Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
20.10.2003. Das New York Times Magazine porträtiert den Geliebten Führer Kim Jong Il. Der New Yorker beschreibt, wie sich Bush absichtlich desinformieren lässt. Im Espresso fordert Tahar Ben Jelloun Respekt für den Laizismus. Outlook India weiß, warum die indische Mittelklasse ihre Politiker hasst. Der britische Economist amüsiert sich über die gegenseitige Ersatzbefriedigung von Deutschen und Franzosen. Der NouvelObs hat die Bestsellerautorin Amelie Nothomb faule Früchte essen sehen.

New York Times (USA), 19.10.2003

Die Rolling Stones haben ihre offizielle Chronik herausgebracht, einen opulenten, "sehr unterhaltsamen" Bildband, wie Joe Queenan recht angetan bestätigt. In "According to the Rolling Stones" (Audio-Dia-Show) geht es fast nur um die Musik, meist kommentieren die Gründungsmitglieder Mick Jagger, Charlie Watts und Keith Richards die Abbildungen. "Die erste Hälfte des Buches ist bei weitem die beste. Hypnotisiert von Muddy Waters, Howlin' Wolf und Chuck Berry entscheiden sich zwei schüchterne Teenager (Jagger and Richards), ihre eigene Pop-Combo zu gründen. Im Handumdrehen werden sie die zweitgrößte Band der Welt; dann, nachdem die Beatles sich trennen, die allergrößte." Wie in jeder offiziellen Geschichtsschreibung wurde aber auch hier einiges ausgelassen. "Das Buch hat einige nennenswerte Lücken. Der frühere Gitarrist der Gruppe Mick Taylor, der beste Musiker, der je in diesem nun geriatrischen Ensemble gespielt hat, wurde nicht interviewt. Und fast nichts wird gesagt über die feige Verantwortungslosigkeit der Band auf dem Altamont Konzert 1969 (mehr hier und hier)."

Einen interessanten Einblick in die religiöse Diskussion innerhalb der USA bekommt man in der Besprechung von Leon R. Kass' "The Beginning of Wisdom", in der der Theologieprofessor Phyllis Trible die Behauptungen des Konvertierten Kass verärgert zurückweist. In Colson Whiteheads Essaysammlung "The Colossus of New York" erkennt Luc Sante die Umrisse eines großen, noch zu schreibenden Romans über New York und die Menschheit an sich, in der Art von Balzacs ''Comedie humaine". Auch wenn "Burning Tigris", Peter Balakians Untersuchung und Schilderung des Genozids an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs meist im Deskriptiven verharre, werde damit den Leugnern des Völkermordes endgültig der Mund gestopft, glaubt Belinda Cooper. Mit ihrem tragischen, aber nicht langweiligen Roman "She is Me" (erstes Kapitel) hat Cathleen Schine uns "so ein reichhaltiges Porträt normalen Lebens" gegeben, seufzt schließlich Claire Dederer.

Das New York Times Magazine macht auf mit einem 11-seitigen Porträt des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il. Eine Seite lang zeichnet Peter Maass den "Geliebten Führer" als lächerliche Figur, um dann umso wirkungsvoller die Richtung zu ändern: "In der Tat, der Geliebte Führer, der dieses Jahr 62 wurde, weiß einiges über die Welt um ihn herum. Und nach Jahrzehnten der Ahnungsosigkeit, lernt die Welt auch ein bisschen was über den Geliebten Führer. Die Bush-Regierung versucht herauszufinden, wie sie Kims Regime beenden oder wenigstens neutralisieren könnte. Dies erweist sich als außerordentlich schwierige Aufgabe, denn das Regime ist sehr viel stabiler als irgendjemand erwartet hätte und sehr viel gefährlicher."

In einem weiteren Artikel beschreibt Mim Udovitch das "nüchterne" Leben des drogenabhängigen Schauspielers Robert Downey Jr.

