Im Kino

Männerkörper und Frauentypen

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Lukas Foerster
20.06.2018. Chloé Zhao denkt ihren großartigen modernen Western "The Rider" vom Pferd her. Es geht um einen jungen Mann, der versucht, sich vom Rodeosport zu lösen. In Gary Ross' "Ocean's Eight" schickt sich zur Abwechslung eine rein weibliche Diebesbande an, eine Diamantkette zu stehlen.


Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss. Und in den allermeisten Filmen gibt es kurz vor dem Gnadenschuss außerdem einen ebenfalls gnädigen Schnitt: Wir hören einen Knall, sehen aber nicht das sterbende Pferd, sondern oft, und auch in "The Rider", das Gesicht eines Menschen, das den Tod des Tieres registriert. Das Leid des Tieres wird auf den Menschen übertragen. Das Leid des Menschen wiederum findet keine Erlösung. Er bleibt auch als beschädigter am Leben und im Bild.

In diesem Fall hat er den entscheidenden Schlag schon vor Filmbeginn abbekommen: Brady Blackburn (Brady Jandreau) wurde bei einem Rodeowettkampf vom Pferd geworfen und anschließend von dessen Huf am Kopf verletzt. Die neurologische Beeinträchtigung, die er dabei davongetragen hat, wird vom Film nicht exakt diagnostiziert, in jedem Fall ist sie so schwer, dass sie Brady eigentlich jeden Gedanken an eine Fortsetzung der Rodeokarriere austreiben sollte: Immer wieder verkrampft sich seine Hand, körperliche Belastung führt zum Erbrechen.

Aber Brady zieht es, kaum ist er im Krankenhaus aufgewacht, zurück zu den Pferden, auf denen er unter atemberaubenden Himmelspanoramen über die cinemascopebreite Steppe South Dakotas reitet. Hier, in den dünn besiedelten Badlands, wo die Schönheit der Natur und die Härte des menschlichen Zusammenlebens sich gegenseitig zu bedingen scheinen, lebt er mit Vater und Schwester. Die Mutter ist tot, früh im Film kniet er vor ihrem Grab, ein simples Holzkreuz in den Boden gerammt, im Hintergrund die Weite des Horizonts. Eine Szene, die auch aus einem John-Ford-Film stammen könnte. Dann sitzt er mit seinen Kumpels am Lagerfeuer. Die jungen, unfertigen Gesichter glänzen rot, der Mond am Himmel weiß, der Rest der Leinwand liegt im tiefen Schwarz. Die Geschichten, die sich die Männer gegenseitig erzählen, in dieser und in anderen Szenen, handeln meist von Pferden und Heldentaten bei den Rodeos. Die eher wenigen Frauen, die im Film auftauchen, schütteln gelegentlich den Kopf ob der Sturheit, dem Ehrbegriff und dem selbstmörderischen Wagemut der Männer. Aber viele Alternativen, das macht der Film auch klar, gibt es nicht für Brady und seine Freunde.

Der Rodeoglamour selbst, die gut besuchten Wettkämpfe, bei denen es viel Geld zu gewinnen gibt und die einen hier, im Mittleren Westen, zu einem Star machen können, die dafür sorgen, das man im Supermarkt von Kindern um Autogramme gebeten wird, tauchen im Film kaum auf. Sie dringen in ihn nur vermittelt ein, digital gepixelt, über die Fernsehbildschirme und Tablets, auf denen Brady und die Anderen vergangene Großtaten bewundern. Insbesondere die Großtaten von Lane Scott, einem weiteren Kumpel, der einst im Rodeozirkus noch höher aufgestiegen war als Brady, und der noch tiefer gefallen ist. Nach einem Unfall ist er teilweise gelähmt, kann sich nur noch mit äußerster Mühe eigenständig bewegen und lediglich mit Handzeichen verständigen.



