der globalen Konfrontation mit dem Islam ist keine Option für Europa. Es ist eine Katastrophe."

Weiteres: Die beiden Nahost-Experten Hussein Agha und Robert Malley porträtieren Mahmud Abbas, den "letzten Palästinenser", als komplette Gegenfigur zu Arafat: Abbas, genannt Abu Mazen, "ist wie Arafat, eine Seltenheit: eine genuin nationale palästinensische Gestalt. Aber er ist es auf ganz und gar entgegengesetzte Art: Wo Arafat nationalen Status errang, indem er sich zu jedem einzelnen Wahlkreis zugehörig erklärte und mit sämtlichen partikularen Interessen identifizierte, tat Abu Mazen dies, indem er sich auf nichts festlegte." Elizabeth Hardwick trauert um Susan Sontag. Besprochen wird eine neue kommentierte Sherlock-Holmes-Ausgabe.

Espresso (Italien), 27.01.2005

Andrzej Stasiuk erzählt, wie seiner Frau im vergangenen Sommer bei einem kurzen Spaziergang in der Altstadt von Bari die Brieftasche mit allen Papieren entrissen wurde. "Oh mein Gott! Noch nie in meinem Leben bin ich so gerannt. Ich rannte und dankte der Vorsehung, dass ich vor acht Monaten das Rauchen aufgegeben hatte. Daher bin ich noch nie in meinem Leben so gerannt und hab dabei gleichzeitig soviel geflucht. Laut und vulgär. Man muss mich von der Piazza Mercantile bis zur Piazza Federico di Svevia gehört haben." Stasiuk konnte das Raubgut eine Stunde später in einer filmähnlichen Szene vom Bruder des Diebes für fünfzig Euro zurückkaufen - natürlich ohne Geld.

Im Frühjahr entscheidet Italien in vier Referenden über die Liberalisierung der bisher recht strengen Gesetze im Umgang mit Embryonen. So sollen die Befruchtung mit fremden Ei- und Spermazellen und die Forschung an Embryonen erlaubt werden und das Verbot der Präimplantationsdiagnostik fallen. Im Titelinterview mit Chiara Valentini rät der Politiker und Philosoph Massimo Cacciari den Espresso-Lesern, viermal mit "Si" zu stimmen.

Weitere Artikel: Riccardo Talenti berichtet, dass bei den ersten Kommunalwahlen in Saudi-Arabien keine Frauen abstimmen dürfen und lässt einige empörte Vertreterinnen der dortigen Frauenrechtsorganisationen zu Wort kommen. Alessandro Gilioli meldet sich aus Süd-Myanmar, wo er das Volk der Moken (mehr hier, hier und hier) besucht hat. Die "Zigeuner der Meere" sind vom Tsunami schwer betroffen, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen aber hilft die Regierung kaum. Und Monica Maggi fasst die bisher größte Studie zum menschlichen Sexualverhalten weltweit zusammen.
Archiv: Espresso

Tygodnik Powszechny (Polen), 23.01.2005

In Polen ist ein neuer Streit um den Umgang mit den Akten der kommunistischen Staatssicherheit entbrannt. Die rechten Parteien, allen voran die national-katholische "Liga der Polnischen Familien" fordern die Offenlegung der Dokumente, bis hin zur Veröffentlichung der Namen der Agenten im Internet. Im liberalen Wochenblatt Tygodnik Powszechny plädiert der Publizist Wojciech Pieciak dagegen für Zurückhaltung und illustriert die Ambivalenz der Aktenerforschung am Beispiel der DDR. "Es war einmal ein Land: Ostdeutschland. Nirgendwo sonst war die Abrechnung mit der kommunistischen Vergangenheit so sorgfältig und gleichzeitig so mild. Warum? Weil es dieses Land nicht mehr gibt." Die Arbeit der Birthler-Behörde habe gezeigt, so der Autor, dass die Akten nicht unbedingt immer die Wahrheit wiedergeben. Das eigentliche Problem bestehe jedoch darin, "dass in den Ländern Mitteleuropas beide Seiten nicht dazu bereit sind, die Wahrheit zu erforschen und Versöhnung zu finden, wie es in Südafrika der Fall war. Diese Bereitschaft fehlt besonders auf Seiten der ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter und der Politiker, die über ihnen standen."

