Magazinrundschau
Seyla Benhabib: Anatolien hat gesprochen
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17.07.2007. Die ungarische Demokratie ist in Gefahr, warnt Peter Nadas in Elet es Irodalom. In Nepszabadsag betrachtet Eszter Babarczy verwirrt die Symbolpolitik des Westens. Im New Yorker beschreibt William Dalrymple das Dilemma der bürgerlichen Opposition in Pakistan. In Reset.doc erklärt Seyla Benhabib den Kampf zwischen alten und neuen Eliten in der Türkei. Der Nouvel Obs staunt über die neue französische Justizministerin Rachida Dati. Der Economist beschreibt die Wende zur digitalen Projektion im Kino.
Elet es Irodalom (Ungarn), 13.07.2007
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Nepszabadsag (Ungarn), 11.07.2007
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New Yorker (USA), 23.07.2007
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David Denby untersucht die Entwicklung der romantischen Komödie seit Capras "It happened one night". Anlass für diesen Essay ist Judd Apatows Film "Knocked Up", den Denby als "Schlüsselfilm" unserer Zeit, "ein rohes, misstönendes Äquivalent zu 'Die Reifeprüfung'" bezeichnet: "Gab es jemals zuvor einen Filmhelden, der absolut keine Sehnsucht hatte, die Welt zu beeindrucken und trotzdem das Mädchen kriegte? Und die Frauen in den früheren romantischen Komödien - sie waren vielleicht verrückt oder hart oder übermütig, aber sie waren nie ausdruckslos."
Weitere Artikel: Atul Gawande kommentiert die gegenwärtige Debatte über das amerikanische Gesundheitssystem uind kommt dabei noch einmal auf Michael Moores Film "Sicko" zurück. David Denby sah im Kino die Verfilmung des Broadway-Musicals "Hairspray" mit Nikki Blonsky, Christopher Walken und John Travolta sowie den Pixar-Zeichentrickfilm "Ratatouille". Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Shauntrelle" von Antonya Nelson und Lyrik von Rachel Hadas und David Ferry. Nur im Print: Oliver Sacks über die Mysterien der musicophilia und ein Porträt des amerikanischen Zeitschriftenmilliardärs Mortimer Benjamin "Mort" Zuckerman.
ResetDoc (Italien), 16.07.2007
Die neue Ausgabe von Reset.doc ist der Türkei gewidmet. Dort finden nach missglückter Präsidentschaftwahl und E-Putsch am Sonntag Wahlen statt. Die in Yale lehrende Philosophin Seyla Benhabib sieht im Land nicht nur einen Kampf zwischen Laizität und Islam toben, sondern auch einen zwischen alter und neuer Elite: "Die CHP, die republikanische Volkspartei, ist Atatürks alte Partei und repräsentiert das Militär, den Öffentlichen Dienst, die Judikative und die Lehrer. Das sind alles die säkularen Elemente, auf denen die Republik gründet, und ihre Politik birgt viel Jakobinertum in sich - nicht, weil sie revolutionär sind, sondern weil sie den Staat über alles stellen, die Republik ist für sie alles, das Individuum nichts. Und sie fühlen sich extrem bedroht... Die Basis der AKP ist das Kleinbürgertum, nicht das Bürgertum, sondern die Händlerschicht, die sich sehr an Mittelklasse-Werten orientiert. Es sind Menschen, die an das Privateigentum glauben und vielleicht ein kleines Stück Land, ein Haus und ein Auto besitzen. Diese neue anatolische Bourgeoisie hatte nie eine Rolle in der türkischen Politik gespielt. Aber jetzt hat Anatolien gesprochen."