Archiv: New York Times

New Yorker (USA), 27.10.2003

In einem wie immer best recherchierten Bericht rekonstruiert Seymour M. Hersh, wie George W. Bush und seine Gefolgsleute die Geheimdienste "auf die Jagd nach Massenvernichtungswaffen" im Irak schickten. Nicht, dass der "Präsident und seine Berater bewusst gelogen hätten. Was da ablief, war viel systematischer - und möglicherweise genau so schlimm." Hersh zitiert den Irakexperten Kenneth Pollack, dessen Buch "The Threatening Storm" den Einsatz von Gewalt zum Sturz Husseins grundsätzlich unterstützte: Die Bush-Leute hätten demnach "den bestehenden Filterungsprozess demontiert, der Politiker fünfzig Jahre lang davor bewahrt hatte, falsche Informationen zu bekommen. Sie haben Kanäle geschaffen, auf denen sie die Informationen, die sie haben wollten, direkt an die politische Führung weiterleiten konnten. Sie sind davon überzeugt, dass Fachleute im Staatsdienst ihnen vorsätzlich und böswillig Informationen vorenthalten."

Zu lesen ist die Erzählung "Love Snares" von Louise Erdrich (hier) und eine Meditation von Ian Frazier über das Altern, in der er sich vornimmt, "noch sehr lange weiterzumachen".

Weitere Artikel: Joyce Carol Oates bespricht den Roman "Vernon God Little" von Booker Prize-Gewinner D. B. C. Pierre alias Peter Finlay (mehr hier). Das "unerwartet bewegende" Debüt, schreibt sie, sei "gleichermaßen rau und grüblerisch, vulgär und poetisch, ätzend und gefühlvoll". Vorgestellt wird eine Biografie über den englischen Dichter John Clare (1793 - 1864), der Jahre seines Lebens in einer geschlossenen Anstalt verbrachte, außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter des Fotobandes "Diaspora" von Frederic Brenner, der seit über 30 Jahren jüdische Familien und Gemeinden in aller Welt porträtiert; die Texte dazu steuerte Jacques Derrida bei.

Nur in der Printausgabe: ein Porträt der Modemacherin Elsa Schiaparelli, deren Modelle derzeit im Philadelphia Museum of Art zu sehen sind. Ergänzend dazu ist online ein Artikel von Janet Flanner aus dem Jahr 1932 zu lesen, der den Beginn der Karriere von Schiaparelli in Paris beschreibt. Des weiteren gibt es ein Porträt der afroamerikanischen Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, ein Bericht über den Gründer und Leiter von Enron, Ken Lay, der vermutlich bald aus dem Gefängnis kommt, und Lyrik von Donald Hall, Charles Wright und Elizabeth Pierson Friend.
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 23.10.2003

Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun (mehr) plädiert in seiner Kolumne für eine entschiedenere Bekämpfung der fanatischen Formen des Islam. "Europa muss sich die richtigen Freunde aussuchen und darf hinsichtlich der Menschenrechte nicht nachgeben. In Bezug auf den Islam, der sich in den europäischen Ländern immer mehr ausbreitet (in Frankreich, wo fünf Millionen Muslime leben, ist er die zweite Religion), muss es Klarheit geben: der Respekt vor dem Ausüben des jeweiligen Kultes beinhaltet auch den Respekt vor dem Laizismus. Wenn ein Mädchen einen Schleier tragen will, darf es das mit vollem Recht tun, aber nicht in einer öffentlichen Schule. In Frankreich wurde lange für die Trennung von Kirche und Staat gekämpft. Es gibt keinen Grund, einen Rückschritt zu akzeptieren und die staatliche Schule wieder zu einem Raum für die Religionen werden zu lassen."

