Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
15.08.2006. Die Gazeta Wyborcza sieht die EU in Nationalismen versinken. Im Spiegel ruft Irene Dische dem norwegischen Schriftsteller Jostein Gaarder zu: Suchen Sie sich andere Objekte für Ihren Hass! Im New Yorker forscht Seymour Hersh nach den wahren Interessen Amerikas an Israels Militärschlag im Libanon. In Al Ahram warnt Haim Bresheeth vor der "jüdischen Lobby". In der London Review kritisiert Yitzhak Laor vor dem "jüdischen Goliath". In Heti Valasz fragt sich der Historiker Andreas Oplatka, ob Imre Nagy wirklich als Kommunist durchgehen kann. Il Foglio erzählt chinesisch-taiwanesische Spionagegeschichten. Im Spectator besteht Boris Johnson darauf, dass er ein britischer Fisch ist. Folio verbreitet ausschließlich Lügen. Und der Guardian porträtiert den großartigen australischen Künstler Ron Mueck.
Gazeta Wyborcza | Point | Folio | Le Monde diplomatique | Tygodnik Powszechny | Guardian | Spiegel | New Yorker | Al Ahram Weekly | London Review of Books | Heti Valasz | Foglio | Spectator | HVG
Gazeta Wyborcza (Polen), 12.08.2006
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q83/A14709/gazeta.jpg)
Im Interview gesteht der Schriftsteller Pawel Huelle, dass es für ihn nichts Langweiligeres gibt als die Avantgarde, denn: "Nichts altert so schnell wie die Moderne." An die Zukunft mag er nicht glauben. "Ich möchte niemandem die Sommerferienlaune verderben, aber wir leben in einer Zeit, in der es mit der traditionellen europäischen Kultur zu Ende geht. Sie ist ein sinkendes Schiff, das sich immer weniger steuern lässt, und es ist kein Land in Sicht."
Weitere Artikel: Izabella Adamczewska und Aleksandra Hac prophezeit die Wiedergeburt des "Gelobten Landes". Aber nicht im Nahen Osten, sondern in der früheren Textilmetropole Lodz, im "Manchester des Ostens", das der Nobelpreisträger Wladyslaw Reymont 1899 als magischen Anziehungspunkt für unternehmerische Abenteurer beschrieb - als "Gelobtes Land" eben. Nach der Depression der De-Industrialisierung kehrt der Optimismus in die zweitgrößte Stadt Polens zurück, dank ausländischer Investitionen und Einheimischer, die neues Leben in alte Fabrikgemäuer einhauchen. (Diesen Artikel kann scheint man nur im Quelltext lesen zu können.) Und Anna Dudzinska und Bartlomiej Kuras stellen fest, dass immer mehr Polen im ukrainischen Lviv, dem früheren polnischen Lwow, (auf Deutsch heißt es Lemberg) gleich hinter der Grenze studieren. "Die Gebühren sind niedriger als in Polen und die Atmosphäre einmalig", wird die Entscheidung begründet.
Spiegel (Deutschland), 14.08.2006
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Weiteres: Der Titel ist den jüngsten Attentatsplänen der al-Qaida gewidmet, die, so Yassin Musharbash, ihre früheren Ausbildungscamps längst durch Schulungskurse im Internet ersetzt hat. Zu lesen ist auch ein Vorabdruck aus Henryk M. Broders neuem Buch "Hurra, wir kapitulieren", eine Abrechnung mit der Appeasement-Politik des Westens gegenüber dem militanten Islam. Hans-Michael Kloth und Klaus Wiegrefe haben beim Blick in die Archive festgestellt, dass die Führungsspitze des Bundes der Vertrieben stärker mit Ex-Nazis besetzt war als bisher angenommen: Bis in die achtziger Jahre waren demnach von etwa 200 Funktionäre ein Drittel Mitglied der NSDAP oder anderweitig belastet.