"Der Osten braucht Sachen, der Westen braucht Blut". Im Düsseldorfer Schauspielhaus hatte das Stück "Nacht" Premiere, eine deutsch-polnische Koproduktion nach Andrzej Stasiuk (hier die Besprechung aus der FR). Für Piotr Gruszczynski verdeutlicht die Saga eines polnischen Autodiebs die Trivialität des Austauschs zwischen Ost und West: "Der Westen belog sich selbst, als er uns seine Kultur und Zivilisation anbot. Wir schicken gen Westen stur Pakete mit Geistigkeit, die niemand will. Tatsächlich ist der Deal einfacher: Sachen für Blut, oder genauer gesagt: im Tausch für Organe für Transplantationen, damit ein Leben inmitten der Sachen verlängert werden kann."

Vanguardia (Spanien), 23.01.2005

"Hinter der französischen 'exception culturelle' verbergen sich mehr Doppelagenten als in einem Roman von John Le Carre", resümiert Oscar Caballero für die Sonntagsbeilage der katalanischen Tageszeitung La Vanguardia zum Thema Wirtschaft und Geld: "Innerhalb von nicht einmal einem Jahr wird ein Rothschild zum Besitzer der von Jean Paul Sartre gegründeten Tageszeitung Liberation, Arnaud Lagardere von der Waffenschmiede Matra nimmt sich stattdessen Le Monde und der (Kampf)Flugzeugbauer Dassault den Figaro. Aber es kommt noch härter: Der Baron Ernest-Antoine Seilliere, französischer Arbeitgeberpräsident und Oberhaupt des Adelsclans Wendel, einer der zweihundert einflussreichsten Familien Frankreichs, wird der zweitgrößte Verleger des Landes; zu seinem Imperium gehört auch ein widerständiger Verlag wie La Decouverte, in dem unter anderen Jose Bove und Michael Moore publizieren. Und für 'Mathilde - Eine große Liebe', den neuen Film von Jean-Pierre Jeunet - der von 'Die wunderbare Welt der Amelie' -, müssen die erhaltenen Subventionen zurückbezahlt werden, weil es sich in Wirklichkeit um eine Warner-Produktion handelt."

Ungebrochen optimistisch blicken dagegen offensichtlich die Spanier in die Zukunft, glaubt man den von Mayte Rius zusammengefassten Ergebnissen einer großen Umfrage des Banco Cetelem: "Solidarischer, mit größerem Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge, europafreundlich, besser für den Job vorbereitet, fließend Englisch sprechend und sich wie ein Fisch im Internet bewegend, mehr Steuern zahlend und in der Lage, praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit einzukaufen, und zwar immer die günstigsten Angebote und möglichst auf Kredit: So sieht sich der spanische Durchschnittskonsument im Jahr 2010." Ole!
Archiv: Vanguardia

Gazeta Wyborcza (Polen), 22.01.2005

Zdzislaw Jezioranski ist tot. Die polnische Gazeta Wyborcza zeichnet ein Porträt des legendären "Jan Nowak", der im Zweiten Weltkrieg als Kurier zwischen dem besetzten Warschau und der Exilregierung in London diente, und als einer der Ersten die Alliierten über die Vernichtung der Juden informierte. Nach dem Krieg blieb Nowak-Jezioranski im Westen und war jahrelang Chef der polnischen Abteilung beim Sender Radio Freies Europa. Bei aller Kritik an den politischen Fehlern, die beim Übergang in die Demokratie gemacht wurden, unterstützte er stets Polens Weg in die Souveränität, die NATO und die EU. "In Zeiten des Umbruchs gab es niemanden, der so wie er kompetent und mit der nötigen Distanz auf Polen schaute. Der als Augenzeuge des gesamten 20. Jahrhunderts mit solch einem Eifer die Rolle eines Lehrers der Nation einnehmen würde."
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Nato, Souveränität, Umbruch

