Clemens Meyer

Gewalten

Ein Tagebuch
Cover: Gewalten
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
ISBN 9783100486035
Gebunden, 224 Seiten, 16,95 EUR

Klappentext

Clemens Meyer schreibt ein Tagebuch über die Gewalten unserer Zeit: die Wirtschaft stürzt, der beste Freund liegt im Hospiz, Jubel beim Pferderennen. Mit Witz, Lust und Wut schreibt er über das Leben. Über das Ende der Träume und den Fall der Aufsteiger: Krisen, Tod, Krankheiten, das Wetter, Terror, Pandemie, Weltkriege. Er setzt sich aus und erzählt von der Welt, durch die wir täglich gehen. Von ihrer Roheit, Unheimlichkeit und Schönheit. Die psychiatrische Notaufnahme wird zur Endstation einer heillosen Nacht. Am eigenen Schreibtisch tobt der Kampf mit dem nächsten Roman. Ein Jahr lang berichtet Clemens Meyer aus unserer Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.04.2010

Dass die Form des Tagebuchs wieder im Spiel ist, freut Rene Hamann. Umso mehr, als er bei Clemens Meyer nicht nur auf durch die Bank sympathische Erzählerfiguren trifft - Erzähler? Ja, genau -, sondern Meyer auch noch die Chuzpe hat, die Form zu dehnen. Eigentlich nämlich sind es Erzählungen, die Hamann da liest, Texte, in denen der Autor Erzählhaltungen probiert und Fiktion mit Tagesgeschehen (Winnenden, Fall "Michelle") und der eigenen Biografie verbindet. Wenn die Rollenprosa auch nicht immer Funken schlägt, dem Rezensenten sich mitunter keine Identifikationsmöglichkeit bietet, das Schauen in Abgründe am Boxring, in Puffs oder an der Bar, legt Hamann nahe, macht bisweilen süchtig, und ist die Geschichte auch noch so trivial.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.03.2010

Die Sagen der "Säufer, Zocker und Loser" hat Jürgen Verdofsky bei Clemens Meyer lesen dürfen. Die "epischen Feuergefechte", die in diesen Geschichten ausgetragen werden, erscheinen ihm so unerbittlich wie illusionslos. Dass Meyer seine Texte nicht auf Sinnsuche schickt, möchte Verdofsky allerdings nicht behaupten. Aber auch nicht, dass der Autor nicht die Bedingungen ordentlicher Storys erfüllen würde, Zuspitzung, Wiedererkennbarkeit, Effekt ("Auf Wirkung verzichten: das wäre ja der Tod"). Wenn Meyer seine sächsische Heimat durchstreift, Rennbahn, Bar, Bordell, den Mordfall Michelle und das Massaker von Winnenden mit "Fallneugier" angeht, liest sich das für Verdofsky wie feinste Prosa.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.03.2010

Clemens Meyer, das sei wie "Böll minus Kitsch" schreibt Adam Soboczynski über dieses Tagebuch, das er auf der "Rückseite der reklameerleuchteten Wattewelt der Einkaufzentren" angesiedelt fand. Es handelt sich, so Soboczynski, um eine nicht enden wollende Kette aus Assoziationen, präsentiert von einem sehr sprunghaften Erzähler. Dieses Buch sei wie ein Film, glaubt der Kritiker: Harte Schnitte, eine Szene folge rasant der nächsten. Zusammengehalten werden sie durch das lose Leitmotiv der Gewalt. Denn immer wieder stoße sie in diesen Aufzeichnungen durch das "Netz der Zivilisation", manchmal am Rand des Erträglichen. Und vor allem: niemals sozialromantisch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2010

Etwas kraftmeierisch findet Richard Kämmerlings beide: Autor und Text. Sich als Gegner begreifen zu müssen, bevor man die Geschichten von Clemens Meyer liest, ist eigentlich keine so angenehme Ausgangslage. Kämmerlings stellt sich ihr und kommt in den Genuss einer Härte, wie sie die deutschsprachige Belletristik, die ihm sonst so begegnet, nicht zu bieten hat. Stories vom Einstecken, nennt er das, über Psychiatrie-Patienten, Amokläufer (Winnenden), Kindermörder (der Fall Michelle). Und alles autobiografisch beziehungsweise historisch belegt und verbunden und unter "Gewalt" verbucht. So weit, so heavy. Wieso der Autor seine hartgesottenen Alltagsberichte aus der (ost-)deutschen Wirklichkeit mittels literarischer und filmischer Bezüge überhöhen muss, leuchtet dem Rezensenten allerdings nicht ein. Ohne Verweis auf "gothic novel" und Scorseses "Taxi Driver" funktionieren die Texte, rein durch ihre Wahrhaftigkeit, pardon Wahnhaftigkeit, erklärt uns Kämmerlings, noch am besten, nämlich mitunter meisterhaft gut.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2010

Mit gemischten Gefühlen stellt Jutta Person Clemens Meyers neuen Erzählungsband "Gewalten" vor. Der Absolvent des Leipziger Literatur-Instituts, der für "Die Nacht der Lichter" 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, ist umstritten: die einen feiern ihn wegen seiner Direktheit als würdigen Hemingway-Nachfahren, die anderen schmähen ihn für seinen vermeintlichen "Hardcore-Sozialkitsch", lässt die Rezensentin wissen. Sie selbst neigt nach der Lektüre des vorliegenden Bandes anscheinend dem zweiten Urteil zu. Denn zu selten werden die lauten, auf das pralle, brutale Leben abgestellten Gewaltschilderungen, die eine Art Jahreskalender des Ich-Erzählers mit aktuellen Themen verknüpft, von einer "durchgeknallten, fast surreal anmutenden Drastik" abgelöst, wie etwa in einer Begegnung mit einem untoten Freund in einer Bahnhofskneipe, bedauert Person.
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