Bücher der Saison

Frühjahr 2010

06.04.2010. In den Frühjahrsromanen sehen wir die unheimliche Welt mit den Augen einer Horde Kinder, beobachten Liebende in Teheran, lassen uns von Rosslyns Brüsten zu einem Reim inspirieren und begleiten einen Lehrer auf einer Höllenfahrt im Volvo. Unter den Sachbüchern stachen Daniel Everetts Buch über die Pirahas, "Das glücklichste Volk", heraus, Oliver Jens Schmitts Biografie des albanischen Nationalhelden Skanderbeg und Simon Sebag Montefiores farbenprächtiges Porträt des Fürsten Potemkin.
Das Unheimliche kommt nicht immer als Schauerroman daher. Manchmal genügt auch ein etwas schräger Blick auf die Wirklichkeit. Vier Bücher aus Deutschland, Italien, Norwegen und Argentinien zeigen, wie das geht.

Romane und Erzählungen

Georg Kleins "Roman unserer Kindheit" betrachtet die Ereignisse in einem Sommer Anfang der 60er Jahre in einer Neubausiedlung in Augsburg, durch die Augen einer Kinderbande. Damals gab es noch genug davon, dass man sie Banden oder Horden nennen konnte. Die Kinder haben ihr eigenes, von den Erwachsenen kaum kontrolliertes Leben, in dem Kriegsversehrte, unterirdische Gänge und ein Kindermörder die Hauptrolle spielen. "Nun schafft sich die kindliche Lustangst in der überhitzten Phantasie jene bedrohlichen Kulissen und Schreckensfiguren, die an der Oberwelt nur zu gut hinter dem schönen Schein der neuen Welt in Schach gehalten werden", fiebert Roman Bucheli in der NZZ mit. Für Ina Hartwig (Zeit) lebt der Roman vor allem aus der Sprache, die "opak, dicht, verrückt, hässlich und irre schön" ist. In der FAZ dagegen fühlt sich Katharina Teutsch irgendwie betrogen: Verunsicherungstechniker, Andeutungsextremist, ruft sie Klein entgegen. Georg Klein wurde für seinen Roman (hier einein diesem Jahr mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet.

"Accabadora" ist der Debütroman der sardischen Autorin Michaela Murgia. Die sechsjährige Maria wird in den 50er Jahren aus einer kinderreichen Familie, in der sie kaum beachtet wird, von der alten Schneiderin Bonaria Urrai aufgenommen. Urrai hat noch einen zweiten, in der Dunkelheit ausgeübten Beruf: Als Accabadora (als "Beenderin") verhilft sie Sterbenden in Agonie zum Tod. Dies ist kein italophiles Wohlfühlbuch, warnt Nina Apin in der taz, vielmehr werfe die Autorin einen "harten Blick" auf eine archaische Kultur, "die in ihrer Kindheit noch von den Alten gelebt wurde". In der Zeit rühmt Elisabeth von Thadden die Erzählstimme der Autorin, die im "irdischen Klang eines Volksmärchens" eine Welt beschreibe, die noch von Geistern bevölkert ist.

Der Norweger Hans Herbjörnsrud übernahm mit vierzig den Bauernhof seiner Eltern und fing dann an zu schreiben. Sein Erzählband "Die Brunnen" wurde in der NZZ von einem rundweg begeisterten Peter Urban-Halle besprochen. Besonders die Geschichte "Das Skelett und das Anatomiebuch" hatte es dem Rezensenten angetan, die um die "schreckliche Zukunft" des Menschen kreist. "... sehr schön darin ist diese (auch autobiografische) Zweiteilung des Ichs, es ist kein innerer Monolog wie bei Joyce, sondern ein innerer Dialog mit dem andern in sich selbst, Autor und Bauer; darin ist Herbjörnsrud unerreicht: in diesem erschütternden Verhältnis zwischen dem scheinbar Phantastischen und dem scheinbar Auf-der-Hand-Liegenden, zusammen ergibt das wie beim Waldlauf gleich am Anfang einen 'paradiesischen Rausch'."

