Magazinrundschau
Unerwartete Intrigen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
17.12.2019. Bloomberg stürzt sich auf Madagaskar in den unglaublich wilden Markt für Vanilleschoten. Der Historiker Stefano Bottoni sieht Ungarn Richtung Asien rücken. John Lanchester sieht ein Warnschild und verliert seine Angst vor der Macht der chinesischen Regierung. Die Historikerin Christelle Taraud erklärt, wie Prostitution ins Zentrum von Machtstrukturen führt. Der Guardian amüsiert sich mit einem prehistoric man. Roberto Saviano erklärt, wie die Mafia küsst. Harper's begibt sich im Dark web auf den Markt für Mord.
Bloomberg Businessweek (USA), 16.12.2019

In den letzten fünf Jahren haben sich ein Viertel der Amerikaner Sprachassistenten wie Alexa, Echo, Google Home oder Apple HomePod zugelegt. Seitdem sitzen Tausende Mitarbeiter der Techfirmen irgendwo zu Hause oder in "Übersetzungsfarmen" und transkribieren die mitgehörten Passagen, berichten Austin Carr, Matt Day, Sarah Frier und Mark Gurman in einem Artikel des Magazins. Angeblich geschieht dies, um das Angebot zu verbessern. "Die Frage ist, was dann? Diese Maschinen erstellen zwar keine Audiodateien von jedem Wort, dass Sie sagen - Technologiefirmen behaupten, ihre intelligenten Lautsprecher würden Audio nur dann aufnehmen, wenn Benutzer sie aktivieren - aber sie nutzen ständig aktive Mikrofone in Küchen und Schlafzimmern, die Geräusche aufnehmen können, die Benutzer nie teilen wollten. 'Mikrofone zu haben, die die ganze Zeit zuhören, ist beunruhigend. Wir haben festgestellt, dass die Benutzer dieser Geräte ihre Augen schließen und darauf vertrauen, dass Unternehmen mit ihren aufgezeichneten Daten nichts Schlechtes tun werden', sagt Florian Schaub, Professor an der University of Michigan, der das menschliche Verhalten rund um die Sprachsteuerung untersucht. 'Es gibt diese schleichende Erosion der Privatsphäre, die immer weitergeht. Die Leute wissen nicht, wie sie sich selbst schützen können.'" Oder wohl eher: Sie sehen die Notwendigkeit dafür nicht.
Magyar Narancs (Ungarn), 14.11.2019

London Review of Books (UK), 19.12.2019

Eher als ein Buch für Fans denn als ernsthafte Autobiografie liest Jenny Turner Debbie Harrys "Face it", findet aber einige ganz erhellende Passagen darin. Toll an Debbie Harry bei Blondie war, dass sie so süß und püppchenhaft aussehen und klingen konnte, dabei war sie offenkundig und, ohne es zu verbergen, eine Frau mit Vergangenheit."
Eurozine (Österreich), 04.12.2019

Guardian (UK), 16.12.2019

Vor allem als Gegengift zum überbordenen Narzissmus der Selfie-Gesellschaft empfindet Barbara Ehrenreich die prähistorische Höhlenmalerei, die in geradezu übernatürlicher Genauigkeit die Welt der Fleisch- und Pflanzenfresser an die Wände projizierte und den Menschen als kleine Strichfigur an den Rand drängte. Welche Wohltat! "Es war ein Moment von 'großer spiritueller Symbolik', proklamierte ein berühmter Kunsthistoriker, als der Mensch aus seiner rein zoologischen Exitenz heraustrat und begann, das Tier zu beherrschen, statt von ihm beherrscht zu werden. Die Strichmännchen in den Höhlen von Lascaux und Chauvet strahlen keinen Triumph aus. Nach heutigen Maßstäben sind sie von exzessiver Bescheidenheit und verglichen mit den porträtierten Tieren um sie herum schrecklich schwach. Ob diese gesichtslosen Schöpfungen triumphierend grinsen sollten, können wir nicht wissen. Wir haben einen spärlichen Hinweis darauf, wie die Höhlenkünstler ihren eigenen Status im steinzeitlichen Universum empfunden haben. Während Archäologen prähistorische Kunst als 'magisch-religiös' oder 'schamanisch' feierten, entdecken heute eher säkulare Betrachter einen Hauch von blanker Albernheit. Indiens mittelsteinzeitliche Felsenkunst zum Beispiel zeigt wenige menschliche Strichmännchen; wer sie gesehen hat, beschreibt sie als komisch, tierähnlich oder grotesk. Oder nehmen wir das berühmte Vogelmenschen-Bild von Lascaux, auf dem eine Figur mit einer langen dünnen Erektion beim Anblick eines Bisons hintenüber fällt. Ganz im Sinne des magisch-religiösen Paradigmas schrieb Joseph Campbell: 'Ein riesiger Bisonbulle, von einem Speer durchbohrt, der durch den Anus ein- und seine Sexualorgane wieder austritt, steht vor einem ausgestreckten Mann. Dieser - die einzige schlicht gemalte Figur und die einzige menschliche Gestalt in der Höhle - ist von einer schamanischen Trance ergriffen. Er trägt eine Vogelmaske, sein eregierter Phallus zeigt auf den aufgespießten Bullen; ein Wurfholz liegt auf dem Boden zu seinen Füßen; und daneben ein Stab, der an der Spitze das Bild eines Vogels trägt. Und hinter diesem ausgetreckten Schamanen sehen wir ein großes Nashorn, das sich defäkierend abwendet."
La regle du jeu (Frankreich), 16.12.2019

New York Review of Books (USA), 19.12.2019

epd Film (Deutschland), 22.11.2019

New Yorker (USA), 23.12.2019

Weitere Artikel: Adam Gopnik überlegt, was alle Diktatoren gemein haben: den Willen zur Einschüchterung. Peter Schjeldahl denkt über das eigene Sterben nach: "Der Tod gleicht eher einer Malerei als einer Skulptur, wir kennen ihn nur von einer Seite." Benjamin Wallace-Wells porträtiert Pete Buttigieg als vielleicht größte Hoffnung der Demokraten bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Und Anthony Lane sah im Kino Jay Roaches "Bombshell".
Clarin (Argentinien), 13.12.2019

"Wie alle intelligenten und schönen Frauen war sie stets der Ansicht, Männer seien ziemlich einfache Wesen." So Jorge Luis Borges über seine Schwester, die Malerin und Illustratorin Norah Borges (1901 - 1998), der das argentinische Nationalmuseum zum ersten Mal eine große Werkausstellung widmet. Der Schriftsteller Matías Serra Bradford stellt sie vor: "Wunder, Landkarten, Gespenster, Häuser, in denen es spukte, das faszinierte sie. Jeden Abend betete sie, bevor sie ins Bett ging und auf Französisch träumte. Über Krankheiten zu sprechen verbot sie sich, 'um ihnen keine Wirklichkeit zuzugestehen'. Mit dem spanischen Surrealisten und Dadaisten Guillermo de Torre verheiratet, kannte sie viele berühmte spanische Schriftsteller wie Juan Ramón Jiménez, Rafael Alberti und León Felipe und illustrierte ihre Bücher, wie sie auch erklärte, solange der Franquismus Pablo Picasso nicht als großen Künstler anerkenne, sei die gesamte spanische Kunst nichts wert. Jorge Luis Borges nannte sie Noringa, und sie ihn Giorgino. Was der Dichterbruder jedoch am meisten an seiner Schwester bewunderte, war ihr Ausspruch: 'Die Kinder leben in einer Zeit vor dem Christentum.'"
Harper's Magazine (USA), 31.01.2020

Kommentieren