Heute in den Feuilletons

Mit den feinsten Pinseln

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.03.2012. Die FR erzählt, wie Gustav Klimt aus einem Problem die Lösung machte. In glanzundelend.de schimpft Wolfram Schütte über den heutigen "Filmjournalismus" und die Filmpolitik der öffentlich-rechtlichen Sender. Die amerikanischen Republikaner berufen sich auf die Gründungsväter der Nation - und irren sich, meint die Welt. Die FAZ feiert die Naturmalerin Anita Albus

FR/Berliner, 28.03.2012

Arno Widmann erzählt, wie Gustav Klimt aus einem Problem die Lösung machte. Das Problem waren die damals sehr stoffreichen Kleider, die Klimt auf einer Skizze (zu sehen in der großen Ausstellung in der Albertina) kaum bewältigte: "Man sieht den Strichen, mit denen er den Stoff immer weiter sich ausbreiten ließ, die Wut an, mit der er diese unästhetischen Wucherungen festhielt. Auf dem Gemälde sitzt Adele Bauer nicht mehr in einem Sessel, sie steht in einer Fläche. Vom Dekolletee abwärts ist alles Ornament geworden. Gustav Klimt hat angesichts der Stoffe kapituliert. Und damit gesiegt."

Nicht gerade freundlich schreibt überdies Anke Wesphal über die Verfilmung von Wladimir Kaminers "Russendisko" - für sie ein Beweis "wie piefig das deutsche Kino doch bei starrem Blick auf den Kassenerfolg tickt".

Aus den Blogs, 28.03.2012

Wolfram Schütte, Doyen der deutschen Filmkritik, setzt sich in Glanzundelend.de kritisch mit der Filmankaufpolitik der öffentlich-rechtlichen Sender und mit der Filmkritik auseinander: "Wie in jeder anderen Kunstform nahmen früher auch die Film-Kritiker an den avanciertesten Produktionen das Maß für ihres allgemeinen Urteile. Aber die Film-Kritik, die nach einer eben von dem diesjährigen Kerr-Peisträger Helmut Böttiger vorgenommenen Rückstufung der deutschen Literaturkritik, nur noch 'Filmjournalismus' genannt werden dürfte, hat sich vom Kritik-Anspruch radikal entfernt & zum Apportierhündchen der Mainstream-Filmbranche gemacht."

(via Gawker) In der Türkei, meldet CBS, wirbt Hitler für ein Haarshampoo. In dem Werbefilm schüttelt er sein männliches Haupt und bellt: Warum benutzt du Frauenshampoo, wenn du kein Frauenkleid trägst? Offenbar fand der Shampoohersteller Biota Laboratories keinen männlicheren Mann als Hitler. Die jüdische Gemeinde ist not amused. Sie fordert einen öffentliche Entschuldiung und die Absetzung des Films. Biota lehnte ab mit der Begründung: alles nur Humor. (Inzwischen ist die Werbung abgesetzt, meldet Spiegel Online.)

NZZ, 28.03.2012

Mit seiner kriegerischen Rhetorik stößt Israels Premier Benjamin Netanjahu zunehmend auf Widerspruch in Israel, berichtet Joseph Croitoru. Bei seinem Besuch in Washington hatte Netanjahu die Bedrohung durch die iranischen Atomanlagen mit dem Holocaust verglichen: "Auch der prominente israelische Schriftsteller Amos Oz geißelte im Gespräch mit Haaretz Netanyahus Äußerung als pure Demagogie, die dazu noch antizionistisch sei: Damit verbreite der Premier doch nur Panik und fördere so die Abwanderung junger Israeli."

Christoph Schmidt erzählt, dass die Kibbuz-Bewegung in Israel neuen Auftrieb erhält, in einer städtischen und zeitgemäßeren Variante, ideologisch aber ebenso fundiert: "In gemeinsam veranstalteten Seminaren trafen sich die enthusiastischen Pioniere, lasen Marx, Landauer und Martin Buber, um einen Fahrplan für ihre Reise in die utopische Zukunft auszuarbeiten."

Weiteres: Jörg Fisch schreibt zum Tod des Historikers Peter Stadler. Besprochen werden eine Aufführung von Verdis "Falstaff" an der Opéra de Lausanne, Elke Pahud de Mortanges' Geschichte "Unheilige Paare?" und Philippe Descolas Studie "Jenseits von Natur und Kultur" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 28.03.2012

Georg Seeßlen schreibt zum 100. Geburtstag von Karl May. Besprochen werden eine Ausstellung des Künstlers und Sozialarbeiters Tim Rollins im Museum für Gegenwartskunst in Basel und ein Konzert der Doom-Band Earth im Alten Schlachthof Wiesbaden.

Und Tom.

