Im Kino

Die Irrealisierung der Welt

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Lukas Foerster
09.08.2018. Jon Turteltaubs "Meg" zeigt, wie Hollywood in Zeiten der Krise zu überleben versucht: Ein Jason Statham, ein Mega-Hai und chinesisches Geld sollen es richten. Der Indiegenrefilm "The Endless" von Justin Benson und Aaron Moorhead lebt von der Originalität seiner Irritation, läuft jedoch Gefahr, in beige-grünlichem Color-Grading zu ersticken.


Ein Film wie "Meg" steht exemplarisch für die Krise des Mainstream-Hollywood-Kinos in Zeiten von Online-Streamingdiensten. Einerseits ist die 150-Millionen-Dollar-Produktion merklich darum bemüht, die expandierenden Märkte Asiens mitzubedienen. Der Film spielt nicht nur vor der Küste Chinas und hat Stars wie Li Bingbing aufzubieten, er wurde auch teilweise mit chinesischen Geldern finanziert. Andererseits aber stehen die Zeichen auf Rückbesinnung: Mit einem großen Hai läutete "Jaws" 1975 die Ära des Sommerblockbusters ein, und nun, da sogar im einst florierenden "Star-Wars"-Universum die Umsätze einbrechen, soll es eben ein noch größerer Hai wieder richten.

Als ein U-Boot während einer Forschungsmission im Marianengraben von einem gigantischen Hai angegriffen wird und sinkt, wird dem Navy-Kapitän und Tiefseetaucher Jonas Taylor (Jason Statham) die Aufgabe anvertraut, die Besatzung zu bergen. Fünf Jahre zuvor verlor er, als eine ähnliche Mission unter seiner Führung sehr verlustreich ausging, nicht nur seinen Job und wurde von seiner Frau verlassen, sondern Fachleuten erklärten ihn obendrein für psychotisch, weil er behauptete, sein Boot sei von einem Megalodon angegriffen worden, einem bis zu 25 Meter langen und vermeintlich seit Urzeiten ausgestorbenen Riesenhai. Zeit für Taylor, nicht nur seine Weste reinzuwaschen, sondern sich auch dem prähistorischen Ungeheuer zu stellen.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass es nichts Neues unter der Meeresoberfläche gibt, suchen Regisseur Jon Turteltaub und sein Autorenteam einen Zugriff auf die Filmgeschichte, der wahrscheinlich eher widersprüchlich als dialektisch ist. Während das Motivrepertoire aus "Jaws" pflichtbewusst abgehakt wird, findet sich mit einer ein U-Boot attackierenden Riesenkrake auch eine Anspielung auf Richard Fleischers "20.000 Leagues Under the Sea", einem jener Cinemascope-Spektakel der 1950er, die zwar als Spielbergs filmgeschichtliche Vorläufer firmieren, dabei aber eher auf staunende Naivität setzten, als auf existenzialistische Abgeklärtheit. "Meg" will sowohl Eskapismus und Überwältigung als auch einen wissend-ironischen Zugriff auf das Genre. Vielleicht kommt das am Besten in den exzessiv eingesetzten jump scares zum Ausdruck: Wir wissen genau, dass der Hai gleich eine weitere Figur wegschnappen wird, aber erschrecken sollen wir uns trotzdem.



Die vielleicht interessanteste Szene ist denn auch eine, die die Überwältigungsmechanismen des Blockbuster-Kinos ebenso zum Inhalt hat wie die basalen Ängste, auf denen sie beruhen. Von Angesicht zu Angesicht stehen sich Kind und Monster gegenüber, wobei letzteres versucht, die schützende Panzerglasscheibe, die deutlich auch für die Kinoleinwand steht, zu durchbrechen. Am stärksten ist der Film dort, wo er CGI-Welten erschafft, die ihre Künstlichkeit nicht verbergen, sondern ausstellen. Wenn hingegen Haie auftauchen, denen die Flossen abgeschnitten wurden, um sie zu Suppe zu verarbeiten, kommt derartige Kritik über das Niveau von Facebook-Memes kaum hinaus.

