Das war die Woche
Masha Gessens, die mit den deutschen Medien und der deutschen Öffentlichkeit ein gekonntes Spiel gespielt hat. Resümieren wir:
Am Montag
resümiert der
Perlentaucher ihren
New-Yorker-Essay, wo die Autorin mit mehreren Hämmern jongliert: Die deutsche und polnische Gedenkkultur, schreibt sie, sei von
rechtspopulistischen bis -
extremen Kräften geprägt. Sie verstelle den Blick auf die Geschehnisse in Gaza. Ohne sie würde der Schleier fallen, und die Welt würde erkennen, dass die Israelis an der
Zivilbevölkerung Vergeltung üben und das "
Ghetto Gaza liquidieren". Die genozidalen Hamas-Verbrechen spielen in ihrem Essay nur eine untergeordnete Rolle.
Der Essay, stellt sich heraus, ist
genau getimet und erscheint eine knappe Woche vor der geplanten Verleihung des
Hannah-Arendt-Preises für "politisches Denken". Zunächst thematisiert ihn nur der
Perlentaucher, und auf Twitter wird debattiert. In einem
Zeit-Interview, wo die Taten der Hamas nicht mal mehr ein Hintergrundrauschen sind, wiederholt sie am Mittwoch ihre Thesen (unser
Resümee). Die
Böll-Stiftung und die
Stadt Bremen steigen aus der Preisverleihung aus. Aber wohlgemerkt: Sie
bekommt ihren Preis, aber erst heute statt Freitag, sie bekommt auch ihr Preisgeld. Und die ersehnte Aufmerksamkeit für die Normalisierung einer Gleichsetzung, die laut IHRA-Definition antisemitisch ist, bekommt sie auch - auch wenn sie sich auf Twitter zunächst beschwerte, dass sich die deutschen Journalisten nicht schnell genug meldeten. Überhaupt:
Eva Menasse in der
Zeit und der
NZZ,
Deborah Feldman bei Markus Lanz, jetzt
Gessen überall - ein Auftritt in den größten überregionalen deutschen Medien ist
das neue "
Ich-werde-mundtot-gemacht".
Laut Sonja Zekri, die Gessen für die
SZ interviewt, ist die Reihenfolge sozusagen umgekehrt, und Masha Gessen ist diejenige, die "
vom Eklat getroffen" sei. Aber Gessen konzediert auch, dass der Essay nicht zufällig genau vor der Preisverleihung erschien. "Sagen wir es so:
Ich war mir bewusst, dass die Preisverleihung Aufmerksamkeit auf meinen Text lenken würde." Im Interview beteuert sie, dass ihre Gleichsetzung ein Vergleich sei. Aber sie muss auch zugeben, dass sie in ihrem historischen Eifer einen krassen Fehler begangen hat - ach nein, doch nicht sie: "Ich hatte den polnischen Historiker
Jan Gross mit den Worten zitiert, dass Polen mehr Juden als Deutsche töteten, auf Englisch: 'Poles killed more jews than Germans'. Daraus war im Laufe
dieses langen Prozesses geworden 'Poles killed more jews
than Germans did', Polen töteten mehr Juden, als es die Deutschen taten. Ein Redigierfehler, den der
New Yorker korrigiert hat."
Im
FR-Interview mit Hanno Hauenstein verrät Gessen, wie die Preisverleihung heute morgen ablaufen wird: "Am Samstagmorgen gibt es eine halböffentliche Veranstaltung, an der auch ein Politikwissenschaftler aus Bulgarien,
Ivan Krastev, teilnimmt. Ich werde einen Vortrag halten und ich schätze, es wird eine Diskussion geben." Auch bei Hauenstein klingt es so, als ob sie den Eklat geplant hat: "Es ist ein bisschen wie
ein kontrolliertes Experiment." Ungeachtet der Tatsache, dass die
BDS-Bewegung auf ihrer Website die Massaker der Hamas ausdrücklich begrüßt hatte (mehr
hier) verteidigt sie BDS: "Es handelt sich um eine
gewaltfreie Bewegung. Aufrufe zu einem Wirtschaftsboykott mit Gewalt und/oder Hassrede gleichzusetzen, ist ein Affront gegen die Meinungsfreiheit. Was wir tun sollten, anstatt BDS und seine Befürworter:innen zu deligitimieren, ist die Einwände oder Vorbehalte zu diskutieren, die Menschen - mich eingeschlossen - dagegen haben könnten."
Zurecht wirft Gessen der
Böll-Stiftung im
FR-Interview Heuchelei vor. Sie zitiert aus einem Brief der Böll-Stiftung, der zeigt, dass sich die Stiftung
allein aus Oppportunitätsgründen aus der Preisverleihung zurückgezogen hat: "Bitte seien Sie versichert, dass wir nicht in Frage stellen, dass Sie den Preis erhalten. Im Gegenteil, wir teilen
das Lob und den Respekt für Ihre Arbeit (…) Aber, wie Sie in Ihrem Artikel im
New Yorker bereits vorhergesehen haben, hat sich die öffentliche Debatte darüber in Deutschland
sehr schnell ins Negative gewendet." Für Gessen ähnelt dieses Verhalten der Böll-Stiftung einem Muster der Vergangenheit: "Entschuldigen Sie, jetzt mache ich es schon wieder! Ich vergleiche. Diesmal das heutige Deutschland mit dem
totalitären Deutschland. Ich will nicht behaupten, dass Deutschland heute ein totalitäres Land ist. Doch bestimmte Gewohnheiten haben so eine Art, ruhend weiter zu bestehen und dann plötzlich wieder aufzutauchen."
"In Deutschland herrscht eine
Kultur des Mundtot-Machens", sagt Gessen dann noch wie erwartet im
Spiegel-Interview mit Jonas Breng und Katja Iken. Aber in diesem Interview verwahrt sie sich gegen den Vorwurf, sie haben den Skandal bewusst herbeigeführt und beruft sich auf
Hannah Arendt, die ebenfalls mit Gleichsetzungen hantiert hatte: "Arendt sah
ideologische Parallelen. Warum sagte sie das laut? Weil sie wie andere intellektuelle Überlebende des Holocausts sehr rigoros in der Identifikation neuer Gefahren war. Und weil sie keine Angst hatte, das zu sagen. Unter den aktuellen Debatten-Bedingungen in Deutschland würde Hannah Arendt
niemals den Hannah-Arendt Preis erhalten." Auch im
Spiegel ist für Gessen ein Beharren auf der Singularität des Holocaust nur ein Instrument um eine Wahrheit zu verschleiern: "Was derzeit in Gaza passiert, ist sehr wahrscheinlich ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
In keinem der Gespräche werden den
Verbrechen der Hamas mehr als zwei Zeilen gewidmet.