Magazinrundschau - Archiv

Le Monde

95 Presseschau-Absätze - Seite 8 von 10

Magazinrundschau vom 30.03.2010 - Le Monde

Berlusconi hat bei den Regionalwahlen überraschende Erfolge gefeiert, unter anderem in Süditalien (mehr dazu hier). Hatte der Journalist Roberto Saviano recht, als er letzte Woche in Le Monde eine internationale Kontrolle der Wahlen insbesondere in den von der Mafia kontrollierten Gebieten forderte? Allein in Kalabrien liefen gegen 35 der 50 Regionalpolitiker Ermittlungsverfahren oder sie seien schon verurteilt. Saviano, der seit seinem Buch über die Camorra unter Polizeischutz leben muss, rechnet in seinem Text mit der italienischen Politik gnadenlos ab. "Man geht hier in Italien grundsätzlich davon aus, dass die Politik keine Richtung hat, keine Ideen, keine Konzepte. Deshalb erwarten und rufen die Leute nach etwas anderem... Sie hat keinerlei Glaubwürdigkeit mehr. Nichts als ein leeres Gehäuse, das man mit Worten füllen kann und mitunter selbst das nicht mehr. Und so kommt es dazu, dass man vielleicht nicht mehr imstande ist, sie überhaupt zu nutzen. Wenn das aus der Politik wird, hat die Mafia schon gewonnen. Denn niemand schafft es, größere Sicherheiten zu bieten als sie: die eines Jobs, eines Einkommens, einer Wohnung."

Magazinrundschau vom 16.03.2010 - Le Monde

Jacques Mandelbaum stellt sich die Frage, ob Filme wie Tarantinos "Inglorious Basterds" oder Scorseses "Shutter Island" einfach eine eigene Version der Geschichte der Nazizeit präsentieren dürfen und kommt zu dem etwas lauen Schluss: "Während der zweite Weltkrieg und besonders das Grauen der Schoa in die Geschichte einzutreten scheinen, bleibt dieses Ereignis in der Ideen- und Kulturgeschichte doch ein Paradigma des Bösen. Die Frage der Erinnerung daran, wird im Moment des Verschwindens der letzten Zeugen um so heikler, als sie zu einer Frage der Weitergabe wird, die zugleich kenntnisreicher als zuvor und ungewisser ist."
Stichwörter: Island, Nazizeit

Magazinrundschau vom 23.02.2010 - Le Monde

Die Politikerin Ilhem Moussaid verwirrt die französische Linke. Sie engagiert sich bei der extrem linken Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) für die Regionalwahlen. Sie trägt das islamische Kopftuch (Bild), aber sie verteidigt auch das Recht auf Abtreibung. Unter der Überschrift "Wenn die Religion 'Opium fürs Volk ist', ist sie auch 'der Seufzer der Unterdrückten'" meint der Schriftsteller Tariq Ali, die gegenwärtige Debatte verweise auf etwas "Ungutes" in der politischen Kultur Frankreichs: "Der Zorn, den Ilhem Moussaid erregt, ist deplatziert. Er sollte sich gegen die Verantwortlichen von einer Million Toten im Irak richten, gegen die unaufhörliche Besetzung des Gaza-Streifens durch Israel und Ägypten, die Ermordung von Unschuldigen in Afghanistan, die brutale Ausbeutung Haitis etc. Man fragt sich, was die Ursache dieses fehlgeleiteten Furors ist."

Auch der Philosoph Michel Onfray versteht die Welt nicht mehr, aber andersrum, und erregt sich: "Heutzutage trägt man Schizophrenie am Schulterriemen mit sich herum, sogar mit Affektiertheit. Das weltweite Symbol der Ausbeutung der Frauen durch Männer unter ideologisch-muslimischer Herrschaft soll also das Emblem der Frauenbefreiung und des Laizismus werden! Seit wann ist ein ostentatives religiöses Symbol ein Zeichen für Laizismus?"

