Im Kino

Das Auge des Tigers

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
23.01.2019. In Steven Caples Boxfilm "Creed 2" nimmt Sylvester Stallone Abschied von seiner bekanntesten Filmfigur und evoziert noch einmal die exzessiven Melodramen der Achtzigerjahre. Greg Pritikins tiefenentspannte Road- und Buddy-Komödie "The Last Laugh" hat das Herz am rechten Fleck,


Wer die Mythologeme der Achtziger und deren spezifische Lust am Exzess verstehen will, muss "Rocky 4" (1985) gesehen haben: Damals saß der Weltgeist ganz dicht am Boxring und stopfte, nach einer Nase Koks auf dem Klo, genüsslich Popcorn in sich hinein.

Mitte der Achtziger hatte sich das Franchise nach einem semi-geglückten Sequel und einem filmästhetisch profunden Registerwechsel im dritten Teil (der den Kontrast zwischen den krisengeschüttelten Siebzigern und der verkoksten Reagonomics-Ära schön auffächert) von seinen Wurzeln als schummrig-grobkörniges Low-Budget-Liebesdrama im New-Hollywood-Stil gründlich gelöst: Nachdem der sympathisch trottelige, im Kern seines Wesens sanftmütige Underdogboxer Rocky nicht nur die Liebe seines Lebens gefunden, im zweiten Anlauf den Weltmeistertitel erkämpft, ihn dann wieder verloren und nach Trainingsexerzitien wieder zurückerobert hatte, gab es im vierten Teil der Saga zumindest im Sinne des Sports keinen Rekord mehr zu brechen - so blieb denn nurmehr die politische Weltlage des auch schon altersschwachen Kalten Kriegs übrig, dessen letzte offene Fragen zu klären Sylvester Stallone sich 1985 gleich zweimal berufen fühlte: Im comicartig überzeichneten Revanchismus-Klassiker "Rambo 2" und in "Rocky 4", in dem der eher deutschen Übermenschfantasien zu entspringen scheinende Hi-Tech-Boxer Ivan Drago (Dolph Lundgren) sich in der Sowjetunion erhob, um den sattgewordenen Multimillionärsboxern der USA im Ring zu demonstrieren, dass gerade auch im Klassenkampf die Fäuste fliegen müssen.

"Rocky 4" ist der exzessivste aller Rocky-Filme: Exzessiv in seinen Soap-Opera-Elementen (eine Soap war "Rocky" eigentlich schon immer), exzessiv in seinem zur Schau gestellten Luxus, exzessiv in seinem Irrsinn (ein Love-Robot als Weihnachtsgeschenk für Rockys Alkoholikerkumpel Paulie), exzessiv in seinen Trainingsmontagen (hier und hier), exzessiv in seiner Videoclipästhetik, vor allem aber exzessiv in seinem Endkampf in Moskau - eine bis heute unerreichte Meisterleistung des zugespitzten Affektkinos: Körper, Kamera, Musik, Schnitt ergeben eine Oper der Gewalt, die all jene Scharmützel allegorisch ins konkrete Bild übersetzt, die sich die beiden politischen Machtblöcke zuvor nur über Bande in Stellvertreterkriegen an der globalen Peripherie geliefert haben. Exzessiv ist der Film auch in seiner Rührseligkeit am Ende, wenn Rocky, nachdem er die Sowjetunion quasi hinter den Feindeslinien im Alleingang in die Knie gezwungen hat, den ewigen Frieden ausruft, der wenige Jahre später mit der Wende tatsächlich historische Realität zu werden versprach:



Fortan bestimmten Depressionen das Franchise: Im wenig geliebten fünften Teil zeigen sich die schweren physiologischen Schäden, die Rocky in Moskau davongetragen hat. Sein Manager hat in der Zwischenzeit das Vermögen verjuxt, was Rocky wieder dorthin bringt, von wo er einst hergekommen war: die Gosse. Ein unbefriedigendes, aber nur vorläufiges Ende der "from rags to riches to rags again"-Story, die Stallone mit dem moderat budgetierten, arthousig anmutenden "Rocky Balboa" 2006 in einem eigentlich endgültig gedachten Epilog spät, aber doch noch abrundete - bis Ryan Coogler, mit "Black Panther" seitdem selbst zu Blockbusterehren aufgestiegen, ihn bearbeitete, die Figur für eine so naheliegende, wie originelle Idee zu reaktivieren: als Trainer für Adonis Creed (Michael B. Jordan), einen aus dem Hut gezauberten unehelichen Sohn von Apollo Creed (Carl Weathers), Rockys ursprünglichem Gegenspieler und späteren Freund, der in "Rocky 4" in einem Schaukampf von Ivan Drago im Ring getötet wurde, weshalb Rocky überhaupt erst gen Moskau gezogen war, um Apollo zu rächen (wie gesagt, eine Soap war "Rocky" schon immer).

