Magazinrundschau - Archiv

Le Monde

95 Presseschau-Absätze - Seite 5 von 10

Magazinrundschau vom 17.01.2012 - Le Monde

"Das Parlament ist kein Gericht", erklärt der Anwalt und ehemalige Justizminister Robert Badinter in einem Artikel zum geplanten Gesetz einer Verurteilung des armenischen Völkermords. Er lehnt dieses Gesetz als "überzogen und verfassungswidrig" ab. Im Gegensatz zum Holocaust sei der Völkermord an den Armeniern niemals von einem internationalen oder nationalen Gericht festgestellt und verhandelt worden. "Hat der französische Gesetzgeber angesichts des Fehlens einer juristischen Entscheidung überhaupt die Autorität, die Existenz eines armenischen Völkermords im Jahr 1915 zu verkünden? Kann das französische Parlament als Gerichtshof der Weltgeschichte auftreten und erklären, die Behörden des ottomanischen Reiches hätten vor einem Jahrhundert das Verbrechen eines Völkermords begangen, obwohl kein Franzose daran beteiligt war, weder als Opfer noch als Peiniger? Das Parlament hat von der Verfassung nicht die Befugnis erhalten, Geschichte zu schreiben. Das ist Sache der Historiker und ihnen allein sollte dies vorbehalten bleiben."

Magazinrundschau vom 13.12.2011 - Le Monde

Keine deutsche Zeitung (jedenfalls keine der überregionalen, die der Perlentaucher auswertet) hatte die Korrespondenz einer jungen Deutschen mit dem späten Cioran besprochen. Nur im Perlentaucher hatte Arno Widmann das Buch vom Nachttisch geräumt. Cioran hatte sich also auf seine alten Tage verliebt. Inzwischen ist Friedgard Thomas 2001 erschienenes Buch längst verboten, die Briefe Ciorans waren nicht freigegeben, berichtet Pierre Assouline in seinem Blog, auch in die neue Pleiade-Edition wurden sie nicht aufgenommen. Dafür zitiert er aus dem Tagebuch des Cioran-Freundes Gabriel Liiceanu, das gerade in Bukarest auf Französisch erschien: "'Mich hatte die amour fou Ciorans gleich frappiert. Vor allem weil sie einem Profi-Skeptiker widerfuhr, der sich von allen Illusionen befreit wähnte.' Die langen von Liiceanu publizierten Auszüge lassen keinen Zweifel an Ciorans Qualen (man kann sie nur paraphrasieren, da ihre Wiedergabe verboten ist): Cioran möchte für immer seinen Kopf unter ihren Rock stecken... Die Briefe sind von einer mitleiderregenden Zärtlichkeit, man spürt die Zerbrechlichkeit ihres Autors: 'Cioran konnte nur das Opfer und der tragische Held dieser Geschichte sein. Sie war von der jungen Deutschen von Anfang an in Szene gesetzt worden', meint Gabriel Liiceanu, für den alles ein Missverständnis war: Der eine suchte die totale Vereinigung mit der Geliebten, die andere einige Aphorismen des Meisters." Weitere Informationen finden sich auch auf der Website von thoma.

Magazinrundschau vom 29.11.2011 - Le Monde

Die arabische Welt braucht einen zweiten Anlauf, schreibt der Journalist, Schriftsteller und Dramaturg Driss Ksikes, derzeit Chefredakteur der marokkanischen Ausgabe von Tel quel. Tocqueville habe gelehrt, dass selbst eine erfolgreiche Revolution noch keine Garantie für einen klaren Bruch mit der alten autokratischen Ordnung sei. Er zweifelt vor allem an den alten ökonomischen und intellektuellen Eliten der Länder, die es ganz gut in den alten Regimes ausgehalten haben. Wenn sie tatsächlich für eine modernisierte Politik stünden, müssten sie jetzt für ihre Ideen kämpfen, um sich gegen die kulturellen und religiösen Autokratien zu wehren. "Werden sie den Mut dazu aufbringen, den Willen? Ich bezweifle es stark. Und ich befürchte, angesichts dieser herrschenden Feigheit, dass die unserem Land versprochene Demokratie zu einem marktschreierischen Verkaufsslogan wird - wenn dies nicht schon längst der Fall ist - ohne kulturelle Verankerung, mit dem nur bei jedem Urnengang gewedelt wird. Der Berg der 'Empörten' hätte eine Maus geboren. Mehr nicht!"