Welt, 28.03.2012

Die amerikanischen Republikaner berufen sich gern auf die sieben Gründungsväter der Nation - George Washington, John Adams, Benjamin Franklin, John Jay, Alexander Hamilton, James Madison und Thomas Jefferson - und beschönigen dabei deren Bild, meint Uwe Schmitt: "Adams und Jay wollten die Religion in die Union einweben, Madison und Jefferson, antiklerikale Deisten, argumentierten erfolgreich für eine strikte Trennung von Kirche und Staat; Washington wird von Historikern in die Mitte zwischen diesen Flügeln platziert. Die einen wollten eine starke Bundesregierung, die anderen fochten für die Rechte der Einzelstaaten. Jedes Mittel kam ihnen recht, der noble Diskurs wie die Schmährede."

Weitere Artikel: Andreas Rosenfelder freut sich über die fünfte Staffel der "Mad men". Ulrich Weinzierl fasst sich angesichts der Nachrichten über das Stuttgarter Staatsschauspiel, das nach aufwändiger Renovierung wegen Mängeln wieder geschlossen werden muss, an den Kopf. Sarah Elsing resümiert eine Tagung über die "Schönheit der Stadt" in Düsseldorf.

Besprochen werden eine Sean-Scully-Retro in Bern, Ben Johnsons Komödie "Volpone" in Bochum und der Film "Das bessere Leben" (mehr hier) mit Juliette Binoche.

SZ, 28.03.2012

"Die Verwandlung von Kulturpolitik in Verteilungspolitik ist einen großen Schritt weitergekommen, es winkt ein totaler Sieg der Bürokratie", ätzt Thomas Steinfeld beim Überblick über die Debatte um das Buch "Der Kulturinfarkt" und wünscht sich, dass in Zukunft wieder mehr über Inhalte von Kultur gesprochen wird.

Weitere Artikel: Tim Neshitov besucht den rumänischen Regisseur Cristi Puiu, dessen neuer Film "Aurora" dieser Tage ins Kino kommt, und erfährt, dass diesem sein gefeierter "Der Tod des Herrn Lazarescu" (hier unsere Kritik) nicht mehr sonderlich gefällt. Florian Kessler berichtet von den Mühen des Danziger Literaturfestivals "Europäische Dichter der Freiheit", einen ebensolchen ausfindig zu machen. Roswitha Budeus-Budde übermittelt Notizen von der Internationalen Kinderbuchmesse in Bologna. Ira Mazzoni informiert, dass Sophie Küppers-Lissitzkys Erben in München eine Klageschrift zur Herausgabe von Paul Klees Ölbilds "Sumpflegende" eingereicht haben. Der Corso Verlag steht vor dem wirtschaftlichen Aus, berichtet "midt". Helmut Mauró erlebte beim Konzert des Pianisten Jewgenij Kissin ein "tobendes Publikum".

Besprochen werden die Retrospektive des Fotografen und Experimentalfilmers Roman Signer im Kunsthaus in Aarau, die "grandios bestückte" Ausstellung "Klee und Cobra - ein Kinderspiel" im Cobra-Museum in Amstelveen, neue Pop-CDs, der libanesische Film "Wer weiß, wohin?" und Bücher, darunter eine neue Biografie über Frida Strindberg (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 28.03.2012

Anita Albus ist wegen ihrer Bücher und Buchillustrationen in der Literaturszene berühmter als in der Kunstszene. Nun wird ihr in Glücksstadt eine Retrospektive gewidmet. Julia Voss würdigt sie als Chemikerin, die ihre Farben selbst mischt, und natürlich als Naturmalerin: "Mit den feinsten Pinseln registriert sie jedes Fältchen auf den Blättern oder die ersten braunen Adern im Blütenblatt, die davon zeugen, dass es bald verwelken wird. Von Naturalismus zu sprechen wäre falsch. Die Wirklichkeit ist nicht so eindeutig, wie der Begriff vorspiegelt. Kurzum: Nicht jeder, der eine Pflanze betrachtet, würde sehen, was Anita Albus sieht. Aber wer ihre Bilder sieht, erhält die Chance, eine Pflanze mit solchen Augen zu sehen."

Weitere Artikel: Hubert Spiegel erzählt die Geschichte zweier britischer Studenten, die ihr Gesicht als Werbefläche vermieten und so ihr Studium finanzieren. Joseph Croitoru klärt über den "Globalen Marsch nach Jerusalem" auf, eine islamistische Aktion, die aber auch von einigen Linksakademikern wie Judith Butler oder Cornel West unterstützt wird. Auf der Medienseite meldet Jürg Altwegg, dass das französische Fernseharchiv INA einen Vertrag mit Youtube geschlossen hat, wo es Zehntausende archivierter Sendungen des französischen Fernsehens präsentieren wird - ein Vorbild für die deutschen Öffentlich-Rechtlichen?

Besprochen werden der Film "Das bessere Leben" (mehr hier) mit Juliette Binoche, Ben Johnsons "Volpone" in Sebastian Nüblings Bochumer Inszenierung und neue DVDs, darunter ein Film über Louise Bourgeois.