Efeu - Die Kulturrundschau
Ich Papst, du keine Ahnung!
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.02.2020. Die NYRB denkt mit Tom Stoppards neuem Theaterstück "Leopoldstadt" über den britischen Antisemitismus nach. Die taz fragt: Wann ist ein Foto illegal, und was hat das mit sozialen Privilegien zu tun? In Frankreich streitet man über die Auswahl der César-Filmpreise, berichtet Le Monde, und mit Roman Polanski hat das nur am Rande zu tun. Warum das Literarische Quartett von der Kritikerrunde zum Salon mutiert, erklärt in der SZ Thea Dorn.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
15.02.2020
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Bühne

Weiteres: Petra Kohse hat sich für die FR mit dem Schweizer Theatermacher Milo Rau getroffen. Besprochen werden Stef Lernous' Inszenierung von Alfred Jarrys "Rex Ubu" am Berliner Ensemble (Berliner Zeitung), Hanna Müllers Inszenierung von Strindbergs "Fräulein Julie" am Mainfranken Theater Würzburg (nachtkritik), die Uraufführung von Thomas Freyers neuem Stück "letztes Licht. Territorium" in der Inszenierung von Jan Gehler am Düsseldorfer Schauspielhaus (nachtkritik) und Carl Heinrich Grauns Barockoper "Montezuma" am Theater Lübeck (taz).
Architektur
In der SZ macht sich Gerhard Matzig für die Architekturskizze stark, die auch durch KI nicht ersetzt werden könne.
Kunst

Es lag an den Versicherungsgesellschaften, die wegen der US-Sanktionen kniffen, dass die deutsch-iranische Archäologieausstellung "Tod im Salz" vorerst doch nicht nach Deutschland kommen kann, erzählt im Interview mit der FR Wolfgang David, der Direktor des Archäologischen Museums Frankfurt. Die Kontakte mit den Kollegen im Iran sind nach wie vor gut, sagt er und bleibt optimistisch: "Es gibt Reisebeschränkungen. Aber die Menschen sind sehr offen. Deutschland und Iran haben immer enge Kontakte gehabt. Ich plädiere dafür, diese Kontakte unbedingt zu halten. Wir sind nicht blauäugig, was die politische Unterdrückung und außenpolitischen Umtriebe angeht. Aber wir Wissenschaftler müssen im Gespräch bleiben."


Literatur
Nach dem Rückzug von Volker Weidermann wird Thea Dorn das "Literarische Quartett" im ZDF künftig alleine, mit drei je Sendung wechselnden Gästen, bestreiten. Den Weg, den Weidermann bereits eingeschlagen hatte - weg vom Großkritikertum des alten Sendeformats rund um Marcel Reich-Ranicki -, werde man konsequent weiterführen, verrät die Autorin im SZ-Interview: Zwar wolle man auch Kritiker nicht grundsätzlich vor der Studiotüre stehen lassen, "aber das neue Orientierungsbild ist für uns nicht die Kritikerrunde, sondern eher, etwas bescheiden ausgedrückt, der Lesekreis oder, etwas mondäner ausgedrückt, der Salon. ... Reich-Ranicki oder Karasek waren patriarchale Autoritäten, die im alten patriarchalen System funktionierten. Das geht heute im Guten wie im Schlechten nicht mehr. Diese Autoritäten werden infrage gestellt. Es gibt sehr kluge Kundenrezensionen bei den Online-Buchhändlern. Jemand, der so etwas schreibt, lässt sich nicht mehr vom Literaturpapst sagen: Ich Papst, du keine Ahnung!" Dieser Strukturwandel der literarischen Öffentlichkeit habe auch mit dem schwindenden Platz für Literaturkritik in den Feuilletons zu tun, meint Dorn. Claudius Seidl widerspricht dem auf Twitter ganz energisch:
Außerdem: Sylvia Staude spricht in der FR mit Else Laudan vom Ariadne-Verlag, der ausschließlich Krimi-Autorinnen verlegt. Für die SZ ist Alex Rühle auf den Spuren des Hölderlin-Jahrs durchs Land hinterher gereist. Außerdem bringt die Literarische Welt einen Auszug aus Peter-André Alts Buch über erste Sätze der Weltliteratur.
Besprochen werden unter anderem Peter Handkes "Das zweite Schwert" (Dlf Kultur, SZ, Standard), Regina Porters "Die Reisenden" (Intellectures), Aris Fioretos' "Nelly B.s Herz" (FR), Bov Bjergs "Serpentinen" (taz), Robert E. Lerners Biografie über Ernst Kantorowicz (Literarische Welt) und Tine Høegs "Neue Reisende" (FAZ).
Einfach mal drauflos geplappert, die @SZ wird schon nicht widersprechen. Dabei gab es dort 1988, als das Literarische Quartett gegründet wurde, eine Seite Literatur pro Woche. Heute ist es eine jeden Tag. #theadorn pic.twitter.com/zQU4DJ8UFU
— Claudius Seidl (@Claudiusseidl) February 15, 2020
Außerdem: Sylvia Staude spricht in der FR mit Else Laudan vom Ariadne-Verlag, der ausschließlich Krimi-Autorinnen verlegt. Für die SZ ist Alex Rühle auf den Spuren des Hölderlin-Jahrs durchs Land hinterher gereist. Außerdem bringt die Literarische Welt einen Auszug aus Peter-André Alts Buch über erste Sätze der Weltliteratur.
Besprochen werden unter anderem Peter Handkes "Das zweite Schwert" (Dlf Kultur, SZ, Standard), Regina Porters "Die Reisenden" (Intellectures), Aris Fioretos' "Nelly B.s Herz" (FR), Bov Bjergs "Serpentinen" (taz), Robert E. Lerners Biografie über Ernst Kantorowicz (Literarische Welt) und Tine Høegs "Neue Reisende" (FAZ).
Design

