Im Kino

Zitate zu Pferde

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
29.07.2009. Kim Ji-woons "The Good, the Bad [Foto], the Weird" ist etwas, von dem die Welt auch noch nicht wusste, dass sie es braucht: Ein Western aus Südkorea, der sich promisk durch die Geschichte des Spaghetti-Western zitiert. In "Erzähl mir was vom Regen" dagegen bringen Agnes Jaoui und Jean-Pierre Bacri wieder einmal gutbürgerliches Problem- und Gefühlstheater auf den Tisch.

In der Mandschurei, wie sie ein Koreaner betrachtet, der zu viele Spaghetti-Western gesehen hat, befinden sich: Eine Schatzkarte, böse Besatzungsjapaner, Pferde, Schießgewehre, gierige Mandschurei-Bewohner und vor allem, als Exilkoreaner, der Gute, der Böse und der Seltsame. Sie belauern einander, die Karte begehrend. Hintereinander jagen sie her. Aufeinander gehen sie los. Durch die Wüste reiten, fahren und rennen sie: Zitate zu Pferde.

Der Titel macht kein Geheimnis draus, woher der Wind weht, von Sergio Leone und seinen euro-amerikanischen Spät- und Post-Western her nämlich. Wohin er aber weht, ist damit noch lang nicht gesagt. Sich fröhlich promisk durch die Westerngeschichte zitieren: schön und gut. Aber wenn man nicht weiß, was das ganze soll, dann ist es doch nicht mehr als außer Rand und Band geratener Miniatureisenbahnbau. So weht in "The Good, the Bad, the Weird" der Wind mitunter recht heftig, nur leider im Grunde ins Leere. Der Film, der die koreanischen Kinokassen im Sturm nahm, zitiert, ohne damit etwas zu sagen, er lässt Zitate sich verselbständigen und fängt sie nicht wieder ein. Oder auch: Kim versteht seinen Film als eher beliebig gereihte Kette hübsch entfesselter Schuss-, Jagd- und Action-Wirbelstürmchen, die für den Moment große Spektakel und Verheerungen anrichten. Wirkungen auf eine zusammenhängende Geschichte, wenn es sie gäbe, haben sie nicht. Auf Subtext und tiefere Bedeutung pfeift Kim Ji-woon, jedoch: melodiös.


Was schade, aber auch weiter nicht schlimm ist. Es passiert ja immerzu was. Eher im Mittelteil (zwischen wildem Eisenbahnüberfall und noch wilderer Jagd durch die mandschurische Steppe) wird ein "Geistermarkt" genannter Jahrmarkt zum Schauplatz. Der ist historisch und real nirgends verankert, das sagt schon der Name. Überhaupt: Wenn in diesem Film jemand oder etwas etwas sagt, dann eigentlich immer nur das, dass er nichts sagt. Was nicht heißt, dass nicht recht viel geredet würde, aber leichthin. Das ist wie mit dem Schatz und dem Geld und allem, was die Helden und Antihelden des Films ständig begehren: Es hat keinen anderen Wert als den, das voranzutreiben, was dann mit Hängen und Würgen die Handlung des Films gewesen sein wird.

Natürlich zählt im Prinzip aber nur auf dem Platz. Also, zum Beispiel, auf dem Geistermarkt: An Seilen schwebt und fliegt schießend der Gute, das Böse besiegend, durchs liebevoll und sauteuer eingerichtete Setting. So ein kleiner Anflug von Martial-Arts-artiger Flugkunst zwischendurch muss auch sein. (Oder war doch Tarzan das Vorbild?) Egal, mal heiter, mal blutig geht's zu in der koreanischen Postmoderne. Auf der Tonspur werden passend Kraut & Rüben serviert. Auch die Kampfkünste kommen direkt aus der Fusion-Küche: Meist wird zwar der Gegner im Schuss erledigt. Zwischendurch ein bisschen mit Messern gemetzelt. Auch mal mit Stöcken geschlagen. Und dann der "Mexican Standoff" am Ende, Waffen im Anschlag, die Titelhelden selbdritt. Davor gibt es gelegentlich mit Schmackes einen Dolch in den Arsch. Rums, das sitzt. (Ja, einen Humor hat Kim Ji-woon leider auch.)

Mit einem Wort: "The Good, the Bad, the Weird" ist aufwändig und manchmal sogar recht einfallsreich inszenierter Kindergeburtstag. Der Film rechnet mit der Infantilität seines Publikums und also extrem reduzierten Aufmerksamkeitsspannen. Darum ist immerzu etwas los. Auch der Kameramann tut sein möglichstes, sein Arbeitsgerät aber auch wirklich jede Sekunde in Bewegung zu halten. Bleiben: Drei Clowns im CGI-gestützten Abenteuerland. Und Langeweile auf hohem Erregungsniveau.

