Im Kino

Vulgärauteuristischer Wahnsinn

Die Filmkolumne. Von Jochen Werner
08.06.2023. Michael Bay ist er nicht, aber Steven Caple jr. hat mit "Transformers: Aufstieg der Bestien" ein ziemlich schönes Stück Unterhaltungskino hingelegt, das um einiges besser und freudvoller aussieht als alles, was hinter den Grauschleiern der letzten achtzehn Stunden im Marvel-Universum zu erkennen war.


Es fängt an, wie Transformersfilme eben so anfangen: irgendwo ganz weit draußen, where no man has gone before, ein Maschinenplanet und eine Donnergrollstimme, die uns auf den Stand der Plotdinge bringt. Diesmal ist es ausnahmsweise einmal nicht der ewige Krieg der freundlichen Autobots gegen die bösen Decepticons, dem wir schon fünf Filme (sowie ein Spin-off) lang beigewohnt haben. Nein, diesmal dreht sich alles um den an Marvels Galactus erinnernden Planetenverspeiser Unicron und seine Jahrtausende überdauernde Jagd nach irgendeinem machtvollen kosmischen Artefakt, mit dessen Hilfe er … undsoweiter undsofort, man kennt die Story und sieht sich einen Film wie "Transformers: Aufstieg der Bestien" nicht an, um sich von ihr überraschen zu lassen.

Fünf Filme lang hat Michael Bay um die KfZ-Roboter aus dem Kinderzimmer herum eine Mythologie aus Quatsch und Nichts gestrickt - mit einer derartigen Verve und Ernsthaftigkeit, dass man es nur bewundern konnte. Wenn man seine "Transformers"-Filme heute wiedersieht, merkt man, dass die ungemein erfolgreichen und gleichzeitig zum Zeitpunkt ihrer Entstehung vielgehassten Blockbuster die formal kreativsten Franchisefilme ihrer Zeit waren. Das stellt die Filmserie nun jedoch auch vor ein Problem, denn wer außer Michael Bay könnte an den sehr spezifischen vulgärauteuristischen, teils fast avantgardistischen Wahnsinn anknüpfen, der sich in nahezu jede einzelne der ziemlich vielen Kinominuten der ersten fünf "Transformers"-Filme einschrieb?

Mit dem vormaligen Animationsfilmregisseur Travis Knight scheiterte Bays erster Nachfolger in Bausch und Bogen: Sein chronologisch in den 80er-Jahren verortetes Spin-off-Prequel "Bumblebee" versuchte sich an einer disneyfizierten Variation auf das Riesenroboterthema, ließ die exaltierten Set Pieces der Bay-Filme fallen und füllte diese Lücke mit absolut nichts Interessantem. Dass "Transformers: Aufstieg der Bestien" nun sieben Jahre später im Jahr 1994 und in derselben Timeline spielt, stimmt zunächst wenig erwartungsfroh. Aber die Neubesetzung des Regiestuhls mit dem im Blockbustersegment noch relativ unbeschriebenen Blatt Steven Caple Jr., der bis dato lediglich das Boxerfilmspinoffsequel "Creed II" auf dem Kerbholz hat, erweist sich als glückliche Wahl.



Das beginnt schon damit, dass Caple mit dem gewählten Setting bedeutend mehr anfangen kann - gar nicht mal zuallererst ist damit die zeitliche Verortung in den 90ern gemeint, auch wenn die immerhin den gesamten Film hindurch für einen sehr gut funktionierenden 90s-HipHop-Soundtrack sorgt. Vor allem jedoch verfügt "Transformers: Aufstieg der Bestien" über einen überraschenden sense of space, und es erweist sich als geschickter Schachzug, die denkbar weißen, WASPigen Lebenswelten zu verlassen, deren erbarmungslos zynischer Chronist Michael Bay vor allem ist. Caples Film ist in den afroamerikanischen Lebenswelten von New York City verwurzelt, und er wendet durchaus einige Mühe auf, diese glaubwürdig und lebendig erscheinen zu lassen.

