Außer Atem: Das Berlinale Blog

Komplett entortet: Rafi Pitts 'Soy nero' (Wettbewerb)

Von Lukas Foerster
16.02.2016. Rafi Pitts begleitet seinen Protagonisten über drei Etappen auf seinem Weg zur amerikanischen Staatsbürgerschaft.


Beim zweiten Versuch klappt der Grenzübertritt: Nero Madonaldo (Johnny Ortiz) gelangt von Mexiko in die USA, und zwar eben in dem Moment, in dem das Silvesterfeuerwerk beginnt und seiner Migration, die eigentlich eine Rückkehr ist, den passenden Rahmen verleiht. Das ist tatsächlich ein schönes Bild, auch, weil Rafi Pitts, wie oft in dem Film, auf Abstand geht, seinen Hauptdarsteller durch farbige Raketenreflektionen ins gelobte Land huschen lässt. Freilich ist schon da unklar, was genau der Film mit dem metaphorischen Mehrwert anfangen möchte, den es produziert.

Neros Ziel ist von Anfang an formuliert: die amerikanische Staatsbürgerschaft, mithilfe des "Dream Act". Der Film begleitet ihn auf diesem Weg, der nach dem Begrüßungsfeuerwerk drei Etappen hat. Eine im Auto eines freundlich-derangierten Verschwörungstheoretikers, eine in einer Villa in Beverly Hills, von der sein Bruder Jesus behauptet, sie gehöre ihm, und eine im "No Man's Land" des mittleren Ostens, wo Nero in der Uniform der US-Armee eine Straßensperre zu bewachen hat, hinter der sich in der Hitze flirrendes Nichts erstreckt.

Schon die ausgestellten Brüche zwischen diesen Stationen machen klar, dass es dem Film nicht um die geradlinige Geschichte einer erfolgreichen Migration geht. Aber worum dann? Zunächst einmal legt Pitts ein Absurditätenkabinett an: Windräder neben der Autobahn, die die Rotationsachse der Erde beeinflussen, ausgestopfte Zebras und sanft illuminierte Swimming Pools in West LA, Gespräche über Tupac und Notorious BIG in der Wüste. Gefilmt ist das allerdings gerade nicht im Stil einer Groteske. Der Tonfall bleibt straight, die Bildsprache ruhig und konzentriert, einem realistischen Register verpflichtet.

Rafi Pitts gehört zu den großen Mysterien des Berlinalewettbewerbs der Ära Kosslick. "Soy Nero" ist bereits sein dritter Film, der um den goldenen Bären konkurrieren darf. Ein auch nur halbwegs gelungener war bislang nicht darunter. "Soy Nero" ist in seiner geduldigen Lakonie und auch dank seines durchaus interessanten, stur den Weg ins Nichts verfolgenden Hauptdarstellers vielleicht sogar noch der erträglichste.

Gegen Ende gibt es einen Drift ins Existenzialistische, der sich zum Beispiel darin äußert, dass der Film nicht einmal klarstellt, ob sich der Kriegsschauplatz im Irak oder in Afghanistan befindet. Das mag man, zum Beispiel, als Kommentar auf die unbedingte Geworfenheit im Angesicht einer weltpolitischen Unübersichtlichkeit interpretieren. Mir scheint es sinnvoller, darin ein Spiegelbild des Films selbst zu sehen: Ein iranischer Regisseur dreht in den USA auf Englisch und Spanisch einen Film, finanziert von deutschen und französischen Förderinstitutionen. Globalisierter Europudding, der letztlich komplett entortet ist. Ein Film, der aus dem Nichts ins Nichts hinein spricht. Und nur Kosslick hört zu.

Soy nero. Regie: Rafi Pitts. Mit Johnny Ortiz, Rory Cochrane, Aml Ameen, Darrell Britt-Gibson, Michael Harney. Deutschland / Frankreich / Mexiko 2016, 120 Minuten. (Vorführtermine)