In der Titelgeschichte widmet sich Sabina Minardi dem Wandel der Liebe in Zeiten von SMS und Online-Dating. "Die Liebe ist flüssig geworden. Und die Beziehungen virtuell." Monica Maggi lotet die erotischen Dimensionen der Schokolade aus. Alessandro Gilioli informiert uns, dass die 80er-Jahre-Welle nun auch Italien erreicht hat. Und Cesare Balbo weiß, dass Martin Scorcese sich in die Fußstapfen von Orson Welles wagt und die Biografie des berühmt-berüchtigten Medienmoguls Howard Hughes verfilmt, unter dem pompösen Titel "The Aviator".

Den Rest gibt es leider nur in der Printausgabe, darunter ein Bericht aus dem boomenden Moskau oder ein Reportage über eine Gruppe von Obdachlosen aus Oregon, die sich selbst regieren.
Archiv: Espresso

Outlook India (Indien), 27.10.2003

Warum, fragt Outlook im Aufmacher, hassen wir unsere Politiker? Das die Frage nicht überspitzt formuliert ist, zeigt die Umfrage, die die Redaktion in Auftrag gegeben hat: Gerade mal 13 Prozent der Inder sind der Ansicht, dass es sich bei ihren Politikern um gute Staatsbürger handelt, und bei der Frage, wer der Gesellschaft am nützlichsten ist, belegen Politiker den 14. Rang - gefolgt von den Schwarzhändlern und Zuhältern. Bhavdeep Kang versucht sich an einer Antwort: "Die indische städtische Mittelklasse fühlt sich grausam hintergangen. Sie hat treuherzig ihre Steuern bezahlt, um sich dann in ein alptraumhaftes Netz aus Korruption und Betrug verwickelt zu sehen. Sie hat die Regeln befolgt, um dann zuschauen zu müssen, wie die Gesetzesbrecher vorankommen. Die Welt, so scheint es ihr, zieht unfairerweise den Gauner vor." Ist das alles? Möglicherweise, weiß Kang, spielt auch ein verhängnisvolles Misstrauen der Mittelklasse gegenüber dem System der Demokratie eine Rolle.

Seema Sirohi stellt eine junge indische Amerikanerin vor, die zum Verdruss ihrer Eltern weder Ärztin noch Computerspezialistin werden wollte, oder was sonst noch für Töchter aus gutem Immigrantenhause vorgesehen ist. Sondern Komödiantin. Heute ist Vijai Nathan (homepage) die erfolgreichste indisch-amerikanische Stand-up-Comedienne. Die erste war sie auch. Good Girls Don't, But Indian Girls Do, wie der Name ihrer Show schon sagt.

Außerdem: "Ein weiteres Kapitel der Ayodhya-Saga. Punkt Mittag am 17. Oktober, machte der VHP (Weltrat der Hindu) sein Versprechen wahr, dass ihn 'keine Macht dieser Welt' davon abhalten könne, nach Ayodhya zu gelangen." Wieder hatte er die Massen dorthin mobilisiert, wo 1992 die Babri-Moschee von fanatisierten Hindunationalisten zerstört wurde. Und wieder stehen Wahlen an, wie zuletzt im vergangenen Jahr, bei der letzten Mobilisierung des VHP, berichtet Saba Naqvi Bhaumik. Sanjay Suri erzählt in einem sehr amüsanten Artikel, was Kabaddi ist (eine sehr eigenartige Sportart, in der Schlagen erlaubt ist) und warum Adolf Hitler daran schuld ist, dass sie nicht längst olympisch ist. Jawid Laiq empfiehlt Paul R. Brass' exzellente Studie über die Ursachen der Gewalt zwischen Hindus und Muslimen in Indien.
Archiv: Outlook India
Stichwörter: Hitler, Adolf, Mittelklasse