In der Erzählung "Konserven" spuckt eine werdende Mutter nach einer strengen ärztlichen Kur ihr mandelgroßes Embryo in ein Konservierungsglas - vielleicht wird später was draus. In einer anderen Geschichte wird der Bewerber um die freie Stelle in einer wichtigen Organisation danach beurteilt, ob er ohne zu zögern einen Hund töten kann. Die Erzählungen der argentinischen Autorin Samanta Schweblin in dem Band "Die Wahrheit über die Zukunft" sind voller Andeutungen und Unschärfen, "als sei etwas gerade dabei zu entstehen: und man ist sich nicht sicher, ob man abwarten und zusehen soll, oder ob man besser die Beine in die Hand nimmt und rennt", heißt es im Magazin "Glanz und Elend". Eberhard Falcke gefällt in der Zeit, dass die sprachlich originellen Geschichten trotz ihrer beunruhigenden Plots nicht in "fantastischen Spukwelten" spielen, sondern in der argentinischen Alltagswelt.


Die Liebe, der Sex, das Alter - um all dies geht es in Philip Roths "Die Demütigung" Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein berühmter hünenhafter Schauspieler, Mitte sechzig, entdeckt von einem Tag auf den anderen, dass er nicht mehr spielen kann. Sein Talent ist tot. Nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie beginnt er eine Affäre mit einer vierzigjährigen Lesbe, die Heterosexualität ausprobieren will, während er hofft, eine Lesbe "umpolen" zu können. Roth ist "ein erzählender Euripides", schreibt Albert Ostermaier in der FAZ, "es ist geradezu von antiker Wucht, wie unausweichlich er sich ins Verderben liebt und hofft". In der SZ sieht Christopher Schmidt Roths Grundthemen, "angereichert mit dem Ferment einer qualvollen erotischen Travestie, in der Theater-Metapher zusammenschießen: Dass wir zwar jede Rolle spielen, aber nicht jede leben können." Und Ulrich Greiner ahnt in der Zeit, warum Roth nie den Nobelpreis bekam: Die Schweden "lieben Autoren, die etwas zur Verbesserung der Welt beitragen. Philip Roth trägt nur etwas zu ihrer Erkenntnis bei."

Es wäre vielleicht interessant, danach Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill" zu lesen Vergessen Sie den Vorwurf, Hegemann habe zwei Seiten aus Airens Roman "Strobo" plagiiert. Vergessen Sie den Vorwurf, Hegemann habe die beschriebenen Drogen- und Sexszenen ja gar nicht selbst erlebt. Kein Kritiker hat "Demütigung" daran gemessen, ob Roth selbst schon mal versucht hat, "Lesben umzupolen". Vielleicht schaufelt "Demütigung" den Blick frei, um eigene Qualitäten bei Hegemann zu entdecken, zum Beispiel in diesem Absatz aus dem Roman: "Es gibt so viele Jahre in meinem Leben mit so einer Art Leichenstarre oder wie nennt man das, so einer Art Duldungsstarre oder so, also, sich nicht bewegen, weil man weiß: Das kann jetzt nicht das Leben sein, und da muss man dann durch, durch diese fürchterliche Zeit, man muss das ablaufen, was andere einem als Erfahrung vorschreiben und wo man aber denkt: Das interessiert mich eigentlich überhaupt nicht. Was schreibe ich hier?"

Und wie schreibt man über Liebe und Sex im Iran? Gar nicht. Darum hat Shahriar Mandanipur seinen Roman "Eine iranische Liebesgeschichte zensieren" gleich für ein Publikum außerhalb des Irans geschrieben. Denn dort, das wusste er, würde sein Buch nicht erscheinen dürfen. Mandanipur erzählt von zwei Liebenden und einem Schriftsteller, der allerlei Listen finden muss, um ihre Liebe beschreiben zu können, ohne dass ihm der Zensor Porfirij Petrowitsch - benannt nach dem Untersuchungsrichter in Dostojewskis "Verbrechen und Strafe" - auf die Schliche kommt. "In immer neuen Zwiegesprächen mit dem Zensor verteidigt der Autor seine Story und erzählt uns nebenbei viel aus der iranischen Geschichte und Literatur", erklärt ein Kritiker bei Arte. Und in der NZZ skizziert Angela Schader einige der Tricks, derer sich Mandanipur bedient: "Die schöne Schirin und ihr hochherziger, doch glückloser Verehrer Farhad aus Nizamis 'Chosrou und Schirin' treffen im modernen Teheran aufeinander; und dies klassische persische Versepos dient Mandanipur nebenbei noch als fruchtbares Exempel, wie man ausgiebigst von erotischen Dingen erzählen kann, ohne sie zu benennen." Mandanipur hat übrigens auch vor einigen Wochen in der NZZ einen lesenswerten Text über die Zensur im Iran geschrieben, die er für den iranischen Teufelskreis aus Revolution und Gegenrevolution verantwortlich macht.

