Im Kino

Stark reduzierte Rahmenbedingungen

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Michael Kienzl
23.11.2018. Diese Woche wirft unsere Kolumne einen Blick in die DVD-Regale: In Erik Mattis knallhartem Ghettoactionfilm "BuyBust" verwandelt sich die Unfähigkeit einer Polizistin, ihren Verstand zu unterdrücken, in eine revolutionäre Keimzelle. Die Teeniekomödie "Appgefahren - alles ist möglich" von Scott Speer ist leider nur selten so wunderbar beknackt wie ihr deutscher Titel.


Gleich am Anfang zeigt "BuyBust" mithilfe einer Montagesequenz, dass eine Anti-Drogen-Eliteeinheit wie eine gut geölte Maschine funktionieren muss. Während die angehenden Polizisten durch den Schlamm robben, spricht ihr Vorgesetzter von unbedingtem Gehorsam und der ständigen Bereitschaft, zusammen mit dem Team unterzugehen. Bei der Kadettin Nina (Anne Curtis) macht sich jedoch Skepsis gegenüber dieser militärischen Philosophie breit. Als sie bei einer Übung gegen die Teamdynamik handelt, um ihrer Intuition nachzugeben, zeichnet sich ein Konflikt ab, der zwischenzeitlich zwar in Vergessenheit gerät, tatsächlich aber zentral für den Film ist.

Schon seit der Jahrtausendwende macht sich Erik Matti einen Namen als einer der großen philippinischen Genre-Regisseure der Gegenwart - mit einem breiten Repertoire, das vom Sequel zum legendären Erotikfilm "Scorpio Nights" über die anarchisch alberne Superhelden-Parodie "Gagamboy" und einen in der nationalen Mythologie verwurzelten Horrorfilm wie "Tiktik: The Aswang Chronicles" bis zum Actionfilm "On the Job" reicht, der von den korrupten Verflechtungen zwischen Politik, Staatsgewalt und organisiertem Verbrechen erzählt. "BuyBust" schlägt nun eine ähnliche Richtung wie Letzterer ein, ist in seiner Sozialkritik aber polemischer und setzt dabei auf stark reduzierte Rahmenbedingungen.

Die Ausgangssituation erinnert an Gareth Edwards' fast ausschließlich in einem leerstehenden Hochhaus angesiedelten, von jeglichen narrativen Schnörkeln befreiten Klopperei "The Raid": Ninas Einheit soll in einer nächtlichen Aktion einen Drogenbaron hochnehmen, der sich in einem Slum verschanzt hat. Weil sich aber unter den Polizisten ein Verräter befindet, sitzt die Truppe plötzlich in dem labyrinthischen Ghetto fest, während nicht nur bewaffnete Gangster auf sie Jagd machen, sondern auch die zwischen die Fronten geratenen Bewohner, die damit ihre eigene Haut retten wollen.

Zu den markantesten Eigenheiten von "BuyBust" zählt, dass sich sein zentrales Katz-und-Maus-Spiel inmitten dieses dicht bewohnten, aus windigen Holz- und Wellblechbehausungen bestehenden Areals abspielt. Der Kampf zwischen Exekutive und Verbrechern bleibt damit konsequent in einer prekären Lebenswelt verwurzelt. Während sich die Polizisten durchs Chaos schlagen, heftet sich die Kamera an ihre Fersen und zieht die Überforderung des unmittelbaren Nahkampfs einer übersichtlichen Betrachterposition vor. Dabei verbindet sich in Mattis Inszenierung ein ausgeprägter Realismus mit stilisierten Neo-Noir-Settings aus gleißendem, durch Jalousien gebrochenem Licht, Nebelschwaden und endlosen Regengüssen. Während er die Handlung aufs Wesentliche beschränkt, konzentriert sich Matti zwar auch auf die Perspektive der zunehmend schrumpfenden Einheit, vermittelt mit seiner fahrigen Inszenierung, den hektischen Schwenks, der rasanten Montage und einem unerschöpflichen, aus allen Ecken springendem Arsenal an Statisten jedoch gleichzeitig das Gefühl, dass wir uns nicht an einem bloßen Schauplatz befinden, sondern in einem pulsierenden Organismus, der zumindest theoretisch noch eine Vielzahl weiterer Geschichten in sich trägt.



