Magazinrundschau - Archiv

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215 Presseschau-Absätze - Seite 3 von 22

Magazinrundschau vom 01.12.2015 - Nepszabadsag

Der einstiger Berater von Václav Havel, der in der Slowakei lebende ungarische Schriftsteller und Psychiater Péter Hunčík, nimmt fünfundzwanzig Jahre nach der "samtenen Revolution" die Visegrád-Länder in Augenschein und vergleicht die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Ost- und Westeuropa: "Die Werteordnung der Visegrád-Länder wurde in der letzten Zeit stark verändert. Höhere Emotionen und komplizierte menschliche Beziehungen haben keinen Platz mehr. Das Wesen ihrer Philosophie könnte gar in einem Satz zusammengefasst werden: Gebt uns Geld und lasst uns in Ruhe. (...) Der europäische Mensch mag Angelegenheiten besprechen. Wenn er in Probleme gerät, denkt er nach und beginnt mit Verhandlungen, ganz wie Hamlet. Wir im Osten betrachten jedoch Verhandlungen als Erniedrigung. Wir suchen nicht nach Kompromissen, sondern wollen stets siegen. Das Vorbild von Ost-Europa ist nicht Hamlet, sondern der starke Fortinbras. Es wäre Zeit dies zu überdenken."

Magazinrundschau vom 17.11.2015 - Nepszabadsag

Bis August dieses Jahres war der Schriftsteller László Garaczi für zwölf Monate Stadtschreiber von Graz. Über seine Zeit als artist in residence in der Steiermark sprach Sándor Zsigmond Papp mit Garaczi. "Die Atmosphäre und die Gerüche in Graz, als eine Stadt aus der Monarchie, sind mir vertraut und es gibt viele Ungarn dort: Studenten, Touristen, Gastarbeiter, Bettler, Kaffeehaus-Besitzer. Ich arbeite, schreibe und versuche auf diejenigen zu achten, die in meiner Nähe leben. Vielleicht ist es erstaunlich, doch ich bin kein Pessimist und auch nicht depressiv. Ich wohne in einer wunderschönen Stadt, hier erscheinen gute Bücher und das Kaffeehausleben ist bunt. Ich gehe viel spazieren im Stadtgarten: die Farben der herbstlichen Bäume, der Dampf über dem Bad - dagegen kann der Amoklauf einiger durchgeknallter Politiker wirklich nicht ankommen."

Magazinrundschau vom 27.10.2015 - Nepszabadsag

Der aus Siebenbürgen stammende Dichter und Schriftsteller Béla Markó, der jahrzehntelang für die ungarische Minderheitenpartei RMDSZ im rumänischen Parlament saß, beklagt das Fehlen einer vereinigenden Erinnerung an die ungarische Revolution von 1956. Nach der Niederschlagung durch die sowjetische Armee kam es in zahlreichen Fällen auch zu Repressalien gegenüber der ungarischen Minderheit in den benachbarten Ländern. Zugleich begann ein Ringen um die Deutungshoheit der Ereignisse, das nach Markó bis zum heutigen Tag anhält: "Nach der Niederschlagung begann auch in Siebenbürgen die Zeit der Vergeltung, Todesurteile, schwere Gefängnisstrafen für etwas, das dort gar nicht passiert war: für die ungarische Revolution. Nicht für Gewehrschüsse, sondern für Kerzen auf dem Friedhof, für Rezitationen von Gedichten, für Reden bei Studentenversammlungen. Für die Worte. (...) Es gab nur ein 1956, doch es gibt so viele Erinnerungsveranstaltungen, wie Parteien, und damit auch ebenso viele erbärmliche Versuche Freiheit zu vereinnahmen. An jeder Straßenecke gibt es eine andere Freiheit, doch eine gemeinsame scheint es nicht zu geben, wie es auch eine gemeinsam auslegbare Demokratie nicht zu geben scheint"