Wirkt der Film insgesamt doch etwas zu berechnend, ohne dass er seine Widersprüche wirklich auflösen oder seine Brüche produktiv nutzbar machen würde, so hat er mit Statham immerhin eine ideale Hauptbesetzung. Wenn er sich zu Beginn nach Thailand zurückgezogen hat, wo er seine Zeit vornehmlich mit Biertrinken verbringt, dann ist es gerade das Wissen des Schauspielers um die Abgeschmacktheit des Klischees, aus der die Szene einigen Reiz bezieht. Wenig später macht der Film unter der Dusche nicht nur mit hübscher Geschmacklosigkeit Stathams durchtrainierten Körper zum Schauwert, sondern setzt dabei mit Li Bingbing, die sein love interest gibt, auch eine Frau als Blickträgerin ein. Und wenn der Film ihn schließlich in der finalen Konfrontation von Mann und Mega-Hai selbst Hand anlegen lässt, entwickelt das einen B-Movie-Irrsinn, wie es ihn im Big-Budget-Kino der Gegenwart ruhig öfter geben dürfte. 

Nicloai Bühnemann

Meg - USA 2018 - OT: The Meg - RegieL Jon Turteltaub - Darsteller: Jason Statham, Li Bingbing, Rainn Wilson, Cliff Curtis, Winston Chao - Laufzeit: 113 Minuten.

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Streng genommen existieren Selbstmordkulte immer nur im Nachhinein, nie in der Gegenwart. Umbringen kann man sich schließlich nur ein einziges Mal. Weshalb ein Selbstmordkult in dem Moment, in dem er zu einem Selbstmordkult wird, auch schon wieder zu existieren aufhört. Das führt zur Frage: Wie erkennt man einen Selbstmordkult, bevor er zum Selbstmordkult wird? Was genau machen die Mitglieder eines potentiellen Selbstmordkultes, wenn sie sich nicht gerade umbringen?

Oder auch: Woran erkennt man, ob ein Verhalten noch lediglich verschroben oder bereits "culty" ist? Darum geht es, zumindest zu Beginn, in "The Endless" von Justin Benson und Aaron Moorhead, einem Indie-Science-Fiction-Horrorfilm, in dem die von den Regisseuren selbst gespielten Brüder Justin und Aaron Smith, frustriert vom tristen Rumkrebsen am Rand des Existenzminimums, zu einem Camp im dünn besiedelten Nirgendwo des amerikanischen Südwesten zurückkehren. Hier hatten die beiden ihre Jugend verbracht, waren dann aber, zehn Jahre bevor der Film einsetzt, geflohen. Eben weil es wohl deutliche Hinweise darauf gegeben hatte, dass im Camp Arcadia eine Selbstmord-, oder möglicherweise auch UFO-Kult beheimatet war.

Nur ist sich zumindest der jüngere Bruder Justin inzwischen nicht mehr so sicher, ob das tatsächlich stimmt. In seinen Erinnerungen hat das Leben im Camp einen nostalgischen Glanz angenommen. Und in der Tat: Wenn die beiden nach einer mit nervösen, passiv-aggressiven Wortwechseln verbrachten Anfahrt dort eintreffen, macht alles, was sie vorfinden, einen vergleichsweise harmlosen Eindruck. Eine Gruppe von eher junggebliebenen als wirklich jungen Männern und Frauen lebt hier ein recht zivilisiertes Aussteigerleben, nicht einmal sonderlich zerzaust sehen sie aus, vorherrschend ist vielmehr der international standardisierte Holzfällerhemden-Normcore-Look, culty vibes gibt es zwar durchaus, aber Leute, die in der Stadt geboren und aufgewachsen sind, es sich aber irgendwann in den Kopf setzen, ab jetzt auf Teufel komm raus zu outdoor-Typen zu werden, sind nun einmal oft etwas verschroben. Außerdem sind die Leute hier durchaus fähig zur Selbstironie: "Do you mind if we get a little culty in here? One last time?"