Magazinrundschau vom 01.11.2011 - Le Monde

Höchst zwiepältig sieht die Publizistin Caroline Fourest die Entwicklung des arabischen Frühlings: "Es sind die Kräfte der Reaktion, die zuerst die Früchte der Revolution geerntet haben", sagt sie zum Wahlsieg der Islamisten in Tunesien und den islamistischen Bekundungen der Übergangsregierung von Libyen. "Wäre es darum besser gewesen, wenn Gaddafi ungestraft Blutbäder in Bengasi angerichtet hätte? Natürlich nicht. Die Vereinten Nationen wären darüber zugrunde gegangen und mit ihr die Idee des Universalismus, ohne die es keine Menschenrechte gibt. Durch die UNO haben die Kräfte, die die Resolution 1973 zur Intervention in Libyen unterstützen, die Legitimität, um die neue libysche Regierung an die Durchsetzung der Rechte zu erinnern. Und das heißt auch der Frauenrechte." Und wohl an die Adresse Bernard-Henri Levys: "Allerdings muss man die Kriegsromantik beenden, die jedem Rebellen schöne Augen macht. Und die Wahrheit über jene sagen, die Unterdrückte waren und zu Unterdrückern werden."

Magazinrundschau vom 17.10.2011 - Le Monde

Geht es darum, den Kolonialismus in die Geschichte zu integrieren, oder geht es darum, die Geschichte im Zeichen des Kolonialismus ganz neu zu schreiben - und Frankreich und die westlichen Nationen im wesentlichen als erobernde Nationen zu sehen, die am Rest der Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen?, fragt der Doyen der französischen Historiker, Pierre Nora. Die zweite Alternative wird heute von der globalisierungskritischen Linken verfochten - und von Historikern, die mit dem Eurozentrismus brechen wollen. Nora erinnert sie daran, dass der Kolonialismus, gerade in Frankreich, ein "linker" Diskurs war: "Die nachträgliche Identifizierung der Linken mit dem Antikolonialismus ist ein falsches und künstliches Klischee. Im Gegenteil: Die linken Parteien haben sich mit großer Verspätung zum Antikolonialismus bekannt, und das auch deshalb, weil die Kolonisierung im Namen revolutionärer und jakobinischer Ideale vorangetrieben wurde."

Magazinrundschau vom 04.10.2011 - Le Monde

In einem seiner seltenen Interviews - dem ersten, das Roman Polanski dem Schweizer Fernsehen nach seiner Verhaftung und seinem Hausarrest in der Schweiz gab, und das Le Monde in Auszügen dokumentiert - spricht der Regisseur eine Stunde lang über seine Filme und sein Leben. Auf die Frage, ob es ihn störe, dass er kaum noch irgendwo anders mehr hinreisen könne und ob er sich deshalb eingesperrt fühle, antwortet er: "Nein, weil ich mich während meines Sabbatjahrs daran gewöhnt habe (lacht). Außerdem bin ich in meinem Leben viel gereist. Was für mich zählt, ist, bei meiner Familie zu sein, dass das Leben total normal ist." Und auf die Frage, wie er es geschafft habe, sich nach dem Tod seiner schwangeren Mutter in Auschwitz und der Ermordung seiner ebenfalls schwangeren Frau Sharon Tate wieder aufzurichten, erklärt er: "Wissen Sie, das habe ich mich auch gefragt. Vielleicht bin ich aus härterem Material. Man könnte Nägel aus mir machen."

