Im Kino
Astreine Indoktrination
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
31.10.2007. Im Rahmen des durch die Republik tourenden Aktion-Mensch-Festivals "ueber morgen" gibt es unter anderem Werner Herzogs sehr seltsame Science-Fiction-Fantasie "The Wild Blue Yonder" und die US-Evangelikalen-Kinder-Indoktrinations-Doku "Jesus Camp" zu sehen. Der australische Film "Jindabyne" demonstriert, wie man Raymond Carver besser nicht verfilmt.
Zum Glück steht wenigstens der eine oder andere der gezeigten Filme im Widerspruch zur drögen Staatskneteantragsprosa der Festivalbegleitliteratur. Wenn es einen gibt, der mit so etwas garantiert nichts zu tun hat, dann ist das schließlich Werner Herzog, der in den USA wohl derzeit am aufmerksamsten beobachtete deutsche Regisseur. (In deutsche Kinos kommen seine Filme seltsamerweise gar nicht mehr oder sehr verspätet.) Unverdrossen dreht er Film um Film, zuletzt den aufwendigen "Rescue Dawn" und die Antarktis-Dokumentation mit dem exemplarischen Herzog-Titel "Encounters at the End of the World". Das Ende der Welt, der Tod, der Krieg, das Extreme, der Exzess, die Ränder der Zivilisation: da fühlt Herzog sich immer schon und noch immer zuhause.

Fast eindrücklicher als die Bilder und die fadendünne Geschichte ist der Soundtrack, für den Herzog einen Avantgarde-Cellisten, südindische Chöre und einen senegalesischen Gesangssolisten zum Improvisieren ins Studio steckte - um auf die Tongrundlage dann den Film zu montieren. Der schroffe Wolof-Gesang, dazu die dröhnenden Chor-Harmonien, das alles gebettet auf ein leicht atonales Cello-Kratzen und -Singen; die Bilder dazu vom Weltraumschweben und von Unterwassergeschöpfen. Mit der gesellschafter-Idee von irgendwie vermittelbaren "Ideen und Weltentwürfen" hat das als eine einzige Herzog-Idiosynkrasie herzlich wenig zu tun. Aber das ist, versteht sich, auch gut so.

Der Film selbst ist ein Dokumentar-Wischi-Waschi mit suggestivem Soundtrack und halbsubtiler Pseudo-Neutralität. Daran, dass die Einblicke, die einem "Jesu Camp" gewährt, interessant sind, ändert das nichts. Was man zu sehen bekommt, ist astreine Indoktrination, bedingungsloses Einschwören der Kinder auf die Wahrheit, die die Erwachsenen mit Löffeln gefressen haben. Ungeschminkt sind die Kommentare, in denen die Beteiligten von der Zucht kleiner Gotteskrieger sprechen, die immer wieder mit dem Verweis auf die Methoden der Islamisten gerechtfertigt wird. Wie eine Götzenstatue angebetet wird der oberste Evangelikale George W. Bush und interessant zu beobachten ist, wie viele Phänomene heutiger Popkultur ihre christliche Variante ausprägen, von HipHop bis Heavy Metal. Es ist eine Welt, in der die leiseste Spur kritischen Denkens methodisch ausgelöscht wird. Und zwar, da von Kindesbeinen an, an der Wurzel. Mithin: ein Horrorfilm, eine Körperfresser-Variation.
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Ein böser weißer Mann, damit fängt alles an, tötet eine junge Aborigine-Frau, die auf dem Weg ist zu einem Festival der Country-Musik. Vier nicht richtig böse, aber doch eher tumbe weiße Männer machen einen Ausflug ohne ihre Frauen in die vermeintlich unberührte Natur. Es ist zunächst wie in John Boormans ungleich abgründigerem Klassiker "Deliverance" - und tatsächlich stoßen die Männer bei ihrem Trip in die Natur auch auf eine Ureinwohnerin. Es ist die im Wasser treibende ermordete junge Aborigine-Frau und daraus, dass die Männer nach dem Leichenfund eine ganze Weile ziemlich ungerührt weiterangeln, ehe sie sich auf dem Rückweg bei der Polizei melden, wird ein regelrechter Skandal.
Im Zentrum der Geschichte stehen Stewart (Gabriel Byrne), der einer der Ausflügler ist, und seine Frau Claire (Laura Linney), die der Film beide eifrig mit weiteren Problemen umzingelt: Eine Ehekrise von früher, eine giftige Schwiegermutter, ein Kleintiere mordender Sohn. Es ist, als könnte das Drehbuch nicht genug bekommen an psychischen Verkorkstheiten, was umso seltsamer ist, als es auf einer Kurzgeschichte des ja nun gerade für seine konzentrierte Geradheit und Lakonie bekannten Raymond Carver beruht. "Jindabyne" aber krampft sich von einem Konflikt zum nächsten und versöhnt zum hochnotpeinlichen Ende zu Aborigine-Gesangsbegleitung Mann und Frau sowie weiß und schwarz. Bleibt nur der Tipp, lieber noch mal Robert Altmans "Short Cuts" aus der Videothek zu holen, wo dieselbe Carver-Geschichte unter anderen schon mal verfilmt wurde. Nur ohne den ganzen Problem-Klimbim und Krampf-Ballast.
The Wild Blue Yonder. USA 2006 - Regie: Werner Herzog - Darsteller: Brad Dourif
Jesus Camp. USA 2006 - Regie: Heidi Ewing und Rachel Grady
Jindabyne - Irgendwo in Australien. Australien 2006 - Originaltitel: Jindabyne - Regie: Ray Lawrence - Darsteller: Laura Linney, Gabriel Byrne, Chris Haywood, Tatea Reilly, Sean Rees-Wemyss, Deborra-Lee Furness, John Howard, Eva Lazzaro, Maya Daniels