"Creed" war 2015 nicht nur als Reboot folgerichtig (und für Fans von Knautschgesicht Rocky im guten Sinne anheimelnd), sondern auch aus Race-Politics-Gründen interessant, wie Adam Sewer kürzlich in Atlantic festhielt: Bis dahin erzählte die "Rocky"-Saga die Aufstiegsgeschichte eines weißen, aussortierten Proletariers, der sich seinen Ruhm vom schwarzen Establishment zurückerboxt ("Rocky 1", samt Sequel), schwarze, sexuell dämonisch gezeichnete Herausforderer mit schwarzer Hilfe auf ihre Plätze verweist ("Rocky 3"), einen schwarzen Boxer an weißer Übermacht verenden sieht ("Rocky 4"), einen schwarzen Promoter als Bösewicht positioniert ("Rocky 5") und sich schließlich im Kampf mit einem jungen schwarzen Boxer noch einmal daran erinnert, dass er auch im Alter noch etwas taugt ("Rocky Balboa"). "Creed" - der erste "Rocky"-Film mit einem Drehbuch ohne Stallones Mitwirkung - sorgte mit seinen schwarzen Sensibilitäten für ausgleichende Gerechtigkeit, ließ Rocky demütig einen Schritt nach hinten treten und gestattete eine neue Perspektive auf die Saga: Nicht Rocky, sondern Apollo Creed war im Nachhinein der größte Fighter der Boxgeschichte. Zugleich erdete sich das Franchise mit "Rocky Balboa" und "Creed" wieder ein Stück weit im gesellschaftlich-urbanen Realismus, der im mythisch aufgeladenen Millionärsdrama "Rocky 4" so vollends flöten gegangen war.

Mehr noch als für den ersten "Creed"-Teil dient "Rocky 4" für "Creed 2" als innerdiegetisch historischer Ausgangspunkt. Auch Ivan Drago, erfahren wir nun, verließ den Ring seinerzeit mit heftigen Blessuren - wenn auch eher gesellschaftlicher Art: Als Verlierer gedemütigt, fiel er bei den Sowjets durch, seine Frau Ludmilla (Brigitte Nielsen) verließ ihn, in der Ukraine fristet er heute eine karge Schattenexistenz vor der Kulisse allgegenwärtigen industriellen Verfalls. Auf seinen Sohn Viktor (Florian Munteanu) projiziert er alle Frustrationen und Erlösungsfantasien: Weil er damals verloren hat, darf sein Sohn niemals verlieren. Weil er von dem Amerikaner besiegt wurde, soll sein Sohn ihn rächen. Und zwar während eines Titelkampfes gegen Adonis Creed, der seinerseits mit dem Drago-Clan - Stichwort: toter Vater - noch psycho-symbolisch ein Hühnchen zu rupfen hat.



Das nächste, laut Stallone (Jahrgang 1946) nun wirklich absolut letzte Kapitel der großen Boxerseifenoper ist aufgeschlagen. Fast wie eine Stimme aus dem Jenseits, fast schon geisterhaft hat Stallone seinen ersten Auftritt, der in der Mise en Scène zudem über einen Moment der Irritation hergestellt wird: Ein weiser (okay: auch weißer) alter Mann spricht. Rocky, in den für das Franchise typischen Emo-Aussprachen sonst eher der ungestüme Part, ist endgültig zur Stimme der Vernunft, die über den Dingen schwebt, herangereift. Der Tonfall ist gesetzt: In einer Vermählung von Motiven aus dem zweiten bis vierten Teil der "Rocky"-Saga fügt sich "Creed 2" nach dem Franchiseausflug in den Realismus wieder mythologischeren Maßgaben: Es geht um Rache, ödipale Dramen, um Demütigungen, Niederlagen, das Auge des Tigers, das, wie schon in Teil 3, unter existenziell herausfordernden Bedingungen zurückerobert werden muss - diesmal allerdings draußen in der Wüste, wo ein Haufen Boxereremiten den rasch zu Ruhm aufgestiegenen, nach einer ersten traumatischen Begegnung mit Viktor Drago im Ring tief gefallenen Adonis als Fighter wieder aufrichten.

