9punkt - Die Debattenrundschau

Und sogar Buchstaben

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.10.2016. Wir brauchen Leistungsschutzrecht! Denn die europäischen Verleger sorgen für Demokratie, behauptet in der Bild ein österreichischer Verleger kurz nachdem ein österreichischer Verleger die Népszabadság in die Tonne trat. Fünfzig müssen gehen: Die Berliner Zeitung wird ein bisschen abgewickelt, berichtet die taz. Pussy Riot bringt ein Video gegen Donald Trump, und Nadeschda Tolokonnikowa attackiert in The Daily Beast zugleich Julian Assange. Die NZZ erklärt, was Predictive Coding ist.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.10.2016 finden Sie hier

Politik

Nur für Perlentaucher-Leser und -innen mit starken Nerven. So sieht Pussy Riot's Video gegen Donald Trump aus:



Im Interview mit Marlow Stern von The Daily Beast sagt Nadeschda Tolokonnikowa von Pussy Riot harsche Dinge über Donald Trump, aber auch über Julian Assange, den sie vor zwei Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht hat: "Einen Tag nach meinen Besuch in der Botschaft, bekam er Besuch vom Chef von Putins Propagandasender Russia Today. Assange und der Chefredakteur hatten ein gemeinsames Projekt. Er arbeitet oft mit der russischen Propagandamaschine und versucht gar nicht, es zu verstecken."

Jawohl, es gibt gute und böse Bomben, sagt Julian Reichelt in Bild.de an die Adresse Jakob Augsteins, Gabor Steingarts und Jürgen Todenhöfers, die alle sagen, dass die amerikanische Bomben auf Mossul das gleiche seien wie russische Bomben auf Aleppo: "Bomben sind deutlich besser in den Händen jener aufgehoben, die sich Wahlen stellen, Gesetze achten und von einer freien Presse kontrolliert werden (zum Beispiel Obama), als in den Händen von Despoten, die auf Kritik mit Gewalt und Unterdrückung reagieren und niemandem Rechenschaft schuldig sind (zum Beispiel Putin)."
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Kulturpolitik

Für die Pariser Theaterszene hat François Hollande große Pläne: am nördlichen Pariser Stadtrand soll bis 2022/23 eine "Cité du théâtre" errichtet werden, mit Infrastrukturen für die Comédie-Française, das Odéon-Théâtre de l'Europe und die Schauspielakademie Conservatoire national supérieur d'art dramatique, berichtet Marc Zitzmann in der NZZ: "Ein grandioses Projekt, auf dem Papier. In der Realität indes ist Skepsis geboten. Am 24. Oktober anlässlich eines Besuchs von Präsident Hollande auf dem Berthier-Areal angekündigt, wirkt das Vorhaben in seinem jetzigen Stadium kaum wie mehr als eine PR-Aktion... Wenn ein Präsident vier Jahre lang die Kultur an der kurzen Leine hält, um dann in seinen letzten Amtsmonaten jäh Millionenprojekte anzukündigen, die es erst in der kommenden Amtsperiode zu finanzieren gilt, wirkt das mehr nervös denn seriös."
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Ideen

In der NZZ betrachtet Manuela Lenzen die neueste heiße Kognitionstheorie, Predictive Coding, unter philosophischen Gesichtspunkten. Predictive Coding besagt, dass das Gehirn so wenig Energie wie möglich verbrauchen will und darum nichts aus Interesse tut. Statt dessen macht es Voraussagen, die es immer wieder abgleicht, einzig, um Überraschungen zu vermeiden. Jüngere Philosophen scheinen das interessant zu finden, ältere eher nicht. So meint Thomas Metzinger, Professor für Philosophie des Geistes in Mainz: "'Wenn sich diese Theorie durchsetzt, ist das für meine Generation das Aus.' Aber auch er spürt den philosophischen Sog des Predictive Coding. Immerhin verspricht der Ansatz einen einheitlichen begrifflichen Rahmen für Wahrnehmen, Handeln und Aufmerksamkeit: Scheinbar ganz unterschiedliche Phänomene erweisen sich als Ausdruck desselben formalen Prinzips."
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Europa

In der Türkei rüstet man gerade auf, berichtet ein entsetzter Yavuz Baydar in der SZ: "Derzeit hilft es mir nicht, Geschichtsbücher zu lesen. Im Gegenteil: Es ist grauenhaft. Der türkische Präsident hat kürzlich den Mund noch voller genommen und die aktuellen Grenzen der Türkei sowie die Gültigkeit des Vertrags von Lausanne aus dem Jahr 1924 in Frage gestellt. Seitdem zeigen die türkischen Medien neue Landkarten, die Mosul und den Nordosten Griechenlands als Teil des türkischen Großreichs darstellen." Zugleich habe Erdogans Berater Şeref Malkoç unmittelbar nach dem Putschversuch angekündigt, "dass 'registrierte Schusswaffen an die Bürger verteilt' würden."
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Überwachung