New Yorker (USA), 21.08.2006
Seymour M. Hersh untersucht die "Interessen Amerikas an Israels Krieg". Trotz der bei Beginn der Auseinandersetzungen offiziell abwartenden Haltung des amerikanischen Außenministeriums stehe fest: "Die Regierung Bush war eng in die Pläne für die israelischen Vergeltungsschläge einbezogen. Präsident Bush und Vize Dick Cheney waren, wie mir derzeitige und frühere Geheimdienstleute und Diplomaten erzählten, davon überzeugt, dass eine erfolgreiche Bombenattacke der israelischen Luftwaffe gegen die Hisbollah ... Israels Sicherheitsbedenken beruhigen und zugleich als Auftakt zu einem möglichen amerikanischen Präventivschlag dienen könnte, um die Atomanlagen des Iran zu zerstören."
Zu lesen sind außerdem ein Kommentar von Hendrik Herzberg über den wachsenden Widerstand gegen den Irakkrieg und die Erzählung "The Spot" von David Means. Adam Kirsch bespricht unter der schönen Überschrift "Der bekiffte Philosoph" die englische Erstveröffentlichung von Walter Benjamins "Über Haschisch" und die "Berliner Kindheit". Joan Acocella schreibt über israelischen Tanz im Lincoln Center. Alex Ross stellt drei neue amerikanische Opern vor. Und David Denby sah im Kino Oliver Stones Film "World Trade Center" über den 11. September. Er fand ihn wider Erwarten gar nicht so schlecht: "Stone bahnt sich seinen Weg zu unseren Gefühlen mit dem gewöhnlichen Nachdruck, aber mit mehr Klarheit, Vernunft und Maß als in der Vergangenheit."
Nur im Print: ein Brief aus New Orleans über ein verlorenes Jahr, ein Text, der sich mit der sich nicht unmittelbar erschließenden Frage beschäftigt, ob Surfen je wieder sein wird, was es einmal war, eine Untersuchung, was Dirigenten Musikern eigentlich übermitteln, und Lyrik.
Zu lesen sind außerdem ein Kommentar von Hendrik Herzberg über den wachsenden Widerstand gegen den Irakkrieg und die Erzählung "The Spot" von David Means. Adam Kirsch bespricht unter der schönen Überschrift "Der bekiffte Philosoph" die englische Erstveröffentlichung von Walter Benjamins "Über Haschisch" und die "Berliner Kindheit". Joan Acocella schreibt über israelischen Tanz im Lincoln Center. Alex Ross stellt drei neue amerikanische Opern vor. Und David Denby sah im Kino Oliver Stones Film "World Trade Center" über den 11. September. Er fand ihn wider Erwarten gar nicht so schlecht: "Stone bahnt sich seinen Weg zu unseren Gefühlen mit dem gewöhnlichen Nachdruck, aber mit mehr Klarheit, Vernunft und Maß als in der Vergangenheit."
Nur im Print: ein Brief aus New Orleans über ein verlorenes Jahr, ein Text, der sich mit der sich nicht unmittelbar erschließenden Frage beschäftigt, ob Surfen je wieder sein wird, was es einmal war, eine Untersuchung, was Dirigenten Musikern eigentlich übermitteln, und Lyrik.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 10.08.2006
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Der Politikwissenschaftler Hassan Nafaa überlegt, warum die Hisbollah es vermochte, die libanesische Gesellschaft und die arabische Welt insgesamt "mit Stolz" zu erfüllen. Zunächst mal sei es 2000 "einer Widerstandsgruppe erstmals in der Geschichte des israelisch-arabischen Konflikts gelungen, die Israelis zum Rückzug aus besetztem arabischen Territorium zu zwingen". Und zum zweiten zeige der jetzige Krieg: "Ein Staat, der seine Bürger nicht beschützen kann, ist seinen Namen nicht wert... In der gegenwärtigen Konfrontation mit Israel sind wir mit gegensätzlichen Bildern konfrontiert. Das eine zeigt Israel, einen militärischen Behemoth ohne Moral. Das andere zeigt den Widerstand, der das Monster herausfordert und demütigt. Die Hisbollah geht aus dieser Konfrontation glänzender hervor als alle arabischen Regierungen zusammen. Und die Libanesen scheinen erfinderischer als alle anderen arabischen Gesellschaften."