Magazinrundschau vom 12.01.2010 - Le Monde

Der Philosoph Edgar Morin singt in einem Essay ein Loblied auf die Kraft der Metamorphose, die immer dann notwendig werde, wenn ein System unfähig wird, mit seinen Problemen fertig zu werden und auf die Selbstzerstörung zusteuert. "Die Idee der Metamorphose ist, was ihre transformatorische Radikalität angeht, viel gehaltvoller als die Idee der Revolution, knüpft jedoch an den Erhalt (des Lebens, des Kulturerbes) an. Doch wie ändert man die Richtung, um eine Metamorphose zu erreichen? Denn so machbar es erscheint, bestimmte Übel zu korrigieren, so unmöglich scheint es, zugleich die technisch-wissenschaftlich-ökonomisch-zivilisatorische Entfesselung auszubremsen, die den Planeten in die Katastrophe führt. Und doch hat die Menschheitsgeschichte schon häufig die Richtung gewechselt. Alles beginnt stets mit einer Neuerung, einer neuen, abweichenden, marginalen, bescheidenen Botschaft, die für die Zeitgenossen häufig unsichtbar ist. So jedenfalls begannen die großen Religionen, Buddhismus, Christentum, Islam. Der Kapitalismus hat sich als ein Parasit der feudalistischen Gesellschaften entwickelt und mithilfe der Königtümer seinen Aufschwung genommen, um sie am Ende zu zerstören."

Außerdem schreibt Wassyla Tamzali, Autorin, Anwältin und Frauenrechtsbeauftragte der Unesco, über die gespaltene, oftmals verklärende Beziehung von Albert Camus zu seinem Geburtsland Algerien und analysiert die politische Haltung des "glücklichen Sisyphos".

Magazinrundschau vom 22.12.2009 - Le Monde

Vor dem Hintergrund der Debatten um nationale Identität und Immigranten in Frankreich und dem Minarett-Verbot schreibt der aus Marokko stammende und Paris lebende Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in einem bitteren Kommentar, dass die arabischen und muslimischen Immigranten in Frankreich erst nach der Ölkrise überhaupt "sichtbar" und ihre "Fremdheit" zu einem Thema geworden seien. Wie schon vor diesem Wendepunkt träume das Land auch nach wie vor den "Traum vom idealen Immigranten": "Ah! Könnten sie doch unsichtbar sein, ohne Gerüche und Hautfarben, still und wenn möglich durchsichtig! Ihre Religion übten sie geräuschlos und vor allem von der Außenwelt zurückgezogen bei sich daheim aus. Der Glaube wäre etwas Innerliches und bräuchte keine Moscheen und noch weniger Minarette. Das wären perfekte Immigranten. Die nichts im Land störten."

Magazinrundschau vom 01.12.2009 - Le Monde

Im Zeitalter des Internets ist dem Kunstfreund nichts mehr fremd, schreibt Umberto Eco. Die Folgen sind bedenklich: "Unser Geschmack wird durch die Tatsache geprägt, dass es kaum mehr möglich ist, Befremden (oder Unverständnis) angesichts des Unbekannten zu empfinden. In der Welt von morgen wird das Unbekannte, wenn überhaupt, jenseits der Sterne liegen. Wird dieser Mangel an Befremden (oder Ekel) zu größerem Einverständnis zwischen den Kulturen führen oder zu Identitätsverlust? Es ist kaum möglich, dieser Herausforderung auszuweichen: Besser ist es darum, den Austausch zu intensivieren und Vermischungen zuzulassen. In der Botanik fördert das Kreuzen der Arten die Kultur. Warum nicht in der Kunstwelt?"
Stichwörter: Eco, Umberto, Kunstwelt

Magazinrundschau vom 17.11.2009 - Le Monde

Die größten Gefahren für die Demokratien, schreibt der in Paris lebende Schriftsteller Tzvetan Todorov auf der Meinungsseite, gehen von ihnen selbst aus. In Frankreich sieht er derzeit vor allem Verstöße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Beispielsweise in den Medien. "Frankreich hat noch nicht den Grad an Unübersichtlichkeit erreicht, wie man ihn aus Italien kennt, wo der Premierminister mehrere öffentliche Fernsehsender kontrolliert obwohl ihm einige Privatkanäle gehören? Allerdings ist es aufgrund einer kürzlichen Änderung der Vorschriften inzwischen die Regierung und nicht eine autonome Instanz, die die Intendanten der öffentlichen Medien auswählt. Die Begründung für diese Änderung ist drollig: Sie sei dazu da, heißt es, Heuchelei zu vermeiden, da die 'autonome' Instanz ohnehin Weisungen folge. Man weiß sehr gut, dass Heuchelei eine Verbeugung des Lasters vor der Tugend ist, aber man kann sie auf zwei unterschiedliche Arten ausschalten: das Laster zur Schau tragen oder versuchen, es zu beseitigen. Die Ernennungen, die dieser Entscheidung folgten, wurden jedenfalls als mit persönlichen Interessen verknüpfte wahrgenommen."

