Magazinrundschau - Archiv

L'Espresso

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Magazinrundschau vom 25.11.2008 - Espresso

Sandro Magister ist erstaunt über die wertkonservative Konkurrenz nebenan, den L'Osservatore Romano. Die Zeitung des Vatikans entwickelt sich zwar nicht gerade zum Dissidentenblatt, aber seit Giovanni Maria Vian vor gut einem Jahr das Ruder übernommen hat, segelt der L'Osservatore auch mal gegen den Strom. Zum Beispiel in Sachen Tod. "Den man heutzutage üblicherweise nicht mehr daran festmacht, ob das Herz aufgehört hat zu schlagen, sondern ob sämtliche Gehirnfunktionen erloschen sind. Diese Abmachung, die 1968 in Harvard getroffen wurde, hat beträchtliche Auswirkungen auf die Praxis, denn sie erlaubt Organtransplantationen bei schlagendem Herz. Aber es handelt sich eben um eine bloße Vereinbarung. Sie ist streitbar und es wird auch über sie gestritten. Am 2. September veröffentlichte der L'Osservatore Romano auf der ersten Seite einen Kommentar von Lucetta Scaraffia, die im Endeffekt die Debatte darüber neu eröffnete, wann das Leben zu Ende ist und damit die Legitimität von heute üblichen Organtransplantionen in Frage stellte. Der Artikel löste ein Erdbeben aus. Vor allem innerhalb der Kirche. Die vorherrschende Linie im Vatikan war bis dato, Organtransplantationen zu billigen, wenn zuvor das Hirnversagen festgestellt wurde. In der Kurie erhob sich ein Proteststurm gegen den L'Osservatore Romano. Schließlich war ja bald eine Tagung über Organtransplantationen angesetzt, und es gab Druck, dass der Papst bei dieser Gelegenheit die Debatte beenden könnte, indem er den Gehirntod als Kriterium bekräftigt. Aber Benedikt XVI. äußerte sich am 7. November etwas anders." Er sagte, man solle sehr vorsichtig sein, den Tod eines Menschen zu verkünden, und stützte damit die Quertreiber im Osservatore.

Magazinrundschau vom 18.11.2008 - Espresso

Umberto Eco sagt es nicht so, aber er meint es: Silvio Berlusconi ist kein "Cavaliere", sondern ein ungeschlachter Emporkömmling, ein Rüpel, der einfach nicht anders kann, als peinliche Bemerkungen zu machen wie jüngst zur "Sommerbräune" Barack Obamas. "Heutzutage ist die Aussage, dass ein Schwarzer ins Weiße Haus eingezogen ist, eine pure Feststellung. Sie kann mit Befriedigung oder mit Hass ausgesprochen werden, aber sie kann von jedermann kommen. Wenn man einen Schwarzen aber als gebräunt darstellt, dann ist das eine Art etwas zu sagen und gleichzeitig nicht zu sagen. Damit macht man einen Unterschied fest, ohne sich zu trauen, die Sache beim Namen zu nennen. Zu sagen dass Obama ein 'Schwarzer' ist, ist eine offensichtliche Tatsache, zu sagen dass er 'schwarz' ist, bedeutet schon, auf seine Hautfarbe einzugehen, zu sagen dass er gebräunt ist, ist eine bösartige Fopperei (...)." Und dann wird Professor Eco bitterböse. "Berlusconi verkehrt einfach nicht in den Kreisen, in denen man weiß, wie man die ethnische Herkunft ansprechen kann, ohne auf die Tönung der Haut Bezug zu nehmen, so wie man einen Fisch essen kann, ohne ein Messer zu benutzen."

Magazinrundschau vom 04.11.2008 - Espresso

"Der Wind des Hasses" von Roberto Cotroneo ist ein Roman, den Umberto Eco allen empfehlen kann, die etwas über die dunkle Seite Italiens erfahren wollen. Er spielt in einem imaginierten, aber offenbar erschreckend realistischen dauerfaschistischen Italien. Terror und Todeswunsch gibt es hier, mitten in Europa, mehr als genug. In Italien sind Selbstmordattentäter durchaus denkbar, meint Eco. "Auch in unserem Terrorismus gab es einen selbstmörderischer Impuls, 'eine unwiderstehliche Anziehungskraft des Todes, jenes Todes, dem man anderen zufügt und der auch über uns selbst kommen kann'. Wenn im Roman einer der Protagonisten einem Polizisten beim Sterben zusieht, dem er einen Genickschuss versetzt hat, dann sagt er: 'Wir hatten es nicht gemacht, weil wir eine bessere Welt wollten, sondern weil es wir waren, die sterben wollten, weil ich mich in diesen Augen selbst gesehen habe, ich habe meine Beklemmung gesehen, meine Angst, mein Blick in das Nichts da drinnen, diesen Hass eines unerlösten Landes.'"