Der neue Held von "Aufstieg der Bestien" und somit Erbe von Shia LaBoeuf und Mark Wahlberg - Marky-Mark-Witz inklusive - heißt Noah Diaz (Anthony Ramos) und funktioniert von vornherein als Kontrastprogramm zu LaBoeufs spielbergeskem Suburbs-Teenager. Noah wurde unehrenhaft aus der Armee entlassen und sucht nun vergeblich nach einem Job, um seine Mutter zu unterstützen und die Behandlungen seines chronisch kranken Bruders bezahlen zu können. Als ihn seine Verzweiflung zu einem versuchten Autodiebstahl treibt, gerät er an den Transformer Mirage - denn die Autobots leben seit den sieben Jahre zurückliegenden Geschehnissen von "Bumblebee" unerkannt auf der Erde - und wird, gemeinsam mit der Museumsassistentin und Prähistorikerin Elena (Dominique Fishback), in den Roboterkrieg verwickelt, bei dem einmal mehr der Untergang der Erde … undsoweiter undsofort, man kennt die Story.

"Aufstieg der Bestien" ist der erste "Transformers"-Film, der sich um eine zwar nicht wahnsinnig komplexe, aber echte, lebendige Figurenzeichnung bemüht - waren doch vor dem unbarmherzigen Auge des großen Gleichmachers Bay auch Figuren und Schauspieler nicht wesentlich mehr als Pin-ups, die sich mit denselben Kamerafahrten vermessen ließen wie die glanzlackierten Sportwagen, an deren Motorhauben sie lehnten. Bays Filme benötigten in der Tat keine Figuren aus Fleisch und Blut brauchten und wurden eher besser durch ihr Wissen darüber, wie sehr Figuren vom Wesentlichen - der Brillanz ihrer Set Pieces und dem Glanz ihrer Oberflächen, unter denen sich demonstrativ nichts verbarg - abgelenkt hätten. In diesem siebten Film jedoch tut dem Spielzeugfranchise (das sich, natürlich, immer noch in weitere Roboterfilme und -universen zu erweitern gedenkt) die geerdetere Herangehensweise gut.


Aber, diese Frage darf keinesfalls unter den Tisch fallen: Wie sieht es denn nun mit dem Kern der "Transformers"-Filme aus, mit dem, weswegen wir alle ins Kino gehen, um sie anzusehen? Wie sieht es mit dem Spektakel, der Action, den Set Pieces aus? Die Antwort lautet wenig überraschend: Ein Michael Bay ist Steven Caple Jr. nicht. Aber wer könnte schon im direkten Vergleich mit dem kreativsten, begnadetsten Bewegtbildregisseur der letzten drei Jahrzehnte bestehen? Was Caple tatsächlich auf die Leinwand wirft, muss sich, lässt man den ganz großen Vergleich beiseite, nicht verstecken. Die Set Pieces von "Aufstieg der Bestien" sind wuchtig, recht farbenfroh, und sehen jedenfalls um einiges besser und freudvoller aus als alles, was hinter den Grauschleiern der letzten achtzehn Stunden im Marvel-Universum zu erkennen war.

Eine letzte, nicht zu unterschätzende Stärke des Films liegt darin, dass er rechtzeitig zu Ende geht, bevor sich das Spektakel allzu sehr erschöpft. Mit 127 Minuten bleibt er gut eine halbe Stunde unter der derzeit gängigen Laufzeit für Spektakelkino dieses Zuschnitts, und das tut ihm wie uns Zuschauenden sehr gut. So bleibt die erfreuliche Erkenntnis, dass sich auch im engen Rahmen des kontemporären Franchisekinos einige Schritte in richtige Richtungen noch umsetzen lassen - und dass "Transformers: Aufstieg der Bestien" entgegen jeder Erwartung ein ziemlich schönes Stück Unterhaltungskino geworden ist.

Jochen Werner

Transformers: Aufstieg der Bestien - USA 2023 - OT: Transformers: Rise of the Beasts - Regie: Steven Caple Jr. - Darsteller: Anthony Ramos, Dominique Fishback, Luna Lauren Velez, Dean Scott Vazquez - Tobe Nwigwe, Sarah Stiles - Laufzeit: 127 Minuten.