Nouvel Observateur (Frankreich), 20.01.2005

Sehr persönlich schreibt Hanif Kureishi (homepage) in einem Beitrag über die Hintergründe der Entstehung seines neuen Buchs, seine Doppelidentität als Brite pakistanischer Herkunft und den Islam. Das Thema von "Contre son Coeur", das in Frankreich gerade bei Bourgeois erschienen ist, ist eine Art Spurensuche nach Kureishis Vater. Nach dessen Tod hatte er mehrere Romanmanuskripte gefunden und zunächst gezögert, darüber zu schreiben. "Ein Thema meines Buchs ist genau diese Schwierigkeit, die ich damit hatte, es zu schreiben: War es zu intim, ja inzestuös? ... Es handelt auch vom Verhalten von Kindern gegenüber ihren Eltern, die ihre Zeit damit verbringen, sich neu zu bewerten, vor allem vor ihrem Tod. Seit ich die Manuskripte meines Vaters in Händen hielt, konnte ich mit der Idee dieses verborgenen Vaters spielen. Die Frage, ob damit die Wahrheit oder eine Fiktion zu Tage tritt, ist nicht zu beantworten."

Im Debattenteil sind zwei Beiträge einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu lesen, die der Nouvel Obs im Vorfeld des bevorstehenden Sozialforums vergangenen Samstag zum Thema "Die Linke und die Globalisierung" organisierte. Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Cohen untersucht die Frage nach einer notwendigen Demokratisierung innerhalb des Globalisierungsprozesses. Er fordert, die Begrifflichkeiten umzudrehen: "Nicht die weltweite ökonomische Integration schafft das Bedürfnis nach einer weltweiten Demokratie, vielmehr ist, um es kurz zu machen, genau das Gegenteil der Fall. Der Weltbürger kommt vor der Weltökonomie." Und der emeritierte Politikwissenschaftler Pierre Hassner denkt über Menschenrechte und die Pflicht der Einmischung nach. Er meint, dass Einmischung "weder ausschließlich einem gutmeinenden Staat überlassen werden kann, der kein anderes Gesetz anerkennt, als jenes, das seiner Verfassung und dem Auftrag seiner Wähler entspringt, noch einem ungleichgewichtigen Sicherheitsrat, der den Vetos nichtdemokratischer Mächte unterliegt, und auch nicht einer UNO-gesteuerten Bürokratie, die vom guten Willen der Mitgliedsstaaten abhängig ist."

Zu lesen ist schließlich die hymnische Besprechung eines Romans über eines der berühmtesten Pariser Hotels, das Hotel Lutetia ("Lutetia", Gallimard). In einem weiteren Artikel führt sein Autor, Pierre Assouline, durch diesen "mythischen Ort", in dem unter anderen James Joyce, Thomas Mann, Peggy Guggenheim, Andre Gide, Saint-Exupery und Matisse logiert hatten. Geschickt spinnt er diesen historischen Schauplatz in seine fiktive Geschichte ein, die während der Requirierung des Hotels durch Canaris' deutsche Abwehr spielt.

Economist (UK), 21.01.2005

In einem großen Porträt zweifelt der Economist an der demokratischen Gesinnung des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki, der in der Welt als Hoffnungsträger Afrikas gilt, zu Hause aber auch einmal die Polizei anweist, politischen Gegnern das Leben schwer zu machen. "Mr. Mbeki attackiert eine mysteriöse Gruppe von Reichen, die, so behauptet er, 'die Agenda setzen' für Debatten. Berühmt ist seine Verachtung für den Oppositionsführer Tony Leon, dem er nie antwortet oder ihn auch nur zu erkennen scheint. Der Präsident hat auch die Partei und staatliche Strukturen benutzt, seine Macht zu festigen. William Gumede, dessen neues Buch 'Thabo Mbeki and the Battle for the Soul of the ANC' detailliert Mr. Mbekis grimmige Sehnsucht nach Parteidisziplin und zentralistischer, präsidialer Kontrolle beschreibt, behauptet, dass der Raum für Debatte rapide schwindet, sowohl im als auch außerhalb des ANC ... Am alarmierendsten ist jedoch, dass Mr. Mbeki staatliche Organe gegen Rivalen in der Partei einsetzt. 2001 wies er die Polizei an, gegen drei Männer zu ermitteln - Mr. Ramaphosa, Tokyo Sexwale and Matthews Phosa - weil sie sich verschworen hätten, ihn zu 'stürzen'. Es war eine lächerliche Anklage, aber sie sorgte dafür, dass die drei Männer aus der Politik verschwanden. Mr. Gumede fürchtet, dass all dies die junge Demokratie bedroht."

