Magazinrundschau
Eine coole schwarze Eleganz
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
06.06.2023. Der New Yorker erwägt die Kosten einer exakten Lilaschattierung von Thanos. Und fragt, was Musiker heute für Geld tun können, bevor sie als uncool gelten. In der London Review erzählt John Lahr, wie Sidney Pollack den Lachs in ihm weckte. Hakai stellt die ukrainische Walforscherin Olga Shpak vor. Die Public Domain Review erinnert an den schwarzen argentinischen Dandy Raúl Grigera. In Eurozine denkt Kenan Malik über kulturelle Aneignung nach. La vie des idees stolpert auf der Insel Mayotte über Tausende Kinder ohne Eltern.
New Yorker (USA), 05.06.2023
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Um Geld geht's auch in diesem Artikel aus dem letzten Heft: Es gab mal eine Zeit, da galt es als Ausverkauf, wenn ein erfolgreicher Popmusiker sich für Firmenevents verkaufte. Lange her das. Heute soll Jennifer Lopez zehn Millionen Dollar einsacken, wenn sie ein Geburtstagsständchen für den turkmenischen Diktator Gurbanguly Berdimuhamedow bringt, Nicki Minaj singt für zwei Millionen für einen Konzern, der Angolas Diktator nahesteht, Beyonce kassierte angeblich satte 24 Millionen für ein Konzert in Dubai, aber auch alte Hasen wie Rod Stewart, Paul McCartney und Elton John geben Konzerte für zahlungskräftige Privatkunden, berichtet Evan Osnos. Er hat dafür Verständnis: Man wird ja nicht Musiker, um vor einem winzigen Publikum zu spielen und seine Miete nicht zahlen zu können, denkt er sich. Und: "Man muss kein Musiker sein, um sich zu fragen, ob Musiker in einer Zeit, in der Maler ihre Werke ungeniert an Barone des Insiderhandels verkaufen, in der ehemalige Präsidenten (und Beinahe-Präsidenten) Hunderttausende von Dollar für Reden an der Wall Street erhalten und in der College-Sportler ihr Konterfei an den Höchstbietenden lizenzieren, nicht einem unfairen Standard unterliegen. Nennen Sie es eine 'Evolution in der Kultur', sagte mir ein bekannter Musikproduzent. Er entschuldigte sich im Voraus dafür, Donald Trump zitiert zu haben, und sagte dann: 'Schauen Sie sich an, wen fast die Hälfte des Landes 2016 gewählt hat: einen Mann, der sie als Verlierer abstempeln würde, wenn Sie weniger verlangen, als Sie können, weil Sie Skrupel haben, etwa ausschließlich für die Elite zu spielen. Und erstaunlich viele Leute würden ihm zustimmen." Aber auch die Musikhörer haben sich verändert, lernt der Reporter vom Musikmanager Viecelli, der ihm erklärt: "'Ein Jugendlicher kann einen Song vorwärts und rückwärts kennen, ihn den ganzen Sommer lang rauf und runter hören, ohne überhaupt den Namen des Künstlers zu kennen. Sie surfen einfach auf der Welle dessen, was gerade angesagt ist', sagte er mir. 'Die Wahrheit ist, dass junge Künstler, selbst, wenn sie erfolgreich sind, zwei bis vier Jahre Erfolg haben. Vielleicht. Und das heißt, dass sie alles monetarisieren wollen und müssen, so schnell und krass es geht.'"
Newlines Magazine (USA), 31.05.2023
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La vie des idees (Frankreich), 27.05.2023
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Elet es Irodalom (Ungarn), 02.06.2023
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Eurozine (Österreich), 06.06.2023
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Public Domain Review (UK), 31.05.2023
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Paulina L. Alberto staunt über die Geschichte von Raúl Grigera: Als "el negro Raúl" stieg er im Buenos Aires des frühen 20. Jahrhunderts mit seinem dandyhaften Auftreten zur lokalen Berühmtheit auf. Schwarze stellten seinerzeit etwa ein Drittel der Bevölkerung der argentinischen Metropole. Von einem Medienphänomen wurde er bald zu einer Art folkloristisch-mythischen Figur - bis er in Armut verstarb und fast in Vergessenheit geriet. Seine Geschichte erzählen heute nur noch Konvolute grauer Literatur, deren digitalisierten Bestände sich im Volltext durchsuchen lassen - erzählt werden diese oft voneinander abgeschriebenen Geschichten von Weißen, die darin übereinstimmen, dass sich Grigera willentlich zum Gespött machte, um Anschluss an weiße Kreise zu finden. Damit will sich Alberto nicht zufrieden geben: "In keiner überlieferten Quelle spricht Raúl direkt über den Selbstentwurf, die Gesellschaft oder Welt, die er zu bewohnen oder zu schaffen hoffte. Aber die wenigen Fotos, für die er Model stand, und seine bewussten Entscheidungen in seinem Erscheinungsbild legen doch Zeugnis, vielleicht sogar eine Theorie über schwarze Maskulinität und Bürgerschaft ab, vermittelt in einer 'Sprache aus Kleidung, Image und Sichtbarkeit'. Trotz der Versuche späterer Geschichtenerzähler, Raúl als gescheiterten 'Dandy zweiter Hand' oder 'indisch angepinselten Brummel' (in Anspielung auf den ikonischen englischen Dandy George 'Beau' Brummell) darzustellen, erzählen frühere Texte von seinem Erfolg, eine beeindruckende Figur zu werden - und das Studioporträt, für das er Modell stand, unterstreicht diesen Aspekt ziemlich stark. Raúls Fähigkeit, mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen (auch oder gerade weil sie zweiter Hand waren), eine coole schwarze Eleganz zu verkörpern, war ein kreativer Akt des Dandyismus. Es ging ihm nicht bloß um den Versuch, Leute aus den höheren Schichten zu imitieren, einen Gentleman darzustellen oder weiße Privilegien für sich zu beanspruchen. Stattdessen entwickelte er einen Stil und eine Selbstpräsentation, um eine neue Art von 'negro' zu erfinden. In einer Stadt, in der 'ein schwarzer Gentleman' oder 'ein schwarzer Dandy' undenkbare Widersprüche in sich darstellten und in der schwarze Männer in feiner Garderobe entweder als livrierte Diener oder absurde, deplatzierte Emporkömmlinge galten, zwang Raúl die weißen Porteños dazu, sich mit einem flamboyanten Schwarzen auseinanderzusetzen, der Stil zu einem Feature seiner ganz eigenen Marke erhob."
Hakai (Kanada), 31.05.2023
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London Review of Books (UK), 06.06.2023
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Weiteres: Krys Lee erinnert daran, dass die globale Verbreitung von K-Pop in Korea eine nationale Aufgabe ist, schreibt seinen Erfolg aber vor allem der Verbindung von Kultur und digitalen Netzwerken zu. Adéwálé Májà-Pearce wundert sich in einem leider nur kurzen Text, welch geringe Rolle der Biafra-Konflikt in Nigeria noch spielt, deutet es am Ende aber auch positiv, dass sich die Grenzen zwischen den verschiedenen Ethnien des Landes auflösen. Gaby Wood bewundert Lucian Freud auch für seine Radierungen.
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