Jornada Semanal (Mexiko), 19.10.2003

Von einem vor allem auf dem Rücken von Gabriel Garcia Marquez ausgetragenen Krieg der literarischen Generationen Lateinamerikas berichtete der Perlentaucher letzte Woche. Ausgerechnet La Jornada, "die mexikanische taz" (C. Krauthausen), schlägt in der neuesten Ausgabe ihrer Kulturbeilage La Jornada Semanal nun deutlich versöhnlichere Töne an. Unter der Überschrift "20 anos de compania" erklärt der kolumbianische Autor Hector Abad Faciolince, dass man Garcia Marquez den Nobelpreis ruhig ein zweites Mal verleihen könne; Faciolince begrüßt außerdem die Aktivitäten der gewöhnlich übel beleumdeten internationalen Literaturagenten, die es inzwischen lateinamerikanischen Schriftstellern aller couleur und Generationen ermöglichten, ihr Auskommen zu finden und ein internationales Publikum zu erreichen. Seinen, zumindest was die kolumbianische Literaturszene betrifft, durchaus optimistischen Befund bringt Abad auf die Formel: "Zwischen dem "mierda", mit dem Garcia Marquez seinen Roman "Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt" enden, und dem "mierda", mit dem Fernando Vallejo seinen Roman "El fuego secreto" anfangen lässt, ist der kolumbianische Roman nicht nur volljährig geworden, sondern erwachsen und reif."
Archiv: Jornada Semanal

Reportajes (Chile), 18.10.2003

Mario Vargas Llosa (mehr) schickt sich offensichtlich an, vom jüngst verstorbenen Edward Said die nicht immer dankbare Rolle des intellektuellen Fürsprechers der Interessen der Palästinenser zu übernehmen. So äußert er sich in der neuesten Ausgabe des chilenischen Reportajes (Zugang nach kostenloser Registrierung) in einem langen Artikel äußerst kritisch über die Darstellung des israelisch-palästinensischen Konfliktes in den USA: "Ich möchte in keiner Weise den Gedanken einer 'jüdischen Verschwörung' nahe legen, die sich die US-Medien unterworfen hat, aber sehr wohl darauf hinweisen, dass die Lobbygruppen, die die israelische Politik in den USA vertreten, äußerst effektiv arbeiten, während die Palästinenser eine himmelschreiende Unfähigkeit an den Tag legen, ihre Sache zu erklären und zu verteidigen. Nicht weil ihnen die Mittel dazu fehlten, sondern aus Unkenntnis der subtilen und komplizierten Mechanismen, die die nordamerikanischen Institutionen und Gewohnheiten bestimmen. Und weil sie sich oftmals mit der Tribüne kleiner linksradikaler Zirkel begnügt haben, was den unerwünschten Effekt hat, sie noch weiter von der durchschnittlichen Mehrheitsmeinung zu entfernen, die nun einmal in der Politik den Ausschlag gibt."
Archiv: Reportajes

Economist (UK), 17.10.2003

"Herzlichen Glückwunsch, China (jetzt brauchst du ja wohl keine Hilfe mehr)", titelt der Economist. Leider dürfen wir die Geschichte über den ersten Chinesen im All nicht lesen, sondern nur einen anderer Artikel, in dem wir erfahren, warum China nach seinem erstem bemannten Flug ins All lieber mit der bemannten Raumfahrt aufhören sollte.

Traurig aber wahr, es ist der Blick zurück, der die EU zusammenhält. Die Franzosen hatten Napoleon, Großbritannien und Spanien riesige Kolonien, die Österreicher ihr Kaiserreich, die Italiener waren einmal Römer, die neuen Griechen waren einmal alte Griechen usw. Doch da jedes Land seine ganz eigene Geschichte und seine eigene glorreiche Vergangenheit hat, so der Economist, sind auch, was die glorreiche Zukunft angeht, die Vorstellungen verschieden. "Deutschlands Anlauf zur Weltmacht endete in einem Desaster und in Ungnade; für moderne Deutsche stellt Europa eine Anstrengung dar, die traditionelle Realpolitik zu überwinden, so dass die EU mehr mit Frieden und Wohlstand als mit Machtprojektionen zu tun hat. Die Franzosen beklagen sich daher manchmal, dass 'die Deutschen aus Europa bloß eine große Schweiz machen wollen'. Ihrerseits allerdings wollen die Franzosen, dass die EU ein großes Frankreich wird. (..) Doch da das moderne Frankreich nicht alleine zur Supermacht werden kann, wünscht sich die französische Elite die EU als Ersatzbefriedigung."

