Im Kino

Die Illusion zerstört

Die Filmkolumne. Von Jonas Nestroy, Robert Wagner
21.09.2022. François Ozon versucht sich in "Peter von Kant" an einer Geschichte von Rainer Werner Fassbinder und scheitert an seiner Selbstgefälligkeit. Olivia Wilde sucht in "Don't Worry, Darling" nach der Realität hinter den Spiegeln und offenbart dabei nur ihr eigenes filmisch-autoritäres Regime.

Bei François Ozons neustem Werk handelt es sich um eine Neuinterpretation von "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" - wenig überraschend. Heißt der Film doch "Peter von Kant". Im Großen und Ganzen folgt die Handlung Rainer Werner Fassbinders Theaterstück und dessen Verfilmung von 1972. Peter von Kant (Denis Ménochet) wohnt mit seinem Assistenten (Stefan Crepon) zusammen. Mit dem Besuch der ehemaligen Muse Sidonie (Isabelle Adjani) tritt die neue Liebe (Khalil Ben Gharbia) ins Leben von Kants. Doch schnell geht die Beziehung in die Brüche. Überdruss, Eifersucht und Drama bestimmen das Zusammensein. Bei der Geburtstagsfeier kommt Mutter (Hanna Schygulla) vorbei, aber nicht der Geliebte, weshalb alles in einem großen emotionalen Vulkanausbruch zu Ende geht.

"Peter von Kant" ist eine Fotografie von Rainer Werner Fassbinder vorangestellt. So wenig sie dort irritiert, ist sie doch ein Hinweis darauf, wie sehr sich die Ausrichtung der neuerlichen Verfilmung geändert hat. Eine deutlichere noch als die Ankündigung im Vorspann, dass es sich um eine freie Adaption handele.

Das Kammerspiel, dass sich in Fassbinders Film in der Wohnung der Petra von Kant abspielt, ist das Porträt einer scheiternden lesbischen Liebe, ein Porträt vierer sehr unterschiedlicher Frauen, aber eben auch eine Aufarbeitung der Lebensumstände Fassbinders selbst, der es einem nur allzu leicht macht, ihn in die Petra von Kant hineinzulesen - und sein Umfeld in das ihre. Die garstige Abrechnung mit seinen Figuren und mit sich selbst war durch die verschiedenen sich anbietenden Lesarten und die erzählerischen Spiegel ziemlich offen. Und das trotz (oder gerade wegen) der brachialen Stilistik, der grellen Charakterzeichnung und den aufdringlichen Dialogen.

Ozon wechselt das Geschlecht der meisten Figuren aus und landet bei einer gängigen Amour fou. Aber auch andere Änderungen sind bezeichnend. Aus der Designerin Petra von Kant macht er außerdem den Regisseur Peter. Aus der Geliebten Karin Thimm im alten Film wird Amir Ben Salem, den der Filmemacher zum Filmstar macht - als Verweis auf El Hedi ben Salem, eine der großen Liebschaften Fassbinders, der die Hauptrolle in seinem größten Erfolg "Angst essen Seele auf" spielte. Wenn schließlich Hanna Schygulla als Mutter auftritt, ist das nicht nur ein Cameo aus der Verfilmung von 1972, in der sie die Geliebte der Petra von Kant spielte. Vielmehr verweist ihr irrlichternder Auftritt auf sie selbst als die zentrale Darstellerin im Œuvre Fassbinders.


War "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" lediglich unter anderem ein Film über einen mit sich selbst abrechnenden Filmemacher, so ist "Peter von Kant" gänzlich ein Film über Rainer Werner Fassbinder. Alles, was der Film sonst vielleicht zu bieten hätte, wird zur Randnotiz. Oder anders: Hatte Fassbinder sich noch hinter Spiegeln versteckt und versucht, dem Publikum mehr als nur sich selbst zu bieten, so trachtet Ozons Portrait durchgängig danach, alles Geschehende mit direkten Linien in Leben und Werk Fassbinders zu versehen. Das Ergebnis ist ein selbstgefälliger Film: Niemand legt hier bei sich selbst das Skalpell an, stattdessen wird etwas schon oft Erzähltes noch einmal als Remake einer halbfiktiven Geschichte durchgespielt.

