Magazinrundschau - Archiv

Respekt

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Magazinrundschau vom 24.08.2021 - Respekt

Jindřiška Bláhová berichtet vom Filmfestival in Karlovy Vary, auf dem der Dokumentarfilm "Rekonstrukce okupace" über das Ende des Prager Frühlings 1968 gezeigt wurde (Trailer), der jetzt in die tschechischen Kinos kommt: Filmemacher Jan Šikl hat jahrelang Filmmaterial aus Privatbesitz gesammelt und entdeckte viele Stunden Material, die Momente der russischen Okkupation in Prag zeigen und von der Öffentlichkeit nie gesehen wurden ("Wen soll das interessieren?", fragte ein siebzigjähriger Filmrollenbesitzer.) Manches wurde ihm auch anonym zugeschickt. Anschließend spürte Šikl in detektivischer Arbeit einzelne Menschen auf, die auf den Filmausschnitten zu sehen sind. Wodurch sich weitere Kontakte und Erinnerungen ergaben. Es erzählen Zeitzeugen, "die bereuen, damals die Konfrontation gescheut zu haben, und solche, die stolz sind, die Konfrontation gemieden und dadurch weiteres Blutvergießen verhindert zu haben." Bláhová hält den Ansatz des Dokumentarfilms für sehr gelungen, denn Šikl folge der Prämisse, dass "das Banale und das Bedeutende eng miteinander verflochten sind. Dass die große Geschichte nicht existiert ohne die sogenannte kleine, private. Dass die persönliche zur großen Geschichte werden kann und die große sehr persönlich."

Magazinrundschau vom 08.06.2021 - Respekt

Anlässlich des Todes der tschechischen Soziologin, Feministin und ehemaligen Dissidentin Jiřina Šiklová unterhält sich Silvie Lauder mit dem Historiker Vilém Prečan, einem langjährigen Weggefährten Šiklovás, der mit ihr zusammen zu Kommunismuszeiten wichtige Schriften und Literatur kodierte und ins Ausland schmuggelte. Šiklová, die nach der Samtenen Revolution ferner die tschechischen Gender Studies begründete, habe nach der Maxime gelebt, dass "wir als Bürger alle eine Verpflichtung haben, eine Verpflichtung gegenüber dem Land, in dem wir leben, denn niemand sei eine völlig private Person". Wegen ihrer Dissidententätigkeit saß Šiklová zehn Monate unter den Kommunisten im Gefängnis. Dabei habe sie nie ihre Schlagfertigkeit verloren, erzählt Prečan. Als sie einmal in einem Verhör von den Geheimdienstlern gefragt wurde, was sie mit Wolfgang Scheur zu schaffen habe (einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft, der Anfanger der Achtzigerjahre als Bindeglied zwischen Dissidenten und Exiltschechen fungierte), denn sie sei mit ihm gesehen worden, behauptete sie einfach: "'Ich schlafe mit ihm.' Darauf konnten sie nichts mehr sagen."

Magazinrundschau vom 20.04.2021 - Respekt

Nachdem Polizei und tschechische Sicherheitsdienste herausgefunden haben, dass die Explosion im Munitionslager Vrbětice, bei der 2014 zwei Tschechen ums Leben kamen, von russischen Geheimagenten verübt wurde (offenbar denselben, die auch das Skripal-Attentat verübten), ist die Empörung groß (der Journalist Jan Urban spricht in Hlídací pes von einem "staatsterroristischen Akt") und russische Botschaftsmitarbeiter wurden ausgewiesen. Erik Tabery meint in Respekt, es gebe keinen Grund zur Überraschung: "Schon seit Jahren wird bei uns ein Kampf darüber geführt, wie groß Russlands Einfluss auf die Tschechische Republik ist. Experten und Geheimdienste warnen schon seit Langem, dass sich die Situation zunehmend verschlechtere. Moskau greift in unsere Angelegenheiten ein und wir reagieren nicht schnell und entschlossen genug." Ein Grund für diese Laxheit sei auf der Prager Burg zu finden, da Präsident Miloš Zeman Russland in all seinen Interessen unterstütze (Anteil am Atomkraftwerk Dukovany, Einführung des Impfstoffs Sputnik V etc.), den russlandkritischen Außenminister Petříček absetzen wollte und den tschechischen Geheimdienst BIS kritisiere. Der BIS sei jedoch "ein Schutzwall, der uns vor Eingriffen des Kremls auf tschechischem Gebiet schützt". Und diese essentielle Sicherung stelle das Staatsoberhaupt permanent in Frage und rufe im Grunde nach ihrer Abschaffung. Der tschechische Staat, so Tabery, müsse sich jedoch schützen, und zwar sofort. Mit der Ausweisung der Agenten habe die Regierung von Premier Babiš immerhin gut reagiert, doch das genüge nicht: "Die Sicherheitsdienste haben ihre Arbeit getan. Jetzt sind die Politiker an der Reihe."