Die Szenen mit Lane sind die härtesten im Film, aber auch die wichtigsten. Weil in ihnen der spezifische Realismus von "The Rider" auf die Probe gestellt wird. Fast alle Schauspieler spielen mehr oder weniger sich selbst: Brady Jandreau war einst eine Rodeonachwuchshoffnung, sein Filmvater ist sein echter Vater, seine Filmschwester seine echte Schwester. Und Lane ist tatsächlich gelähmt. Bei einem seiner Besuche setzt Brady seinen Freund auf einen Sattel und übt mit ihm einige Bewegungsmuster aus der Rodeovergangenheit ein. Dass das nicht für einen Moment obszön wirkt, zeigt, was für ein außergewöhnlicher Film der jungen, in China aufgewachsenen Regisseurin Chloé Zhao gelungen ist.

Durchaus ähnlich wie in Clint Eastwoods unterschätztem "The 15:17 to Paris" wird das Casting der real-life-Akteure zu einem inneren Widerstand gegen dramaturgische Kurzschlüsse. Gerade weil Brady und die anderen sich selbst spielen, bleiben sie bis zu einem gewissen Grad opak, geben ihre Geheimnisse nicht Preis. Ihr Handeln ergibt nur für sie selbst einen Sinn, es ist nicht, wie das Handeln von professionellen Darstellern, immer schon auf die Kommunikation mit dem Publikum ausgerichtet. Deshalb lassen sie sich auch, nur zum Beispiel, nicht so ohne Weiteres in ein Familiendrama einbauen. Brady, Tim und Lilly Jandreau sind schlicht und einfach eine Familie, das, was anderen an ihrer Situation dramatisch erscheinen mag, bleibt ihnen selbst äußerlich.

Anders ausgedrückt: Die Menschen, die auf der Leinwand erscheinen, sind keine Figuren, die von Darstellern interpretiert werden, sondern Körper, die (noch einmal) in eine Situation versetzt werden. Und "The Rider" ist im Kern, obwohl das im Drehbuch durchaus angelegt ist, kein Film über eine dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehung und auch keiner, obwohl das hier und da zu lesen ist, über Traditionen toxischer Männlichkeit. Sondern eine Studie darüber, wie ein junger Mann sich körperlich zur Welt verhält. Alle Aspekte dieses Verhaltens werden mit derselben vorurteilsfreien Aufmerksamkeit bedacht. Brady reitet, Brady richtet ein störrisches Pferd ab, Brady beginnt einen Ringkampf mit einem Kumpel, Brady lässt sich ein Tattoo mit Rodeomotiv stechen, Brady säubert blutige Messer im Supermarkt, Brady hilft Lane im Krankenhaus bei der Rekonvaleszenz. Für den Film ist das ein Kontinuum. Es geht um Bewegungsmuster, die wiederholt und simuliert, erlernt und vergessen werden. Und es geht durchweg, immer, um das Verhältnis von Mensch und Pferd.

"The Rider" ist ein moderner Western, aber einer, der ganz vom Pferd her gedacht ist. Das Pferd ist, was vom Western übrig ist. Schon die ersten Bilder des Films sind Pferdebilder: golden glänzendes Fell und wehende Mähne in Großaufnahme, geschmeidige Bewegungen, bildschirmfüllend. Der Blick in ein Pferdeauge. Dann wacht Brady auf, sein eigener Körper glänzt auch, bläulich vor schwarzem Hintergrund. Der Menschenkörper hat seine eigene Schönheit (und Zhaos Film hat einen Blick für diese Schönheit, für Bradys Schönheit; es gibt, das zeigen diese Bilder eindrücklich, viel zu wenig Filme von Frauen über Männerkörper), aber die Schönheit und vor allem die Ganzheit der Pferdekörper ist für ihn unerreichbar. Das Pferd ist ein Ideal, an dem sich der Mensch abarbeitet, gleichzeitig aber auch ein physisches Wesen, das von ihm bearbeitet wird, mal zärtlich streichelnd, mal brutal peitschend. Der Sattel, der auf dem Pferd befestigt wird, die Pistole, die erst neben dem Ohr des Pferdes, dann auf das Pferd abgefeuert wird. Auch die Weite des Horizonts ist irgendwann nicht mehr denkbar ohne die Silhouette des Pferdes.

Lukas Foerster

The Rider - USA 2017 - Regie: Chloé Zhao - Darsteller: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lilly Jandreau, Cat Flifford, Terri Dawn Pourier, Lane Scott, Tanner Langdeau - Laufzeit: 104 Minuten.