"Der Anthologist" in Nicholson Bakers neuem Roman ist ein mittelbegabter Dichter, der seit Ewigkeiten an einem Vorwort für eine Lyrikanthologie sitzt. Seine Freundin Rosslyn ist inzwischen ausgezogen, weil sie sein Phlegma nicht mehr erträgt. Da sitzt er jetzt, in einer Scheune in Neuengland, schon über 50, ohne Hoffnung auf irgendeine Art von Karriere, und grübelt über Reime und Rosslyns Brüste, die er mit einer Hand umschließen konnte. Denn: "Umschließen ist Reim - die gefühlte Paarung zweier gleicher Formen", zitiert ihn Christopher Schmidt in der SZ. Ein Versager also? Nicht für die Rezensenten, die diesem Mann allesamt verfallen sind. In der Zeit erklärt Jochen Jung, lange keine innigere "Liebeserklärung an die Poesie" gelesen zu haben. Auch Judith von Sternburg liebte in der FR die erstaunlich fesselnden Beschreibungen von Reimschemata und Versmaßen, die "durchfunkelt" sind von Geist und Witz, wie die SZ versichert. Ein dickes Lob geht auch an die Übersetzer Matthias Göritz und Uda Strätling, die Gedichtproben englischer und amerikanischer Lyrik aus dem 18. Jahrhundert übertragen haben, so, dass auch der deutsche Leser die Beispiele für Reimpaar und Versmaß nachvollziehen kann.

Cory Doctorows Roman "Little Brother" haben wir schon im letzten Bücherbrief ausführlich vorgestellt. Es ist ein Zukunftsroman, der im San Francisco spielt, das sich immer mehr in einen Überwachungsstaat verwandelt. Eine Gruppe von Jugendlichen, die sich ihre Bürgerrechte zurückhacken und dabei vielleicht mit genaus so großer Leidenschaft vorgehen, wie Bakers "Anthologist" Versfüße untersucht. Die amerikanischen Kritiker waren begeistert, hier wurde das Buch bisher nur in der FAZ besprochen. Sehr zu empfehlen ist das lange Interview, das Stefan Mesch mit Doctorow für Zeit online geführt hat und in dem Doctorow erklärt, warum eine Kontrolle des Internets viel mehr umfasst als das Internet: "Alle persönlichen Belange sammeln sich im Netz: Unser soziales Netzwerk, unser öffentliches Wirken, unsere Krankengeschichte und Ausbildung, unsere Finanzen. Deshalb werden die Regeln, die wir fürs Internet aufstellen, am Ende auch all diese Dinge bestimmen und regulieren können."

In Miljenko Jergovics rabenschwarzer Roadnovel "Freelander" fährt der pensionierte Gymnasiallehrer Karlo Adum in einem alten Volvo von Zagreb nach Sarajevo, seinem Untergang entgegen. Die ganze blutige Geschichte des Balkans im 20. Jahrhundert wird hier aufgerollt. Andreas Breitenstein zeigt sich in der NZZ tief beeindruckt nicht nur von den "virtuosen Ketzereien", mit denen der Protagonist nach allen Seiten - Serben, Kroaten, Bosnier, Polen, Ustascha, Kommunisten - austeilt. Für Frauke Meyer-Gosau (Literaturen) ist Jergovic "ein europäischer Schriftsteller von Weltrang". Und in der Welt bekennt Clemens Meyer: "Ich bin gefangen in diesem großartigen Roman. Nein, mehr als das. Kosmos. Kroatien/Bosnien. Traumwelt. Höllenfahrt im Volvo. 1945-2005. Albtraum. Und wieso muss ich manchmal trotzdem lachen, wenn mich diese Bilder aus allen magnetischen Richtungen bestürmen?" Hier eine