Magazinrundschau vom 03.11.2009 - Le Monde

Jahrelang, schreibt Vaclav Havel in einem Essay zum 20. Jahrestag des Mauerfalls in Le Monde, sei er in seiner Dissidentenzeit von westlichen Journalisten besucht worden, die ihn mit großen Augen angestaunt haben und sich wunderten, dass man gegen ein derart stabiles und übermächtiges System aufbegehre. Dann kam der Mauerfall, mit dem er selbst auch nicht gerechnet hatte: "Wir haben versucht, uns wie freie Menschen zu verhalten, die Wahrheit auszusprechen, Zeugen der Situation in unserem Land zu sein. Wir haben nicht nach Macht gestrebt. Mangels Alternative, haben wir diese Macht übernommen, aus Verlegenheit. Und im gleichen Moment ist etwas Interessantes entstanden: Viele, die all die Jahre stumm funktioniert haben, selbst viele, die unsere Bemühungen für vergeblich hielten, fingen an uns vorzuwerfen, wir seien schlecht darauf vorbereitet, unsere Rolle in der Geschichte zu spielen."
Stichwörter: Havel, Vaclav, Mauerfall

Magazinrundschau vom 29.09.2009 - Le Monde

Was wäre, wenn die fünfzig besten Journalisten der New York Times die Tageszeitung verließen und eine eigene Internetzeitung gründeten? Ausgehend von dieser Fragestellung des amerikanischen Bloggers Michael Arrington untersucht Xavier Ternison das amerikanische Phänomen des personal branding im Journalismus. Dahinter verbirgt sich der Umstand, dass Journalisten dort zu "Marken" werden, die eine treue Gefolg- beziehungsweise Leserschaft an sich binden können. "Der Aufschwung des Multimediajournalismus hat die Herausgeber dazu verführt, auf das Konzept der Presse als Marke zu setzen: Im Informationsdschungel des Internets wird der Titel einer Zeitschrift oder Tageszeitung, die ihr Erscheinen auf mehrere Fassungen stützt, für den Nutzer zu einem Garanten für Seriosität und Glaubwürdigkeit. Doch das Internet als großartiges Werkzeug der Informationsverbreitung – und auch der Eigenwerbung – könnte sehr wohl dazu beitragen, die Namen einiger Journalisten in Marken zu verwandeln, die sich auch völlig alleine und ohne Hilfe einer bekannten Stütze verkaufen." Ternison zitiert Arrington, der auf die Webseite Politico verweist, die von zwei ehemaligen Politikjournalisten der Washington Post gegründet wurde: "Die haben ihre eigene Marke und ihre Glaubwürdigkeit mitgenommen, und die Leser sind ihnen gefolgt. (...) Journalisten haben heutzutage eine hohe Relevanz, vor allem gute."

Magazinrundschau vom 01.09.2009 - Le Monde

Der eigentliche Begriff der Menschenrechte wurde nicht in den USA und auch nicht in Frankreich geboren, sondern in Haiti, schreibt Jean-Michel Caroit in einem Artikel über die haitianische Revolution von 1791, der in einem Pariser Kolloquium gedacht wurde: "Diese Revolution war nach einem Wort des Anthropologen Michel-Rolph Trouillot 'undenkbar' wegen ihrer Radikalität angesichts des dominierenden Denkens dieser Zeit. Sie reicht über die französische und amerikanische Revolution hinaus, weil der Begriff der Menschenrechte auf die Gesamtheit des Menschengeschlechts angewandt wurde, ohne Unterscheidung von Rasse oder Geschlecht. Die Autoren der Menschenrechtsdeklaration von 1789 bezogen sich auf den 'weißen' westlichen Mann, wenn sie schrieben: 'Les hommes naissent et demeurent libres et egaux en droit.' Die haitianische Revolution fügt das Adverb 'alle' zu: 'Alle menschlichen Wesen...'"
Stichwörter: Haiti, Rasse