London Review of Books (UK), 17.08.2006
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q10/A14714/lrb.jpg)
In einem wundervoll Haken schlagenden Text ergründet der Wissenschaftshistoriker Steven Shapin eine bedeutsame gesellschaftliche Entwicklung: die Transformation der Köche von "Leuten, die für billiges Geld für Reiche kochen, in Menschen, für die einige Reiche liebend gern umsonst arbeiten arbeiten würden". Anlass ist "Heat", das Buch von New-Yorker-Autor Bill Buford, über "An Amateur's Adventures as Kitchen Slave, Line Cook, Pasta-Maker and Apprentice to a Butcher in Tuscany".
Weiteres: Charles Glass beschreibt die Hisbollah als allem äußeren Anschein entgegen moderne militärische Truppe. Und in seinem Tagebuch stellt August Klein fest, dass Tony Blair seinen Karikaturen immer ähnlicher wird.
Heti Valasz (Ungarn), 10.08.2006
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q135/A14715/heti.jpg)
Foglio (Italien), 12.08.2006
Seit Ende Juni wird Top-Beamten der chinesischen Regierung zur Abschreckung ein Video von dem Prozess gegen den - später hingerichteten - taiwanesischen Spion Tong Daning gezeigt. Antonio Talia nimmt den Fall zum Anlass, die aufsehenerregendsten Fälle des andauernden Spionagekriegs zwischen China und Taiwan zu beschreiben. "Zhu Gongxun etwa ist ein Angehöriger des taiwanesischen Geheimdienstes. Die Chinesen haben ihn im vergangenen Mai in der Provinz Guangxi gefasst, im Südwesten des Landes, nachdem er über die Grenze zu Vietnam herein gekommen war, mit einem weiteren Agenten, von dem man nur den Nachnamen weiß, Li. Die Details der Operation sind diffus. Zhu sei in die Falle eines fiktiven chinesischen Verräters gegangen, heißt es. Zhu ist kein gewöhnlicher Agent. Er ist der Vizechef der Abteilung, die für alle taiwanesischen Zellen im südöstlichen asiatischen Raum verantwortlich ist."
Desweiteren erinnert Andro Fusina an Richard Hamilton, der der Pop-Art vor fünfzig Jahren mit einer Collage ihren Namen gab.
Desweiteren erinnert Andro Fusina an Richard Hamilton, der der Pop-Art vor fünfzig Jahren mit einer Collage ihren Namen gab.
Spectator (UK), 11.08.2006
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q62/A14695/spectator.jpg)
Man könne zwar fragen, ob Israels Vorgehen gegen die Hisbollah im Libanon politisch klug ist, meint Paul Robinson, aber vom militärgeschichtlichen Standpunkt aus entspreche Israels Kriegsführung den Standards des gerechten Krieges - und genau der Taktik der Nato gegenüber Serbien 1999. "Die Absicht der israelischen Armee (eine fremde Macht einzugrenzen, indem man ihrer Infrastruktur unwiderruflichen Schaden zufügt), die Ziele (Straßen, Brücken, Fernsehstationen) und die Folgen (angesichts der Länge der Kämpfe ungefähr die gleiche Anzahl an unschuldigen Toten) sind sehr ähnlich. Diejenigen, die Israel jetzt kritisieren, aber die Nato-Schläge guthießen, sollten entweder ihre jetzige Opposition oder ihre damalige Unterstützung überdenken."
Weiteres: David Cameron hat die britischen Tories auf einen israelkritischen Kurs geführt, Fraser Nelson fragt sich, ob es Zufall ist, dass das neue Logo der Partei - ein grüner Baum - aussieht wie die Flagge des Libanon. Und Rod Liddle erklärt Großbritannien für übervölkert.
HVG (Ungarn), 09.08.2006
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Point (Frankreich), 10.08.2006
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Folio (Schweiz), 07.08.2006
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Constantin Seibt amüsiert sich darüber, wie sein erlogener Brecht-Text von 1979 offizielle Anerkennung erfahren hat ."Zum guten Schluss erschien das gesamte Kernstück von Brechts Fußballtheorie auf Seite 41 im offiziellen 'Kunst- und Kulturprogramm der Bundesregierung Deutschland zur Fifa-WM 2006' (Vorwort: Franz Beckenbauer und der ehemalige Innenminister Otto Schily). Zitiert wurde es unter dem Titel 'Theater muss wie Fußball sein' vom Bundesfilmpreisträger Peter Lohmeyer, dem es nicht zuletzt meine Brecht-Passage über die besondere kritische Qualität des Fußballpublikums angetan hatte: 'So ist auch Kritik Markenzeichen dieses Publikums. Während der Smokingträger in Konzerten oder im Theatersaal aufs Maul sitzt, treffen wir in den Sportstadien auf einen Menschen, der pfeift, raucht, singt, aber nicht jede Darbietung zu ertragen gewillt ist.'" Der Beweis als pdf.
