Im Kino

Und einer macht Revolution

Die Filmkolumne. Von Lutz Meier
14.05.2018. Beim Filmfest in Cannes überrascht ein Regisseur, von dem das gar nicht zu erwarten war: Jean-Luc Godards "Le Livre d'Image" gibt immerhin zu denken. Jafar Panahi leistet mit "Three Faces" Widerstand. Und  Eva Husson zeigt mit "Les Filles du Soleil", wie man mit einem aktuellen Thema im Kino  scheitern kann.

Das Filmfest in Cannes ist der Platz für die alten Meister. Hierhin kommen die Großen der Filmgeschichte, hier werden sie gebührend empfangen, wofür Cannes den roten Teppich auf den Treppen hat, die Schlangen, in denen die Festivalgäste geduldig ausharren, die Säle, in denen sich die Zuschauer dann um die Plätze balgen. Dieses Jahr aber ist es ein bisschen schwierig damit. Denn Festivalchef Thierry Frémaux hatte ganz augenscheinlich Probleme, sein Programm mit adäquatem Stoff zu befüllen. Das mag ein wenig an der schroffen Ablehnung liegen, mit der sie in Cannes die Produkte von Streaming-Portalen wie Netflix oder Amazon außen vor zu halten versuchen. Ein wenig auch an den Wandlungen einer Filmwelt, in der die Perlen nicht mehr so leicht zu finden sind wie früher. Vielleicht kommt noch ein bisschen Pech beim Timing hinzu, dass die Großen einfach gerade keinen Film fertig hatten. Wie immer wenn ein Festivalboss in so missliche Lage gerät, hat auch Frémaux die Not zur Tugend umdefiniert und sein Programm dieses Jahr zum Ort der Neuentdeckungen und Überraschungen.

Ein ganz großer und ganz alter Altmeister kam dann aber doch, nämlich Jean-Luc Godard. Nun, der 87-Jährige kam nicht persönlich vom Genfer See herüber, das war ihm zu beschwerlich. Aber er gab immerhin eine Pressekonferenz per Facetime, bei der sich die Journalisten der Weltpresse um ein iphone drängten. Dort blickten sie auf den Meister mit seiner Zigarre im Mundwinkel, der eine Dreiviertelstunde über das Smartphone zu ihnen sprach. Wenn man als Regisseur ein Bild finden wollte für den Zweifel, ob es noch Filmfestivals braucht in Zeiten, in denen die Bilder in Echtzeit jederzeit um die ganze Welt fliegen, welche schönere Szene dafür könnte es geben?

Film Still aus "Le Livre d'Image"




Und Godard hat einen neuen Film nach Cannes geschickt, "Le Livre d'Image". Aber Filmlegende hin oder her, vor dem Palais de Festival drängelt sich das Publikum nicht, in die Säle tröpfeln die Zuschauer nur und der rote Teppich ist schnell erledigt, weil nicht nur der Regisseur nicht da ist, sondern der Film auch keine Schauspieler hat. Das begrenzte Interesse für diesen Altmeister resultiert wohl aus der Erfahrung. Die beiden letzten wild zusammengeklebten Filmreflexionen, die Godard in Cannes zeigen durfte, waren ziemlich ziellose Zumutungen. Mit Grausen kann man sich etwa an 2014 erinnern, an "Adieu au Langage" einen in 3D produzierten Großangriff auf die Sehnerven, bei dem grell neonfarbende Buchstaben, explodierende Atombomben und der Dauersermon des Meisters auf der Tonspur selbst die leidensbereiten Cannes-Cineasten in Scharen aus dem Kino trieb (aber ihm seitens der Jury überraschenderweise eine Silberpalme eintrug.)

Verglichen mit dieser Quälerei ist "Le Livre d'Image" ein zugängliches Filmwerk. Sicher, auch hier setzt Godard den Zuschauer einer assoziativen Bilderflut aus, auch hier hören wir im Off den langsam gesprochenen Sentenzen des Regisseurs zu. Aber anders als damals bekommen wir in dem Gemenge immer mal wieder so etwas wie Sinn zu fassen. Und anders als damals hat der Film einen schönen Rhythmus der sich aus der Stimme Godards, sich wiederholender sanfter Musik und plakativen Text-Inserts speist. Grob gesagt geht es um den arabischen Frühling und den Westen, um die Möglichkeit einer Revolution und irgendwie auch immer wieder um die Ikonen der Filmgeschichte, von denen Godard so einige selbst geschaffen hat. Godard zeigt noch einmal lehrbuchhaft, womit er einst bekannt geworden ist, den Bedeutung herstellende Filmschnitt: Wie sich der Sinn erst im Kopf des Zuschauers fügt, weil der Schnitt eine Lücke lässt. Am Ende des Films zitiert Godard Bert Brecht, wonach in unseren Zeiten nur das Fragment noch etwas aussagt.

Das ist jetzt vielleicht immer noch nichts für einen popcornseligen Filmabend im Kreis von Freunden. Aber wenn man doch manchmal in Cannes beklagen muss, dass die alten Meister in ihren fortgeschrittenen Jahren oft fade oder verblasen werden, dann kann man sich doch über einen bald 90-Jährigen freuen, der noch Kraft und Fantasie hat. Und Revolution machen will Godard auch immer noch, der Mann, der mit Kollegen vor genau fünfzig Jahren das Festival hier zum Abbruch gebracht hat, weil er im Mai 1968 die streikenden Arbeiter und Studenten unterstützen wollte. Überraschung also: Godard.