Nichts in "Creed 2" ist unvorhersehbar, zumal für Fans und Kenner der Saga läuft alles wie eine altbekannte Abfolge von Momenten und Motiven ab. Deutlich wird, dass Stallone - nun auch wieder maßgeblich am Drehbuch beteiligt - es sich nach dem Erfolg des ersten "Creed"-Films nicht nehmen lassen wollte, nochmal einen richtigen Abschied von jener Figur zu zelebrieren, die seine Karriere einst ermöglicht hatte. Auch die Fights entwickeln zwar im einzelnen (insbesondere vom Klangddesign her) Punch, sind aber bei weitem nicht mehr die Affektattraktionen von früher. Kein Wunder, der weltbeste Fighter steht ja im Rentenalter außerhalb des Rings. Die emotionalen Dynamiken rücken wieder in den Vordergrund, im Grunde ist "Creed 2" ein doppelt erzähltes Melo mit Happy End, wenn auch Ivan Drago am Ende die Gelegenheit hat, sein Herz aus Stein etwas aufweichen zu lassen. Vielleicht steckt darin tatsächlich ein Kommentar zur verfahrenen USA-Russland-Geschichte der letzten Jahre, aber vielleicht ist die heutige globale Weltlage dann doch viel zu komplex, als dass sie sich, wie noch 1985, in simple Faustkampf-Allegorien gießen ließe.

Auch ein biografisches Detail hat seinen Weg ins Franchise gefunden: Zu den Anekdoten rund um "Rocky 4" zählt, dass Lundgren Stallone bei den (weitgehend taff durchgespielten) Kampfchoreografien bei einem ausgerutschen Schlag in den Oberkörper einen lebensgefährlichen Rippenbruch verpasste. Als Quasi-"Rocky 4"-Sequel greift "Creed 2" diesen Moment in gleich beiden Fights mit Drago auf - vielleicht ein Bonbon für die Fans, definitiv aber ein Zeichen dafür, wie sehr Stallone sich mit "Creed 2" das Franchise wieder angeeignet hat. Auch die letzten Bilder gehören ihm: Die Creed-Figur scheint auserzählt, der Epilog gehört Rocky.

Das ist einerseits schade, weil die vielversprechende "Creed"-Story, die zuvor eine neue Perspektive erschlossen hatte, nun doch nachträglich wieder eingemeindet wird und sich das Franchise zum Ende hin abschließend verplombt. Andererseits hat man dem Märchen von Rocky, dem sanften Schläger und Underdog, der nach den Sternen greift, schon so lange mit Herzklopfen beigewohnt, ist ihm so lange durch Dick und Dünn gefolgt, dass man diesem vielleicht nicht völlig überzeugenden, aber herzigen Film sonderlich böse nicht sein kann.

Thomas Groh

Creed 2 - USA 2018 - Regie: Steven Caple Jr. - Darsteller: u.a. Michael B. Jordan, Sylvester Stallone, Tessa Thompson, Phylicia Rashad, Dolph Lundgren - Laufzeit: 130 Minuten.

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Ein alter Mann mit Bademantel, Gehilfe und Sonnenbrille, gebückt einen Gang entlang schlurfend, dabei vor sich hin eher knurrend als brummend: Das ist das erste, was Al Hart (Chevy Chase) von der Altersresidenz, in die ihn seine Enkelin einmieten möchte, zu Gesicht bekommt. Es stellt sich allerdings schnell heraus, dass Al auf den Fluren der "Palm Sunshine"-Community nicht der Realität des Alterns, sondern nur dessen Aufführung begegnet ist. Unter der etwas überzogenen Verkleidung kommt Als alter Freund Buddy Green zum Vorschein. Buddy ist ein von einem noch ziemlich agilen Richard Dreyfuss verkörperter leutseliger Lebemann, ein kleines, drahtiges Energiebündel fast schon.

Einst zog er mit seinem damaligen Manager Al als Stand-Up-Comedian durch die Lande. Allerdings ist das lange her, schon gut 50 Jahre. Sein Geld hat Buddy später nicht mit Witzen verdient, sondern mit Real-Estate-Geschäften. Nur in seinen Flegeljahren, vor der Familiengründung, stand er auf Stand-up-Bühnen. Als den beiden Freunde das auf den ersten Blick recht gemütliche Altersdomizil (dessen Name allein ist schon fragwürdig: Palmen und Sonnenschein, wie als ob eines von beiden nicht reichen würde; soviel Übereifer wirkt verdächtig) doch zu eng wird und sie beschließen, Buddys Comedykarriere wiederzubeleben, dann geht es bei diesem Alterscomeback gar nicht darum, an vergangene Erfolge anzuschließen, sondern darum, einen Blick zu erhaschen auf vergebene Möglichkeiten: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich mich damals anders entschieden hätte, wenn ich auf die gesicherte Existenz gepfiffen hätte und das Risiko einer unsteten Showbizexistenz eingegangen wäre.