Weitere Artikel: Ein Leitartikel fordert mehr Konsequenzen aus dem britischen Folterskandal, als nur die direkt Verantwortlichen zu bestrafen. Herzerweichend der Bericht über das Haus des schottischen Nationaldichter Robert Burns, das so heruntergekommen ist, dass hereinlaufendes Regenwasser einige Originalmanuskripte beschädigte. In weiteren Artikeln geht es um die Aufbruchsstimmung in dem von Camorra-Kriegen erschütterten Neapel, die Zukunft des sowohl von arabischen Irakern als auch Kurden beanspruchten Kirkuk, den Aufruhr über die Wiederaufnahme der Todesstrafe in den Neuenglandstaaten sowie die geplante Aufnahme patriotischer Unterweisungen in japanische Lehrpläne und zwei Bücher zur turbulenten jüngeren Vergangenheit der New York Times.

Im Titelpaket, aus dem nur der Einführungsartikel frei zugänglich ist, geht es um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen.
Archiv: Economist

Al Ahram Weekly (Ägypten), 20.01.2005

Im normalen Leben ist Zein Philosophieprofessor, doch nach Feierabend verwandelt er sich in den Letzten Pharao, einen muskulösen Superhelden. Er ist einer von vier Comic-Figuren - zwei Männer, zwei Frauen -, mit denen der Verlag AK Comics die Welt der Superhelden national ausstattet: global verträgliche Erscheinung und Kostümierung, aber ägyptische und arabische Themen. Zum Beispiel bekommt es Jalila nicht nur mit der "Zios Armee" zu tun, sondern auch mit deren Gegnern von der "Vereinigten Befreiungsfront". Moina Fauchier Delavigne hat die Hefte durchgeblättert. und stellt fest: "Jalila and Aya sind nicht nur sexy, kurvige Frauen, sie haben auch eine gute Ausbildung und sind intelligent: eine Wissenschaftlerin und eine Jurastudentin. Im Kampf benutzen sie ihre beeindruckende physische Kraft genauso wie ihre Intelligenz." Allerdings werden die Comis nur "in der Theorie" von "kreativen arabischen Gehirnen" produziert. "In der Praxis sind 'Gehirne' aus Brasilien und den USA beteiligt."

Rasha Salti porträtiert den Herausgeber der pan-arabischen und dezidiert anti-nationalistischen Kulturzeitschrift Zawaya, die von Beirut aus an die intellektuelle Tradition anknüpft, die genau dort einmal Zuhause war. Der Regisseur Saad Hendawy war zu Gast beim Internationalen Filmfestival in Dubai und ist voll des Lobes: interessante und aktuelle Schwerpunkte, gute Filme, ausgezeichnete Organisation und angeregte Besucher. Cherine Badrawi ist bitter enttäuscht von dem fehlenden globalen Verständnis und der geringen Anteilnahme der Menschen in der arabischen Welt am Schicksal der Tsunami-Opfer: 60 Millionen Dollar Spendengelder aus Ländern wie Saudi-Arabien, den Emiration und Kuweit? "Wenn uns eine Katastrophe von solch gewaltigen Ausmaßen unberührt lässt, ist es unwahrscheinlich, dass wir den Armen und Bedürftigen in unseren eigenen Reihen helfen können."
Archiv: Al Ahram Weekly

Prospect (UK), 01.02.2005

Bartle Bull analysiert die bevorstehenden Wahlen im Irak und sieht darin den entscheidenden Schritt für Frieden und vielleicht auch einmal Demokratie. "Die neue Regierung wird US-Truppen und Dollars brauchen, aber eine gewählte Regierung, die von Menschen dominiert wird, die Saddam in den Sümpfen jahrzehntelang bekämpft und die US Marines zu einem Waffenstillstand in Nadschaf gezwungen haben, wird weitaus unabhängiger und glaubwürdiger sein als die derzeitige Verwaltung unter Allawi."