Magazinrundschau vom 13.04.2021 - Respekt

Die tschechischen Filmemacher Ondřej Provazník und Martin Dušek wollten ihren Spielfilm "Staříci" (Die Alten), der auf einem vom Tschechischen Zentrum (eine Kultureinrichtung vergleichbar dem Institut Français) ausgerichteten Online-Festival in Budapest gezeigt werden soll, mit einem Videogruß versehen, in dem sie im Hintergrund "Ban Orban!" auf eine Tafel schreiben und den ungarischen Zuschauern ausrichten "Schaut, solange ihr noch dürft!" Die Leitung der Tschechischen Zentren (die dem Außenministerium unterstehen) habe diesen Videogruß jedoch verboten, wie Tomáš Brolík berichtet, da man offenbar aus diplomatischen Gründen eine Kritik an der ungarischen Regierung nicht zulassen wolle. Die Autoren, die sich freilich auf die Freiheit der Kunst berufen, haben daraufhin überlegt, ihren ganzen Filmbeitrag aus dem Festival zurückzuziehen. "Sie hätten noch angeboten, das Video mit einer Notiz zu versehen, dass ihre Meinung nicht die offizielle Haltung der Tschechischen Republik ausdrücke, aber auch das sei für das Ministerium keine akzeptable Variante gewesen." Im Moment werde dort überlegt, die entstehende Aufschrift "Ban Orban!" mit einem schwarzen Balken zu überblenden, womit Filmemacher Martin Dušek durchaus einverstanden sei: Für bizarre Absurditäten sei er immer zu haben, also auch für diese. (Das Video ist in den Artikel eingebettet)

Magazinrundschau vom 09.03.2021 - Respekt

Aus Anlass des tschechischen Filmpreises Český Lev, der soeben an die polnische Regisseurin Agnieszka Holland für ihren Film "Scharlatan" vergeben wurde, schaltet Respekt ein Gespräch frei, das Jindřiška Bláhová im Herbst mit der Filmemacherin geführt hat, die darin unter anderem über die komplizierte polnische Gegenwart und die widersprüchliche Politik der Populisten spricht: "Die aktuelle Regierung ist stark antikommunistisch und antirussisch. Gleichzeitig bewegt sie sich auf einen Autoritarismus zu, in dem Wahlen immer weniger frei sind und die Propaganda immer stärker. Wahlen werden durch Geld und Medien manipuliert. In Wahrheit entspricht es recht getreu den Herrschaftsmodellen, die für den Sozialismus typisch sind", so Holland. "Auch Putinsche Ideen setzt die Regierung um, etwa die Verflechtung von Kirche und Staat oder das Herauspicken und Stigmatisieren von Minderheiten als Feinde. Gegenwärtig ist es die Hetzjagd auf die LGBT-Community, die allmählich an den Antisemitismus vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert." Menschen, die offenbar von einer komplizierten Realität verunsichert seien, biete die populistische Regierung eine Sicherheit an, die sie vor den "Schrecken der Welt" schütze, zu denen Flüchtlinge und in einem gewissen Sinne auch Frauen gehörten. "Vor einigen Jahrhunderten besaß der weiße, meist katholische und heterosexuelle Mann alle Rechte. Dann begann sich seine Torte der Rechte und Privilegien zu verkleinern, und andere erhielten Stücke davon: Kinder, Sklaven, Frauen, farbige Menschen und jetzt auch noch Tiere. Gleichzeitig wandelt sich die Struktur der Zivilisation, in der die physische Kraft des Mannes immer nutzloser wird. Da ist eine gewisse Frustration verständlich."

