Spätaffäre

Fürchte den Goldrausch

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
21.03.2014. Ian McEwan erklärt, warum Spionage Teil des Daseins ist. Tsai Ming-Liang folgt einem Mönch in Marseille. Keno Verseck stellt den rechtsradikalen Bürgermeister des ungarischen Dorfs Érpatak vor. Und n+1 empfiehlt: Boise ist die Stadt, wo man jetzt leben muss.

Für die Augen



Auch ein schöner Widerspruch, dass ein Film über die Langsamkeit so schnell den Sprung von der Berlinale 2014 ins Fernsehen schafft: Tsai Ming-Liangs Film "Ein Mönch in Marseille" mit Lee Kang Sheng und Denis Lavant war laut Cristina Nord (taz) einer "der schönsten Filme des Festivals": Zu sehen ist ein buddhistischer Mönch, der etwas tut, "was einer alten Mediationstechnik entspricht: Er geht achtsam. Jeden Schritt führt er mit großer Konzentration aus. Während die Passanten binnen Sekunden das Bild durchqueren, benötigt er Minuten. Einmal etwa geht er eine Treppe hinab, es sind vielleicht 25 Stufen, er braucht dafür eine ganze Weile. Und in dieser Zeit kann man bestaunen, wie das Sonnenlicht, das von oben in den Durchgang fällt, die Ränder seines roten Gewands durchstrahlt. Eine solche Einstellung befreit die Zuschauerwahrnehmung von dem Zwang, nach Informationen zu suchen: eine tolle Erfahrung, gerade im Kontext eines auf Bedeutungsproduktion so versessenen Filmfestivals." In der arte-Mediathek kann man sich den Film ansehen. (53 Min.)

"Wir sind alle Spione", meint der britische Autor Ian McEwan. Jeder Mensch versucht die Geheimnisse des anderen zu lesen. Deswegen glaubt er, dass Spionage Teil des Daseins sei, sagt er im Gespräch mit dem Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk, Dänemark über seinen Roman "Sweet Tooth" (dt. "Honig" 2013), in dem es um Schnüffeleien des MI5 in der Kunstszene geht (47 Min.)
Archiv: Für die Augen

Für die Ohren

"Das Modell von Érpatak", ein SWR-Feature von Keno Verseck (Website), das den Rechtsruck in Ungarn aus der Mikroperspektive in den Blick nimmt. Der Programmtext: "Mihály Zoltán Orosz, Bürgermeister von Érpatak, führt sein Dorf nach strengen Regeln. Wer sich nicht daran hält wird ausgegrenzt oder vertrieben. Der bekennende Rechtsradikale führt ein rassistisches und präfaschistisches Regiment, das inzwischen zum 'Modell von Érpatak' avancierte und zu einem Fixpunkt für Ungarns autoritär-nationalistische Wende wurde." Hier in der Mediathek. (55 Min.)

"Ein halbes Jahrhundert sexuelle Revolution": In einem Radioessay für den SWR hält der Philosoph Hans-Willi Weis Rückschau. Sein Befund fällt nicht gerade tröstlich aus: "In einem sexuellen Schlaraffenland sind wir nicht angekommen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es eine Verhaltensalternative zum Gehorsam gegenüber den Spielregeln einer kompetitiven Erotik gibt." Hier in der Mediathek. (57 Min.)
Archiv: Für die Ohren
Stichwörter: Erotik, Mediatheken, Rechtsruck, SWR

Für Sinn und Verstand

In Eurozine denkt Kenan Malik - ohne direkten Anlass - über sakrale Kunst nach und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass sie ihre Erhabenheit nie dadurch erreicht, dass sie das Göttliche beschwört, sondern dass sie es durch Poesie und Transzendenz ersetzt. So sei es bei Mozarts "Requiem" oder Nusrat Fateh Ali Khans "Qawwli", Scheich-Lotfollah-Moschee in Isfahan oder Laotses "Tao Te King": "In der vormodernen Welt war es schwierig, Sinn und Bedeutung anders als im Verhältnis zu Gott oder zu den Göttern zu erfassen, oder als Aspekte des Universums selbst. Daher wurde das Transzendente unweigerlich in einem religiösen Licht besehen. Doch die Moderne hat es möglich gemacht, Sinn und Bedeutung als etwas von Menschen Geschaffenes zu erfassen. Wie der französische Philosoph Denis Diderot feststellte: 'Wenn wir den Menschen, das denkende und anschauende Wesen, von der Erde verbannen, dann wird dieses bewegte und erhabene Spektakel der Natur nichts weiter sein als eine traurige und stumme Szenerie.' Es sei 'die Anwesenheit des Menschen, die der Existenz Bedeutung verleiht'."

Tja, die neue Stadt in den USA, wo man leben sollte, wenn man irgendwie alternativ drauf ist, scheint ähm ... Boise in Idaho zu sein. Ryann Liebenthal, der aus der Stadt kommt, erzählt in n+1, wie es dazu kam, und wie ein kleines Kulturprogramm der Stadt half, neue Bevölkerung anzuziehen: "Vielleicht segelt Boise ein bisschen im Windschatten des Phänomens, das Portland vor zehn Jahren hervorbrachte. Oder Austin. Oder Asheville. Oder Seattle in den Neunzigern. Oder andere Städte, die in Lifestyle-Magazinen für ihre authentische lokale Kultur gepriesen werden. Vielleicht ist es sinnnvoll, der nivellierenden Internet- und Megacity-Kultur tatsächlich mit solchen Ameisenhügeln kultureller Aktivität zu begegnen. In Boise war dieser Prozess langsam und mühsam, und so fühlt es sich immer noch frisch und aufregend an, wenn deine Lieblingsband berühmt wird - aber ich fürchte auch den Goldrausch." Wenn die ganze Stadt so angenehm entspannt, psychedelisch und rau ist wie die Musik von Built to Spill, die aus Boise kommen, sollte man vielleicht tatsächlich hinziehen.