"Es klingt wie Ebenholz - dunkel und reichhaltig und sehr schön". Stephen Everson porträtiert das Londoner Philharmonieorchester und dessen langjährigen Direktor David Whelton. Der wiederum gibt die Komplimente an den Chefdirigenten Christoph von Dohnanyi weiter. "Wenn man zu einem Dohnanyi-Konzert geht, wird dort mit einer kammermusikartigen Feinheit gespielt, und er bringt einen zum Zuhören, weil das Orchester selbst lauscht." Whelton sorgt sich aber um die Zukunft der Festival Hall, da im Publikum immer weniger Londoner, sondern nur noch Kulturbegeisterte aus Europa zu sehen sind. "Man hört sieben oder acht Sprachen, und wenn es diese Leute nicht gäbe, wäre es fast leer, fürchte ich."

Kenan Malik unterzieht das geplante britische Religionsgesetz einer kritischen Analyse. Er glaubt, dass die Antidiskriminierungs-Regelung die Meinungsfreiheit erheblich einschränken wird: "Jeder muslimische Vertreter, mit dem ich gesprochen habe, will das Gesetz benutzen, um Salman Rushdies 'Die Satanischen Verse' zu verbieten." Sebastian Mallaby diskutiert die jüngsten Entwicklungen in der Katastrophenhilfe und hofft auf langfristigere Engagements. Michael Prowse erinnert an den französischen Soziologen Emil Durkheim, der sich wissenschaftlich mit Selbstmord und Religion beschäftigte und trotzdem die Moral nicht vergass. Im Gegensatz zu Marx "zettelte er auch keine sinnlosen Revolutionen an, sondern half mit, jene Sozialdemokraten zu inspirieren, die den Sozialstaat erfanden". In der Titelgeschichte erklärt Michio Kaku, wie die Menschheit in Zukunft durch ein Wurmloch in ein paralleles Universum flüchten kann.
Archiv: Prospect

Elet es Irodalom (Ungarn), 21.01.2005

Der Publizist Gusztav Megyesi findet im Aufmacher kritische Worte über Pavel Bem, den Bürgermeister von Prag. Der hatte, als italienischer Tourist verkleidet, beobachtet, wie die bösen, bösen Prager Taxifahrer ausländische Fahrgäste betrügen: "Auch die BBC berichtete, die Prager redeten mit glänzenden Augen und mit tiefem Selbstgefühl über ihren Vorgesetzten, und alle sind jetzt sicher, dass die Taximafia bald aufgelöst wird. Der Bürgermeister forderte inzwischen auch seine Kollegen zu regelmäßigen, verkleideten Kontrollen auf. Prag wird jetzt bestimmt eine Zeit lang den Schein eines italienischen Touristenparadieses wecken. Dann schütteln sich die Taxifahrer, alles bleibt bei altem, in der Struktur wurde ja nichts wirklich verändert. Aber der Bürgermeister wird in sämtlichen Popularitätsumfragen ganz vorne stehen." (Danach bekommt der Budapester Bürgermeister eins aufs Auge.)

Als beste Neuerscheinung des Monats wird Tatjana Tolstajas "Kys" gefeiert. Der Slawist und Übersetzer Jozsef Goritity ist begeistert, dass Tolstaja (sie ist die Großnichte von Lew und Enkelin von Alexei Tolstoi ) eine "Antiutopie", "einen postmodernen Roman über die parodistische Selbstwiederholung Russlands schrieb." Tolstaja betrachtet "die russische Geschichte nicht als Geschichte, sondern als etwas, das sich im mythologischen Sinne außerhalb der Zeit befindet ... Das wohlbekannte Endzeitgefühl der russischen Literatur am Ende des 19. Jahrhunderts war nicht grundlos: die Atomkatastrophe ... wurde tatsächlich Wirklichkeit. Darauf folgte jedoch weder die christliche Utopie a la Solowjow, noch die 'vollkommene Gesellschaft' - eine von Dostojewski begonnene und von Samjatin ausgearbeitete gesellschaftliche Utopie -, sondern ein kultureller Zustand, in dem alles (oder fast alles) von vorne beginnen muss."

Zu Beginn des neuen Jahres befinden sich die ungarischen Feuilletons in einer Art Aufbruchstimmung, immer mehr Stimmen fordern eine gesellschaftliche Erneuerung - eine Konjunktur der bislang vernachlässigten Bereiche Bildung, Kultur und Medien - um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu stärken. Der renommierte Informatikexperte Miklos Havass schreibt in einem verzweifelten, engagierten Beitrag: "Nachhaltige wirtschaftliche Erfolge und Wettbewerbsfähigkeit werden uns nur gelingen, wenn die Gesellschaft und die einzelnen Menschen auf den Erfolg vorbereitet sind, wenn die Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse nicht vernachlässigt wird. Wirtschaftlicher Aufschwung ist nur zusammen mit gesellschaftlichem Aufschwung möglich." (Siehe dazu auch den Beitrag des Soziologieprofessors Hankiss in der Tageszeitung Nepszabadsag).