Leider ist das bisherige Programm die versprochenen Überraschungen und Neuentdeckungen darüber hinaus weitgehend schuldig geblieben. Man muss auf die zweite Halbzeit hoffen, in der sich immerhin noch Spike Lee, Lars von Trier oder auch der türkische Goldpalmengewinner Nuri Bilge Ceylan ("Winterschläfer"). Doch schon schreibt der tonangebende Hollywood Reporter über ein "Festival im Niedergang": Weniger Stars auf dem Roten Teppich, weniger Promotion-Zirkus auf der Croisette, praktisch keine Hollywood-Filme mehr und kaum noch Partys. Das alles muss das Filmfest nicht schlechter machen, wenn denn die Filme stimmen.

Foto: Jafar Panahi Film Productions




Ein paar bemerkenswerte Werke gibt es ja. Mangels Partys kann sich der Cannes-Besucher etwa damit befassen wir sehen, was alles noch im iranischen Kino steckt, trotz aller Erstickungsbemühungen staatlicherseits. Der eigentlich unter Hausarrest stehende Regisseur Jafar Panahi hat (nach "Taxi Teheran") schon wieder mehr oder weniger verborgen einen Film gedreht, eine schöne, leichtfüßige und genaue Anklage gegen ein Land, das Angst vor den Frauen hat, speziell vor solchen, die sich künstlerisch äußern wollen. "Three Faces" zeigt eine Reise an die türkische Grenze, am Rande eines Dorfes hat eine Frau ein bescheidenes Exil gefunden, die vor der Revolution einmal eine bekannte Künstlerin war. Sie ist immer noch kreativ, aber nur noch zu Hause, so wie es die Behörden Panahi auch vorschreiben wollten. Den Dorfbewohnern dient das Schicksal der Frau als Warnung, die sie ihren Töchtern vorhalten, wenn eine der ihnen etwa auf die Idee kommt, zur Schauspielschule gehen zu wollen. Der Film aber ist ein Dokument darüber, wie man sich Freiheit verschafft und es ist ein Glück, dass das Jafar Panahi immer wieder glückt.

Und dann waren da noch die Frauen. Bekanntlich gibt es ja überall in der Filmwelt und seit Jahren auch in Cannes immer wieder Druck, dass man mal mehr Filme von Frauen zeigen sollte und überhaupt Frauen beim Filmfest nicht nur als Trägerinnen von Abendkleidern und High Heels vorkommen sollten. Im letzten Buch von Cannes-Chef Frémeaux kann man schön nachlesen, wie dieser sich vor zwei Jahren grün und blau geärgert hat, als Dieter Kosslick von der konkurrierenden Berlinale dort Meryl Streep als Jurychefin präsentiert hatte. Frémeaux hatte nämlich damals nach eigenem Bekunden auch schon daran gedacht, eine Frau zu berufen, damit hätte er ein wenig auf die Kritik reagieren können, Cannes sei eher eine Macho-Veranstaltung, die Frauen dumme Kleidervorschriften macht. Aber dann hat ihm Berlin doch die Schau gestohlen. Nun mache es keinen Sinn mehr, eine Frau zu benennen folgerte Fremeaux. Also hat es bis zu diesem Jahr gedauert, bis mit der Schauspielerin Cate Blanchett wieder mal eine weibliche Jurypräsidentin über die Palmen befindet. Es soll also das Jahr der Frauen werden.

"Les Filles du soleil". Foto: Maneki Film




Allerdings gibt es nicht so viele Filme von Frauen. Dafür gibt es aber einen Frauenfilm, der von der offiziellen Feminisierungskampagne des Festivals am Samstag mit einer Aktion auf dem roten Teppich herausgehoben wurde, bei der Blanchett vorneweg marschierte. Bei dem Film handelt es sich um den Kriegsfilm "Les Filles du Soleil" der Französin Eva Husson. Sie erzählt die Geschichte eines kurdischen Frauenbataillons im Kampf gegen den IS im Irak. Man kann jetzt schon vermuten, dass Husson den peinlichsten Film des Festivals geliefert hat: weil sie in ihrem Bemühen, den Kampf der Frauen zu romantisieren, tatsächlich vor keinem Element des Propagandafilms zurückschreckt: Schluchzende Geigen, sehnsuchtsvoll blickende Frauen, die Maschinengewehre ins Abendlicht recken, Revolutionspathos das gegen dunkle Feinde in Stellung gebracht wird. Und dann wird auch noch ein Baby exakt auf der rettenden Grenze zum befreiten Gebiet herausgepresst. Die Höhe (oder vielmehr der Tiefpunkt) des Ganzen ist aber, dass der Film nur ein weibliches Motiv für den Kampf seiner Hauptfigur konstruiert, nämlich die Sehnsucht der Mutter nach Befreiung ihres Kindes. Man muss leider feststellen: Sie machen es sich immer noch ein bisschen einfach mit den Frauen, hier in Cannes.

Lutz Meier