Außerdem sehr gut besprochen wurden zwei relative schmale Romane: In Don DeLillos 112 Seiten umfassender "Omega-Punkt" - was es damit auf sich hat, hat Christoph Schröder kurz und verständlich in der taz erklärt - spielen die kalifornische Wüste, Meditationen über die Form des Haiku, den Irakkrieg und eine Videoinstallation Douglas Gordons, die Hitchcocks "Psycho" auf 24 Stunden dehnt, eine nicht unwichtige Rolle. Abgeschreckt? 112 Seiten. Trauen Sie sich! Hans Joachim Schädlichs "Koschkins Reise" erzählt auf 190 konzentrierten Seiten vom Leben des Biologieprofessors Fjodor Kokoschkin, der sich auf einer Schiffsreise von Europa nach New York erinnert: an die russische Revolution, die Flucht von Petersburg nach Berlin, die Flucht vor den Nazis, die ihn erst nach Prag und dann in die USA führte. Für Helmut Böttiger (SZ) erweist sich Schädlich hier wieder einmal als Meister der Reduktion, dem es gelingt, und da spiegelt Böttiger auch die Meinungen in FR, FAZ und NZZ wieder, mit minimalsten Mitteln große Gefühle zu beschwören.

Wenn ein neuer Roman von J. M. Coetzee kommt, sind alle Feuilletons sofort mit Besprechungen da. "Sommer des Lebens" ist der dritte Band von Coetzees autobiografischen Romanen, deren erste zwei Bände - "Der Junge" und "Die jungen Jahre" - noch in schauriger, aber intensiver Erinnerung sind. Coetzee wendet hier einen erzählerischen Trick an: Nicht "er selbst" schreibt über sich, sondern er schlüpft in die Gestalt eines jungen Autors, der über ihn recherchiert. Angela Schader schildert das in der NZZ als reizvolles und irritierendes Spiel mit Fakten und Fiktion - wobei sie interessanterweise einen Ton größerer Wärme verspürt als in den extrem selbstmitleidlosen ersten Bänden des Projekts. Lothar Müller nennt in der SZ neben viel Lob für die intelligente Konstruktion des Romans einen angenehmen Kollateraleffekt: Er hat eine Menge über das reale Südafrika der siebziger Jahre erfahren. Richard Kämmerlings liest den Roman in der FAZ als grandiose Parodie des Intellektuellen.

Einen Blick zurück werfen auch Hans-Ulrich Treichel und Jan Faktor. Treichel erzählt in "Grunewaldsee" die Geschichte eines jungen Mannes, der in den 80er Jahren in Westberlin auf eine freie Referendarstelle wartet, sich zwischenzeitlich in eine Spanierin verliebt und dann wieder in Berlin landet, immer noch wartend. Den Rezensenten von FAZ und FR hat's gefallen, was wohl nicht zuletzt an Treichels Humor und seiner geschmeidigen, "hüpfenden" Diktion liegt. Jan Faktors Roman "Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag" spielt in den 60er und 70er Jahren in Prag. Seine Beschreibung des tristen sozialistischen Alltag, unterbrochen von den ersten sexuellen Erfahrungen seines Protagonisten, stieß auf ausschließlich positive Resonanz in allen großen Zeitungen und brachte Faktor eine Nominierung für den Leipziger Buchpreis. Faktors Fabulierlust und fröhliche Enthemmtheit machen diesen 637 Seiten starken Roman für Felicitas von Lovenberg, die ihm den Aufmacher der FAZ-Frühjahrsbeilage widmete, zum "übermütigsten" dieses Frühjahrs.


Krimi

Carol O'Connell, geboren 1947, hat jahrelang surrealistische Gemälde in Cafes ausgestellt und sich ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs finanziert, bevor sie sich 1995 mit ihrem ersten Krimi "Mallorys Orakel" einen Coup landete. Ihr neuer Roman "Such mich" ist der neunte in der Reihe um die Ermittlerin Kathleen Mallory, die Tobias Gohlis in der Zeit als New Yorks coolste, gefühlsärmste, penibelste und erfolgreichste Polizeiermittlerin beschreibt, die aber gerade deshalb umso reizvoller ist, wie Sylvia Staude in der FR meint. In der New York Times empfiehlt Janet Maslin, diesen neunten Roman in der Mallory-Reihe zuerst zu lesen. Man erfahre hier einiges über ihre harte Kindheit, den Ziehvater und den kleinen Kreis Bewunderer, der die Detektivin umgibt: Detective Sergeant Riker, dessen Alkoholproblem ihm nicht den Blick auf die problematischen Seiten von Mallory verschleiert, und der Psychologe Charles Butler, "der das Pech hat, in Mallory verknallt zu sein. Ihre Art, seine Gefühle zu erwidern, besteht darin, dass sie ihn nicht erschießt", erzählt Maslin.