Magazinrundschau vom 08.12.2020 - Respekt

Mit 96 Jahren ist in Prag Antonín Jaroslav Liehm gestorben und damit einer der profiliertesten tschechischen Kulturjournalisten, Film- und Literaturkritiker. Er war maßgeblich beteiligt an der Aufbruchsstimmung des Prager Frühlings, dem die damals einflussreiche Literaturzeitung Literárni noviny unter seiner Mitwirkung ein intellektuelles Forum bot. Wie Jindřiška Bláhová erzählt, bezeichnete Liehm die Zeit dort später als "die besten Jahre meines Lebens … es war eine Epoche einer wirklich fühlbaren Hoffnung, der neuen Gedanken und neuen Visionen." Nach dem Einmarsch der Sowjetunion ging er in die Emigration, zunächst nach Frankreich, später in die USA, wo er sich unermüdlich und erfolgreich dafür einsetzte, die tschechoslowakische Neue Welle, das Filmwunder aus dem kleinen Land, im Ausland bekannt zu machen. In den achtziger Jahren gründete er die Zeitschrift Lettre Internationale und erst 2013 kehrte er dauerhaft in seine tschechische Heimat zurück. Jindřiška Bláhová schreibt: "In seiner Lebensgeschichte spiegeln sich zwei große Themen der tschechischen Gesellschaft: die Sechzigerjahre als Wunder und verpasste Gelegenheit, und das immer noch ungeklärte Verhältnis der Tschechen zur Emigration und den Emigranten - siehe Milan Kundera, mit dem er sich in Paris befreundete."

Magazinrundschau vom 04.02.2020 - Respekt

Anlässlich ihres 200. Geburtstags widmet Respekt seine aktuelle Ausgabe der tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová, deren Klassiker "Babička" ("Die Großmutter") in Tschechien jedermann bekannt ist (in Deutschland wohl eher ihr Märchen "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel"), deren Komplexität in Leben und Werk jedoch kaum wirklich bekannt und erfasst ist. Silvie Lauder erinnert daran, dass jede Epoche eine andere Seite von Němcovás Werk hervorhob und sich zu eigen machte: Franz Kafka verehrte Němcová als "klarsichtig kluge" Meisterin des Wortes, der Schriftsteller und Widerständler Julius Fučík nannte sie "die erste Sozialistin", für die Schauspielerin Vlasta Chramostová war sie eine "Inspiration im Kampf gegen totalitäre Macht". In den Akten der damaligen österreichischen Polizei konnte man lesen, dass "diese exalitierte Tschechin das Volk aufwiegle", gleichzeitig nannten sogar die Polizeispitzel sie "eine bemerkenswerte Persönlichkeit". Zweihundert Jahre nach ihrer Geburt, so Silvie Lauder, gewinnt Němcová nun wieder eine neue Bedeutung, und zwar "nicht anhand der ideologischen Schablonen, mit denen sie während des letzten Regimes vereinnahmt wurde, sondern wegen der Geschichte ihres besonders dramatischen und überraschend aktuellen Lebens. Die erste tschechische Schriftstellerin von Kaliber war nämlich nicht nur literarisch innovativ und außergewöhnlich schön, sondern bewies zivilen und politischen Mut mit festen Grundsätzen - und dies zu einer Zeit, als ihr das die Ächtung und existenzielle Probleme einbrachte."

Magazinrundschau vom 28.01.2020 - Respekt

Der tschechische Verkehrsminister Vladimír Kremlík ist vor wenigen Tagen über eine zu teure Auftragsvergabe (umgerechnet an die 16 Millionen Euro) für die digitale PKW-Maut gestürzt, auch über die Geheimniskrämerei des Vergabeverfahrens. Künftig soll in Tschechien eine digitale Autobahnvignette über einen extra eingerichteten Onlineshop erworben und an der Mautstelle automatisch erfasst werden. Die Zeitschrift Respekt kritisiert nach ihr vorliegenden Informationen aber noch eine ganz andere Dimension der Affäre: "Der Autobahn-E-Shop sollte eine geheime Funktion haben: auszuspionieren, wer wohin fährt", so Jiří Nádoba. "Das neue System sollte für die Sicherheitskräfte des Staates Daten darüber speichern, wann wo welches Auto durchgefahren ist. Das hätte ein Gesamtbild aller Automobilbewegungen im Autobahnnetz ermöglicht. (…) Über diese Funktion wurde jedoch im Zusammenhang mit dem Wechsel vom Papier- auf ein elektronisches Vignettensystem niemals gesprochen. Dabei lässt sich nicht ausschließen, dass diese Funktion auch in dem System enthalten sein wird, an dem die Arbeit inzwischen begonnen hat." Die erfassten Daten der Kontrolle, welcher Autofahrer bezahlt hat und welcher nicht, sollten laut Nádoba vom System gespeichert werden. "Dadurch hätte der Staat einen kompletten Überblick darüber, wer wann welche Mautstelle durchfahren habe - was eine neue Dimension in der Beobachtung der Bürger darstellen würde."