Magazinrundschau vom 28.10.2008 - Espresso

Die Finanzkrise ist Wasser auf Jeremy Rifkins ökologisch-nachhaltige Mühlen. "Die Vermutung, dass die aktuelle Rezession halt ein zyklisches Phänomen und bald beendet sein wird, ist im besten Fall naiv und im schlimmsten Fall irreführend." Die Krise, das Öl, das Klima: alles deutliche Zeichen dafür, endlich umzuschalten, sagt Rifkin. "Die neue Art des Wirtschaftens wird sich genau in dieser Phase etablieren, in dem Moment, in dem die Industrien sich gegenseitig darin übertreffen werden, erneuerbare Energien einzuführen, sparsame Häuser zu bauen, die Wasserstofftechnologie weiterzuentwickeln, einen intelligenten öffentlichen Nahverkehr einzurichten, wiederaufladbare elektrische Autos einzusetzen und so den Boden für ein dritte industrielle Revolution vorzubereiten."

Magazinrundschau vom 21.10.2008 - Espresso

Politik und Religion werden nicht mehr nur jenseits des Atlantiks auf unselige Weise verknüpft, beklagt Umberto Eco in seiner Bustina di Minerva. Auch in Ecos katholischem Heimatland gewinnen die Fundamentalisten unter den Christen an Fahrt. "Während in der Vergangenheit die Fundamentalisten sich [in den USA] in scharfer Abgrenzung zu den Katholiken definierten, nähern sich heute die Katholiken immer näher den Positionen der Fundamentalisten an - und das nicht nur in Amerika (man beobachte nur die wunderliche Rückkehr des Antidarwinismus, obwohl die Kirche auf der Front der Evolutionstheorie schon lange einen Waffenstillstand vereinbart hat). Dass sich die italienische Kirche nicht auf die Seite des praktizierenden Katholiken Prodi geschlagen hat, sondern mit einem konfessionslosen Geschiedenen und Lebemann paktiert, lässt den Verdacht aufkommen, dass die Stimmen der Gläubigen auch in Italien demjenigen Politiker angeboten werden, der unabhängig von irgendwelchen religiösen Werten dazu bereit ist, den dogmatischen Kräften, die ihn stützen, ein Maximum an Zugeständnissen zu machen."

Magazinrundschau vom 14.10.2008 - Espresso

Das Land fällt auseinander, schließt Edmondo Berselli aus der mittlerweile offen zutage tretenden Fremdenfeindlichkeit in Italien. "Wie Zygmunt Bauman schreibt, greift man auf die Identität zurück, wenn die Gemeinschaft zerbricht. Im Norden gründet sich der Erfolg der Lega jenseits der alarmistischen Anti-Ausländer Rhetorik vor allem darauf, dass hier versucht wurde, eine Reihe von 'reaktiven Gemeinden' zu gründen, die sogenannten 'Völker' des Nordens. Sie zeichnen sich durch einen gewissen Grad an Selbstschutzmechanismen aus und wirken nach außen zunehmend feindselig. Einmal nannten die Angehörigen der Lega das untereinander auch schon Sezession. Die Gegenwart in Italien zeichnet sich durch eine Ungeduld gegenüber jeder Art von Gemeinschaft aus, was betont wird, sind die zersetzenden Vorgänge. Auch der steuerliche und institutionelle Föderalismus führt dazu, allein die Unterschiede zu betonen (politisch bringt er gar nichts, zumindest in seiner milden kooperativen Form)."