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Eine Puppenstube ist die Welt in den Filmen von Agnes Jaoui (Regie, Buch, Darstellerin) und Jean-Pierre Bacri (Buch, Darsteller). Eine Puppenstube, schon klar, in der die beiden - "Erzähl mir was vom Regen" ist der dritte gemeinsame Film - nach ihren Möglichkeiten einzurichten versuchen, was sie für die Wirklichkeit halten. Darum gibt es in ihrem Puppenstubenhaus ganz viele Zimmerchen: eins für den Immigranten zweiter Generation, der die Erfolgsspur in die Gesellschaft nicht findet; eins für einen alleinerziehenden Vater und großspurigen Möchtegern-Dokumentarfilm-Künstler; eins für die Feministin, die es ins Politische zieht (und wieder nicht), woraus ein Beziehungsproblem folgt; eins für die Vierzigjährige, die es in ihrer Ehe nicht aushält, ohne doch den Absprung zu wagen; eins für die verhuschte Niedriglohnarbeiterin mit Liebeskummer; eins für die konservative Immigrantin der ersten Generation, die das Herz dennoch am rechten Fleck hat.

In ihrer Puppenstupe machen Jaoui und Bacri dann fleißig die Türen auf und wieder zu. Die Türen zu Herzen und die Türen der Gesellschaft. Sie tun den Immigranten zweiter Generation mit dem Möchtegern-Filmer zusammen und den Möchtegern-Filmer mit der ehegeschädigten Vierzigjährigen und die ehegeschädigte Vierzigjährige mit der konservativen herzensguten Immigrantin und alle miteinander per Verwandschaft und/oder Dienstverhältnis und/oder Filmprojekt mit der feministischen Politikerin. Tür auf, Tür zu: Heraus kommt eine Boulevardkomödie, die übers eifrige Drehbuchbemühen hinaus der Regen zusammenhält, den Jaoui und Bacri mit dem Brausekopf über ihrem Puppenhaus periodisch und leitmotivisch niedergehen lassen.


Also, kurze Inhaltsangabe: Karim (Jame Debbouze), der sich als Hotelrezeptionist unter Wert verkauft, will mit Michel (Bacri) einen Dokumentar-Film über die in der Provinz einen Politikerinnen-Karriere-Beginn suchenden Agathe (Jaoui) drehen. Man kennt sich, weil Karims Mutter die Zugehfrau von Agathes Schwester Florence (Pascale Arbillot) ist, die wiederum - was aber Agathe vorderhand noch nicht weiß - ein Verhältnis hat mit Michel. Allen werden "aus dem Leben gegriffene" Dialoge in den Mund gelegt. Kleine Herzwehwehpaketchen werden geschnürt. Und Botschaften werden scheinbar subtil überbracht: Die Politik droht Menschen unmenschlich zu machen, der Feminismus treibt Frauen zur Selbstüberforderung, Stolz und Ehrgeiz machen Männern zu Tölpeln. Wir haben, summa summarum, weil wir Menschen sind, Schwächen. Wir sollten einander gut sein und jedenfalls besser, als wir meistens doch sind. Aber, das ist das Gute bei Jaoui und Bacri: Alles renkt sich wieder ein. Und sei es im Regen.

"Erzähl mir was vom Regen" ist also nichts weiter als gutbürgerliche Ideologieproduktion. Die, anders noch als bei "Der Geschmack der anderen", leider nicht einmal als "well made play" so recht funktioniert. Zu unentschieden und mutlos in jede Richtung summt der Handlungsreigen vor sich hin, in allen Konstellationen irgendwie ansentimentalisiert, aber insgesamt ohne Esprit, ohne Folgen, ohne etwas anderes im Sinn, als den Pfad der Juste-Milieu-Problemstudie ja nicht zu verlassen. Lustlos noch sperrt die Kamera, ohne Freiraum zu geben, Figuren und Landschaft ins Bild. Pointen werden verstolpert und vertrödelt und beim Klamaukverleih abgeholt. Wirklich schlimm allerdings: Agnes Jaoui liebt die Musik. Die Stimmungskleisterei, die sie mit Schubert-Liedern betreibt, ist das einzig richtig Üble an diesem sonst einfach nur überflüssigen Film.

The Good, the Bad, the Weird. Originaltitel: Joheunnom nabbeunnom isanghannom - Regie: Kim Ji-woon - Buch: Kim Ji-woon, Kim Min-suk - Darsteller: Jung Woo-sung, Lee Byung-hun, Song Kang-ho, Ryu Seung-su, Song Young-chang, Yun Je-mun, Son Byung-ho, Oh Dal-su


Erzähl mir was vom Regen. Frankreich 2008 - Originaltitel: Parlez-moi de la pluie - Regie: Agnes Jaoui - Buch: Agnes Jaoui, Jean-Pierre Bacri - Darsteller: Agnes Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Jamel Debbouze, Pascale Arbillot, Guillaume de Tonquedec, Frederic Pierro
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