Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
27.01.2003. Die New York Review of Books schildert schlimme Anfälle von Anti-Europäismus in den USA. Outlook India wundert sich über die Prachtentfaltung einer Ministerin aus niederer Kaste. Prospect sieht sich schon in der ethnischen Minderheit. Für die London Review verkörpern die Windsors tatsächliche Familienwerte wie Entfremdung, Alkoholismus, Ehebruch. Das TLS bewundert die knochenharte Taktik Lorenzo de Medicis. Die NYT Book Review argumentiert mit Shakespeare gegen den Irakkrieg. Nouvel Obs und Express trauern um Francoise Giroud.

New Yorker (USA), 03.02.2003

Wieder einmal viel Lesestoff in dieser Woche. In einer vergnüglichen Rezension bespricht Larissa MacFarquhar das Buch "The Pawprints of History" (etwa: "Tatzenabdrücke der Geschichte", Free Press, Auszug). Darin versucht der Psychologe und Hundetrainer Stanley Coren, bereits Autor mehrerer anderer Hundebücher, "die 14.000 Jahre in den Griff zu bekommen, die Mensch und Hund nun schon zusammenleben." Aber, fragt sich die Rezensentin, "haben Hunde wirklich eine Geschichte? Natürlich passierten Hunde Dinge, und Hunde haben Ereignisse ausgelöst, und mit der Zeit haben sich die Hunderassen verändert. Aber hat sich das Hundsein als solches gewandelt?" Das wüsste man allerdings wirklich gern. Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter eines Erzählbandes von Geoff Dyer mit dem schönen Titel "Yoga for People Who Can't Be Bothered to Do It" (Pantheon).

In einem lakonischen Porträt erzählt Jeffrey Toobin von den Unbilden, die Martha Stewart, Inhaberin eines Lifestyle-Imperiums (Martha Stewart Living Omnimedia, mehr hier), bedrängen. Deren gern propagiertes "perfektes Leben" verläuft seit dem 27. Dezember 2001 entschieden "disharmonisch". Damals "verkaufte sie ihre Anteile an einer Firma für Biotechnologie namens ImClone. Seither laufen fast ununterbrochen Ermittlungen wegen Insider trading gegen sie, (?) in den nächsten Wochen wird entschieden, ob sie unter Anklage gestellt wird."

Weiteres: Zu lesen ist die Erzählung "The High Divide" von Charles D'Ambrosio (mehr hier). Michael Specter surfte mit Amerikas berühmtestem Hacker, Kevin Mitnick (mehr hier), durchs Netz. Ben McGrath unterhielt sich mit einer Gruppe "friedensgestimmter Amerikaner", darunter auch Bianca Jagger, über ihre Irak-Reise, und David Remnick kommentiert die Versuche der Bush-Regierung einen "Kriegsgrund" zu konstruieren. Don Steinberg schließlich beschäftigt sich in einer Glosse mit einigen Rätseln: "Ich wurde in Boston geboren und meine Eltern wurden ebenfalls in Boston geboren. Trotzdem bin ich kein amerikanischer Staatsbürger. Wie ist das möglich?" Die Antwort wird mitgeliefert.

Peter Schjeldahl führt durch eine Retrospektive des eigenwilligen amerikanischen Malers Marsden Hartley (1877 - 1943, mehr hier) im Wadsworth Atheneum in Hartford. Alex Ross bespricht eine Inszenierung von Leos Janaceks "Jenufa" an der Metropolitan Opera. Und Anthony Lane sah im Kino den Dokumentarfilm "Lost in La Mancha" von Keith Fulton und Louis Pepe, die Terry Gilliam (Monty Python) dabei beobachteten, wie er seinen Lebenstraum - eine "Don Quichote-Verfilmung" - realisiert. Verrissen wird außerdem "The Guru" von Daisy von Scherler Mayer, ein Film über einen jungen Inder, der in New York sein Glück sucht. Hilton Als bespricht schließlich mehrer Theaterinszenierungen: "Uncle Vanya" von Tschechow, Shakespeares "Twelfth Night" und Molieres "Tartuffe".