Magazinrundschau vom 13.10.2015 - Nepszabadsag

Vor fünfzehn Jahren erschien Attila Bartis" grandioser Roman "Die Ruhe". Dreizehn Jahre schrieb an dem Nachfolger, der demnächst in Ungarn erscheint ("Das Ende", Magvető, 2015, 604 Seiten). In der Zwischenzeit hat ein ungarischer Literaturhistoriker behauptet, es gebe (bisher noch nicht veröffentlichte) Dokumente, die bewesen, dass der Vater von Bartis, der Schriftsteller und Dichter Ferenc Bartis, kurz vor und nach der Übersiedlung der Familie von Siebenbürgen nach Ungarn 1984 Berichte für die rumänische Securitate verfasst haben soll. Ferenc Bartis saß nach der ungarischen Revolution 1956 sieben Jahre lang in Rumänien im Gefängnis. Er galt nach der Übersiedlung als einflussreicher Oppositioneller, 2006 starb er. Im Interview mit Sándor Zsigmond Papp erzählt Attila Bartis, wie sehr das alles sein Schreiben beeinflusst hat: "Sechshundert Seiten müssen irgendwie zusammengehalten werden und wenn Ereignisse, die Gefühle des täglichen Lebens so beeinflussen wie mich, dann dauert das eben. Der Tod meines Vaters beispielsweise war ein Augenblick, nach dem ich beinahe wieder von Null anfangen musste. … Auch seine Agentenvergangenheit, die bereits früher auftauchte, nur erschien sie damals als Hirngespinst. Jetzt wurde ich damit in einer absolut unerwarteten und unwahrscheinlichen Situation konfrontiert. Ich möchte darüber aber nicht mehr sprechen, was ich dazu zu sagen hatte, ist im Buch. (...) Jedenfalls musste ich in den letzten drei Monaten gleichzeitig die ursprüngliche Geschichte und die "verbesserte Ausgabe" schreiben, was ich nicht Mal meinem Feind wünschen würde".
("Verbesserte Ausgabe" - eine Anspielung auf Péter Esterházy, der kurz vor dem Ende seiner Familiengeschichte "Harmonia Caelestis" mit der Agentenvergangenheit seines Vaters konfrontiert wurde und daraufhin eine "Verbesserte Ausgabe" nachlegte.

Magazinrundschau vom 22.09.2015 - Nepszabadsag

Sie schreibt keine Romane, sie schreibt Novellen. Das stellt die ungarische Schriftstellerin Edina Szvoren, Gewinnerin des diesjährigen EU-Literaturpreises, im Interview mit Sándor Zsigmond Papp klar. Es ärgert sie, dass Verlage das oft nicht erkennen: "Als könnten im Lebenswerk eines gesunden, sich psychosexuell entwickelnden Schriftstellers nach dem ersten Novellen-Band nur Romane folgen. ... Wer mit einem 500-seitigen Roman anfängt, der wird eine Zeitlang nicht von der Gefahr bedroht, im Dunklen herumzuirren, die Aufmerksamkeit ankurbeln und sich mit Hilfe nur weniger Sätze eine Welt vorstellen zu müssen. Genau das muss man bei Lektüre eines Novellenbandes aber zehn, zwanzig Mal. Sonst gibt es Probleme. Wer Romane liest, spart nicht Zeit, aber Energie und vielleicht auch Angst."

Magazinrundschau vom 08.09.2015 - Nepszabadsag

Entsetzt von der Entwicklung in den vergangenen Wochen fordert der Philosoph Gáspár Miklós Tamás die Aufnahme von Flüchtlingen auch in Ungarn und gleichzeitig Verbesserungen für die Roma und weitere gesellschaftliche Randgruppen: "Ungarn muss mit dem Schüren von Hass gegen die Flüchtlinge aufhören und diese Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, mit Liebe und Anteilnahme empfangen. Und das wichtigste: Auch Ungarn muss einige zehntausende Flüchtlinge aufnehmen. Zweifelsohne wäre das nur dann vollkommen gerecht, wenn endlich auch etwas gegen die Diskriminierung der ungarischen Roma unternommen würde und wenn in Sachen Steuer-, Beschäftigungs-, Sozial- und Wohnungspolitik endlich Hilfe für die im Elend lebenden Millionen in Ungarn käme."

Magazinrundschau vom 18.08.2015 - Nepszabadsag

Das manche Migrationsbewegungen offenbar akzeptierter sind als andere zeigt ein Artikel des Politologen László Lengyel, der feststellt: "Die Krise zeigte mehr oder weniger deutlich, dass die nord-west-europäische Lebensform - Sicherheit, Ruhe, berechenbare Zukunft, hohe Bildungs- und Gesundheitsstandards, Reisefreiheit, Gleichberechtigung, Umweltbewusstsein usw. - attraktiv ist und, wie zuvor die amerikanische, als Magnet die modernisierungswilligen jungen Eliten aus Süd- und Ost-Europa anzieht. Die portugiesische und litauische, die spanische und ungarische, die italienische und russische, die polnische und rumänische junge Generation sieht ihre Zukunft nicht im jeweils eigenen Land, sondern in London, Berlin, Kopenhagen oder Stockholm."