Bei dem Gemetzel, das sich schließlich hier abspielt, kann man sich nur schwer vorstellen, wie es von einem herkömmlichen Actionpublikum genossen werden soll. "BuyBust" ist zweifellos ein sehr stylisher Film, aber spätestens, wenn die Zahl der Toten irgendwann (zumindest gefühlt) dreistellig wird, geht es weniger um virtuose Choreographien als vielmehr um ein reines Massaker. Mit teilweise ausgesprochen grausamen Tötungsmethoden - einmal befreit sich ein Polizist von einer wild gewordenen jungen Frau, in dem er sie mit einer Heckenschere enthauptet - werden Zivilisten dahingerafft als wären sie eine Horde Zombies. Sieht man sich die Opfer an, fällt auf, wie sehr sie einem Querschnitt der Gesellschaft entsprechen: Es gibt Männer wie Frauen, Junge wie Alte und auch marginalisierte Gruppen wie Transsexuelle und Musliminnen mit Kopftuch. Keiner von ihnen ist dabei noch Individuum, jeder nur noch Material, das verheizt wird.

Bevor der Film sich gegen Ende doch noch recht offen als bitterer Kommentar auf den kaltblütigen "War on Drugs" des philippinischen Kraftmeierpräsidenten Rodrigo Duterte erweist, fragt man sich schon, ob diese Gewaltorgie einfach nur eiskaltem Zynismus entspringt. Aber das Besondere und auch Unangenehme an Mattis Film ist, dass sich die schicken Setpieces immer mehr in eine bluttriefende Allegorie auf eine Gesellschaft verwandelt, in der sich einige Mächtige bereichern, während sich einfache Polizisten und Slumbewohner als Bauernopfer gegenseitig die Köpfe einschlagen. Ein Ort sozialer Vernachlässigung wird zum Hochdruckkessel, in dem sich die Menschenfeindlichkeit eines durch und durch korrupten Systems entlädt.

Einmal wollen die Polizisten einen Bewohner überreden, ihnen bei der Flucht zu helfen. Aber dieser winkt nur ab, weil ihm die Beamten nicht einmal seine eigene Sicherheit garantieren können. Für Matti besteht kein Zweifel daran, was es braucht, um solchen, durch den eigenen Selbsterhalt getriebenen Pragmatismus zu durchbrechen - und das führt am Ende, ohne psychologisches Beiwerk, wieder zum Individuum. Ninas Unfähigkeit, ihren Verstand und ihre Handlungsmacht zu unterdrücken, um blind Befehle zu befolgen, offenbart sich nicht nicht als Fehler, der im Laufe des Films kuriert werden muss, sondern als revolutionäre Keimzelle.

Michael Kienzl

BuyBust - Philippinen 2018 - Regie: Erik Matti - Darsteller: Anne Curtis, Brandon Vera, Victor Neri, Arjo Atayde, Levi Ignacio - Laufzeit: 127 Minuten.

"BuyBust" ist ab dem 23.11. auf DVD und BluRay verfügbar.


---



"What are you singing?" wird Kyle (Ross Lynch) vom Leiter des Schulchors, in den er aufgenommen werden möchte, gefragt. Die Antwort: "It's a surprise, even to me." Tatsächlich beginnt er gleich darauf, eine Opernarie vorzutragen - mit der Stimme einer Sopranistin. Damit hatte er in der Tat nicht gerechnet. Verschreckt hält er sich die Hand vor den Mund, aber die Diva in ihm ist, sehr zur Belustigung der Mitschüler, stärker. Das ist einer jener leider letztlich doch nicht allzu vielen Momente, in denen "Appgefahren - alles ist möglich" genauso wunderbar beknackt ist wie sein deutscher Verleihtitel. Über weite Strecken sieht der Film hingegen eher aus, wie die Originalfassung heißt: "Status Update" - fast schon aggressiv generisch.

Kyle, ein kalifornischer Surfertyp mit blond gewelltem, mittellangem Haar, wird von seiner Mutter nach Connecticut verpflanzt und rollt am ersten Tag des neuen Schuljahres leicht derangiert auf seinem Skateboard durch eine von Teeniefilmstereotypen regelrecht zugekleisterte High-School: vor den Schließfächern lungern die Eishockey-Jocks herum, etwas abseits lehnt das blonde all-american-Girl glücksverheißend an der Wand, auf der Treppe begegnet er dem gutmütig-tollpatschigen Nerd, der erst sein erster und lange einzelner Kumpel ist, den er später, als er populärer wird, aber verraten wird. Und so weiter.