Gut besprochen wurden außerdem Paulus Hochgatterers Roman "Das Matrazenhaus" den Felicitas Lovenberg in der FAZ ganz exzellent findet, auch wenn - oder obwohl? - es kein Krimi im klassischen Sinne sei. Georg Renöckl stimmt in der NZZ jedenfalls aus vollstem Herzen zu. Weiter Amy MacKinnons Psychothriller aus der Bestatterszene "In der Blüte ihres Grabes" und Leif GW Perssons Roman "Zweifel" der um die Ermordung eines schwedischen Ministerpräsidenten kreist und der FR mit "messerscharfem Witz" und temporeichen Dialogen imponiert hat.


Tagebücher / Erinnerungen

Clemens Meyer, der 2006 die Kritik mit seinem Roman "Als wir träumten" über das Leipziger Kleinkriminellenmilieu beeindruckte und 2008 für seine Erzählungen "Die Nacht, die Lichter", den Leipziger Buchpreis erhielt, schreibt in seinem Tagebuch "Gewalten" über Bars, Bordelle, das Massaker von Winnenden, den Mordfall Michelle, Krisen, Tod und Krankheiten. Es sind Stories vom Einstecken, schreibt in der FAZ Richard Kämmerlings, der nach beträchtlichem Anfangswiderstand zugeben muss, dass ihn diese hartgesottenen Alltagsberichte aus der (ost-)deutschen Wirklichkeit ziemlich beeindruckt haben. Feinste Prosa, lobt Jürgen Verdofsky in der FR. In der Zeit meint Adam Soboczynski es gut, wenn er schreibt: "Clemens Meyer ist Böll minus Kitsch." Nur Jutta Person wünscht sich in der taz, Meyer hätte seine auf das pralle, brutale Leben abgestellten Gewaltschilderungen öfter erfundene Szenen eingeschoben wie die Begegnung mit toten Freunden am Leipziger Hauptbahnhof.

Außerdem viel besprochen wurden die Tagebücher von Martin Walser aus den Jahren 1974-1978 (da kam der Ruhm, nachdem Marcel Reich-Ranicki ihn fast vernichtet hätte), die Tagebücher von Susan Sontag aus den Jahren 1947-1963, Roland Barthes' Tagebuch der Trauer das der französische Philosoph nach dem Tod seiner Mutter, mit der er zeitlebens zusammengewohnt hatte, führte, und schließlich Max Frischs "Entwürfe zu einem dritten Tagebuch"

"Just Kids" waren Patti Smith und Robert Mapplethorpe, als sie sich 1967 in New York trafen. Diese Geschichte einer Freundschaft hat nichts mit den typischen "Rockstar-Memoiren" zu tun, versichert Thomas Groß in der Zeit. Er bestaunt Smith' geradezu religiösen Willen, Künstlerin zu werden. "Just Kids", erklärt er, "ist nämlich auch ein modernes Künstlermärchen: Zwei verwandte Seelen ziehen hinaus, um ihr Publikum das Staunen zu lehren". Das alles erzählt Patti Smith unsentimental, uneitel und poetisch, lobt Verena Lueken in der FAZ. Auch die Künstlerin Suze Rotolo erinnert sich in "Als sich die Zeiten zu ändern begannen" an die 60er Jahre, als sie mit Bob Dylan das Leben der Boheme in Greenwich Village lebte - ein paar Jahre bevor Patti Smith eintraf. Rotolos Erinnerungen sind kein Heldenkult, keine Legendenbildung, kurz kein "dylanologisches Futter", wie Harr Nutt in der FR versichert, der solches Glück auf die tatsächliche Nähe Suze Rotolos zum Mythos Dylan zurückführt. Nina Hagens "Bekenntnisse" kamen zumindest beim Pfarrer Matthias Neumann gut an. Hagen beschreibt darin ihre "lange Reise zu Gott", die, wenn man Neumann glauben darf, reich an "Irrwegen" war, und das macht sie laut Rezensent mit viel Poesie und in gewohnter Schnoddrigkeit.

Literatur / Sachbuch