So so, Rupert Murdoch will also die Online-Angebote seiner Printmedien wieder kostenpflichtig machen, hört man. Andere Zeitungen wie die New York Times denken darüber nach. Verleger wie Mathias Döpfner sekundieren: Der Gratis-Kultur im Netz müsse ein Ende gemacht werden.

Vor einigen Jahren hätte mich die Meldung, dass Zeitungen im Netz nicht mehr gratis zu lesen sind, betroffen gemacht. Bei der New York Times würde es mir auch heute noch wehtun. Sie hat die beste Website einer Zeitung weltweit. Sie wäre vielleicht die einzige Zeitung, bei der ich überlegen würde, ein Online-Abo zu beziehen.

Allerdings muss man auch überlegen, dass die New York Times im Netz deshalb so gut ist, weil sie - wie sonst fast nur der Guardian - Online und Print so unglaublich sinnvoll und so synergiereich verknüpft hat. Aus der Print-Times las man die Buchkritik - und online stellt die Leseprobe hinzu. Am grandiosesten war die Verknüfpung in dem Blog The Lede bei den iranischen Unruhen: In diesem Blog las man alles, was neu war - die Tweets aus dem Iran einerseits, und die Berichte und Einschätzungen der Redaktion andererseits.

Durch eine Abtrennung des zahlbaren Bereichs werden diese neuen journalistischen Formate hinfällig - zumindest bei der New York Times. Man wird sie anderswo im Netz suchen müssen. Die Einführung der Zahlbarkeit wird die Zeitungen von den Internetentwicklungen wieder abkoppeln.

In Deutschland kann man das sehr gut sehen, denn hier haben die führenden Zeitungen ihren Inhalt nie - oder nur sporadisch - kostenlos hergegeben. Die Süddeutsche Zeitung hatte vor Urzeiten mal eine führende Internetseite. Das war zu Ende, als man die Zeitung hinter einem Passwort versteckte, und eine dürre und unterbezahlte Online-Redaktion ein paar Bilderstrecken zusammenbasteln ließ.

Anders als der Guardian oder die New York Times hat keine überregionale deutsche Zeitung je eine innovative, über den deutschen Tellerrand hinausragende Website aufgebaut. Und der Grund dafür ist, dass man stets an der Zahlbarkeit der Inhalte festgehalten hat.

Den Zeitungen in Deutschland geht es ja tendenziell besser als den amerikanischen Zeitungen. Vielleicht haben sie also im wirtschaftlichen Sinne besser agiert. Das Netz ist aber inzwischen bei Formaten angekommen, die von traditionellen Zeitungsformaten Lichtjahre entfernt sind. Das Blog The Lede war dafür ein Beispiel, auch die Iran-Blogs der Huffington Post, des Guardian oder von Andrew Sullivan waren Sternstunden des Journalismus. Ein anderes Beispiel ist die Wikipedia, die ja beides zugleich ist: immer auf dem neuesten Stand, und immer perspektivisch. Es ist darum kein Wunder, dass Google News ausgerechnet die Wikipedia als Nachrichtenquelle einbindet.

Mit anderen Worten: Vor ein paar Jahren wäre der Rückzug von Zeitungen aus dem kostenlosen Netz noch schmerzlich gewesen, heute wird man ein paar Quellen vermissen, aber das Internet hat auch Quellen und Formate entwickelt, die den Verlust rasch kompensieren werden.

Es fällt schwer, Murdochs Rückzug nicht als Kapitulation zu sehen. In einer berühmten Rede sagte er vor Verlegern im Jahr 2005:

"Wir hier in diesem Raum haben einen einzigartigen Inhalt, um uns in einer Welt auszuzeichnen, in der Nachrichten immer austauschbarer werden. Und noch wichtiger, wir haben einen großartigen neuen Partner, um die neuen Leser zu erreichen - das Internet. Die Herausforderung liegt aber darin, die Nachrichten in einer Weise zu liefern, in der die neuen Leser sie auch empfangen wollen. Bevor wir unsere Wettbewerbsvorteile ausspielen können, müssen wir unseren Geist von Vorurteilen und -prägungen befreien und anfangen zu denken wie die neuesten Leser. Kurz, wir müssen eine fundamentale Frage beantworten: Was können wir - ein Haufen digitaler Immigranten - tun, um für die digitalen Eingeborenen relevant zu sein?"

Die Nachricht, dass Murdoch die Inhalte seiner Zeitungen vom kostenlosen Netz abgrenzt, zeigt, dass er auf diese Frage keine Antwort gefunden hat und zum Status quo zurückkehrt, in der Hoffnung, ihn solange wie möglich erhalten zu können. Die Zitrone wird halt bis zum letzten Tröpfchen ausgequetscht.