Anne Feldkamp führt im Standard durch die große Überblicksschau, mit der sich das Wiener MAK der Geschichte der österreichischen Mode widmet: "'Bloß keine klassisch brave Kostümausstellung mit großer Puppeninszenierung und distanzschaffenden Schauvitrinen' habe man im Sinn gehabt, hatte das Kuratorenduo Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Bergbaur im Vorfeld erklärt. Tatsächlich ist Show Off eher eine poppige als puppige Angelegenheit geworden.
Film

Der Aufsichtsrat des französischen César-Preises ist geschlossen zurückgetreten. Hat es mit den zwölf Nominierungen für Roman Polanskis "Intrige" (mehr zum Film hier) zu tun? Eher nicht, schreibt Hanns-Georg Rodek in der Welt, denn Auswirkungen auf die Verleihung Ende des Monats dürfte dieser Rücktritt wohl eh nicht haben: Er werde "erst im März wirksam, und die Mitgliederabstimmung über die Gewinner in den diversen Kategorien ist bereits im Gang." Susan Vahabzadeh erklärt in der SZ die Hintergründe: Am vergangenen Montag hatte ein von Hunderten Filmschaffenden unterschriebener offener Brief in Le Monde die Entscheidung des Rats gerügt, dass die feministischen Filmemacherinnen Claire Denis und Virginie Despentes "von der Führungsclique der Académie ohne Begründung von einer Veranstaltung ausgeschlossen worden, bei der die Nominierungen präsentiert werden. Den Unterzeichnern geht es um Transparenz: Warum, wollen sie wissen, dürfen sie eigentlich ihren Vorstand nicht wählen oder sonst wie an seinen Entscheidungen partizipieren?"
In der FAZ gratuliert Dietmar Dath Tsui Hark zum Siebzigsten. Einen guten Eindruck des Irrsinns, der in den Filmen des Hongkong-Actionregisseurs waltet, vermittelt dieses Video:
Ai Weiwei hatte zuletzt wieder böse auf die Berlinale geschimpft, die seine Filme einfach nicht zeigen wolle. Ein bisschen anders stellt sich das schon dar, wenn man den Ergebnissen von Christiane Peitz' Nachfrage für den Tagesspiegel beim Festival folgen darf. Sie hat erfahren, dass Ais "Produktionsfirma Mitte Dezember auf eine schnelle Entscheidung gedrungen habe, wegen einer anderen Festivalanfrage. Diese habe die Sektion Panorama, wo der Film gesichtet worden war, mitten im Auswahlprozess noch nicht treffen können."
Weiteres zur Berlinale: Tim Caspar Boehme stimmt in der taz auf das Festival ein, die sich im ersten Jahrgang der neuen Doppelspitze Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek eher durch "kleine Änderungen" auszeichnet. Sehr schön geraten ist Claus Lösers großes Gespräch für die Berliner Zeitung mit den Berliner Cinephilen Erika und Ulrich Gregor, die mit der Gründung des Berlinale-Forums vor 50 Jahren und des Kino Arsenals die Filmgeschichte entscheidend geprägt haben.
Musik
Billie Eilishs gestern veröffentlichter Song zum neuen James-Bond-Song "No Time to Die" ist von "düsterer Getragenheit", schreibt Christian Schröder im Tagesspiegel. Die Zutaten für einen Bond-Song stimmen zwar, meint Laura Sophie Jung in der Welt. Aber im Vergleich zu den letzten Bond-Songs ist hier etwas anders: Die anderen Songs "waren Hymnen, die mit ihrem Retroklang die alte Stärke des Einzelkämpfers anklingen ließen. Eilishs 'No Time to Die' lässt sich hingegen auf Daniel Craigs verhärmten, einsamen Bond ein. Sein zerfurchtes Gesicht, auf dem neue Narben die alten überdecken, sein stoischer Ausdruck, den kein noch so großer Verrat mehr ins Wanken bringen kann, das alles besingt Eilish mit dem notwendigen Pathos." Ein wenig schade findet es allerdings Adrian Daub auf ZeitOnline, dass hier eher Eilish dem Bond-Sound anverwandelt wurde als umgekehrt: "Bei aller Kraft, die Eilishs rauchig-verhauchte Stimme in diesem Lied entfaltet - man spürt, welche neuen und innovativen Möglichkeiten in den rigiden Konventionen des Bond-Titellieds bestanden hätten, wenn man sich nur getraut hätte, sie ein wenig infrage zu stellen."
Besprochen werden ein von Alain Altinoglu dirigiertes Konzert des HR-Sinfonieorchesters (FR), Tame Impalas neues Album "Slow Rush" (Pitchfork, Dlf Kultur), ein Konzert der Strokes (Tagesspiegel), sowie neue Alben der Miracle Whips (FR), von Justin Bieber (ZeitOnline, FAZ.net) und Grimes: "Sie macht Musik mit den Maschinen, in denen die Hoffnungen der Menschen ruhen", meint Welt-Kritiker Michael Pilz. Wir hören rein:
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