Im Kino
Sanft ist sie nicht
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
07.11.2007. Die aufregende Isild le Besco spielt in "Pas douce" eine Krankenschwester, die scharf zu schießen versteht. Joe Wrights Ian McEwan-Verfilmung "Abbitte" beginnt furios und ist am Ende von allen guten Geistern verlassen![](https://www.perlentaucher.de/cdata/K3/T73/A4271/pasdouce.jpg)
Frederique geht in den Wald, das Gewehr in der Hand, mit der Absicht, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Dann hört sie Kinder, ein Schulausflug, sie beobachtet einen Jungen, der mit der Zwille auf Vögel schießt. Sie legt auf ihn an, sie schießt ihm ins Bein, von ihrem Selbstmordplan nimmt sie Abstand. Was in Frederique sitzt, was in Frederique fährt: Regisseurin Jeanne Waltz zeigt die Folgen, sie zeigt, was Frederique tut, aber Erklärungen dafür bietet sie nicht. (Wie sollte etwas, das einem widerfahren ist, auch erklären, was in einen fährt, später, im Wald, das Gewehr in der Hand. Es gibt Andeutungen, das zerrüttete Verhältnis zum Vater zum Beispiel, aber was genau vorgefallen ist, ob überhaupt etwas vorgefallen ist, das erfahren wir nicht. Was in Frederique sitzt, ist ein so tiefes Unglück, ist eine so große, aber sprachlose - und vielleicht ja vor allem deshalb so große, weil sprachlose, weil auch ihr selbst nicht erklärliche - Wut, da muss auch der Film, muss auch die Kamera, die das alles zeigt, prinzipiell ratlos bleiben.)
Marco (Steven de Almeida), der Junge, auf den Frederique zielte, landet in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, ja, auf ihrer Station. Das ist kein Wunder, denn der Schauplatz von "Pas Douce" ist ein kleiner Ort tief in der Schweiz, an der Grenze, in den Bergen, ein enger Ort (wenn nicht die Enge selbst), in dem fast alle einander kennen, in dem Frederique später auch dem einen, der ihr beim Sex mangelnde Sanftheit vorwarf, wieder begegnet.
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Am Ende hat Frederique ein Lächeln im Gesicht. Sie fängt, vielleicht darf man das sagen, als eine andere und sie selbst noch einmal von vorne an.
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Zwischen Kunst und Kunsthandwerk liegt, mit einem Wort, der schmale Grat, auf dem er sich bewegt. Auf den furiosen Beginn folgt eine erste Hälfte des Films voll Brio und Übermut, mit klug dosierten Beschleunigungen, abrupten Bremsmanövern und jedenfalls einem hervorragenden Sinn für Timing. Raffiniert werden so die Erzählelemente perspektivisch gegeneinander verschoben, ineinander gefaltet. Das Szenario ist dies: Auf dem Schloss, dem richtigen, dem großen (aber ganz und gar richtig und groß wird es nie, wohl deshalb, weil Regisseur Wright selbst, metaphorisch gesprochen, so atemberaubend souverän den Schlossherrn gibt), lebt die schöne Cecilia Tallis (Keira Knightley), die sich in den auch nicht hässlichen Schlossangestellten Robbie Turner (William McAvoy) verliebt. Aus Versehen lässt Robbie von zwei Briefen nicht den züchtigen, sondern den überaus unzüchtigen - den vom ES, nicht den vom ICH geschriebenen - an die schöne Cecilia schicken. Es ist sein Glück und sein Unglück. Sein Glück, weil Cecilia eben auch nichts Dringenderes im Sinn hat, als mit Robbie zu schlafen, und sei es an Ort und Stelle der dafür eigentlich nicht gemachten Schlossbibliothek.
Und es ist sein Unglück, denn die Überbringerin des fatalen Briefchens ist Cecilias kleine, schriftstellerisch ambitionierte Schwester Briony (Saoirse Ronan). Natürlich liest sie den Zettel und ertappt dann die Schwester und ihn noch beim Beischlaf auf der Bibliotheks-Bücherleiter. Als dann später ein kleiner Junge verschwindet und alle ausschwärmen, nach ihm zu suchen, kommt es draußen im Freien zu einer Vergewaltigung. Briony sieht den Täter, aber sie erkennt ihn nicht, oder sie erkennt ihn falsch, in jedem Fall denunziert sie ihn und behauptet aus Gründen der Eifersucht und der Bosheit und der Lust am schriftstellerischen Sachenbehaupten und Schicksalspielen, es habe sich beim Vergewaltiger um Bobbie gehandelt. Der kommt daraufhin erst in den Knast, dann in den Krieg. Um die Liebe nicht, dafür aber um den Film ist es damit geschehen.
In allen Kritiken ist zu lesen, dass "Abbitte" in eine gelungene erste und eine mindestens zerfahrene, womöglich aber auch richtig schlechte zweite Hälfte zerfällt. Das wird leider nicht falsch dadurch, dass es fast jeder behauptet. Denn wirklich fällt dieser zweite Teil sehr auseinander, aber nicht so, dass man denkt, es sei dies Zerfallen auch die Absicht von Christopher Hamptons Drehbuch und Joe Wrights Regie. Man hat nämlich den Eindruck, dass Wright einer ist, der nicht loslassen will, wo es besser wäre, loslassen zu wollen. Der Regisseur tut in diesem zweiten Teil immer noch souverän, nur sind das plötzlich nur noch Gesten wie die eines von allen guten Geistern verlassenen Königs im Exil.
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Pas Douce. Frankreich / Schweiz 2007 - Regie: Jeanne Waltz - Darsteller: Isild Le Besco, Steven Pinheiro de Almeida, Lio, Yves Verhoeven, Philippe Vuilleumier, Christophe Sermet, Jocelyne Desverchere, Bernard Nissile, Michel Raskine
Abbitte. Großbritannien 2007 - Originaltitel: Atonement - Regie: Joe Wright - Darsteller: Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai, Vanessa Redgrave, Patrick Kennedy, Benedict Cumberbatch