9punkt - Die Debattenrundschau

Köln wird immer wieder erwähnt

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.09.2017. Politico.eu porträtiert Gabriel Rufian, einen der Anführer der katalanischen Sezessionisten. In der taz erklärt Laurie Penny weiße Frauen zu Eigentum. Die säkulare Gesellschaft ist keineswegs nur aus dem Christentum hervorgegangen, schreibt der Historiker Lucian Hölscher in der FAZ.  Die Welt fragt, warum sich die FDP in die Liste der russophilen Parteien einreiht.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.09.2017 finden Sie hier

Europa

Allzugroßer Enthusiasmus droht dem Projekt der EU, meint Welt-Autor Thomas Schmid in einem kleinen Essay. Personifiziert ist er für ihn in Autorinnen wie Ulrike Guérot, Ulrich Beck oder Jürgen Habermas. Jüngster Casus: Robert Menasse: "Wir müssten es nur wollen, meint Menasse zusammen mit etlichen anderen, die die EU demokratisch vollenden wollen. Es ist abenteuerlich, dass diese Enthusiasten großspurig über die kaum bestreitbare Tatsache hinweggehen, dass viele Bürger Europas das auf keinen Fall wollen. Nichts Anderes drückt sich ja in den Aufmerksamkeits- und Wahlerfolgen der neuen oder auch alten Nationalisten aus. Man muss deren Zorn auf die europäische Einigung nicht teilen. Man muss ihn aber berücksichtigen, in Rechnung stellen."

Diego Torres porträtiert für politico.eu den 35-jährigen Gabriel Rufian, einen der Anführer der katalanischen Sezessionisten, der selbst aus einer andalusischen Familie kommt: "Rufian achtet darauf, die sezessionistische Bewegung nicht als nationalistisch im traditionellen Sinn darzustellen. Er vermeidet nativistische Slogans und versucht, die Unabhängigkeit als eine Befreiung vom faschistischen Erbe Spaniens auszugeben, er bringt den Schutz sozialer Rechte ins Spiel und verspricht gar positive Auswirkungen für das Land im Ganzen."

Die FDP bleibt ihren vornehmsten Traditionen treu, ja inszeniert sie ganz neu, schreibt Richard Herzinger in der Welt: "Anders als seine Vorläufer ist Christian Lindner nicht erst nach, sondern bereits vor der Wahl umgefallen", konstatiert er nach Lindners Aufforderung, wieder mehr mit Wladimir Putin zu reden und die Annexion der Krim "einzukapseln". Von Kenntnis sei diese Bemerkung nicht getrübt, so Herzinger, denn de facto sei die Krim-Annexion bei den Gesprächen mit Russland eingekapselt. Aber ein Wahlkampfgeplänkel sei Lindners Bemerkung auch nicht, "hat er seinen Schwenk doch offensichtlich unter dem Druck einer innerparteilichen Lobby vollzogen, die in der mittelständischen Basis der FDP verwurzelt ist und von Lindners Stellvertreter Wolfgang Kubicki angeführt wird. Kubicki war von Beginn an ein erbitterter Gegner der Sanktionen gegen Russland. Mehr noch, Anfang 2015 bezeichnete er diese als ein Instrument der USA, um einen 'Regimewechsel' in Russland zu erreichen - was eine 'Völkerrechtsverletzung' darstelle."

Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Michael Rutschky über sein Tagebuch, die Wende, Angela Merkel und die Wandlungsprozesse in den USA und Britannien. Hier singt Rutschky ein Lob auf die Spaltung: "Spaltung ist nun einmal die Voraussetzung dafür, dass gesellschaftliche Prozesse in Gang kommen. Es scheint ein politischer Urmythos zu sein, dass früher einmal der Zustand der Einigkeit geherrscht hat. Und dann kam ein fremder Stamm oder später das Kapital, das diese Einheit beendete. Solch eine Erzählung ist natürlich Quatsch. Die Spaltung ist ursprünglich, ohne sie keine Politik. ... Die Triebfeder der gesellschaftlichen Mobilität ist der Konflikt. Wir leben nicht in ruhigen Zeiten. Und das ist auch gut so."
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Kulturpolitik

Nikolaus Bernau resümiert für die Berliner Zeitung ein Dresdner Symposion über die Globalisierung und Entkolonisierung von Museen, das er auch im Blick auf ein heute stattfindendes Podium über Humboldt-Forum erhellend fand: "Nicht zum ersten Mal wurde vorgeschlagen, die enzyklopädischen Museen des Nordens als gigantische Leihspeicher zu betrachten, aus denen sich die Welt für wandernde Ausstellungen bedienen könne. Schließlich sei, wie die aus Indien stammende Heidelberger Kunsthistorikerin Monica Juneja bemerkte, das 'westliche' System der Kunstgeschichte brauchbar, es müsse nur neu justiert werden."

In München soll am Nymphenburger Schloss ein großes Naturkundemuseum errichtet werden, berichtet Gottfried Knapp, der sich für die SZ schon mal die Pläne des Architekten Volker Staab angesehen hat: "Man kann sich grundsätzlich fragen, ob ein Museum, das sich als öffentliches Forschungslabor versteht und für junge Leute attraktiv sein will, in diesem verkehrstechnisch schlecht angebundenen Winkel der Nymphenburger Vorstadt und in diesem versteckten Nebenhof des barocken Schlosses wirklich ideal untergebracht ist. Aber wenn man sich auf diesen Ort einlässt - die Fußgängernähe zum Botanischen Garten und zum Schlosspark mit seinen Gewächshäusern spricht dafür -, dann kann man mit dem überarbeiteten Entwurf von Staab sehr zufrieden sein."
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Gesellschaft