Nepszabadsag (Ungarn), 22.01.2005

Was fehlt Ostmitteleuropa, damit es sein eigenes "Wunder" entfalten kann, wie es Finnland und Irland gelungen ist? - fragt der Soziologieprofessor Elemer Hankiss und findet eine interessante Antwort: "Ein Durchbruch setzt nicht nur ausgezeichnete Wirtschaftsprogramme und Institutionen, dynamische Manager, eine konzeptions- und entscheidungsfähige Regierung und eine kritische, beherrschte Opposition voraus, sondern auch eine gut funktionierende Gesellschaft ... das heißt zivilisierte, verantwortungsvolle, tolerante, zielbewusste, sich vertrauende, die Initiative ergreifende, effektive Bürger." The World Values Survey 1990-2002 demonstriert laut Hankiss, dass in diesem Bereich noch viel zu tun ist: "Die ungarische Gesellschaft ist in der osteuropäischen Ländergruppe steckengeblieben - nur die slowenische und die tschechische Gesellschaft haben sich auf die sogenannten postmodernen Werte hinbewegt. Das ist eine ernstzunehmende Last und ein Nachteil, da sich die grundsätzlichen Wertevorstellungen und Präferenzen der Menschen nur langsam verändern. Anachronistische Wertesysteme könnten jedoch der schnellen und erfolgreichen Entwicklung des Landes sehr hinderlich sein."

Interessant noch zwei Artikel vom Vor- und Vorvortag: "Der unbegrabene Tote" stellt erstmals Imre Nagy, dem Anführer des blutig niedergeschlagenen ungarischen Aufstands von 1956 ein filmisches Denkmal. In einem offenen Brief werfen seine überlebenden politischen Weggefährten der Regisseurin Marta Meszaros Geschichtsfälschung vor. Der Film zeige Nagy als einen einsamen Freiheitskämpfer, den seine Kameraden aus Feigheit verraten und verlassen hätten. "Seine Mitstreiter standen Imre Nagy, der unbestreitbar zum Helden und Märtyrer der ungarischen 56er Revolution wurde, stets bei, sie teilten sein Schicksal, sie blieben ihm und der gemeinsamen Sache stets treu. Unabhängig davon, wer von ihnen hingerichtet wurde und wer 'lediglich' mehrere Jahre im Gefängnis verbrachte. Sie alle gehörten menschlich und moralisch stets zusammen. Das beweist der jahrzehntelange Kampf der Überlebenden für die Aufdeckung der Wahrheit und für die würdige Beerdigung der Ermordeten. Das beweist auch unser gemeinsamer, offener Brief."

In Ungarn kommt "Der Untergang" in die Kinos. Der Filmtheoretiker Gergely Bikacsy ist fasziniert: "Eiskalt zeigt der Film, wie Hitler, 'von Kanonen geohrfeigt, durch den Krieg entkräftet', gebrechlich geworden und in seinem Glauben und seinen Prophezeiungen widerlegt, immer noch konsequent auf seiner Scheinwissenschaft beharrt, sogar in der tiefsten Ecke des Bunkers. Sein blinder Glauben blieb stahlhart, nichts von seinen Ansichten hat er relativiert. Der Hitler dieses Films ist weder ein Wahnsinniger im klinischen Sinne ... noch ein 'mordsüchtiger Sadist' und die Frage, ob er 'böse' war, ist sinnlos. Er war schädlicher als all das zusammen: ein blinder Fanatiker seiner sozialdarwinistischen Überzeugung, seiner eiskalten Rassentheorie." Bikacsy hofft, dass möglichst viele Ungarn den Film sehen werden: "Ich habe das Gefühl, die Menschen sind Greise und Neugeborene, im politisch-geschichtlichen Sinne: Sie wissen nichts und wollen nichts wissen. Freikarten für sie!"
Archiv: Nepszabadsag