"Peter von Kant" ist Oskar Roehlers "Enfant Terrible" von 2020 nicht unähnlich - optisch und in seiner Aufarbeitung der Beziehung Fassbinders zu El Hedi ben Salem. Nur steht Roehlers allgegenwärtige Geschmack- und Respektlosigkeit dem Objekt der Erzählung besser zu Gesicht. Heldenverehrung, die fast schon wie eine Rufschädigung daherkommt, entspricht dem Kino Fassbinders durchaus. François Ozon hingegen, der durchaus kein unbeschriebenes Blatt in Bezug auf Camp und grelle Melodramen ist, zeigt sich hier von seiner gediegenen, kunstgewerblichen Seite.

Die langen, spröden Fassbinder-Einstellungen mit ihrer giftig prätentiösen Bildgestaltung bricht er auf. Er schneidet mehr, ist gefälliger. Die Wände tragen zwar immer noch riesige Bilder, aber sie verkommen zu netten Anspielungen und kraftlosem Ausdruck der Obsessionen der Hauptfigur. War es in der Version von 1972 eine Qual, Irm Hermanns sprachloser Assistentin zuzuschauen, ist Stefan Crepons wortlos schnippiges Scharwenzeln durch den Film nur noch eine amüsante, sich wiederholende Pointe für Zwischendurch. Mit grellen Primärfarben wird versucht, der Optik des Originals Rechnung zu tragen.

Das Problem ist nicht, dass Ozon einen eigenen Zugang sucht, sondern wie er das Vorbild - Filmemacher und Film - in Erinnerung ruft und sie zum Zentrum seines Films macht. Er stellt mit den Bezügen nichts weiter an, weshalb am Ende ein ganz schön aussehendes, aber saftloses und leeres Biopic herauskommt. Als hätte er keinen anderen Anspruch, als sein Werk zur Fußnote dessen zu machen, was er verehrt. Der Film will in etwas schwelgen, das ihm wichtig zu sein scheint. Im Schwelgen verliert er freilich sehr viel davon, was die Objekte der Verehrung ausmacht(e). Seine Rufschädigung ist damit in gewisser Weise effektiver, als es die Roehlers je hätte sein können.

Robert Wagner

Peter von Kant - Frankreich 2022 - Regie: François Ozon - Darsteller: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Ben Gharbia, Hanna Schygulla, Stefan Crepon, Aminthe Audiard - Laufzeit: 85 Minuten.

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Kaum ein Ort des Spielfilms steht so sehr für eine falsche Welt wie die, meist in die 1950er-Jahre verlegte, amerikanische Vorstadt. Jüngst hatte in Marvels "WandaVision" Elizabeth Olsens Figur Scarlet Witch sich eine alternative Realität im Stile der ersten amerikanischen Sitcoms nach dem 2. Weltkrieg geschaffen, in der ihre große Liebe noch lebt. Was erfrischend spielerisch daher kommt, ist eine eigentlich verhärtete Tradition, die sich bis tief in die amerikanische Filmgeschichte zurückverfolgen ließe. Von George Clooneys "Suburbicon" (2017), über Filme wie "American Beauty" (1999) oder "The Virgin Suicides" (1999) bis hin zu Nicholas Rays Klassiker "Bigger Than Life" (1956): Stets wird hinter die Kulissen geblickt, der Verblendungszusammenhang durchbrochen, aus dem Traum erwacht, die Illusion zerstört oder der Schleier gelüftet.

Die Bewegung, eine heile Welt nur als verdrängende Hülle tieferliegender Probleme freizulegen, ist ein erzählerischer Topos geworden, der sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Man braucht daher nicht lange in Olivia Wildes neuem Film "Don't Worry Darling" zu verweilen, um zu verstehen, dass auch ihre Welt zu bröckeln beginnen wird. Jack (Harry Styles) und Alice Chambers (Florence Pugh) wohnen im sogenannten 'Victory Project', einer amerikanischen Kleinstadt-Siedlung, mitten in der Wüste, irgendwo zwischen den 1950er- und 1960er-Jahren in einem stattlichen Haus samt Garten in einer Nachbarschaft mit anderen Ehepaaren. Jeden Morgen verlassen die Männer synchron das Haus im Anzug und mit gekämmtem Haar, erhalten von ihren Frauen in Kleidchen und Schmuck noch Küsschen und Lunch-Paket, bevor sie gemeinsam durch die Wüste zu ihrer geheimen Arbeit beim Guru-artigen Frank (Chris Pine) in ihren glänzend polierten Chevys fahren. Tagsüber putzt Alice das Haus, liegt mit ihren Nachbarinnen am Pool oder tanzt Ballett, abends empfängt sie Jack mit 3-Gänge-Menü und bekommt es als Dank dafür oral besorgt.