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Steven Soderberghs "Ocean's"-Trilogie war Kino, das nur spielen wollte. Die Motivation der Figuren bestand letztlich ausschließlich darin, ihre Antagonisten mit besonders ausgeklügelten Manövern und Doppelspielen auszutricksen und die Filme präsentierten hauptsächlich die Cleverness ihrer eigenen Konstruktion, die in formalen Spielereien wie Trickblenden und Split Screens ihre Entsprechung fand. Wo der Original-"Ocean's 11" (Lewis Milestone, 1960) mit einem Bild existenzieller Vergeblichkeit endete, haben die Nachfolger drei Filme lang kaum mehr zu bieten als stylische Belanglosigkeit.

Zu Beginn von "Ocean's Eight" wird Debbie Ocean (Sandra Bullock), die Schwester von Danny Ocean, dem von George Clooney verkörperten und nunmehr verstorbenen Protagonisten der vorherigen Reihe, aus dem Gefängnis entlassen. Sofort wendet sie sich wieder dem zu, was sie am besten kann: dem groß angelegten Diebstahl. Gemeinsam mit ihrer einstigen Komplizin Lou (Cate Blanchett) schart sie sechs weitere Frauen um sich, um auf einer Gala des New Yorker Metropolitan Museums eine überaus teure Diamantkette zu entwenden.

Regisseur Gary Ross bleibt stilistisch leider ganz der Ästhetik der Soderbergh-Filme verhaftet bleibt, doch kann er immerhin inhaltlich einige neue Impulse setzen. Dass der Film sein Konzept nicht allzu ernst nimmt, sondern sich eher in komödiantischer Überzeichnung versucht, steht ihm gut zu Gesicht. Gerade da, wo er seine Figuren als reine Typen anlegt, sind diese interessant. Etwa die von Rihanna verkörperte Hackerin Nine Ball, die sich, mit Dreadlocks und Joint, die Rolle des sonst eher männlich konnotierten Nerds aneignet. Anne Hathaway überzeichnet die Figur des unbedarften und auf Reichtum und Statussymbole fixierten Dummchens Daphne Kluger, von deren Hals der teure Schmuck entwendet werden soll, gnadenlos. Es erscheint dann nur folgerichtig, dass sich ihr Auftritt schließlich als kalkulierende Performance erweist.



Auch wenn der zumindest szenenweise inspirierte "Ocean's Eight" der gelungenste, weil durchweg komischste "Ocean's"-Film ist, scheitert er letztlich doch am Konzept der Reihe. Zeigen kann man das an zwei Szenen: Wenn Debbie eine andere ehemalige Verbündete, Tammy (Sarah Paulson), davon überzeugt, bei dem Coup mitzumachen, findet sie in der Garage des Eigenheims in Suburbia, das diese mit ihrer Familie bewohnt, ein riesiges Lager gestohlener Waren. Der Glamour und der Nervenkitzel, die das Verbrechen als Alternative zur bürgerlichen Hausfrauenexistenz erscheinen lassen, bleiben hier nichts weiter als starbesetzte Behauptung. Der Spieltrieb könnte eine durchaus interessante Motivation für das Handeln der Figuren sein, aber die filmische Überkonzeptualisierung treibt "Ocean's Eight" alles Spielerische aus.

Und dann gibt es eine Szene, in der die Diebinnen beim Juwelier eine Perlenkette betrachten - durch eine Brille, die die Kette scannt, damit anhand des so eingefangenen Bildes später ein exaktes Duplikat erstellt werden kann. Vordergründig ist das einer der Gimmicks, von denen es in den "Ocean's"-Filmen nur so wimmelt. Das Einfangen des Gegenstands mit dem Blick verrät darüber hinaus jedoch eine Wahrheit über den Fetischcharakter des Blickobjekts. Aber leider geht es im Anschluss doch wieder nur um einen Plot-Twist, der besonders clever sein will.

Nicolai Bühnemann

Ocean's Eight - USA 2018 - OT: Ocean's 8 - Regie: Gary Ross - Darsteller: Sandra Bullock, Cate Blanchett, Anne Hathaway, Mindy Kaling, Sarah Paulson, Rihanna, Awkwafina, Helena Bonham Carter - Laufzeit: 110 Minuten.