Outlook India (Indien), 31.01.2005

"Willkommen in der wachsenden Welt der neuen Singles", begrüßt Sanghamitra Chakraborty die Leser dieser Ausgabe und stellt klar, dass es nicht um wunderliche Junggesellen oder altjüngferliche Tanten geht, sondern um einen soziogischen Trend, der mit steigenden Einkommen und globalen kulturellen Werten auch in indischen Großstädten an Bedeutung bewinnt: "Die Singles von heute sind keine Soziophoben oder unvermittelbare Heiratswillige." Sie haben ein ausgefülltes Leben, interessante Jobs, Freunde, und sie werden sogar geliebt. Sie fühlen sich einfach besser ohne Partner, und seitdem existenzielle Versorgung und Identität des Individuums nicht mehr an die Institution der Ehe gebunden sind, haben sie die Wahl. Was viele Inder noch misstrauisch stimmt, wie Chakraborty feststellt. Er zitiert einige Vorurteile: Die scheuen doch nur die Verantwortung! Oder sind sie vielleicht homosexuell? Und ob sie sich wohl regelmäßig waschen?

Dürfen Bilder von Katastrophenopfern im Fernsehen und in der Presse zirkulieren? Es hängt davon ab, schreibt Paul Danahar, der Bürochef der BBC in Südasien, ob sie zum Verständnis des Ereignisses beitragen oder voyeristische Unterhaltung liefern. Der Tsunami zum Beispiel sei ein Ereignis gewesen, bei dem die Vorstellung der Zuschauer auf keine gespeicherten Bilder zurückgreifen konnte. Anlass für seine Überlegungen war der Artikel einer großen indischen Tageszeitung, in der den internationalen Medien Rassismus vorgeworfen wurde - sie hätten ohne Vorbehalte Leichen abgelichtet, weil es sich um Asiaten handelte. Danahar weist die Vorwürfe, was die BBC angeht, zurück und verweist seinerseits darauf, dass im indischen Fernsehen zwar kein Sex, aber jede Menge tödliche Gewalt zu sehen ist, und zwar zu allen Tageszeiten.

Seema Sirohi ist Berichten nachgegangen, wonach finanzkräftige amerikanische christliche Organisationen die Bedürftigkeit von Tsunamiopfern nutzen, um vor Ort aggressive Missionarsarbeit zu verrichten - zum Teil sollen sie ihre Hilfe sogar von religiöser Konversion abhängig gemacht haben. Beim Blick auf die Websites einiger Gruppen haben sich ihre Befürchtungen bestätigt: "Indien wird häufig als Land der Dunkelheit und der Götzenanbeter beschrieben, als reif für Erlösung."

Und noch zwei Rezensionen: Sunil Sethi ist ganz mitgenommen von Vikas Swarups "Q and A", einer "schmutzigen Saga über Kinderschänder, Räuber, Betrunkene, minderjährige Prostituierte, alternde, masochistische Bollywoodstars, herzlose Provinzprinzessinen und australische Geheimagenten." Doch leider ohne eine Erzählstimme, die den Hype um das Buch gerechtfertigen würde. Und Nilanjana S. Roy ist sehr beeindruckt von Shauna Singh Baldwins Romanversion des Lebens von Noor Inayat Khan, einer geheimnisvollen Inderin, die im Zweiten Weltkrieg als Agentin der französischen Resistance tätig war und wahrscheinlich in Dachau starb.
Archiv: Outlook India

New York Times (USA), 24.01.2005

Ernüchtert zeigt sich Andrew Sullivan von der Lektüre zweier Bücher, die sich mit Folterungen durch amerikanische Militärs beschäftigen: "The Abu Ghraib Investigations. The Official Report of the Independent Panel and Pentagon on the Shocking Prisoner Abuse in Iraq", herausgegeben von Steven Strasser, und "Torture and Truth. America, Abu Ghraib, and the War on Terror" von Mark Danner (Leseprobe). "Jetzt kann niemand mehr behaupten, dass diese Vorfälle auf ein Gefängnis in Baghdad beschränkt waren," meint Sullivan. "Es gab sie überall: von Guantanamo Bay bis Afghanistan, Baghdad, Basra, Ramadi und Tikrit und, nach allem was wir wissen, in zahlreichen versteckten Gefängnissen." Die Regierung kommt ebenfalls nicht gut weg. "Diese Dokumente zeigen unmissverständlich, dass die Entscheidungen des Präsidenten und des Verteidigungsministers zur Verwirrung, Unklarheit und Unordnung beitrugen, die wiederum direkt zu Missbrauch und Folter geführt haben."