Es ist schon erstaunlich, wie gern weiße Frauen wie Laurie Penny sich Gehör verschaffen, indem sie andere weiße Frauen zu reinen Diskursobjekten degradieren: "Köln wird immer wieder erwähnt. Die Idee, dass sexualisierte Gewalt nur dann existiert, wenn sie von Migranten oder Muslimen kommt, ist weit verbreitet und sehr alt. Sie geht zurück auf die Jim-Crow-Zeit in den US-Südstaaten, auf das Lynchen von Schwarzen Männern mit dem Vorwurf, weiße Frauen vergewaltigt zu haben", behauptet sie in der taz als hätte es in Europa jemals Sklavenhaltergesellschaften oder Jim-Crow-Gesetze gegeben. "Dabei geht es aber keineswegs um die Sicherheit der weißen Frauen, sondern um einen Angriff auf den weißen Mann. Denn weiße Frauen sind Eigentum." Sie sollten also besser schweigen und Ms. Penny das Reden überlassen, die diese Dinge durchblickt.
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Internet

Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub, der in Stanford unterrichtet, porträtiert in der NZZ die Silicon Valley Szene, die sich immer noch als eine Art anarchistsisch-revolutionäre Gemeinschaft darstellt, was sie aber längst nicht mehr ist, meint Daub: "Die Unternehmer im Valley bezeichnen die politische Klasse gerne als arrogant und abgehoben. Das stimmt natürlich. Aber trifft dieselbe Diagnose nicht auch auf die Digitalunternehmer zu? Die Natürlichkeit, mit der die Chefs von Facebook, Google, Paypal davon ausgehen, dass sie die Menschen, die ihre Jachten säubern, besser verstehen als irgendwelche Gewerkschaftstypen, ist jedenfalls ziemlich atemberaubend."
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Medien

Mathias Döpfner hatte in seiner gestrigen Rede vor dem Verband der Zeitungsverleger die Politik um Hilfe gebeten, weil die Presse sonst nicht mehr als vierte Gewalt fungieren könne (unser Resümee). Nebenbei hat er die Öffentlich-Rechtlichen als "Staaatsfunk" bezeichnet, wofür ihm  Benno Stieber in der taz gleich AfD-Ähnlichkeit bescheinigt. Und im übrigen haben es die Sender im Netz sowieso nicht sehr weit gebracht, schreibt Stieber: "Selbst eine Studie von McKinsey konnte die Befürchtung, von den Internetangeboten der Öffentlich-Rechtlichen abgehängt zu werden, nicht stützen. Denn unter den Top-40-Angeboten im Netz sind in Deutschland 14 Webseiten von Verlagen, aber mit tagesschau.de und sportschau.de nur zwei Öffentlich-Rechtliche."

In der FAZ schildert Jürg Altwegg die Zeitungskrise in der Schweiz, für die er durchaus die Verlage mitverantwortlich macht: "Seit dem Jahr 2000 brach die Gesamtauflage der zwölf größten Tageszeitungen von 2,3 Millionen um eine Million ein."
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Ideen

Die säkulare Idee ist keinesfalls nur eine europäische, schreibt der Historiker Lucian Hölscher in der FAZ: "Die säkulare Gesellschaft ist nicht allein aus den Strukturen des Christentums hervorgegangen, sondern sie zehrt von vielen Traditionen: religiösen wie dem Judentum und dem Islam, ja selbst dem Buddhismus und Konfuzianismus, die mit ihren humanen Werten größten Einfluss auf die aufgeklärte europäische Gesellschaft des achtzehnten Jahrhunderts ausübten; auch von wissenschaftlichen, politischen und rechtlichen Traditionen, die weit vor das Christentum zurückreichen."

Wer auf die Lektüre der Bücher von Harald Welzer verzichten will, der findet seine Hauptthesen heute im taz-Interview auf engstem Raum: "Das 2-Grad-Ziel zu erreichen ist eine Illusion - Punkt. Wachstumswirtschaft und Nachhaltigkeit gehen nicht zusammen - Punkt. Demokratien und moderne Gesellschaften sind unter Druck durch den Wandel zum Autoritarismus. Soziale Ungleichheit fördert diesen Wandel. Wir brauchen eine neue Moderne."

Außerdem: Der Tagesspiegel bringt Peter Sloterdijks Dankrede für den Helmuth-Plessner-Preis zur Frage "Was ist der Mensch? Ein Lebewesen, das etwas verloren hat oder umgekehrt an einem Überschuss leidet?"
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Politik

Aung San Suu Kyi hat in einer Rede die Verfolgung der Rohingya zum ersten Mal angesprochen, blieb aber recht vage, meint Verena Hölzl in der taz: "Auf aggressive Worte verzichtete die Friedensnobelpreisträgerin am Dienstagmorgen: Sie versprach stattdessen, dass alle Menschenrechtsverletzungen strikt verfolgt werden würden. Dabei schreckte sie davor zurück, das Militär direkt anzusprechen. Deutlicher äußerte sich Human Rights Watch. Mithilfe von Satellitenbildern hat die Menschenrechtsorganisation nachgewiesen, dass über 200 muslimische Dörfer in Rakhine angezündet wurden."

Für Andreas Lorenz, Autor einer Biografie über Aung San Suu Kyi, der heute in der taz kommentiert, sind die Rohingya bedauerliche Opfer der Umstände: "'Die Lady', wie die Birmesen sie nennen, steckt in einer furchtbaren Klemme. Vor allem aber kann sie sich nicht offen auf die Seite der Rohingyas stellen und das Militär verurteilen, wenn sie nicht ihr Lebensziel aufs Spiel setzen will: ein demokratischeres Birma ohne eine Vormachtstellung der Armee. Täte sie, was ihre Ankläger verlangen, wäre ihre politische Karriere am Ende - und im schlimmsten Falle auch ihr Leben."
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