Kyle sehnt sich bei all dem sichtlich nach den Stränden der West-Coast, wohin ihn nicht zuletzt sein Vater zurücklockt, ein allzu junggebliebener ewiger Surfer Dude. Der, das ist ein schönes Detail, im Verlauf des Films nicht das Geringste dazu lernt; es mag ein eher geistloses alternatives Leben sein, das er führt, aber es ist immerhin eine Alternative. Sein Sohn wird sich zwar von der High-School-Komödienmechanik, die ihn bereits nach wenigen Minuten erfasst hat, nicht lösen können. Aber immerhin behält Lynch den ganzen Film über seine unbekümmerte, leicht schlacksige Lockerheit bei - sein unaufdringliches Sonnyboyspiel fungiert als eine Art passiver Restwiderstand gegen das Stereotypensoziotop, durch das er sich bewegt, zumeist, wie gesagt, rollend, auf dem Skateboard.



So gleitet er nach dem ersten, frustrierenden Schultag auch in die örtliche Mall, wo ein auf unklare Art hippiesker Doofusverkäufer ihm den Clou des Films andreht: eine mysteriöse App, die ihm alle Wünsche, die er sich in sein Smartphone notiert, in Windeseile erfüllt. Oder zumindest: einigermaßen erfüllt. Es kommt jedenfalls auf die Formulierung an. Denn genau so kommt es zur Panne bei der Chorprobe: Kyle hatte sich von seinem Telefon ein klassisches Gesangstraining erbeten, aber - eine logisch nicht ganz einwandfreie Drehbuchwendung - vergessen, darauf hinzuweisen, dass er gleichzeitig keineswegs sein Geschlecht ändern möchte.

Er bügelt den Fauxpas bald aus: Bei der nächsten Gelegenheit weist er die App an, ihm eine Bruno-Mars-Stimme zu verpassen. Es folgt eine ziemlich toll choreografierte Schulkantinenmusicalszene, in der er seine Mitschüler mit einem Originalmarssong beglückt ("your sex takes me to paradise"). Das ist zweifellos die Stärke des Films: Unsinn mit Musik. Zur Not auch Unsinn ohne Musik, etwa, wenn Kyle beim Eishockeytraining anfängt, Pirouetten zu drehen wie Tonya Harding, oder wenn plötzlich nicht Kyle, sondern der rundliche Nerd zum Skateboardass mutiert. So setzt sich das fort: Eine allzu routinierte, immerhin durch einige interessante Performances (eine winzige Rolle, die sich gleichwohl einprägt: Brec Bassinger als Kyles zickige Weirdoschwester) aufgepeppte Teenieroutinekomödie, die ab und an durch absurde, App-aktivierte Setpieces unterbrochen wird, in denen sich die Regie mal mehr, mal weniger erfolgreich austoben darf. In gewisser Weise passen die beiden Elemente, aus denen Scott Speers Film gefügt ist, vielleicht doch wieder zusammen: Kyles smartphoneinduzierte Abenteuer sehen eins zu eins aus wie virale Videos. Es ist, als würden die kurzen Clips, die sich die Schüler ansonsten gegenseitig auf ihren kleinen Bildschirmen vorspielen, plötzlich hologramartig direkt in den Pausenhof gebeamt. Das ist in der Tat awesome.

Mit einem guten Film kann man das alles trotzdem zu keiner Sekunde verwechseln. Aber dass das amerikanische Kino auch, vielleicht sogar gerade in seinen Direct-to-Video-Niederungen nach wie vor erfreulich lebendig ist: Das zeigt "Status Update" auf seine eigene, krude Weise durchaus.

Lukas Foerster

Status Update - USA 2018 - Regie: Scott Speer - Darsteller: Ross Lynch, Olivia Holt, Harvey Guillen, Courtney Eaton, Brec Bassinger - Laufzeit: 106 Minuten.

"Appgefahren" ist seit dem 8.11. auf DVD und BluRay verfügbar.