Magazinrundschau - Archiv

Polityka

123 Presseschau-Absätze - Seite 6 von 13

Magazinrundschau vom 16.02.2010 - Polityka

Wawrzyniec Smoczynski rekapituliert ausführlich den Streit um Erika Steinbach und das Vertriebenenzentrum, wobei alle Beteiligten gleichermaßen ihr Fett wegbekommen (hier auf Deutsch). Steinbach sei nicht der böse Dämon, sondern - im Gegensatz zu polnischen Politikern - eine sehr geschickte Taktikerin, weshalb sie jetzt als große Gewinnerin dastehe: "Alles weist darauf hin, dass an Stelle eines kleinen privaten Zentrums eine zwar formal unabhängige, in der Praxis jedoch von der BdV-Chefin ferngesteuerte staatliche Institution mit erheblich größerem Budget entstehen wird... Die polnischen Regierenden, nach Wladyslaw Bartoszewskis Husarenritt klüger geworden, schweigen diesmal. Doch diese Taktik kommt einige Jahre zu spät. Heute kann man nur darüber spekulieren, wie die Karriere von Erika Steinbach verlaufen wäre, wenn sich nicht eine polnische Regierung nach der anderen auf die Bekämpfung ihrer Person konzentriert hätte. Die BdV-Chefin hat gelernt, die Register der polnischen Ängste vor Deutschland zu ziehen, so wie sie heute das deutsche Schuldgefühl gegenüber den Vertriebenen und den wiederauflebenden Nationalstolz ausspielt."
Stichwörter: Steinbach, Erika

Magazinrundschau vom 09.02.2010 - Polityka

Mehr als 34.000 Beschwerden haben Polen bereits beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg eingereicht, berichtet Joanna Podgorska (hier auf Deutsch). Und wenn es um die in Polen eher restriktive gehandhabte Meinungsfreiheit oder die Zustände in den Gefängnissen geht, bekommen sie fast immer Recht. Zuletzt ein Mann, dem die polnischen Gerichte das Recht zu heiraten absprachen: "Der Gerichtshof ermahnte Polen, ein Gefängnis ist nicht gleichzusetzen mit Entzug der grundlegenden Menschen- und freiheitlichen Rechte. In Straßburg haben schon Gefängnisinsassen gewonnen, die wegen Haftbedingungen wie Überbelegung, schlechten Zugang zu medizinischen Leistungen und erniedrigende Behandlung geklagt hatten. Es hat bereits ein Gefangener Recht bekommen, dem man Hafturlaub für die Beerdigung seines Vaters verweigert hatte, auch ein anderer, dem die Gefängnisaufseher gestatteten, an den Wahlen teilzunehmen, unter der Bedingung, dass er sich nackt auszöge."

Im Interview spricht Piotr Pazinski, Chefredakteur der Zeitschrift Midrasz, über sein Romandebüt "Pensjonat", in dem er vom Leben in einer jüdischen Altersheim nahe Warschau erzählt: "Ich habe viele Jahre überlegt, warum ich alte Kurorte wie Krynica oder Zakopane so mag. Vielleicht, weil mein erstes archetypisches Bild die Pension 'Srodborowianka' war, in die ich mit meiner Großmutter fuhr. Sie ist das Vorbild für die Pension aus dem Buch. Für Virgina Woolf ist das Meer eine archetypische Landschaft, der Leuchtturm, die große Familie. Mein Urbild war diese aussterbende Welt der polnischen Juden."

Außerdem: Die französische Diskussion um Yannick Haenels Buch "Jan Karski" (mehr hier) wird auch in Polen wahrgenommen. Im Interview will Haenel aber keinesfalls ein historisches Buch über Polen oder den Antisemitismus geschrieben haben: "Das ist nur Literatur. Man darf mir keine historischen Fehler vorwerfen." Und Adam Krzeminski möchte die Erinnerung an "Unsere Vertriebenen", die späteren Wegbereiterinnen der deutsch-polnischen Verständigung wie Freya von Moltke oder Marion Dönhoff bewahren.