Mehr Interessantes auch in der Printausgabe: ein Bericht über den Kampf zwischen Wissenschaft und Ethik um einen Aids-Impfstoff, ein Text über einen Antarktis-Schwimmer und die Frage, wie viel kaltes Wasser ein Mensch eigentlich aushält, eine etwas rätselhaft bleibende Geschichte über "einen Matisse, der Picasso übernimmt" und schließlich Lyrik von Stanley Moss und Rita Dove.
Archiv: New Yorker

New York Review of Books (USA), 13.02.2003

Es gibt nicht nur Anti-Amerikanismus, sondern auch einen manifesten Anti-Europäismus, wie Timothy Garton Ash (mehr hier) bei seiner jüngsten Reise durch die USA erfahren hat. Was die Amerikaner von uns halten lässt sich laut Garton Ash ziemlich einfach zusammenfassen: Wir sind Schlappschwänze: "Europäer sind Weichlinge. Sie sind schwache, verdrießliche, heuchlerische, zerstrittene, doppelzüngige, manchmal antisemitische, oft antiamerikanische Beschwichtiger. Mit einem Wort: Euro-Weenies. Ihre Werte und ihr Rückgrat haben sich in einem lauwarmen Bad aus multilateralem, transnationalem, säkularem und postmodernem Unsinn aufgelöst. Sie geben ihre Euros für Wine, Urlaub und aufgedunsene Wohlfahrtssysteme aus statt für die Verteidigung." Am schlechtesten gelitten sind offenbar die Franzosen; denn die Frösche, heißt es über sie, waschen sich nicht. (Brauchen sie nicht, die haben Chanel No. 5.)

Von einem gespenstischen Besuch in Nord-Korea berichtet die amerikanisch-koreanische Autorin Suki Kim. Eigentlich wollte sie ihren Onkel besuchen, wurde jedoch prompt zur amerikanischen Kulturdelegation ernannt, die die Feiern zu Kim Jong Ils Geburtstag besuchen sollte. Die durfte sie denn auch tagelang genießen: "Der Große Führer war nirgends zu sehen. Er nehme an den Feiern seines Geburtstages niemals teil, wurde mir von Consul Bae gesagt, einem Mitglied des Komittees für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, der mein ständiger Begleiter werden sollte und sogar in meinem Nachbarzimmer schlief. Um Zeit zu sparen, ließ er mich wissen, schlafe der Große Führer höchstens im Auto und esse nur Reisbällchen. Unermüdlich reise er, um den Arbeitern zu helfen, wo er nur könne. Daher auch das Lied "Lieber geliebter General, wo bist Du?"

Weitere Artikel: Anthony Lewis geht mit Bob Woodwards neuestem Buch "Bush at war" über die ersten hundert Tage nach dem 11. September hart ins Gericht. Zwar gesteht Lewis dem in die Jahre gekommenen Starjournalisten zu, dem Westflügel des Weißen Hauses so nah wie niemand zuvor gekommen zu sein. Doch fehle dem Buch ansonsten alles, was Geschichte ausmache: Kontext, Analyse, Standpunkt. Und die wichtigsten Fragen - etwa wie aus dem Krieg gegen den Terror ein Krieg gegen den Irak wurde - würden nicht einmal erwähnt, geschweige denn beantwortet.

Weitere Artikel: Freeman J. Dyson fragt mit Michael Crichton, wie gefährlich Nanotechnologie ist. Daniel Mendelsohn hat sich zwei mal Euripides angesehen: einmal die "Medea" und zum zweiten "Die Kinder des Herakles". Und Jennifer Schuessler blickt zurück auf die Geschichte mechanischen Lebens.

Outlook India (Indien), 03.02.2003

In alle Paradoxien der Minderheitenpolitik sieht sich anlässlich ihres mit großer Pracht gefeierten Geburtstags Mayawati, chief minister - also etwa: "Ministerpräsidentin" - des bevölkerungsreichsten Bundesstaats Uttar Pradesh verwickelt (hier ein Porträt). Als Symbolfigur der traditionell verachteten und bis heute diskriminierten Dalit-Kaste steht sie unter strenger Beobachtung: Ist die verschwenderische Prachtentfaltung, fragen die Kommentatoren, ein Zeichen der Gleichberechtigung - oder das Signal, dass der Kampf um Anerkennung, der schon zur Annäherung an die Regierungspartei BJP geführt hat, die Sitten verdirbt?