Magazinrundschau vom 07.10.2008 - Espresso

Das Gefühl, sich in einer Zeitschleife zu befinden und längst für überwunden geglaubten Mist wieder riechen zu müssen, lässt Umberto Eco nicht mehr los. Schon in den Fünfzigern hatte er mit seinem Kumpel Roberto Leydi wegen eines ganz ähnlichen Haderns mit der Heimat eine anti-patriotische Gesellschaft gegründet. "Wir wollten eine Volksabstimmung, um die Lombardei wieder an Österreich zurückzugeben, Neapel an die Borbonen und Rom natürlich an den Papst, die Übertragung des Piemonts an Frankreich und Sizilien an Malta. Man hätte auf diversen Plätzen in Italien die Garibaldi-Denkmäler abreißen müssen und einige Straßennamen ändern, die entweder an Cavour oder andere Märtyrer erinnern, in den Schulbüchern hätte man die Rechtschaffenheit von Carlo Pisacane und Enrico Toti in Zweifel ziehen müssen. Und so weiter. Unsere Gesellschaft löste sich allerdings angesichts einer umstürzenden Erkenntnis auf. Um tatsächlich antipatriotisch zu sein und den Ruin Italiens herbeizuführen hätte man den Duce wieder einsetzen müssen. Nur so wäre Italien tatsächlich vor die Hunde gegangen, und wir hätten alle Neofaschisten werden müssen. Wir fanden diese Idee abstoßend, und so gaben wir unser Projekt auf."

Magazinrundschau vom 23.09.2008 - Espresso

Umberto Eco hat seit längerem eine Theorie: Technologisch geht es nicht mehr nach vorne, sondern mittlerweile rückwärts. Der Fortschritt biegt sich in einer großen Schleife wieder auf Anfang zurück. Neuestes Beispiel ist für ihn Microsoft und der Wunsch des PC-Käufers Eco, nicht das neue, fehleranfällige Windows Vista zu benutzen, sondern lieber das gute alte XP. Der Rückschritt hat aber seinen Preis, wie er erfährt. "Downgrading ist die Möglichkeit, den eigenen Computer mit älteren Programmen zu beglücken. Zahlenderweise. Bevor man im Internet diesen wunderbaren Neologismus geschaffen hat, konnte man in einem normalen Italienisch-Englisch-Wörterbuch unter 'Downgrade' als Substantiv noch Niedergang, Senkung oder reduzierte Version finden, während als Verb zurückgehen, heruntersetzen, verkleinern und abwerten notiert war. Uns wird also angeboten, für einiges an Mühe und eine gewisse Summe, etwas abzuwerten und herunterzusetzen, für dessen Erhalt wir schon ein gewisses Sümmchen bezahlt haben. Das würde sich fantastisch anhören, wenn es nicht wahr wäre."
Stichwörter: Eco, Umberto, Microsoft

Magazinrundschau vom 16.09.2008 - Espresso

In der gerade in Deutschland anlaufenden Verfilmung von Roberto Savianos Reportage "Gomorra" ist das einer der Handlungsstränge: die Camorra schafft hochgiftige Abfälle in illegale Deponien rund um Neapel und verdient dabei Milliarden. Jetzt hat Gaetano Vasallo ausgepackt, der das schmutzige Geschäft vor zwanzig Jahren erfunden hat. Gianluca Di Feo und Emiliano Fittipaldi zitieren aus dem Geständnis, dass der ehemalige Boss und mittlerweile reuige "Pentito" diktiert hat. "Ich fürchte um mein Leben und deshalb habe ich mich entschieden, mit der Justiz zusammenzuarbeiten und alles zu sagen, was mich betrifft, die Straftaten inklusive. Im Besonderen will ich auf die illegale Entsorgung von speziellem, giftigem und gesundheitsschädlichem Müll eingehen, angefangen von 1987/1988 bis 2005. Die Entsorgung fand in Höhlen, unbebauten Landstrichen und nicht genehmigten Deponien statt."

Magazinrundschau vom 09.09.2008 - Espresso

Umberto Eco hat genug von der alljährlichen Diskussion, ob man nicht einmal wieder eine Straße nach Mussolini benennen könnte oder nach Bettino Craxi. Eco sind beide ein Gräuel, und er fordert ein Gesetz, dass als Namenspatron für Straßen und Plätze nur Personen herangezogen werden dürfen, die schon mehr als hundert Jahre tot sind. Nach hundert Jahren wisse sowieso keiner mehr, was los war. Außerdem "ist die Benennung einer Straße nach jemandem oft der einfachste Weg, ihn dem öffentlichen Vergessen und einer quirligen Anonymität anheimfallen zu lassen. Abgesehen von einigen seltenen Fällen wie Garibaldi oder Cavour weiß doch keiner, wer die Leute waren, nach denen die Straßen und Plätze heißen - und wenn sich mal einer erinnert, dann ist aus einer Person im öffentlichen Gedächtnis eine Straße geworden, und das war es dann."
Stichwörter: Anonymität, Eco, Umberto