Weitere Artikel: Auf den Friedensnobelpreis für die iranische Juristin Shirin Ebadi sind die iranischen Frauen zwar sehr stolz, weiß der Economist, doch mangelt es immer noch an breiter Unterstützung für die Frauenrechtsbewegung. Der Economist hat einen Wandel im britischen Bildungssystem, aber vor allem in der Haltung der regierenden Labour-Partei bemerkt. Während Old Labour auf private Schulen eher allergisch reagierte - "Ihr seid ein Haufen Biester, die bloß die Reichen ausbilden. Wir würden euch abschaffen, wenn wir könnten" - zeigt sich New Labour offener: "Ihr führt ausgezeichnete Schulen, Ihr habt eine soziale Aufgabe, wir nehmen Euch beim Wort." Die von George Bush geplanten Reformen der amerikanischen Zuwanderungspolitik nennt der Economist eine "Kultur des Nein" und prophezeit, dass sie wegen mangelnder Umsetzungsfreudigkeit versanden werden.

Außerdem lesen wir, dass Robert Hughes in seinem Buch "Goya" beweist, dass er nicht Goya-Mythen, sondern Goya liebt, dass Saudiarabien erste Reformen in Richtung Demokratie unternommen hat, dass mit der irischen Nonne und Schriftstellerin Felicitas Corrigan eine ungewöhnliche Frau gestorben ist, und schließlich, dass es den deutsch-französischen Reformbemühungen an wirklichem politischen Willen mangelt.

Nur im Print zu lesen: Mein ist die Rache, spricht Clint Eastwood.
Archiv: Economist

Times Literary Supplement (UK), 17.10.2003

Mit großem Vergnügen hat David Lodge John Boormans Erinnerungen "Adventures of a Surburban Boy" gelesen, in denen sich der Regisseur an seiner Herkunft aus der Vorstadt abarbeitet. "Gab es jemals eine derart schleichende soziale Revolution wie den Aufstieg der Doppelhaus-Vororte? Sie haben es alle verpasst, die Akademiker, die Politiker, die Upper Class. Während sie sich um Sozialismus und Faschismus Sorgen machten, hat ihnen der Kuckuck ein Ei ins Netz gelegt, aus dem Margaret Thatcher schlüpfen würde."

Was kann uns "Matrix" über den cartesianischen Skeptizismus sagen? Besitzt Schwarzenegger kantianische Urteilskraft? Und müsste Sci-Fi nicht eigentlich Sci-Phi geschrieben werden? In seinem Buch "The Philosopher at the End of the Universe" versucht Mark Rowland, über seine Lieblingsfilme zu den großen Fragen der Menschheit vorzustoßen, eine Idee, die Colin McGinn nicht wirklich überzeugend findet, aber dennoch ganz hübsch: "Philosophie braucht alles an Humor, was sie kriegen kann".

Nur Spott hat Eric Griffiths für das neue Buch "After Theory" von Terry Eagleton (mehr hier) übrig, dem letzten linken Literaturtheoretiker Großbritanniens. Auf charmante Weise antiquiert und höchst amüsant findet der Rezensent Eagletons Glauben, dass Theorien Auswirkungen auf praktisches Handeln haben könnten. Mit Gewinn hat dagegen Henri Astier Dominique Noguez' eloquente Verteidigung von Michel Houellebecq gelesen, in der Houellebecq allerdings genauso erscheine, wie man ihn sich vorstellt: "Selbstbezogen, trübselig und oft betrunken." Mary Beard hat in der BBC-Produktion über Pompeii: The Last Day zwar keine direkten Fehler entdeckt, will die Doku-Ficton aber trotzdem nicht als historisch korrekt durchgehen lassen.