Im Kontrast dazu das nächste Thema: Indien wurde in den letzten Wochen von einer der schlimmsten Kältewellen der letzten Jahrzehnte heimgesucht, mehr als tausend Menschen sind nach inoffiziellen Angaben gestorben, meist Obdachlose, die kein Geld für ausreichende Kleidung haben. Der Staat zeigte sich unvorbereitet, die Zahl der Schutzunterkünfte und ausgegebenen Decken war bei weitem unzureichend. Besonders betroffen ist der nördliche, von Mayawati regierte Bundesstaat Uttar Pradesh. Kein Wunder, dass die Outlook-Kommentatorin Anita Pratap eins und eins zusammenzählt und, sich auf die riesige Geburtstagstorte Mayawatis beziehend, zu einem verheerenden Ergebnis kommt: "Das ist hundertmal schlimmer als der berüchtigte Ausspruch der guillotinierten französischen Königin Marie Antoinette, dass die Leute doch Kuchen essen sollen, wenn es kein Brot gibt. Es ist, als sagte Mayawati: 'Lasst die Armen verhungern und erfrieren, während ich meinen Kuchen kriege und im wärmenden Gefühl der versammelten öffentlichen Aufmerksamkeit aufesse."

Außerdem: In einer dem Lebenstraum-Protokoll der Zeit nachempfundenen Kolumne lässt Aamir Khan ("Lagaan") notieren, dass er statt einer er berühmtesten Bollywood-Stars auch Lehrer hätte werden können. Mit Stolz wird festgestellt, dass die Einkünfte aus Exporten indischer Waren in die USA gegen alle internationalen Trends erstaunliche Höhen erklommen haben.
Archiv: Outlook India

Prospect (UK), 01.02.2003

Bob Rowthorn sorgt sich um das Wohlergehen der sogenannten Einwanderungsländer, die im Strom der Einwanderung drohen, ihr kulturelles Selbstverständnis zu verlieren. Die Kosmopoliten, die auf eine offene Gesellschaft drängen, missverstehen Offenheit als Bereicherung, machen jedoch letztlich alle Einwanderungsländer zu einer unspezifischen Ansammlung von Weltbürgern, so Rowthorn. "Nationen sind historische Gemeinschaften, die ein Recht darauf haben, ihre gemeinschaftliche Zukunft so zu gestalten, wie sie es für passend halten, und Entwicklungen zu widerstehen, die ihre Identität und ihren Kontinuitäts-Sinn untergraben." Gerade die Geschichte sei eine zentrale Komponente des nationalen Selbstverständnisses. Doch "wenn ein Land massiver Einwanderung ausgesetzt ist, wird es bald eine sehr große Anzahl von Menschen geben, die keine persönliche Beziehung zur jüngsten Vergangenheit haben, und die weder Stolz noch Scham für diese Vergangenheit empfinden. Ihre Beziehung zu weiter zurückliegender Vergangenheit wird dementsprechend noch fadenscheiniger sein. Was vorher die Geschichte der Nation war, könnte dann lediglich als die Geschichte einer schrumpfenden ethnischen Mehrheit aufgefasst werden, als eine Geschichte, die nur von wenig Bedeutung für den Rest ist."

Weitere Artikel: Jonathan Coe erklärt, wie gefährlich es sein kann, die Literatur als striktes Spiegelbild der Realität zu verstehen: den Schrifsteller B.S. Johnson trieb es in den Selbstmord. In einem Briefwechsel diskutieren Philipp Bobbitt und Robert Skidelsky über einen Regimewechsel im Irak - und sind nicht immer einer Meinung. Philip Ball berichtet über das saubere Auto, das hoffentlich Wirklichkeit wird, und Mark Ridley hat zwei Bücher über Sex und das Ende des Mannes gelesen.