Magazinrundschau vom 14.01.2020 - Respekt

Jindřiška Bláhová würdigt den 86-jährig in Nevada verstorbenen tschechischen Filmemacher Ivan Passer, einen engen Mitarbeiter und Freund Miloš Formans, mit dem zusammen er nach der sowjetischen Invasion in die USA emigrierte. Beide gehörten sie zu den Begründern der Tschechischen Neuen Welle der 60er-Jahre. "Im kongenialen Triumvirat mit Jaroslav Papoušek schufen sie den neuen Typ eines authentischen Antihelden, der sich von den schwarz-weißen sozialrealistischen Helden abgrenzte, sowie eine neue zivile Poetik der Alltäglichkeit, die das Leben in der sozialistischen Tschechoslowakei genau widerspiegelte, zugleich aber auch eine allgemeingültige Aussage über die Existenz war." Nach der Emigration gelang Passer in den USA eine zweite Karriere, "wenngleich seine Filme nie eine so weitreichende Popularität und kulturelle Relevanz besaßen wie die Filme des pragmatischeren, durchschlagskräftigeren und besser auf das Hollywoodsystem eingestimmten Miloš Forman". Bláhovás Nachruf weckt zumindest Neugier, sich näher mit Passers Werk zu beschäftigen: "Ihn interessierten banale Kleinigkeiten und er schaffte es, große Filme aus ihnen zu machen. Sein poetisches Debüt 'Intime Beleuchtung' aus dem Jahr 1965 gehört zum Besten, was hierzulande an Filmen entstanden ist."

Magazinrundschau vom 07.01.2020 - Respekt

Erik Tabery geht der Herkunft des Schimpfworts "Prager Kaffeehaus" (pražská kavárna) nach, das in Tschechien durch Präsident Miloš Zeman und populistische Medien wieder eifrig in Gebrauch gekommen ist: "Bisher dachte ich immer, dass der Begriff seine Wurzeln in der kommunistischen Ära habe. In der damaligen Propaganda wurde häufig versucht, intellektuelle Müßiggänger als Gegenstück zum hart arbeitenden Volk darzustellen, sodass es nicht schwer war, diesen absurden Feldzug in der Gegenwart wieder neu aufzuwärmen. Es gibt immer noch genug Leute, die sich daran erinnern, weshalb der tschechische Präsident und nationalistische Medien mit dem Terminus operieren." Bei seinen Recherchen zu einem Artikel über Karel Čapek entdeckte Tabery jedoch, dass die Herkunft weiter zurückreicht und aus dem entgegengesetzten politischen Spektrum stammt. Nicht kommunistische, sondern rechtskonservative Presseorgane, häufig aus der Provinz (etwa landwirtschaftliche Zeitungen) versuchten schon Anfang der dreißiger Jahre, linke städtische Intellektuelle (wie Karel Čapek) mit diesem Begriff zu diskreditieren. Die derzeitige verächtliche Verwendung des Worts stehe also in einer langen Tradition, so Tabery. "Das eigentlich so nicht existierende Kaffeehausmilieu soll als Schreckgespenst fungieren. Die Kinder hat man vom Teufel abgeschreckt, die Erwachsenen vom Kaffeehaus. Was das 'Prager Kaffeehaus' der Ersten Republik betrifft, mag es tröstlich sein, dass es später zu einem Pfeiler der tschechischen Kultur und Gesellschaft wurde, während seine Kritiker der Vergessenheit anheimfielen."
Stichwörter: Tschechien, Kaffeehaus