Magazinrundschau vom 02.02.2010 - Polityka

Wer sich für die polnische Radiolandschaft interessiert, erhält von Joanna Solska eine gute Einführung (hier auf Deutsch). Nach der Wende gründeten vor allem aus Frankreich zurückgekehrte Journalisten neue private Sender wie Radio FM und Radio Zet, während die Staatssender noch nicht einmal live sendeten: "Um einen Rundfunksender zu gründen, reichte es aus, ein altes Sendegerät zu besitzen, das man für den Preis eines altersschwachen Maluchs erwerben konnte. Stanislaw Tyczynski, der Gründer von Radio Malopolska FUN, des späteren RMF FM, hatte einige Jahre in Frankreich gelebt, von wo er 5.000 Dollar und zwei Computer mitbrachte."

Magazinrundschau vom 15.12.2009 - Polityka

Eine junge Generation von Schriftstellern und Filmemachern erzählt die Geschichte vom Leben im Kommunismus neu: Die "weihevollen Regeln des Martyriums" werden verworfen, es gibt keine Helden und keine Bösewichter mehr, man sucht den Anschluss an das moderne amerikanische Kino, berichtet Zdzislaw Pietrasik. "'In Polen hat man sich daran gewöhnt, dass jeder historische Film unterschwellig gleich ein Nationalepos sein muss', sagt [der Animationsfilmer Tomasz] Baginski in einem Interview für die Zeitschrift Film. 'Ich träume von einem historischen Film, in dem die Geschichte nebensächlich ist, von einem modernen und eindrucksvollen Film. Denn wen interessiert es denn heute, wenn sich krankhaft an Fakten gehalten wird? Man darf den Zuschauer nicht wie einen Banausen behandeln. Wenn ihm Informationen fehlen, dann holt er sie sich, liest nach. Im Kino aber werden Emotionen gemacht.' Das kann man beinahe als Manifest der jungen polnischen Künstler verstehen, die auf der Suche nach historischen Themen sind.

Magazinrundschau vom 08.12.2009 - Polityka

In Polen gibt es keine nennenswerten Stipendien für Schriftsteller. Wie Justyna Sobolewska berichtet (hier auf Deutsch), werden aber mehr polnische Autoren von deutschen Stiftungen gefördert. Zur Zeit sind etwa Dorota Maslowska und Wojciech Kuczok in Berlin. "Bis vor kurzem konnte man sich noch um ein Stipendium auf Bettina von Arnims Schloss Wiepersdorf bewerben, und Mikolaj Lozinski war dieses Jahr auf Schloss Genshagen. Adam Wiedemann wiederum erhielt ein Stipendium von HALMA, einem von der Stiftung Pogranicze (Grenzland), dem LCB und der Robert Bosch Stiftung geschaffenen Netzwerk von Literaturhäusern. Die meisten Polen landen jedoch in Berlin. 'Im März, als ich dort war, gab es zwei Autorenabende mit Sylwia Chutnik, und ich habe gehört, dass auch Tadeusz Dabrowski und Kazimierz Brakoniecki vor kurzem da waren', sagt Agnieszka Drotkiewicz. Der Politikwissenschaftler, Journalist und Chefredakteur des Dialog, Basil Kerski, schreibt: 'Innerhalb weniger Jahre ist Berlin zu einem der wichtigsten polnischen Kulturzentren neben Warschau, Krakau, Posen, Breslau und Danzig geworden.'"

Magazinrundschau vom 01.12.2009 - Polityka

Joanna Podgorska diagnostiziert (hier auf Deutsch) bei den Polen ein angeknackstes Selbstbewusstsein: Ein absolut positives Selbstbild geht einher mit dem tiefen Misstrauen gegenüber dem anderen: "In einer Untersuchung von 2007 von Piotr Radkiewicz und Krystyna Skarzynska erklären beinahe 70 Prozent der Polen, sie seien mit ihrem Leben zufrieden, und 90 Prozent sind der Meinung, man müsse wachsam sein, weil man betrogen werden könne, 84 Prozent sind überzeugt davon, dass es in unserer Gesellschaft viele Menschen gibt, die jemanden grundlos angreifen würden, aus purer Gemeinheit. Über 60 Prozent bejahen die These, dass es von Jahr zu Jahr immer weniger Menschen gibt, die Respekt verdienen, und immer mehr solche, die nicht ein Fünkchen Moral haben und eine Bedrohung für andere Menschen darstellen. Es sieht danach aus, dass wir uns in der Hölle wohl fühlen. Woher diese Schizophrenie?"