Professionelle Comedyambitionen kollidieren, das wird im Film an verschiedenen Stellen deutlich, mit der Idee von Seßhaftigkeit und Familie. Auf einer anderen Ebene hingegen ist "The Last Laugh" ein waschechter Familienfilm: ein Film über die amerikanische Comedy-Family. Die Stand-Up-Legende George Wallace hält das Altersheim auf Trab; Als Enkelin spielt die stets großartige Kate Micucci, deren prägnantes, liebenswertes Gesicht schon fast so etwas wie ein good-Luck-Charm im jüngeren amerikanischen Film-und Fernsehschaffen geworden ist; Buddys Sohn wird von Chris Parnell verkörpert, dem Dr. Spaceman aus "30 Rock"; und für den wunderbaren Quadratschädel von Richard Kind (unter anderem: "Mad About You") hat sich Pritikin, der auch fürs Drehbuch verantwortlich zeichnet, nicht einmal eine richtige Rolle ausgedacht - der steht einfach irgendwann mal vor einem Comedyclub herum und kennt die beiden Hauptfiguren von früher.



Buddys Repertoire wiederum scheint hauptsächlich aus harmlosen Geriatriejokes und Witzen über sich selbst zu bestehen, verbunden mit einer vorsichtigen Dosis Insult-Humour. Dass das auf den Kleinkunstbühnen Amerikas gut ankommt, nimmt man dem Film zumindest einigermaßen ab, auch weil er, anders als zuletzt das bizarre Robert-de-Niro-Vehikel "The Comedian", nicht den Fehler begeht, Buddys Auftritte allzu ausführlich zu zeigen. Meist folgt nach den ersten beiden Pointen bereits der Schnitt auf die nächste Szene. Die Grundsituation des Films ist ohnehin nicht der exponierte Stand-up-Monolog, sondern der gechillte Sit-Down-Dialog. Wieder und wieder filmt Pritikin Buddy und Al, wie sie nebeneinandersitzen - auf Liegestühen am Pool, im Auto irgendeinen Highway im amerikanischen Westen heruntercruisend, in einem Motelzimmer an die Rückenlehne ihrer Betten gelehnt - und sich miteinander an vergangene Großtaten erinnern oder über die Widrigkeiten des Alterns schimpfen.

Interessanterweise ist das eigentliche Zentrum des Films bei all dem nicht Buddy, sondern Al, der bis zum Schluss eine schwer lesbare Figur bleibt. Er hat zwar, dafür spricht die Existenz der Enkelin, ebenfalls eine Vergangenheit, aber allzu viel erfahren wir nicht über sie. Richtig wohl scheint er sich nur bei jenem Leben on the road zu fühlen, das er gemeinsam mit dem alten Kumpel noch ein letztes Mal genießen möchte. Und so ist denn auch nicht Buddy, sondern Al der Motor, der die zentrale Bewegung des Films - eine Ochsentour durch kleine Comedyclubs von der West- bis an die Ostküste, mit dem Ziel New York - in Gang setzt und trotz einiger kleinerer Krisen aufrecht erhält. Die metaphysische Unbehaustheit Als passt gut zur granteligen Widerborstigkeit des Schauspielers, der ihn verkörpert, zu Chevy Chase, in dessen Altersrollen (man denke insbesondere an die Sitcom "Community") immer wieder eine Asozialität aufscheint, von der in seinen smoothen Erfolgsfilmen der Achtziger nichts zu sehen war.

Die kleinen Irritationen, die Chase' Spiel in den Film einbringt, sorgen dafür, dass die Grundentspanntheit der Unternehmung nie in Lethargie umkippt. Trotzdem bleibt "The Last Laugh" ein Wohlfühlfilm im besten Sinne - ein nur gelegentlich rührseliges Lustspiel übers Älterwerden, außerdem ein schönes Amerikabilderbuch, mal mit, mal gegen die Klischees gefilmt, und zwischendrin sogar ein Musical: Wenn Al sich im Gefolge einer in Kansas City aufgelesenen Liebschaft in Marihuanaschwaden verliert, versucht sich Pritikin an einer halluzinogenen Vincente-Minnelli-Homage samt irritierender Rückprojektionen und Bildzitaten aus unter anderem "The Band Wagon". Zugegeben: es bleibt beim - ziemlich gründlich misslungenen - Versuch. Aber dass man dem Film einen solchen Missgriff bereits zwei Minuten später wieder verziehen hat, zeigt, dass er das Herz am rechten Fleck hat.

Lukas Foerster

The Last Laugh - USA 2019 - Regie: Greg Pritikin - Darsteller: Chevy Chase, Richard Dreyfuss, Andie MacDowell, Kate Micucci, George Wallace - Laufzeit: 98 Minuten.

"The Last Laugh" ist seit dem 11.1. auf netflix verfügbar.