Nur im Print zu lesen: Robert Reichs offener Brief an die US-Demokraten, ein Porträt von Daniel Libeskind und ein Interview, in dem Galileo Galilei über Brechts Verzerrungen seiner Person aufklärt.
Archiv: Prospect

London Review of Books (UK), 27.01.2003

Glen Newey amüsiert sich königlich über die nur scheinbar überlebte britische Monarchie. Denn wie kann etwas überlebt sein, das sich mit solcher, seinen Gegnern spottenden Beharrlichkeit hält? Doch wie lange werden sich die Royals noch als unverzichtbar ausgeben können? "Die interessanteste Frage, was die Monachie betrifft, ist, wie diese Institution es schafft, in Anbetracht ihrer Absurdität, weiter hin- und herzuschwanken und sich sogar bei Gelegenheit als Stimme der Besitzlosen auszugeben. Dahinter steckt das unübersehbare Dilemma, das die Monarchie des dritten Jahrtausends befällt. Wie kann die Existenz von so steinreichen und nicht-so-machtlosen Windsors mit den demokratischen Idealen der politischen und zivilen Gleichheit vereinbart werden?" Worauf Newey eine Dallas-würdige Antwort gefunden hat: "Der einzige Grund, warum die Queen und ihresgleichen die Rolle der Gallionsfigur der Nation auf glaubhaftere Weise spielen als ein gewählter oder ausgeloster Präsident, ist, dass ein Clan, der von Entfremdung, mehrfacher Scheidung, Ehebruch, Alkoholismus und sporadischen Psychosen zerrissen wird, die tatsächlichen Familienwerte veranschaulicht. (?) Die Royals mögen, wie Familien nun mal sind, primitiv, habgierig und sadistisch sein. Aber sie gehören zu uns, und wir können nicht anders, als sie zu lieben."

In Short Cuts prüft Thomas Jones die Granta-Auszeichnung für vielversprechende britische Schriftsteller auf Herz und Nieren und wundert sich über die Alterbeschränkung nach oben, schließlich könnten auch über 40-jährige Autoren vielversprechend sein. Dass keiner der Ausgezeichneten unter zwanzig ist, findet er allerdings angesichts der veröffentlichten Teenage-Literatur nicht weiter störend.

Weitere Artikel: Stefan Collini ist enttäuscht von Christopher Hitchens' Buch "Orwell's Victory" und befürchtet, Hitchens sei dabei, sich in einen "kein-Wenn-und-Aber-wir-müssen-uns-einfach-den-Tatsachen-stellen-Langweiler" zu verwandeln. Anatol Lieven hat Owen Bennett Jones' Buch über Pakistan gelesen und für gut befunden. Jones sitze nicht den üblichen Klichees auf und gebe auf komplexe Probleme komplexe Antworten. Schließlich denkt Peter Campbell über die Mies-van-der-Rohe-Ausstellung in der Londoner Whitechapel Gallery nach und zeigt sich angetan von der Verbindung zwischen Architektur und Philosophie, die das Schaffen des Architekten geprägt habe.

Nur im Print zu lesen ist, wie Martin Scorseses Film "Gangs of New York" der historischen Prüfung standhält.

Times Literary Supplement (UK), 24.01.2003

Lauro Martines feiert die neun Bände umfassende und in weiten Teilen erstmals publizierte Korrespondenz des Lorenzo de Medici. Darin entlarve sich Lorenzo der Prächtige, der stets als Förderer der Künste und des Humanismus gefeiert wurde, als das, was er wirklich war: ein gerissener Politiker, Meister der Manipulation und Florenz' erster Pate. Aber so sei es ja immer gewesen, meint Martines: "Das Genie der italienischen Renaissance war nicht auf Kunst, Literatur und den Bau von Palästen begrenzt. Außer nach einem Botticelli in Florenz und einem Michelangelo in Rom verlangt die Machtpolitik vor allem rücksichtlose Ziele und knochenharte Taktik."

Rein gar nichts hält Peter Stothard von den Essays des konservativen Kritikers Roger Kimball "Lives of the Mind", der die Amerikaner zu Plutarch und den klassischen Tugenden zurückführen will: "Wir Briten, die wir die USA für ihre Entschlossenheit bewundern, den Internationalen Terrorismus zurückzuschlagen, wir wollen kein Amerika aus lauter Renaissance-Menschen."

Weitere Artikel: Mark Rowland zeigt sich von Mary Warnocks Buch "Making Babies" 100-prozentig überzeugt, in dem die Autorin erklärt, warum es kein Recht auf Kinder gebe. Und David Horspool bespricht neue Bücher über den Fußball, Ajax Amsterdam und die Hooligans.