Mariusz Czubaj versucht zu erklären, warum nordeuropäische Krimiautoren immer beliebter werden: "Der skandinavische Krimi stellt die Frage nach unserer kulturellen Identität, nach dem Modell des Staates und seiner Pflichten gegenüber den Einwanderern sowie nach der Zunahme der Gewalt im Alltag. Damit ist diese Gattung eine Form der Debatte über die Gesellschaft und eine wichtige, wenn auch fabularisierte, Stimme in der Diskussion über die heutige Welt".

Außerdem: Der Schriftsteller Erwin Kruk erinnert sich an Masuren und erzählt von seinem (erfolglosen) Versuch, das Elternhaus wieder zu bekommen. Janusz Wroblewski bespricht begeistert Wojciech Smarzowskis Film "Dom zly" (Böses Haus), ein Thriller, der im kommunistischen Polen Ende der 70er-Jahre spielt: "Aus einer betrunken-surrealistisch-naturalistischen Situation, von den Schauspielern wunderbar dargestellt, entsteht ein glasklares Bild der Paranoia der Volksrepublik. Ein perfektes Gegenmittel für nostalgische Sehnsucht nach den sozialistischen Zeiten." Und nachzulesen und nachzuschauen sind die Eindrücke von Antonio Armanos und Massimo Bregas Reise entlang der Spuren des Eisernen Vorhangs.

Magazinrundschau vom 24.11.2009 - Polityka

Der Historiker Jerzy W. Borejsza ruft (hier auf Deutsch) die Polen auf, ein realistischeres Bild ihrer Geschichte zu zeichnen. Zur Zeit der Teilung etwa bestand das Land nicht nur aus heldenhaften Kämpfern für Freiheit und Unabhängigkeit, neben all den Kosciuszkos gab es auch die Radziwills, die sich germanisieren oder russifizieren ließen: "Polnische Lehrbücher heben die Geschichte des Widerstands gegen fremde Übermacht, der Entwicklung nationaler Institutionen sowie der Rolle der Kirche und der katholischen Religion bei der Erhaltung des Polentums hervor und erinnern an den polnischen Sprachunterricht sowie die Entwicklung der nationalen Kultur. Äußerst selten wird von Assimilation, Anpassung, Kollaboration und Entnationalisierung gesprochen, Erscheinungen also, die im 19. Jahrhundert gang und gäbe waren. Die Geschichte der Polen in den Armeen der Teilungsmächte bestand nicht zuvörderst aus jenen Hunderten von Offizieren, die unter der Führung von Romuald Traugutt aus der Armee des Zaren zu den Partisanen des Januaraufstands überliefen oder flüchteten. Tausende Polen oder Deutsche und Russen polnischer Herkunft - Soldaten, Offiziere und Generäle - waren treue Diener der russischen, preußischen oder deutschen Sache."

Magazinrundschau vom 17.11.2009 - Polityka

Der überraschende Gewinner des Festivals des Polnischen Films in Gdingen, "Rewers", kommt in die Kinos und die Kritiker sind einheilig begeistert. Der Film - Drama? oder schwarze Komödie? - spielt in Warschau zu Zeiten des Stalinismus, doch von Politik ist nicht die Rede. Darin genau liegt das Brisante des Films, schreibt Janusz Wroblewski. "'Rewers' zeigt auf listige Art das, was das polnische Kino über ein halbes Jahrhundert lang nicht zeigen konnte. Nicht nur wird den normalen Menschen Recht gegeben, die mit dem Heldentum der kämpfenden Opposition nichts zu tun hatten. Es wird auch bewiesen, dass beide Erfahrungen nicht voneinander zu trennen sind". Die surreale Story wird mit postmodernen Methoden erzählt, doch macht sie auch klar, dass die Volksrepublik sich nicht einfach aus dem Gedächtnis tilgen lässt, schreibt Wroblewski. Man müsse lernen, mit diesem Virus zu leben, wozu solche Filme taugten.