Man kann sich einerseits denken, wie das weitergeht: Natürlich ist nichts, wie es scheint, die zunächst kleinen Irritationen (ein etwas zu generisch irr grinsender Typ im Hintergrund) verdichten sich bald zu immer größeren und irgendwann zu bedrohlichen Irritationen. Von Anfang an sind außerdem derart viele Sonderbarkeitsmarkierungen über den Film verteilt, dass klar ist: Es wird nicht einfach auf eine simple Wiederaufnahme des Selbstmordmotivs hinauslaufen. Tatsächlich wird sich irgendwann herausstellen, dass es sich bei der Gemeinschaft im Camp Arcadia fast schon um das Gegenteil eines Selbstmordkultes handelt.



Andererseits ist "The Endless" durchaus ein Film, der von der Originalität seiner Irritationen lebt. Und zwar: nur von der Originalität seiner Irritationen. Denn das, was von den Irritationen irritiert wird, ist für sich selbst nicht sonderlich originell. Die Figuren bleiben blasse Abziehbilder, die sich in der bereits erwähnten, alle für den Film relevanten sozialen Beziehungen auf die eine oder andere Art prägenden passiven Aggressivität einigeln. Zumindest gilt das für die (optisch wie habituell einander zum verwechseln ähnlichen) Männer, die wenigen Frauen, die im Film auftauchen, sind etwas lebhafter; nur leider bleiben sie Fremdkörper, weder die beiden Hauptfiguren, noch das Drehbuch scheinen so recht zu wissen, wie sie sich ihnen nähern sollen.

Fast noch schwerer wiegt, dass der Film mit einem wirklich absolut grässlichen Color-Grading geschlagen ist. Die digitale Nachbearbeitung des Farbspektrums ist eh eines der größten Ärgernisse im gegenwärtigen Filmschaffen. Mir scheint, dass es im niedriger budgetierten Autorengenrekino besonders weit verbreitet ist. Vielleicht, weil es eine simple Methode darstellt, die dargestellte Welt zu irrealisieren und zu stilisieren. Allerdings ist das eine Form von Stilisierung, die fast immer den Beigeschmack einbalsamierter Leblosigkeit mit sich bringt. Der sinnliche Reichtum der Welt wird von Anfang an eingedampft, es werden visuelle Grenzen abgesteckt, die hinfort nicht mehr überschritten werden können.

In diesem Fall ist das Color-Grading entschieden beige-grünlastig, der Look erinnert von fern an vergilbte Postkarten und nimmt einem immer wieder fast die Luft zum Atmen. Schade ist das auch deshalb, weil "The Endless" ansonsten durchaus Ambitionen hat, die digitale Technik kreativ einzusetzen. Wenn die zunächst noch realistische Oberfläche der Filmwelt nach und nach aufzubrechen beginnt, so geschieht das oft durch Wahrnehmungsirritationen, die die Substanz des Bildes selbst anzufressen scheinen: Spiegeleffekte tauchen auf, wo keine sein sollten, Texturen verflüssigen sich, einzelne Bildbereiche scheinen zu kollabieren, sich nach innen zu falten. Manchmal sind die Irritationen so subtil, dass man gar nicht so recht sagen kann, was ihr Ursprung ist. Als wäre die Oberfläche der Welt von einem Computervirus befallen. Der dann in der nächsten Eskalationsstufe auch auf die Grundlagen der Erzählung, die zeitliche und räumliche Kontinuität, übergreift. Nur der grüngelbliche, passiv-aggressive Indiekinobefindlichkeitsbrei bleibt leider resistent.

Lukas Foerster

The Endless - USA 2017 - Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead - Darsteller: Justin Benson, Aaron Moorhead, Callie Hernandez, Tate Ellington, Vinny Curran, Peter Ciella - Laufzeit: 111 Minuten.