Economist (UK), 24.01.2003

Was für ein Glückspilz, dieser George Bush! Glaubt man den Meinungsumfragen, so der Economist, ist in den USA die öffentliche Meinung in Sachen Irak-Krieg so gespalten, dass Bush gar nichts falsch machen kann. "Zieht er in den Krieg, werden die Leute ihn unterstützen (der erste Effekt wird garantiert ein riesiger Schulterschluss um die Flagge sein). Sollte er den Inspektoren mehr Zeit geben, werden die Leute auch das unterstützen. Aus Sicht der Wähler wäre eine zweite UN-Resolution wünschenswert, aber nicht unverzichtbar. Einzig ungewiss ist, was passieren würde, sollte das Unwahrscheinliche eintreten und Bush sich dazu entschließen, nicht in den Krieg zu ziehen. In diesem Fall würde seine konservative Basis ihn sicherlich des Klein-Beigebens anklagen, wie sein Vater. Doch für die Bevölkerung könnte sogar dieser Kurs tolerierbar sein, wenn der Präsident sie überzeugen kann, dass seine Drohungen den Irak entwaffnet haben. Kurz, in Sachen Handlungsfreiheit ist zögerliche und appetitlose Kriegs-Akzeptanz günstiger als blutrünstige Begeisterung."

Der Pomp, mit dem das 40-jährige Jubiläum des Elysee-Vertrages gefeiert wurde, ist kaum zu überbieten, so der Economist. Doch wirklich glauben an die so innbrünstig demonstrierte deutsch-französische Eintracht mag er nicht. Das sähe schon dem gaullistisch geprägten Frankreich nicht ähnlich.

Außerdem wagt der Economist einen Blick in die Zukunft und fragt sich, wie die Internet-Gesellschaft aussehen wird. Und da es ums Internet geht, sind auch alle Artikel online zu lesen: Wie steht es zukünftig um die Privatsphäre? Wie sieht unser Leben im Jahr 2033 aus? Wie steht es um die Urheberrechte? Wird das Internet zu einem neuen Demokratieverständnis im Sinne einer Direktdemokratie führen? Kann das Internet zum Repressionsmittel werden? Bestimmt die Technologie oder der Mensch die Zukunft der Gesellschaft?

Weitere Artikel: Überraschendes hat der Economist aus China vernommen: Es soll eine Schulreform geben, die die Schüler statt zum Auswendiglernen zum selbstständigen Denken ermutigt. Ob das gut geht? Seit fünfzig Jahren dauert der Zwist zwischen Israelis und Palästinensern an, doch die Lösung kann heute wie damals nur die Schaffung eines palästinensischen Staates sein.

In Kürze: ein Nachruf auf die französische Journalistin Francoise Giroud, eine Besprechung von Amos Elons Buch "The Pity of it all" (Auszug), in dem er die deutsch-jüdische Geschichte seit Moses Mendelsohn aufrollt, und schließlich die Antwort auf die Frage, warum die Briten sich mit Großprojekten so schwer tun.

Leider nur im Print ist ein ganzes Dossier der Frage gewidmet, ob Ariel Sharon in der Lage ist, Frieden zu schaffen.
Archiv: Economist

Spiegel (Deutschland), 27.01.2003

Nach der Expedition in die Antarktis von letzter Woche kehrt der Spiegel diesmal mit der "Akte Saddam" in den Irak zurück. Geladen hat man den Nahost-Experten Kenneth Pollack, der eine ganze Serie zur Struktur von Saddams Terror-Regime schreiben darf, die erste Folge - plus Interview mit Pollack, diese Woche.

Sonst ist nicht viel los auf den Netz-Seiten von Deutschlands größtem Nachrichtenmagazin. Die Kultur - unter anderem mit einem Bekenntnis Durs Grünbeins zum "alten Europa" und der Besprechung des neuen Erzählungsbandes von Judith Hermann - ist mal wieder zur Gänze den Heftkäufern vorbehalten. Von Interesse das Gespräch mit dem Mail on Sunday-Herausgeber Peter Wright, der sein Recht aufs Gerücht einklagt: "Auch ein Gerücht ist ein Tatbestand, Leute reden darüber, es ist in der Welt, also kann man den Ursachen nachgehen. Jedenfalls kann man das in unserem Land." Ist natürlich alles im Sinne der Demokratie: "Ich spreche von dem Verhältnis zwischen der politischen Klasse und dem Volk. Unterwürfigkeit, die Etablierung von Tabus - in so einem Klima können auch die großen Fragen nicht mehr offen diskutiert werden."