Die Istanbuler Soziologin Nilüfer Göle weist auf die negativen Effekte hin, die Europas "exklusive Politik" gegenüber der Türkei auf das Land hat, besonders Nicolas Sarkozys eindeutige Äußerungen: "Es war, als wäre der türkischen Gesellschaft der Teppich unter den Füßen weggezogen worden, ein Teppich, von dem die Menschen glaubten, er gehörte ihnen seit Jahrhunderten. Der Nationalismus wächst und beschränkt sich nicht mehr auf die untere Mittelklasse oder marginalisierte, ungebildete Bereiche der Gesellschaft. Selbst die größten Pro-Europäer wenden sich dem Nationalismus zu. Die Fähigkeit, die Spannungen zwischen Säkularismus und Islam zu lösen, ist geschwächt wie auch das europäische Projekt keinen Rahmen mehr für demokratische Politik und Konsens in der türkischen Politik bildet."
Die Istanbuler Soziologin Nilüfer Göle weist auf die negativen Effekte hin, die Europas "exklusive Politik" gegenüber der Türkei auf das Land hat, besonders Nicolas Sarkozys eindeutige Äußerungen: "Es war, als wäre der türkischen Gesellschaft der Teppich unter den Füßen weggezogen worden, ein Teppich, von dem die Menschen glaubten, er gehörte ihnen seit Jahrhunderten. Der Nationalismus wächst und beschränkt sich nicht mehr auf die untere Mittelklasse oder marginalisierte, ungebildete Bereiche der Gesellschaft. Selbst die größten Pro-Europäer wenden sich dem Nationalismus zu. Die Fähigkeit, die Spannungen zwischen Säkularismus und Islam zu lösen, ist geschwächt wie auch das europäische Projekt keinen Rahmen mehr für demokratische Politik und Konsens in der türkischen Politik bildet."
Nouvel Observateur (Frankreich), 12.07.2007
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Außerdem beginnt heute eine Sommerserie, in der Intellektuelle aller Gewerke Auskunft über ihre Zunft und ihre Arbeit geben. Den Anfang macht der Komponist Pascal Dusapin, der in diesem Jahr den "chaire de creation artistique" am College de France innehat. Es folgen unter anderem der italienische Regisseur Francesco Rosi, der amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins und der Schweizer Kritiker Jean Starobinski.
Economist (UK), 13.07.2007
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Noch mehr Zukunft des Kinos: Es sieht so aus, behauptet der Economist, als könnte 3-D dank deutlich verbesserter Technologien jetzt doch noch den großen Durchbruch erleben.Berichtet wird über den russischen Kunstmarkt, auf dem vor allem russische Kunst bestens geht. Außerdem stellt der Economist junge Internet-Suchmaschinen - wie GlobalSpec oder MedStory - vor, die durch Spezialisierung gegen Google punkten wollen. Besprechungen gibt es zu zwei Büchern über die Heroen der Quantenphysik und einer Biografie der im 18. Jahrhundert lebenden britischen Reisenden Elizabeth Marsh.
Die Titelgeschichte widmet sich den derzeitigen Wirtschaftserfolgen in Europa - und insbesondere in Deutschland, dessen wirtschaftlichem Glanz und Elend gleich zwei Artikel gewidmet sind.
Foglio (Italien), 14.07.2007
Nach fünfzig Jahren wird Alberto Arbasinos Roman "Le piccole vacanze? wieder aufgelegt, ein Grund für Camillo Langone, tief zum Sommer wie er einmal war hinabzutauchen. "Schon lange vorbei sind die Fünfziger, in denen die Ferien zwar klein, aber eben noch Ferien waren, viel Platz und eine Zeit, die gleichsam aufgehoben war wie in den Gedichten von Cradarelli (nicht umsonst heißt seine erste Erzählung 'Weiter Sommer') Höchstens ein kurzes Teleonat ab und zu, am Fersnprecher, um zu erfahren ob zu Hause alle noch lebendig waren. Man trank Tamarinde oder auch Negroni, man fuhr im Spider herum oder im Kombi (giardinetta), ein schönes Wort für die gstreckte Version des neuen Fiat 500."
Weiteres: Fabiana Giacomotti stellt die derzeit begehrteste Konsumentenklasse vor: Erwachsene im Jugendwahn, sogenannte Kidults. Und Roberta Tatafiore würdigt Harry
Benjamin und Hans Magnus Hirschfeld und ihre Forschungen zu Transvestiten.