Robert D. Kaplan meint, dass Folter manchmal durchaus zu wichtigen Erkenntnissen führen kann. Er will sich nach dem Studium des von Sanford Levinson herausgegebenen und hochkarätig besetzten Sammelbands "Torture" aber auf keine theoretische Seite schlagen. Vielmehr sympathisiert er mit den Vernehmungsspezialisten, von denen einer unter dem Pseudonym Chris Mackey zusammen mit dem Journalisten Greg Miller einen Band über seinen Job herausgegeben hat ("The Interrogators", erstes Kapitel). Kaplan meint, mit einer besseren Ausbildung, mehr Geld und mehr Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten wäre die Folter nicht mehr so notwendig. "Als ich mit den Army Special Forces in Afghanistan war, war ich schockiert, wie eine schwerfällige Bürokratie die Jagd nach Terroristen an der pakistanischen Grenze behindert. Eine Regierung, die solche Probleme dynamisch angeht, wird der Öffentlichkeit mehr Sicherheit verschaffen als eine, die die Grenzen zur körperlichen Folter ausweitet."

Weiteres: In einem Essay schildert Rachel Donadio die Diskussion um Stephen Greenblatt, dessen fiktional angereicherte Shakespeare-Biografie "Will in der Welt" von den Lesern begeistert, den Kollegen aber eher feindselig aufgenommen wurde. Und zwei weitere Besprechungen: Patricia T. O'Conner freut sich schon auf Carole Cadwalladrs zweites Buch. Ihr Debütroman "The Family Tree", in dem sie mit "verschlagenem Humor" drei Generationen einer bizarren englischen Familie vorstellt, sei zwar manchmal ein wenig unübersichtlich, aber "ambitioniert". "Fesselnd" findet Neil Genzlinger Harold Evans Porträts von amerikanischen Erfindern und Pionieren, die ihr Land und natürlich die Welt vorangebracht haben (hier die Einleitung). So erfährt man etwa, dass Levi Strauss es vorzog, seine Jeans "hüftlange Overalls" zu nennen.

Im New York Times Magazine berichtet Eliza Griswold aus Bangladesch, das sich unerwartet von einem Hoffnungsmodell der Demokratie und Toleranz zu einem Sammelbecken für Militante entwickelt. Im Nordwesten des Landes etwa basteln Bangla Bhai und seine etwa 10.000 Anhänger mit Terrormethoden an einer islamischen Revolution im Talibanstil. Untersuchungen gibt es nicht, Geschichten aber genug, so wie jene, die Griswold von einem Ladenbesitzer erfährt. "Er erzählte mir, dass er in den vergangenen Monaten mehr als 50 Männer gesehen hat, die mit angebundenen Füßen von einem Bambusgestell herunterhingen und mit Hämmern, Eisenstangen und Hockeyschlägern geschlagen wurden, in Bangladesh recht übliche Waffen. Bei der Erinnerung an diese Grausamkeiten verzog er sein Gesicht für eine Sekunde, dann verlor sein fleischiges Gesicht jeglichen Ausdruck." Der Widerstand formiert sich auch im Internet.

Weitere Artikel: John Leland besucht den 29-jährigen Punk-Priester Jay Bakker, dessen Eltern einst eine religiöse Fernsehshow und mit Heritage USA den drittgrößten Themenpark der Vereinigten Staaten betrieben. Der tätowierte Bakker hält nun Messen unter anderem in Clubs und entschuldigt sich, wenn er zu predigerhaft wird. In der Titelgeschichte untersucht Daniel Bergner, wie man zum Kinderschänder wird - durch die eigene Vergangenheit, den Charakter oder das Internet? Außerdem beäugt Christopher Caldwell die neue Politik des gespielten Gefühls, und Deborah Solomon befragt den Sachbuchautor und Katastrophenexperten Simon Winchester ("Krakatau") nach dem Bösen in der Natur.
Archiv: New York Times