Außerdem: Wir erfahren, dass das Verfassungsgericht diese Woche vermutlich den Vätern unehelicher Kinder weitergehende Rechte einräumen wird als bisher. Und im Bericht über den Reemtsma-Zigarettenschmuggel-Verdacht geht es um Figuren diesen Kalibers: "Semjon Mogiljewitsch, 56. Waffen, Öl, Drogen, junge Frauen - der Ukrainer soll mit allem handeln, was schnelles Geld verspricht. Und er verfügte, vermutet der Zoll, da schon längst über einen direkten Draht in die Reemtsma-Führung."
Archiv: Spiegel

Nouvel Observateur (Frankreich), 23.01.2003

Mit einem umfangreichen Titeldossier würdigt der Nouvel Obs Francoise Giroud, die in der vergangenen Woche gestorbene grande dame des französischen Journalismus (Kurzbiografie hier). In einer bisher unveröffentlichten Rede, die Giroud 1998 anlässlich der Aufnahme in die Ehrenlegion vor Freunden hielt, entwirft sie ein "klares, treffendes und freimütiges" Selbstporträt, das sie so beginnt: "Ich bin nicht diejenige, für die Sie mich halten. Ich bin ein Gaukler. Als ich ein kleines Mädchen war, verboten die Mütter meiner Klassenkameraden ihnen, zu mir nach Hause zu kommen. Denn ich war die Tochter eines politischen Flüchtlings, also eine Fremde. Ich war arm, und ich war die Beste in meiner Klasse. Die Franzosen mögen keine Fremden, sie mögen keine Armen und sie mögen keine Besten."

Zu lesen sind außerdem zum Teil sehr persönliche Nachrufe, darunter von ihrem langjährigen Mitarbeiter und Freund Angelo Rinaldi (hier). Alain Riou erinnert an Girouds Drehbucharbeiten für Jean Renoir bis hin zur Nouvelle Vague, und Martine de Rabaudy, die 2001 zusammen mit Giroud das Buch "Profession journaliste" (Hachette Litteratures) schrieb, erzählt den "Lebensweg einer Passionierten". Weitere Nachrufe von Jean Daniel (hier), Edmonde Charles-Roux (hier) und Jacques Juillard (hier). Besprochen wird schließlich noch ihr letzter Roman "Les Taches du leopard" (Fayard), der jetzt posthum erschienen ist.

In der Abteilung Livres wird das 30-jährige Bestehen des wichtigsten Festivals für Comic in Angouleme gefeiert. Auskunft über erste und prägende Erfahrungen mit dem Genre geben unter anderem der Schauspieler Pierre Arditi, der Modeschöpfer Jean-Charles de Castelbajac und der Regisseur Patrice Leconte. Der Fotograf William Klein etwa beantwortet die Frage, warum "Amerikaner ihre Mütter hassen": "Weil sie während deren Militärzeit die Comic-Hefte weggeworfen haben." Hingewiesen wird außerdem auf eine Biografie des genialen Jean-Marc Reiser (Grasset, mehr über und von Reiser hier und hier), von dem während des Festivals auch unveröffentlichte Zeichnungen gezeigt werden.

Express (Frankreich), 23.01.2003

Der Express nimmt Abschied von Francoise Giroud, der großen Journalistin, die im Alter von 86 Jahren gestorben ist undf die man sich gewissermaßen als die französische Gräfin Dönhoff vorzustellen hat. Sie war in den fünfziger Jahren Mitbegründerin des Express, der sich durch seine kritische Position zur Algerien-Politik der französischen Regierungen Verdienste erwarb. Ihre Herkunft war allerdings ein wenig exotischer als die der Gräfin, wie wir in Jacqueline Remys Nachruf erfahren: "Sie träumte davon, Arzt zu werden, wie ihr Großvater, der Hofarzt des Sultans von Konstantinopel. Aber sie wurde Journalistin, wie Salih Gourdji, ihr türkischer, in Bagdad geborener Vater, der - wie sie manchmal erzählte - die ottomanische Nachrichtenagentur leitete, bevor er in Paris im Jahre 1908 eine poilitische Zeitung gründete."

Ein ganzes Dossier mit einer Menge Statements und einem Vorabdruck aus ihrem letzten Roman ist ihr im Express gewidmet.

