Außer Atem: Das Berlinale Blog
"Ein Film, den es besser nie gegeben hätte" - der Berlinale-Pressespiegel
Von Thomas Groh
10.02.2019. Faith Akins Strunk-Verfilmung "Der goldene Handschuh" spaltet die Kritik: Von "richtig Scheiße" bis "ziemlich großartig" reicht das Spektrum. Ansonsten wird im Wettbewerb viel gegähnt, filmkünstlerische Sensationen finden sich im Forum. Der dritte Festival-Tag im Rückblick.
Im Mittelpunkt von Buch und Film steht Fritz Honka, der in den 70ern im Kneipenmilieu von St. Pauli vier Frauen ermordet und deren Leichen in seiner kargen Dachbodenwohnung versteckt hat. Dass man einem verwahrlosten Mann in einem verwahrlosten Milieu ungern dabei zusieht, wie er verwahrloste Frauen umbringt, versteht sich von selbst. Was aber schreiben die Befürworterinnen des Films? Szymanski sieht in dem Film "eine mitfühlende Liebeserklärung an ein Hamburger Milieu", sie mochte "die dichte, kenntnisreiche Ausstattung, das Casting, das temperamentvolle, leidenschaftliche Schauspiel. Die Thekenmänner. Die rettungslos betrunkenen Frauen, die weinen, wenn Heintje aus der Musikbox 'Du sollst nicht weinen' singt."
Ähnlich schreibt Hartl: "Akin erzählt zwar von abstoßenden Menschen, sein Film blickt auf die aber nicht mit Verachtung, Zynismus oder Ironie", sondern mit "Zuneigung. ... Es ist einfach, mit individuellen Figuren in Filmen Mitleid zu haben - aber mit dem offensichtlich Betrunkenen, der jede Woche in der Kneipe am Eck sitzt, haben das nur wenige." Und beide loben die dreckige Verranztheit der 70er-Jahre-BRD, die hier nochmal von der Leinwand runterschimmelt. Zweifel laut macht Wenke Husmann auf ZeitOnline: "Das Milieu bleibt vor allem Staffage, eine bis zum letzten Pin-Up-Poster perfekte Kulisse für Akins Horrorfilm." Thekla Dannenberg dazu im Perlentaucher: Akin "nimmt St. Pauli den Glamour, und gibt ihm das Entsetzen über seine kaputten Seelen zurück."
Bevor es weitergeht und weil es so schön passt: Auf ihrem gerade frisch veröffentlichten neuen Album singen die Goldenen Zitronen von der alten BRD.
Auch Rüdiger Suchland artikuliert auf Artechock, trotz Wohlwollen, einige Einwände: Jonas Dasslers von der Maske noch zugerichteter Honka ist "ein bis zur Lächerlichkeit monströses Wesen" und "aus einer Vorlage, die eigentlich von der deutschen Nachkriegszeit handelt, vom verdrängten Krieg und Faschismus, von den schwarzen Seiten des Wiederaufbaus, und von einem allgegenwärtigen Unterschicht-Milieu, von Männern die soviel saufen und rauchen, dass man nicht versteht, wie sie das auch nur fünf Jahre überleben, von alten Frauen und SS-Kämpfern, die bei Heintje weinen, und von Leichenteilen in leeren Hinterhöfen, wird in diesem Film eine Freakshow. Nur selten geht's tiefer, meist bleibt alles äußerlich."



Weiteres: Wo ist eigentlich Terrence Malicks doch schon vor geraumer Zeit teilweise auch in Babelsberg, also vor den Toren Berlins, gedrehter "Radegund" abgeblieben, fragt sich Bert Rebhandl im FAZ-Blog.
Besprochen werden Bernd Schochs "Olanda" (Tagesspiegel), Marius Olteanus "Monsters" (Tagesspiegel), Kelly Coopers und Pavol Liskas lose Adaption von Elfriede Jelineks "Die Kinder der Toten" (Tagesspiegel), Maryam Zarees Dokumentarfilm "Born in Evin" (Tagesspiegel, Interview mit der Filmemacherin auf ZeitOnline), Heinrich Breloers "Brecht"-Zweiteiler (Tagesspiegel), Rita Azevedo Gomes' Musil-Adaption "A Portuguesa" (Tagesspiegel) und der Dokumentarfilm "African Mirror" über den Schweizer Filmemacher René Gardi (Tagesspiegel).
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