Nouvel Observateur (Frankreich), 16.10.2003

Amelie Nothomb (mehr hier) ist ein Chouchou für ihre Verleger: Drei Manuskripte liefert sie jährlich ab, und jedes wird ein Bestseller. Das meistverkaufte Buch der belgischen Autorin, der Roman "Stupeur et tremblements", hat sich eine Million mal verkauft. Sie macht sich aber auch gut im Fernsehen, erzählt der etwas spöttische Artikel im NouvelObs: "Zum Beispiel ihre Vorliebe für faule Früchte. Sie hatte sie bei einer Talkshow aus Anlass ihres ersten Romans, 'Hygiene de l'assassin' bekannt, und diese komische Perversion hat nicht wenig zu ihrem frühen Ruhm beigetragen. Bis der pragmatische Fernsehmoderator Laurent Ruquier ihr in der Sendung 'On aura tout essaye' einige schimmlige Pfirsiche vorlegte. Unter dem Auge der Kamera biss Amelie zögernd hinein. Sie soll dem Talkmaster bis heute nicht verziehen haben!"

The Atlantic (USA), 01.11.2003

Nicht online lesen dürfen wir William Langewiesches große Reportage über den letzten Flug der Columbia oder James Manns Erinnerung an den jungen Donald Rumsfeld. Online gestellt ist ein Interview mit Mann, in dem er beschreibt, wie sich Rumsfeld von einer Taube zum Falken entwickelt hat. Online gestellt ist außerdem die ganze letzte Ausgabe! Darunter eine große Reportage von Mary Anne Weaver über die Frage, wer in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten und wichtigsten arabischen Land, die Nachfolge des 75-jährigen Mubarak antreten könnte. Und ein Text von Mark Bowden über die "Dunkle Kunst des Verhörs", kurz: die Folter.

Aus der neuen Ausgabe: Philip Jenkins porträtiert den Erzbischof von Nigeria, Peter Jasper Akinola, auf den laut Jenkins alle Augen der anglikanischen Kirche gerichtet sind. Akinola hatte jüngst die Überlegungen der Kirche, schwule Lebensgemeinschaften unter Priestern zu erlauben, als "satanischen Angriff auf Gottes Kirche" verdammt: "Selbst in der Welt von Tieren, von Hunden, Kühen und Löwen, hören wir nichts on derartigen Dingen." Schön findet Jenkins das nicht, zeigt aber trotzdem Verständnis. "Wenn die anglikanische Gemeinde schwule Priester und Lebensgemeinschaften akzeptierte, würden die Muslime in Nigeria einen enormen Propaganda-Sieg davontragen - und in Dutzenden von anderen afrikanischen Ländern, in denen Christen und Muslime um Gläubige buhlen, oft mit Gewalt."

Ebenfalls im Netz ist der große Report über das Zulassungssystem der amerikanischen Colleges, bekanntlich der wichtigste "Kampfplatz im brutalen Wettkampf um Prestige". Dazu beschreibt James Fallows das große Chaos an den Unis, Don Peck erzählt, wie die Ablehnungszahlen der Unis zum allgemeinen Fetisch geworden sind. Nicholas Confessore bezweifelt Sinn und Zweck von Rankings.

Christopher Hitchens erläutert uns anhand von Fred Kaplans "The Singular Mark Twain" (Auszug), wie man eine Biografie nicht schreiben sollte. Caitlin Flanagan hat von Rachel Safier erfahren, wie man eine Hochzeit absagt und dabei Haltung und Gesicht wahrt. Besprochen werden außerdem Shirley Hazzards erstes Buch seit 23 Jahren, der meisterliche Roman "The Great Fire" (Auszug), eine neue Ausgabe von John Updikes frühen Erzählungen "The Early Stories 1953-1975", Peter Careys neuer Roman "My Life as a Fake" und eine erste militärgeschichtliche Studie zum Irakkrieg von Williamson Murray und Major General Robert H. Scales Jr.
Archiv: The Atlantic