Magazinrundschau vom 27.09.2011 - Le Monde

Die Linke ist nicht mehr links, klagt der Soziologe mit dem schönen Namen Geoffroy de Lagasnerie in einem lesenswerten Essay für Le Monde. Und sie verrät sich, von der gemäßigten Linken bis zur radikalen Modephilosophie a la Badiou in ihrem Antiliberalismus, den sie als Kritik des Neoliberalismus ausgibt. In Wirklichkeit versteckt sich dahinter ein Autoritarismus, meint Lagasnerie: "Demnach entwickelt sich die Logik des Marktes und des Eigeninteresses auf Kosten der Treue zur Moral, der Religion, des Staates, der Politik et cetera. Diese Führungsmächte verlieren ihre bindende Kraft. Und der verbreitete Ungehorsam soll dann zu katastrophalen Folgen führen." Lagasnerie fordert dagegen: "Wir müssen uns entschlossen auf die Seite der Unordnung, der Dissidenz und also der Emazipation stellen."

Magazinrundschau vom 20.09.2011 - Le Monde

Der Streit um das Wort "Shoah" wird in Le Monde mit Engagement weitergeführt. Vor zwei Wochen hatte Claude Lanzmann protestiert, dass der Begriff aus den Schulbüchern zugunsten des neutraleren "aneantissement" (Vernichtung) gestrichen werden soll. Das Wort "Shoah" war durch Lanzmanns berühmten Film im Französischen so prägend geworden wie im Deutschen das englische Wort "Holocaust" durch die gleichnamige Fernsehserie. Serge Klarsfeld tritt Lanzmann in Le Monde zur Seite: "Wodurch sollte man das Wort ersetzen? Wessen 'Vernichtung'. Da muss man dazusagen 'der Juden'. 'Shoah' enthält wie die schwarzen Löcher im All, die die Materie und das Licht eines Sterns einsaugen, alles in sich. Man brauchte ein einzelnes Wort, um zu benennen, was passiert war. Dieses Wort existierte nicht im Französischen. Nur durch ein Kunstwerk konnte es geschaffen werden, das alle Strahlungen, die von Opfern und Tätern, allen Hass und alles Leiden in sich aufnahm."

Magazinrundschau vom 06.09.2011 - Le Monde

Um den Holocaust zu bezeichnen, ist in Frankreich eher das Wort "Schoa" gebräuchlich. Nun ist das Wort "Schoa" auf eine immer noch noch nicht ganz offizielle Weisung hin in den meisten französischen Schulbüchern gestrichen worden, statt dessen soll von "Vernichtung" gesprochen werden - für Claude Lanzmann in einem Artikel für Le Monde, der das Wort mit seinem gleichnamigen Film bekannt machte, durchaus ein Fall von "Negationismus": "Nun steht in einigen der neuen Schulbücher (zum Beispiel der Verlage Magnard und Hatier) die Formel vom 'genocide juif' und bei anderen (Nathan Le Quintrec) die vom 'genocide nazi'. Wer hier wen völkermordet, ist eine andere Frage, und das zeigt sehr gut, in welches Durcheinander die Redakteure der Bücher angesichts der keineswegs naiven Verweigerung des Wortes 'Schoa' geraten... Während das Wort 'Schoa' ausradiert wurde, taucht in einem anderen Geschichtsbuch (bei Hachette) erstmals das Wort 'Nakhba' auf, eine spiegelbildliche Wortprägung, die von den Palästinensern geschmiedet wurde, um ihre eigene Katastrophe zu benennen - die Gründung des Staats Israel."

Magazinrundschau vom 26.07.2011 - Le Monde

Im Interview mit Le Monde sieht der Rechtsextremismus-Experte Nicolas Lebourg die "Islamophobie" immer mehr zu einer verfestigten Doktrin einer neuen extremen Rechten werden: "Ein Zeichen ist der 'Eurabia'-Mythos, eine Art islamophobes Pendant zu den Protokollen der Weisen von Zion. Diese Verschwörungstheorie mit fremdenfeindlicen Elementen hat sich um so leichter verbreitet, als sie ihren Anhängern erlaubt, sich als 'Widerstandskämpfer' gegen 'Faschismus' und 'Besatzung' aufzuspielen. Das geht weit über den Bereich der extremen Rechten hinaus, dieser Diskurs wird auch von Intellektuellen und Politikern vertreten. Die 'Islamophobie' ist zugleich eine konsensfährige Ideologie, die die Massen mobilisiert, und ein Mythos, der auch 'einsame Wölfe' mobilisieren kann."