Außerdem finden wir ein Gespräch mit Joseph Rovan, dem Pionier der deutschen-Franzöischen Versöhnung. "Natürlich", antwortet er auf die Frage, ob Deutschland und Frankreich der Motor der europäischen Einigung bleiben sollen, "mit einem dritten Motor, den man sehr bald anwerfen sollte, nämlich Polen."
Archiv: Express

New York Times (USA), 26.01.2003

Bücher an die Front: An Weihnachten verteilte das amerikanische Verteidigungsministerium hunderttausend Klassiker an ihre Soldaten. Darunter auch Shakespeares Henry V., was Judith Shulevitz zu einem mokanten Kommentar über die zweifelhaften Absichten der uniformierten Bücherfreunde und die Selbstverteidigungskräfte der Literatur anregt. "Eine der befriedigsten Eigenschaften von Literatur ist, dass sie sich gegen den wenden kann, der sie für seine eigenen Zwecke benutzt. Die Handlung des Stücks beschreibt unsere heutige Situation treffender als das Pentagon es wahrscheinlich beabsichtigte. Der Anspruch eines neugekrönten Königs auf den Thron gibt Anlass zu verfassungrechtlichen Bedenken, da sein Vater ihn sich durch den Mord an dessen früheren Inhaber angeeignet hatte. Der König muss das Vertrauen seines Volkes gewinnen; er will ausserdem seine Jugend als Trinker und Hallodri übertünchen. Er tut genau das, indem er geschickt und wagemutig einen Krieg gegen Frankreich beginnt, genau so wie sein Vater es ihm geraten hatte: 'Be it thy course to busy giddy minds / With foreign quarrels'.

Mit George Bush beschäftigt sich auch David Frum, und das in gut informierter Weise. Frum war der Sprecher des Weißen Hauses im ersten ereignisreichen Regierungsjahr 2001, er war es, der das berüchtigte Wort von der "Achse des Bösen" geprägt hat. In seinem Insider Report "The Right Man" (erstes Kapitel) nimmt er nun kein Blatt vor den Mund, wie Jeff Shesol anerkennend feststellt. "In Bezug auf Bush spricht Frum offen die 'vielen Defizite' des Präsidenten an, etwa dass er oft 'uninteressiert und deshalb schlecht informiert' ist. Frums Bush ist ein komplexerer Charakter als etwa Nonnans Reagan, was sein Porträt glaubwürdiger macht. Insgesamt aber werden die Schwächen des Präsidenten, wie der Buchtitel suggeriert, durch seine Tugenden mehr als ausgeglichen: Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Haltung, Mut und Beharrlichkeit. 'Ein geradezu perfekter Führer in Kriegszeiten'." Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten! Siehe oben.

Genug von Amerika, nun zu Russland. Richard Eder ist ganz angetan von Tatyana Tolstaya, einer Großnichte Leos. Sie hat in den USA gerade den Roman "Slynx" veröffentlicht sowie "Pushkin's Children", eine Sammlung von Essays über ihr Heimatland. "Wenn sie über das schlingernde Leben in Russland schreibt - seine Politik, Geschichte und Kultur, seine Obsessionen, menschlichen Fehlern und dem menschlichen Reichtum - dann glänzt sie und umschreibt ihren Gegenstand, als würde sie mit ihrer Sprache ein inneres Feuer einhegen. Sie fixiert die Realität mit extremen Gefühlen und der poetischen Genauigkeit ihrer Bilder."

Außerdem: Im Aufmacher würdigt Daniel Mendelssohn den Schriftsteller Richard Powers als ungemein talentierten Autor und seinen achten Roman "The Time of Our Singing" (erstes Kapitel), das Porträt einer musikalischen Familie in schwierigen Zeiten, als dicht und ambitioniert wie erwartet. Nina Bernstein prophezeit Randall Kennedys provokanter Studie über "Interracial Intimacy" (erstes Kapitel) ein großes Echo, trotz oder gerade wegen der widersprüchlichen Botschaft. Und David Kelly hat sich bei Tom Carsons "Gilligan Wake" prächtig amüsiert, dessen "trashige" aber sehr lustige Art der Rezensent sich nur als Ergebnis von lebenslangem TV- und Rock'n Roll Konsum erklären kann.
Archiv: New York Times