Bei so einer grellen und deutlichen Inszenierung von Schein ist die Frage nicht, ob es dahinter eine Wahrheit gibt, sondern wie sie aussieht: Welche Realität wird uns Wilde schlussendlich präsentieren, die nach solch einem tröstenden Traum verlangt? Es ist wohl kein allzu großer Spoiler, wenn man verrät, dass der träumende Kopf ein männlicher sein wird und Wildes Film sich als eine Melange aus "Die Frauen von Stepford" und "Matrix" entpuppt. Mit kritischen Zugaben aus der Gegenwart versteht sich: Also gibt es Seitenhiebe auf einen Feminismus, der nur nach der angemessenen Anerkennung von Sorgearbeit trachtet, nicht nach der Möglichkeit, sich von ihr zu befreien. Der Lifecoach/CEO-Frank etwa wird als jemand gezeichnet, der solche Anerkennung schenkt, um sich als Führungskraft zu festigen.




"Don't Worry Darling" macht das Aufwachen aus dem Traum zu einem großen Schauwert, zur zentralen ästhetischen Erfahrung, für die allerlei Zeit und Effekte aufgewendet werden. Ein Vergleich zu einem Filmklassiker aus dem Reich der Suburbia-Filme drängt sich auf: Die Eröffnung von David Lynchs "Blue Velvet" ist nicht zuletzt deswegen so bekannt, weil durch das Idyll hindurch schon der Alptraum blickt: viel zu rot sind die Blumen, viel zu weiß ist der Zaun des Gartens, viel zu blau der Himmel, um wahr zu sein. Eine Welt, die in all ihrer Sättigung schon wieder blutleer wird. Die grellen Farben von Kleid, Lippenstift, Mobiliar und Autos in "Don't Worry Darling" werden hingegen zur Sicherheit immer wieder mit schwarz-weißen Bildern einer alptraumartigen Tiller-Girls-Performance unterschnitten. Als der Busfahrer des Victory Projects von Alice aufgefordert wird, seine Route zu ändern, gerät er sichtlich unter Druck, bricht in Schweiß aus, trägt mit seiner Nervosität dick auf. Bei Lynch ist es nur der freundlich im Vorbeifahren winkende Feuerwehrmann, der etwas Entlarvendes hat. In "Don't Worry Darling" wird die heile Welt der Songs von Connie Francis, Ella Fitzgerald und Ray Charles von einem Score mit dissonanten Streichern und schreiendem Frauen-Chor zerschlagen. Niemals aber hat ein Roy-Orbison-Song selbst so unheimlich gewirkt, wie von Dean Stockwell im Playback in "Blue Velvet" vorgetragen.

Ein ganzes Arsenal an - für sich genommen nicht einmal besonders origineller - Spielereien wird von Wilde aufgefahren, um der falschen Realität des 'Victory Projects' beizukommen. Da verengen sich Wände, drohen einen zu erdrücken, die Eier zum Backen sind inhaltslose Schalen, es gibt einen zu netten Doktor, der Pillen verschreibt und Kameramann Matthew Libatique wird die Spielerei mit den Spiegeln (Selbst und Spiegelbild sind, natürlich, nicht-identisch) noch gut von seiner Arbeit für Darren Aronofskys "Black Swan" kennen. Kurzum: Die heile Welt bei Lynch bleibt nie bei sich selbst, treibt ständig über sich hinaus, wenn man nur genug insistiert. Wilde erweckt hingegen selbst nur den Schein, als würde sie wirklich hinter die Kulissen blicken. Eigentlich begegnet sie Franks virtuell-autoritärem Regime nur mit ihrem eigenem: einem filmisch-autoritärem Regime.

Jonas Nestroy

Don't Worry, Darling - USA 2022 - Regie: Olivia Wilde - Darsteller: Florence Pugh, Olivia Wilde, Chris Pine, Harry Styles, Gemma Chan, Sydney Chandler - Laufzeit: 122 Minuten.