Weiteres: Fabiana Giacomotti stellt die derzeit begehrteste Konsumentenklasse vor: Erwachsene im Jugendwahn, sogenannte Kidults. Und Roberta Tatafiore würdigt Harry
Benjamin und Hans Magnus Hirschfeld und ihre Forschungen zu Transvestiten.
New Statesman (UK), 16.07.2007
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Übernommen wurde außerdem die Rede, die Wim Wenders letzten November in Berlin auf der Konferenz "Europa eine Seele geben" hielt.
Magyar Narancs (Ungarn), 13.07.2007
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Espresso (Italien), 13.07.2007
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"Man verurteilt keinen Schriftsteller zum Tode", diktiert der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in seinem Unterstützungsartikel für Salman Rushdie allen fanatischen Hetzpredigern ins Stammbuch.
Spectator (UK), 14.07.2007
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Weltwoche (Schweiz), 12.07.2007
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al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 11.07.2007
Anisa Mukhaldi berichtet über die zunehmende Nutzung arabischsprachiger Satellitensender unter Immigranten in Frankreich - "eine natürliche Folge der kulturellen und sozialen Isolation, in der sie leben", wie es ein befragter Soziologe formuliert. "Sie wurden in den Vororten der Städte und in ärmlichen Gegenden angesiedelt, in denen alles fehlt, was das Erreichen von Wohlstand erst ermöglichen könnte. Kinos, Museen, Bibliotheken und Opern gibt es in der Regel nur in den Stadtzentren. Diese räumliche Isolation hält sie auf Distanz zum intellektuellen und kulturellen Leben. Wenn sich die Immigranten zu den arabischen Satellitensendern flüchten, dann fliehen sie auch vor den negativen Bildern, die die französischen Medien von ihnen vermitteln. Hier spricht man von ihnen nur in Stereotypen und abgenutzten Klischees: Terror, Revolten, Gewalt, Gesetzesbrüche." (Für Deutschland kam eine WDR-Studie jüngst zu einem optimistischeren Befund. Von einem "Medienghetto" kann danach keine Rede sein.)
Begeistert bespricht Muhammad al-Mazdiwi das Buch "Walter Benjamin. Le chiffonnier, l'ange et le petit bossu" von Jean-Michel Palmier. Das Buch ist für ihn Grund genug, an den großen Einfluss Benjamins unter progressiven arabischen Intellektuellen während der 70er und 80er Jahre zu erinnern. Er schließt mit der Hoffnung, es möge einst jemand ein Buch über einen "arabischen Walter Benjamin" verfassen.
Begeistert bespricht Muhammad al-Mazdiwi das Buch "Walter Benjamin. Le chiffonnier, l'ange et le petit bossu" von Jean-Michel Palmier. Das Buch ist für ihn Grund genug, an den großen Einfluss Benjamins unter progressiven arabischen Intellektuellen während der 70er und 80er Jahre zu erinnern. Er schließt mit der Hoffnung, es möge einst jemand ein Buch über einen "arabischen Walter Benjamin" verfassen.
New York Times (USA), 15.07.2007
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Sehr interessant auch Mark Oppenheimers Porträt des Schauspiellehrergurus Milton Katselas aus Hollywood, der auf diskrete Weise eine Menge bekannter Schauspieler zur Scientology-Sekte bekehrte.
In der New York Times Book Review zitiert Rachel Donadio, Redakteurin der ehrwürdigen Beilage, einige kritische Stimmen über Rushdie aus dem Jahr der Fatwa - etwa John Le Carre, der Rushdie aufforderte, die "Satanischen Verse" zurückzuziehen - um zum Ergebnis zu kommen, dass sie angesichts des jüngsten Ritterschlags des Autors durch das britische Establishments womöglich recht hatten. Besprochen werden neue Bücher über Hillary Clinton, eine Reisereportage Colin Thubrons über die Seidenstraße und Tom Segevs Buch über den Siebentagekrieg von 1967.