20 Jahre Mauerfall - die Zeit ist reif für ein Resümee der deutschen Wiedervereinigung. Was unterschiedliche Mentalitäten von ost- und Westdeutschen angeht, hat Adam Krzeminski keine Sorgen: "Das heutige Ostdeutschland hat mit der ehemaligen DDR wenig gemeinsam. Die Generation 89 denkt nicht daran, in jener Vergangenheit zu verwurzeln. Für sie ist ihr 'Ossitum' kein Deckname für Sehnsucht nach der DDR, sondern es bezeichnet das Bewusstein einer anderen Erfahrung mit ihrem Zwischenstatus - nach dem Verschwinden der DDR, und dem Noch-nicht-Ankommen im vereinigten Deutschland. (...) Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen ist lediglich ein psychisches Unbehagen, kein Pulverfass. Der von einigen prophezeite Generationenkrieg findet nicht statt - nicht heute, nicht in fünf Jahren, nicht 25 Jahren nach der Einigung." Krzeminski erinnert außerdem daran, dass in Polen schon 1989 niemand der DDR nachgeweint oder sich der Wiedervereinigung in den Weg gestellt hat.

Nur im Print nachzulesen: Der Anthropologe Piotr Szarota hat eine Kulturgeschichte der polnischen Mode geschrieben. Seine Schlussfolgerungen sind wenig erbaulich, vor allem in Hinblick auf die Männer: "Die Mehrheit kann sich nicht überwinden, sich mit dem eigenen Aussehen zu beschäftigen, sich freimutig nach Kleidung umzuschauen oder sie anzuprobieren. Alte Komplexe, Vorurteile, Gewohnheiten spielen eine große Rolle bei der inneren Blockade der Mehrheit der polnischen Männer. Indem sie sich gegen die Mode wehren, haben sie das Gefühl, ihre Männlichkeit zu verteidigen". Daran haben zwanzig Jahre bunter Kapitalismus (noch) nicht viel geändert, so Szarota.

Magazinrundschau vom 03.11.2009 - Polityka

In Polen hat man oft den Eindruck, es gebe "nur eine richtige Ethik: die römisch-katholische", schreibt Adam Szostkiewicz, der das für absolut undemokratisch hält (hier auf Deutsch). "Wenn ein Bischof einen Abgeordneten anruft und ihm sagt, wie er in der In-vitro-Angelegenheit abstimmen soll, und man von 30.000 polnischen Schulen gerade mal in 300 statt des Religionsunterrichts den Ethikunterricht besuchen kann, haben wir ein grundsätzliches Problem auch mit den demokratischen Standards und mit der Idee einer offenen Gesellschaft, um die wir uns schließlich bemühen. In diesem Klima gedeiht nicht der Pluralismus, sondern das Monopol. Und die Kirche verwirklicht dieses Monopol auf die Ethik in den Schulen, Medien und der Politik, indem sie den Konformismus eines Großteils der politischen Klasse und der Gesellschaft ausnutzt."

Magazinrundschau vom 27.10.2009 - Polityka

In einem Interview über die deutsch-polnischen Beziehungen fragt Adam Krzeminski (hier auf Deutsch) Richard von Weizsäcker, welches Ereignis für 1989 das wichtigste war: die ungarische Grenzöffnung zu Österreich, die polnische Solidarnosc oder die friedliche Revolution in der DDR. Weizsäckers Antwort: "Aus der Perspektive dessen, was sich auf dem deutschen Boden zugetragen hat, war das Erstaunlichste und Ermutigendste die schrittweise Entwicklung einer Zivilgesellschaft in der DDR, die dann auch das SED-Regime zu Fall gebracht hat. Das hat aber nur dann einen Sinn, wenn man die erste wirklich große Bürgerbewegung im ganzen sowjetischen Machtbereich sieht, und das war zweifellos die Solidarnosc."