9punkt - Die Debattenrundschau

Es braucht Resilienz

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.01.2017. Heute ist T-Day, warnt die taz und fürchtet einen zivilisatorischen Totalschaden. In der FAZ hofft der Kulturhistoriker Kulturhistoriker Michael Hochgeschwender, dass Trump nicht dauerhaft auf die konservativen Wähler zählen kann. Facebook fragt jetzt bei ARD, ZDF und Spiegel, ob man nicht Lust hätte, Faklten zu checken. Aber die Welt wundert sich, das Facebook aus ethischen Gründen nichts dafür zahlen will.  Außerdem streitet das Netz über die Frage, von wem das schlimmere Zitat über das Holocaust-Mahnmal stammt: Björn Höcke oder Rudolf Augstein?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.01.2017 finden Sie hier

Politik

Heute ist "T-Day", sagt die taz. Silke Burmester bescheinigt Donald Trump immerhin einen zweifelhaften Unterhaltungswert: "Trump - das ist der faszinierende Grusel eines schlimmen Unfalls. Es ist das erschrockene, aber doch anregende Staunen über einen zivilisatorischen Totalschaden. Es ist die Unmöglichkeit, sich abzuwenden von etwas, das zu sehen einem nicht guttut. Weil es schmerzt - schlimmer noch: weil es das eigene Empfinden in die Empfindungslosigkeit überführt."

Man muss Trump als ein Phänomen begreifen, das die Funktionweisen von Pop und Reality-TV auf die Politik überträgt, meint Georg Seeßlen, der ein ganzes Buch zum Thema vorlegt, im Gespräch mit Dominik Irtenkauf von Telepolis: "Ein Donald Trump ist durch rationale Kritik ebenso wenig zu erreichen wie seine Anhänger, man kann ihn nicht einmal besonders gut karikieren, weil er ja stets auch schon als seine eigene Parodie auftritt. Die härteste Kritik bringt er selber mit obszöner Offenheit auf den Punkt, wenn er behauptet, er könne rausgehen und jemanden erschießen, und die Leute würden ihn trotzdem wählen. Es gibt nur eine einzige Steigerung dieser hämischen Selbstanalyse: Nicht trotzdem, sondern gerade wegen einer solchen Aussage."

In der FAZ verweist der Kulturhistoriker Michael Hochgeschwender auf das Buch "Strangers in Their Own Land - Anger and Mourning on the American Right" der Soziologin Arlie Russell Hochschild, die nach Louisiana reiste und ein differenziertes Porträt der dortigen Trump-Wähler zeichnet: "Als die Soziologin 2015 durch Louisiana reiste, wollte eine Mehrheit dort eigentlich Ted Cruz wählen, den Kandidaten der Evangelikalen. Aber letztlich gelang es Trump, sie alle mehr oder weniger und oft genug zähneknirschend für sich zu gewinnen. Diese konservativen Amerikaner sind darum für ihn keine sichere Bank. "
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Internet

Adrian Lobe widmet sich heute in der NZZ dem Internet der Dinge und den damit entstehenden neuen Überwachungsmöglichkeiten: "Durch das Internet der Dinge spannt sich ein neuer Kontrollraum auf, ein digitales Panoptikum, in dem der Mensch nur eine unter vielen Maschinen ist. Jede Regung, jeder Blick wird registriert. Man kann freilich gar nicht so viele Überwachungskameras installieren, wie nötig wären, um ein lückenloses Bewegungsprofil eines Menschen zu erstellen. Also überwacht sich der zu Überwachende selbst - zum Beispiel mithilfe eines vernetzten Lautsprechers. Der Bürger wird, wie es Michel Foucault in 'Überwachen und Strafen' beschrieb, zum Komplizen seiner eigenen Polizeigewalt."
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Gesellschaft

Im Interview mit dem TagesAnzeiger erklärt der Erziehungsexperte Paul Tough, warum der IQ eines Kindes weniger wichtig ist für Schulerfolg als sein Charakter: "Lang glaubte man, dass man, quasi vom Embryo an, die kognitiven Fähigkeiten trainieren müsse; dass der IQ den Lebenserfolg ausmache und frühe intellektuelle Stimulation ein Schlüsselfaktor sei. Und man fokussierte auf Kompetenzen wie Rechnen, Lesen, Schreiben. Doch es zeigt sich, dass ein hoher IQ kein Erfolgsgarant ist und es Wichtigeres gibt: die nicht kognitiven Fähigkeiten, die einen stabilen Kompetenzenerwerb überhaupt erst ermöglichen. Um in Schule und Leben Erfolg zu haben, braucht es vor allem Mumm und Ausdauer, Neugier und jene starke Motivation, die einen dranbleiben lässt, wenn es schwierig wird; Fleiß und die Bereitschaft zum Belohnungsaufschub. Es braucht Resilienz: Kraft und Selbstvertrauen, um nach einem Rückschlag wieder aufzustehen."
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Stichwörter: Tough, Paul, Resilienz