Magazinrundschau vom 16.06.2015 - Nepszabadsag

Als Leiter des Film, Media, and Cultural Studies Graduate Program an der Budapester Universität ELTE, verteidigt der Kunsthistoriker und Medienwissenschaftler Péter György die vor kurzem verkündete Entscheidung der Katholischen Universität Péter Pázmány (PPKE) über die Einführung eines Pflichtfachs für alle Studiengänge mit dem Titel "Der Holocaust und seine Erinnerung": "Die Aufnahme eines Pflichtfachs ins Studienprogramm - unabhängig vom Fach - ist eine kritische Sache für die Befürworter der liberalen Pädagogik. Doch das Wesen der Universität besteht auch aus Fächern, die jeder belegen muss, aus Pflichtfächern. (...) Ich halte es für keinen Zufall, dass die Leitung der PPKE, also die Ungarische Katholische Kirche (als Trägerin) jetzt beschlossen hat, in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen, worüber einige ihrer Lehrer bis jetzt schwiegen. Wir leben in Zeiten des schon in seinem Namen skandalösen Veritas Instituts, des schon in seinem Namen entwürdigenden Haus der Schicksale mit seinen leeren Plänen, wir leben in der Ära des schrecklichen Mahnmals am Freiheitsplatz. Wenn ich es richtig verstehe, dann versteht man dies am Campus der PPKE ebenso wie bei uns an der ELTE."
Stichwörter: Ungarn, Pädagogik

Magazinrundschau vom 02.06.2015 - Nepszabadsag

Der kürzlich ausgezeichnete Altphilologe und Romancier Gergely Péterfy analysiert die Sprache der Macht im gegenwärtigen Ungarn anhand der Äußerungen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Straßburg - der dort die ungarische Sprache als eine "direkte" bezeichnete - und zieht Parallelen mit der Kádár-Ära vor 1989: "Die Situation der ungarischen Sprache unter Kádár ähnelte der eines politischen Häftlings, der solange verprügelt wird, bis er endlich sagt, was sein Folterer will. Die westlichen Sprachen - ihre Zuvorkommenheit und Offenheit - entwaffnen dagegen die Barbarei der Vergangenheit in ihren sprachlichen Erinnerungen, welche viel länger überlebten als ihre Institutionen oder Staaten. Das ist nun keine Aggressorenstrategie, sondern eine friedenserhaltende. Eine Blauhelmsprache, die den Konflikt nicht eskalieren lässt, solange die Verhandlungen andauern. (...) Auch wenn der Ministerpräsident verwirrt und blind über die ungarische Sprache redete, gerade die gesprochene Sprache verriet, was er will, wohin er geht - er sprach die Sprache der Aggression, die des direkten Konflikts. (...) Ich war einst so neidisch auf die Gruppe um Esterházy, dass sie damals sagen konnte: der Sozialismus sei eine sprachliche Goldmine. Ich bin dem "System der nationalen Kooperation" dankbar, dass es die Goldmine nun auch meiner Generation eröffnete."

Magazinrundschau vom 26.05.2015 - Nepszabadsag

Der Literaturwissenschaftler György Vári begrüßt die Auszeichnung des Schriftstellers László Krasznahorkai für sein Lebenswerk mit dem Man Booker International Preis 2015: "Gáspár Miklós Tamás hatte recht, als er neulich erklärte, dass Ungarn - verglichen mit den Anfängen - am Ende der Kádár-Ära keine großen Schriftsteller hat. Er irrte darin, dass wir unter den Jüngeren keine ausgezeichneten Schriftsteller hätten, doch so eine Namensliste kommt selten nacheinander zusammen. (...) Wir leben wohl am Ende einer goldenen Zeit der ungarischen Literatur, am Anfang einer silbernen Zeit, auch wenn wir ansonsten keine weiteren Gründe haben, stolz zu sein. Hier brach jedoch bereits der ungarische Fluch. Es ist nicht wahr, dass die schwindelerregenden Errungenschaften dieser kleinen Sprache nicht bekannt und nicht anerkannt werden würden. Alles ist vergeblich und vergebens hat der Meister, TGM recht, alles wird durch das Gewicht der Krasznahorkai-Sätze für eine gute Zeit wieder leichter. Freuet euch ein bisschen, trotz allem."