Die Leser sind inzwischen schon wo anders. Sie bewegen sich zusehends in Feedreader- und Twitterwolken, in der das Profil des einzelnen Mediums - ob Blog oder Ableger einer Zeitung - tendenziell abgeschliffen wird. Was zählt, ist der Artikel selbst. Erst wenn man einen Autor oft genug gut fand, wird man vielleicht auch sein Umfeld wahrnehmen und das Medium selbst zur Kenntnis nehmen. Alle Medien - ob Netz oder Print - werden konstatieren müssen, dass sie nicht mehr spontan, sondern erst durch die Vermittlung einer Empfehlung wahrgenommen werden.

Die Nachrichten erwartet man dabei nicht unbedingt mehr von Spiegel Online oder dem Ableger von Bild. Twitter ist wesentlich schneller und besser auf die persönlichen Interessen zugeschnitten als die Printzeitungen, ja sogar Blogs es je sein könnten. Noch argumentieren Journalisten und Verleger so, als würde das Netz sich im wesentlichen aus ihren Inhalten päppeln. Aber in Wirklichkeit ist es heute eher umgekehrt: Man liest in den Zeitungen Geschichten, die man zum ersten Mal zwei Tage zuvor im Internet fand. Oft in Blogs, denen sie wiederum von Lesern und anderen Whistleblowern zugetragen wurden.

Den Verlegern mögen noch die Herzen klopfen angesichts der Erwartung, dass die Medien nun massiv ihre Inhalte absperren und die Leser angesichts der entstehenden Wüste zwingen, ihre Kreditkartennummer einzugeben. Aber Murdoch hatte seine Frage schon ganz richtig gestellt: Sind die Zeitungen denn überhaupt relevant für die digitalen Eingeborenen?

Wer wissen will, welche Strategie Twitter gegenüber Google verfolgt, wird heute Techcrunch, Mashable oder Ars Technica lesen. Wer wissen will, in welcher Show sich welcher Star einen Patzer erlaubte, wird das Video bei Gawker anklicken. Wer wissen will, wie der neueste Hit seiner Band klingt, abonniert den entsprechenden Dienst bei last.fm oder wartet auf den Link von Facebook- und Studi-VZ-Kumpels. Und à propos demokratische Öffentlichkeit: Gab es da nicht neulich eine per Internet und Adressen wie Netzpolitik.org lancierte Petition, die auch unsere Zeitungen auf dem falschen Fuß erwischte?

Rupert Murdochs Kapitulation ist in einem weiteren Punkt bestürzend. Murdoch ist ein Verleger. Und Verleger haben die Zeitungen und Zeitschriften in den letzten Jahrzehnten behandelt wie x-beliebige Dosenfabriken. Nichts ist publizistisch entfremdeter als die Verlagsabteilung eines großen Medienhauses, wo man sich Medien nur noch als Umfelder bestimmter Anzeigenmärkte vorstellen konnte.

Und nun stellt sich heraus, dass Murdoch und Konsorten tatsächlich glaubten, sie hätten vom Verkauf von Inhalten gelebt!

Als wäre das bei Zeitungen - mit ganz wenigen Ausnahmen wie dem Pariser Canard Enchainé - jemals der Fall gewesen. Zeitungen, so wie wir sie heute kennen, waren in wirtschaftlicher Hinsicht ganz etwas anderes als Verkäufer von Informationen. Sie waren Organisatoren des Marktes. Die Zeitungen, die heute in den USA oder Deutschland existieren, sind Überlebende von Zeitungskrisen der fünfziger und sechziger Jahre. Jede dieser Zeitungen dominierte über Jahrzehnte in einem Mono- oder Duopol einen meist regionalen Markt. (Siehe dazu einen großartigen Artikel von Paul Starr in der New Republic.)

Ihr Geld machten die Zeitungen über den am wenigsten glamourösen und doch extrem profitablen Anzeigenmarkt - die Rubrikenanzeigen: Autos, Wohnungen, Stellen und Tote. Da sie auf ihren Märkten ziemlich allein waren, konnte sie die Preise für diese Dienstleitungen selbst festsetzen. Der Markt brauchte sie. Zeitungen waren Gelddruckmaschinen. Die Inhalte waren ein Surplus, das die Leser dazu motivierte, die Zeitung zu kaufen. Sie transportierten den Markt und waren durch ihn subventioniert.

Kluge Verleger hätten also vor zehn oder 15 Jahren in Amazon, Ebay oder Google investiert, die ihnen die Marktplatzfunktion längst abgenommen haben und den Markt wesentlich effizienter organisieren, als es Zeitungen je konnten. Als Murdoch und Holtzbrinck MySpace und Studi-VZ kauften, war das Netz in seiner heutigen Form schon zehn Jahre alt. Google, eine Magisterarbeit zweier Studenten aus Stanford, ist inzwischen als Marke hundert Milliarden Dollar wert.

Ein Hund bellt. Die Karawane zieht weiter.

Thierry Chervel