Geschichte

Vor 75 Jahren fand in Berlin die Wannsee-Konferenz statt, die sich mit der organisatorischen Umsetzung der Ermordung der europäischen Juden befasste. In der Zeit beschreibt der Historiker Peter Klein den Hergang. Und im Interview mit der Berliner Zeitung erklärt der Historiker Peter Longerich, der gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht hat, warum die Konferenz aus Sicht der Nazis notwendig war, obwohl die systematische Ermordung der Juden bereits begonnen hatte: "Es gab  15 Teilnehmer, Adolf Eichmann war Protokollant. Das Reichssicherheitshauptamt war dreifach vertreten. Außen-, Innen- und  Justizministerium sowie die Reichskanzlei waren dabei, ferner Abgesandte von zivilen Besatzungsbehörden und SS-Dienststellen. ... Das ist das Entscheidende des Protokolls, nämlich zu verstehen, dass der Holocaust ein arbeitsteiliges Verbrechen gewesen ist, das nicht nur von der SS, sondern auch mit der Unterstützung von zivilen Behörden durchgeführt wurde."
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Medien

Facebook wird jetzt bei ARD, ZDF und Medien wie dem Spiegel vorstellig, um Faktenchecker zu finden, berichtet Christian Meier in der Welt, der nebenbei über die spezielle Medienethik von Facebook staunt: "Geld soll für diese Dienstleistung allerdings nicht an die Faktenchecker fließen. Dies garantiere die Unabhängigkeit der Prüfer. Diese Begründung klingt zunächst mal gut, entbehrt aber letztlich doch einer Logik. Warum ein Kooperationspartner, der für das börsennotierte Netzwerk (Gewinn allein im dritten Quartal 2016: 2,4 Milliarden Dollar) eine wertvolle Aufgabe verrichtet, nicht bezahlt werden sollte, weil die Unabhängigkeit von Entscheidungen beeinträchtigt sein könnte, ist schwer nachvollziehbar. Eine Entlohnung für einen professionellen Service wäre im Gegenteil genau das - professionell."

Große Empörung herscht über eine Äußerung des AfD-Manns Björn Höcke über das Berliner Holocaust-Mahnmal. Stefan Niggemeier verweist (nicht als erster, in den sozialen Medien wurde schon länger darüber diskutiert), dass Rudolf Augstein im Spiegel 1998 fast identisch, allenfalls noch krasser gegen das Mahnmal gewütet hatte: "Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist." Niggemeier beharrt aber darauf, dass Augstein damals durchaus für diese Sätze kritisiert worden sei. Jakob Augstein verteidigt seinen Vater in seiner jüngsten Spiegel-online-Kolumne: "Für Rudolf Augstein war das 'Schandmal' ein Mahnmal unserer Schande. Für den AfD-Mann Höcke ist es ein schändliches Mahnmal." Geht das wirklich aus diesem Satz hervor?
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Kulturpolitik

In der NZZ erzählt Joseph Croitoru, was im Iran als reformorientierte Kulturpolitik gilt. So schossen sich vor zwei Jahren religiöse Eiferer auf ein "beim iranischen Plattenlabel Barbad Music erschienene CD mit traditionellen Liedern ein, weil auf dem Cover des vom Kulturministerium genehmigten Albums nur die junge Sängerin Noushin Tafi abgebildet war und nicht auch ihr weit älterer Gesangspartner Mohsen Keramati. Die konservativen Rechtsgelehrten schlossen irrtümlich daraus, dass es sich um ein Soloalbum der Sängerin handele, und warfen dem Kulturminister vor, gegen die islamische Moral zu verstoßen." Frauen dürfen im Iran nicht solo auftreten.
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Stichwörter: Iran

Urheberrecht

Die Idee, dass Autoren ihre Ansprüche aus der VG Wort gegenüber Verlagen nicht geltend machen, wird immer schwieriger zu realisieren. Ursrpünglich war der Plan, dass Autoren ihre Ansprüche an die Verlage abtreten - aber das wäre gegenüber den Finanzämtern schwer zu begründen. Nun sollen die Autoren gegenüber der VG Wort verzichten, was nicht dasselbe ist, wie die Interessengruppe VG Info schreibt: "Es ist natürlich das gute Recht eines jeden Autors, auf Forderungen gegenüber der VG Wort zu verzichten. Dies berechtigt die VG Wort jedoch nicht, ihrerseits dem Verlag Rückforderungen zu erlassen. Denn die Rückforderungen der VG Wort an die Verlage unterfallen dem Treuhandvermögen als Ganzes. Die VG Wort verwaltet dieses Vermögen treuhänderisch im Interesse aller Autoren. Sie darf daher nicht freiwillig auf einen Teil dieses Vermögens verzichten. "
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Stichwörter: VG Wort, Urheberrecht, Der Plan