Weiteres: "Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten." Christian Ankowitsch präsentiert weltbekannte und weltpolitische Lügen. Martin Lindner untersucht anhand einiger bekannter Fälle, warum Hochstapler sich oft bewusst um Kopf und Kragen lügen. Lügendetektoren haben noch nie funktioniert, stellt Ken Alder in seiner Geschichte des Geräts fest. Im Gespräch mit Gudrun Sachse verteidigt der Undercover-Journalist Günter Wallraff seine Täuschungsmanöver. Sachse erzählt außerdem die Geschichte des ostdeutschen CIA-Agenten Eberhard Fätkenheuer, der auch jetzt nicht ohne Lügen leben kann.
In seiner Duftnote findet Luca Turin die Parfums Balmain "mit verbundenen Händen auf dem Henkerskarren, der sie für immer ins 9. Arrondissement bringt".
Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 11.08.2006
Neal Ascherson stellt David Blackbourns "The Conquest of Nature: Water, Landscape and the Making of Modern Germany" vor, ein Buch über "das 250 Jahre währende Bemühen der Deutschen, sich ihre Landschaft zu unterwerfen": "An der Art von Historiografie, wie sie Blackbourn vorführt, sind zwei Aspekte entscheidend: Erstens wird der Begriff 'Kulturlandschaft' eingeführt, in dem die strikte Trennung zwischen 'Mensch' und 'Natur' aufgehoben ist... Die zweite originelle Fragestellung besteht darin, dass es nicht nur darum geht, herauszufinden, was die Menschen und die Regierungen ihren Flüssen, Wäldern und Mooren angetan haben, sondern auch darum, zu erforschen, was sie jeweils zu tun glaubten und wie ihr Handeln mit den vorherrschenden Ideologien zusammenhing. Während des größten Teils der von Blackbourn untersuchten Periode (von 1750 bis heute) war die Idee im Schwange, dass man der Natur Fesseln anlegen müsse. Und wichtiger noch: 'In Deutschland stand die 'Eroberung der Natur' in engstem Zusammenhang mit der Eroberung anderer Länder.'"
Tygodnik Powszechny (Polen), 07.08.2006
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q98/A14708/tygodnik.jpg)
Weitere Artikel: Arkadiusz Stempin schreibt über die Schweriner Breker-Ausstellung: "Ob bewusst oder weniger bewusst: Sie entdämonisiert Brekers Werk, indem zum Beispiel die riesigen Ausmaße der Skulpturen verkleinert dargestellt werden. Statt sich des Themas objektiv, mit wissenschaftlicher Distanz anzunehmen wählte man den Aktionismus, für den Preis eines Skandals." Und Anna R. Burzynska hofft auf ein Brecht-Revival in Polen: "Die Faszination der jüngeren Generationen von polnischen Theatermachern für deutsche Kollegen wie Castorf oder Pollesch lässt auch bei uns auf eine Renaissance hoffen - des frühen Brecht vermutlich."
Guardian (UK), 12.08.2006
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q75/A14696/guardian.jpg)
Weitere Artikel: Margaret Drabble erinnert an John Cowper Powys, das fast vergessene Genie der englischen Literatur, einen Autor, der mit "tragischer Grandeur und Alltagswitz über sexuelle Perversionen und eine Tasse Tee" schreiben konnte. Hadley Freeman porträtiert die Autorin Louise Welsh, der man nicht vorschnell die Etiketten "schottisch", "lesbisch" oder "Krimi" anheften sollte. Zum Buch der Woche erhebt Kevin Rushby Jason Roberts' Geschichte eines weitsichtigen Blinden "A Sense of the World". Besprochen werden auch Walter Mosleys neuer Roman "Fortunate Son", Patrick Marnhams Biografie der spät gestarteten Autorin Mary Wesley, "Wild Mary", und William St Clairs Studie "The Grand Slave Emporium".
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