Edward Snowden hat in der SZ ein Videointerview gegeben und warnte vor staatlicher Überwachung. Netzpolitik zitiert: "Journalisten trifft es zuerst. Sie werden immer mehr zu einer bedrohten Klasse, wenn wir an das Recht auf Privatsphäre denken. Ich kann Tipps geben, wie ihr eure Kommunikation schützen könnt, aber das ist ein Kampf, den ihr so nicht gewinnen könnt. Ihr müsst ihn auf den Titelseiten führen und ihr müsst ihn gewinnen, wenn ihr in der Zukunft in der Lage sein wollt, so zu berichten, wie ihr es bislang konntet."
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Medien

Der Correctiv-Mitbegründer David Schraven fordert einen "Eine-Milliarde-Euro-Fonds" für die Finanzierung eines relevanten und investigativen Journalismus auf lokaler Ebene. Geld ist kein Problem: "Finanziert werden kann der 'Eine-Milliarde-Euro-Fonds' vor allem aus einer Geldquelle. Aus den öffentlichen Haushalten. Dies könnte analog der Regelungen für 'Kunst am Bau' organisiert werden: Wer einen Haushalt aufstellt, muss einen kleinen Teil der Mittel für die Wächter reservieren."

Selbst Nutzer, die Artikel-Snippets über Facebook und Twitter posten, könnten nach dem geplanten Europäischen Leistungsschutzrecht belangt werden, schreibt Chris Spillane in politico.eu: Eigentlich "versuchte die Kommission Nutzer vor übereifrigen Verlegern schützen, indem sie Hyperlinks vom Copyright ausschließt, aber die Sätze, Wörter und sogar Buchstaben in einem Tweet oder Facebook-Post wären noch im Besitz der Verleger, falls die Pläne der Kommission bei den Mitgliedsländern und dem Europäischen Parlament durchkommen."

Wie das Leistungsschutzrecht in Deutschland funktioniert will jetzt die Bundesregierung nach langem Zögern evaluieren, berichtet Sven Braun in Netzpolitik. Aber eigentlich lässt sich das jetzt schon sagen: "Suchmaschinenbetreiber sollen eine Vergütung an die Verlage zahlen, um Textauszüge anzeigen zu dürfen. Davon ist hauptsächlich Google mit hierzulande über 90 Prozent Marktanteil betroffen. Freilich gewährt die Verwertungsgesellschaft (VG) Media, zu der 330 Fernseh-, Hörfunk- und Internetangebote gehören, dem Suchmaschinenbetreiber eine kostenlose Lizenz. Google kann dadurch weiterhin Vorschautexte in den Suchergebnissen anzeigen. Das führt jedoch zu Wettbewerbsverzerrung und stärkt das Monopol der Firma."

Die Bild-Zeitung findet unter europäischen Verleger-Funktionären überraschender Weise ausschließlich Befürworter von Günter Oettingers Leistungsschutzrecht. Immer wieder fällt das Demokratieargument, etwa bei Gerald Grünberger (47), Geschäftsführer des Verbandes Österreichischer Zeitungen. "Die europäische Presselandschaft produziert den Sauerstoff unserer Demokratie. Je länger amerikanische Internetkonzerne unsere Leistungen untergraben, desto dünner wird die Luft in unserer Gesellschaft."

Und wir dachten, das liegt an Medienunternehmern wie dem Österreicher Heinrich Pecina, der gerade die Népszabadság ans Messer lieferte!

Oder am Dumont-Verlag, der die Redaktionen von Berliner Kurier und Berliner Zeitung zusammenlegt und fünfzig Stellen streicht, wie unter anderem die taz heute groß berichtet. Dafür wird eigens eine neue Firma begründet, bei der sich die ehemaligen Mitarbeiter neu bewerben müssen, die Berlin Newsroom GmbH. Anne Fromm kommentiert in der taz: "Das ist unwürdig und respektlos gegenüber den Kollegen. Der Verlag hätte das verhindern können, wenn er früher umgebaut hätte. Die Berliner Zeitung ist nicht die einzige, die mit sinkenden Auflagen und der Konkurrenz im Internet kämpft." Auch in anderen Dumont-Medien soll gespart werden, so ein dritter Artikel des taz-Dossiers. Mehr auch in der FAZ.

Ein bisschen besser läuft's bei Google, dessen Mutterkonzern Alphabet im dritten Quartal laut turi2 bei 22 Milliarden Umsatz 5 Milliarden Dollar Gewinn machte. Allerdings gibt's auch im digitalen Feld Verlierer: Twitter hat 103 Millionen Euro Verlust gemacht und neun Prozent seiner Arbeitnehmer entlassen, meldet Randall Stross in der New York Times und macht einen Vorschlag: "Googlegründer Larry Page sollte Twitter kaufen. Seine Brieftasche zücken und kaufen. Persönlich. Es muss nicht unbedingt Page sein, es kann jeder aufgeschlossene Milliardär sein, der Twitter als das erkennt, was es ist: eine erstklassige Quelle für Neuigkeiten und Informationen, nicht das nächste Google oder Facebook."
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